TY - JOUR U1 - Zeitschriftenartikel, wissenschaftlich - begutachtet (reviewed) A1 - Schellinger, Uwe T1 - Religionsgeschichte als Familiengeschichte BT - die Chewra Kadischa in Kippenheim JF - Die Ortenau N2 - Am 23. April 1920 verstarb der Stoffhändler Jakob Gross aus der jüdischen Gemeinde Altdorf im Alter von 79 Jahren. Über seine Bestattung berichtete viele Jahre später ein christlicher Zeitzeuge in seinen Erinnerungen: ,,Bei der Beerdigung oder der ,Lafaiä' saß ich mit noch ein paar Kindern auf der Treppe des Nachbarhauses [...] und schaute zu. Zur Beerdigung kamen die Verwandten, Bekannten, Geschäftspartner und Nachbarn des Verstorbenen. In besonderer Erinnerung sind mir die Zylinder der jüdischen Trauergäste. [...] Nachdem die Trauergemeinde vollzählig war, wurde der Sarg auf eine mir unvergessliche Weise die steile Treppe herunter transportiert. Draußen hörten wir regelmäßige dumpfe Schläge. Der Sarg wurde nämlich nur auf einer Seite gezogen. Auf der anderen Seite polterte der Sarg mit dem Verstorbenen Stufe für Stufe die Treppe herunter. Auch dies entsprach, wie ich später gehört habe, einem jüdischen Ritus. Es sollte verhindert werden, einen Scheintoten lebendig zu begraben. [...] Dieses unheimliche dumpfe Poltern hat mich damals als kleiner Bub verängstigt, weshalb ich es bis heute nicht vergessen habe. [...] Jedenfalls erschienen nach dem Poltern die Leichenträger mit dem einfachen Sarg - es war eine einfache ungestrichene Holzkiste ohne Griffe - in der Haustür und trugen ihn auf die Straße. Dort wurde der Sarg auf zwei bereitstehende ,Böckle' gestellt. Dann trat der Ruster Rabbiner an den Sarg und sprach ein paar wenige Worte. Der von zwei Pferden gezogene und aus Rust stammende Totenwagen fuhr vor. Gelenkt wurde er von Christian Hunn, dem auch die beiden Pferde gehörten. Nachdem man den Sarg aufgeladen hatte, startete der Leichenzug Richtung Schmieheim. Ein Großteil der christlichen Gemeinde und auch der Juden trat zur Seite und machte dem Leichenzug Platz. Ein kleinerer Teil der Christen, direkte Nachbarn oder nähere Bekannte, begleiteten den Zug bis zum Ortsausgang, dem Umrank. Ein Teil der Juden fuhr in Pferdekutschen und ein kleinerer Teil ging zu Fuß bis zum Judenfriedhof in Schmieheim. Vor der eigentlichen Bestattung, so hat man mir erzählt, wurden die Verstorbenen in dem Häuschen am Friedhofseingang noch einmal symbolisch gewaschen." KW - Kippenheim KW - Chewra Kadischa Y1 - 2008 UN - https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:31-opus-181749 U6 - https://doi.org/10.57962/regionalia-18174 DO - https://doi.org/10.57962/regionalia-18174 VL - 88 SP - 133 EP - 146 ER -