Filtern
Erscheinungsjahr
Dokumenttyp
- Wissenschaftlicher Artikel (5670) (entfernen)
Sprache
- Deutsch (5605)
- Englisch (61)
- Französisch (4)
Gehört zur Bibliographie
- nein (5670) (entfernen)
Schlagworte
- Geschichte (402)
- Biografie (243)
- Baden (214)
- Karlsruhe (213)
- Heidelberg (187)
- Freiburg im Breisgau (170)
- Villingen im Schwarzwald (152)
- Nationalsozialismus (133)
- Oberrheinisches Tiefland (126)
- Villingen-Schwenningen-Villingen (125)
Schon von Kindesbeinen an, als ich ein kleiner Ministrant war, ist mir die Gedenktafel an der Sakristeiwand unserer katholischen Kirche vertraut. Darauf ist ein Reliefbild von einem prächtigen Baum zu sehen und es steht zu lesen: „Auguste Pattberg, geb. von Kettner, geboren am 24. Februar 1769 in Neunkirchen, gestorben am 4. Juli 1850 in Heidelberg. Es steht ein Baum im Odenwald. Dem Gedächtnis der Romantikerin des kleinen Odenwaldes und der Mitarbeiterin an der Liedersammlung ‚Des Knaben Wunderhorn’ geweiht. Odenwaldklub und Gemeinde Neunkirchen 1929.“ Damals war mir allerdings noch nicht bewusst, welche Bewandtnis es mit diesen Zeilen hat. Auch die Auskünfte der älteren Generation zu dieser Person waren verschwommen und ungenau. Erst später wurde mir bekannt, dass Auguste Pattberg aus meinem Heimatort einen nicht ganz unwichtigen Beitrag zur deutschen Literaturgeschichte geleistet hatte. Heutzutage werden mit der Liedersammlung „Des Knaben Wunderhorn“ nur noch die strahlenden Namen Achim von Arnim und Clemens Brentano assoziiert. Auguste Pattberg, die hierzu immerhin 17 Volkslieder beisteuerte, ist nahezu vergessen. Nur noch in Neunkirchen und Neckarelz und bei wenigen Heidelbergern steht sie in, wenn auch blasser, Erinnerung. In Mosbach-Neckarelz ist zumindest noch ihr Name durch das Auguste-Pattberg-Gymnasium und die Pattberg-Hauptschule gegenwärtig.
Andreas Grundler war im Hauptberuf Arzt, Zeitgenossen rühmten ihn auch als Dichter und Komponisten. Die Kenntnis und Rezeption seines musikalischen Schaffens schon zu Lebzeiten und die erhaltenen Werke belegen, dass er keinesfalls „nur als Ehemann der gelehrten Humanistin Olympia Fulvia Morata bekannt geblieben ist“, wenn auch ein Großteil seiner Biographie aus der hinterlassenen Korrespondenz seiner italienischen Gattin erschlossen werden musste. Olympia Fulvia Morata (1526–1555), Tochter der Lucrezia und des Fulvio Pellegrino Morato aus Mantua, wurde
zuerst durch den Vater „in allen Wissenschaften, die zur Bildung des Menschen notwendig sind“ erzogen und erhielt danach gemeinsam mit der Herzogstochter Anna d‘Este Unterricht am glanzvollen Hof von Ferrara. Bald priesen gelehrte Literaten die erstaunlichen Leistungen des „frühreifen und überbegabten Mädchens“ in den lateinischen und griechischen Sprachen. Olympia heiratete im Alter von etwa 24 Jahren Andreas Grundler, der 1549 in Ferrara den Doktorgrad in Philosophie und Medizin erworben hatte. Ihr kurzer, gemeinsamer Lebensweg führte sie nach Schweinfurt, wo
der Ehemann rund vier Jahre als Arzt wirkte, bis die Stadt im „Markgräfler Krieg“ völlig zerstört wurde (12./13. Juni 1554). Ihre Flucht um das nackte Überleben endete in Heidelberg, und Grundler erhielt eine Professur an der medizinischen Fakultät der Universität. Über einen Lehrauftrag für Griechisch an seine Gattin Olympia gibt es keine gesicherten Nachrichten, ihr Ruhm wurde aber bald nach dem frühen Tod durch Editionen ihrer Briefe und Schriften begründet. Die erste Ausgabe, zusammengestellt von dem alten Freund Celio Secondo Curione, erschien 1558 in Basel, wo Curione Latein und Griechisch lehrte; bis 1580 folgten drei erweiterte Auflagen. Diese Drucke machten Olympia im humanistisch-literarischen Europa weithin bekannt. Selbst im katholischen Umfeld wurde ihre hohe Gelehrsamkeit anerkannt, die Neigung „dieser Syrene“ zur „Häresie Calvins“, von der sie die Jugendfreundin Anna d’Este zu überzeugen versuchte, aber scharf kritisiert. Alle Ansätze zu einer Biographie des Ehepaars Grundler/
Morata basieren weitgehend auf den von Curione veröffentlichen Briefen. Die meisten hat Olympia geschrieben, und da sie aus ihrer Sicht der Ereignisse und in ihrer Sprache das gemeinsame Lebensbild prägte, steht sie auch in allen späteren Editionen im Vordergrund.
"P.S. under dach bringen"
(2012)
Beim Stuhltanz, vielerorts als „Die Reise nach Jerusalem“ bekannt, scheidet nach jeder Runde ein Spieler aus. Am Ende schafft es nur einer, sinnbildlich in Jerusalem anzukommen. Bei den Kindern von Friedrich V. von der Pfalz und Elisabeth Stuart war dieses Gesellschaftsspiel beliebt, hatte aber einen anderen symbolischen Zielort. In der aus Prag und der Pfalz ins niederländische Exil vertriebenen Familie des Winterkönigs hieß das Spiel „Die Reise nach Heidelberg“. Eigentlich war nur eines der zahlreichen Winterkinder alt genug, um vor dem böhmischen Abenteuer seines Vaters die Stadt gekannt zu haben. Den anderen war Heidelberg nur aus Büchern, Bildern und mündlichen Berichten bekannt und wohl dadurch besonders geeignet als symbolische Verdichtung von Wünschen und Hoffnungen: In Heidelberg finden wir Erlösung – von der Schmach und dem Spott, von der Enge und der Armut des Exils im Haag. Wie im Spiel kamen im wirklichen Leben einige der Kinder nie in Heidelberg an. Von den neun bei der Restaurierung der Unterpfalz im Jahr 1649 noch lebenden Winterkindern sollten es drei (Moritz, Louise Hollandine und Henriette Marie) nie sehen. Der Zielort des Spiels
wurde zum längerfristigen Wohnort nur für drei: Karl Ludwig (1617–1680), Elisabeth (1618–1680) und Sophie (1630–1714).
Ebenso wie andere Fürstenhöfe wurde auch der Heidelberger Hof im Frühjahr 1525 von der Erhebung des „Gemeinen Mannes“ überrascht, auch wenn es erste Anzeichen für Unruhen und eine revolutionäre Stimmung unter der Landbevölkerung bereits Jahrzehnte zuvor, insbesondere in den Bundschuhaufständen 1502 und 1517, gegeben hatte. Der Anstoß zum bäuerlichen Widerstand kam indes nicht aus der Residenz- und Universitätsstadt selbst, in der 1518 das Ordenskapitel der Augustinereremiten getagt und Martin Luther mit seiner Kritik an der scholastischen Lehre enormes Aufsehen erregt hatte. Von Oberschwaben und vom Oberrhein her wurden zuerst die linksrheinischen Gebiete der Kurpfalz von der revolutionären Bewegung erfasst, rechts des Rheins griff sie von den markgräflich-badischen und bischöflich-speyerischen Landen über. Vor Beginn der Fastenzeit 1525 hatten Kurfürst Ludwig V. und die Pfalzgrafen Friedrich, Georg, Philipp und Ottheinrich, die am Hofe weilten, sich mit der bei Jägern und Adel beliebten Sauhatz, mit Mummenschanz und Narrenspiel beschäftigt. Dieses bunte Vergnügen änderte sich sehr plötzlich kurz vor Ostern. Die in Memmingen gedruckten Zwölf Artikel der Aufständischen entfalteten ihre Wirkung in den Gebieten des Oberrheins und der Kurpfalz.
Johann Heinrich Jung-Stilling, der fast vier Jahre ältere, und Johann Friedrich Mieg lebten zur selben Zeit. Sie waren beide von der Aufklärung geprägt. Mieg war dies zeitlebens und als ihr entschiedener Vertreter. Jung-Stilling dagegen setzte sich – bis zu einer geistig-geistlichen Wende im Alter von etwa 50 Jahren – als frommer Aufklärer mit der aufklärerischen Vernunftlehre und mit einzelnen ihrer Vertreter entschieden auseinander. Beide waren Freimaurer, Jung-Stilling nur wenige Jahre, Mieg dagegen war es gleichsam lebenslang und dazu ein eifriges Mitglied im Illuminatenorden. Der Unterschiede sind auch in anderer Hinsicht viele: Mieg stammte aus einer alten, großen Theologen- und Akademikerfamilie; Jung-Stilling ist aus einfachen dörflichen Verhältnissen in höchste Gesellschaftsschichten aufgestiegen. Mieg war von Studium und Beruf nur Theologe, Jung-Stilling dagegen Mediziner, Staatswirtschaftler und als Laientheologe Erweckungsschriftsteller. Mieg war einmal verheiratet, und die Ehe blieb kinderlos. Jung-Stilling war dreimal verheiratet und dreimal verwitwet und dabei bis 1799 Vater von insgesamt 13 Kindern, von denen sechs allerdings sehr
früh starben. Mieg hinterließ ein relativ kleines schriftstellerisches Oeuvre. Jung-Stilling aber kennzeichnet eine sehr umfangreiche schriftstellerische Hinterlassenschaft. Jung-Stilling stand vielfach in Verbindung mit den Großen seiner Zeit wie mit seinem bürgerlichen Umfeld. Mieg stand eher im Gegensatz zu seiner Zeit oder zumindest zu den herrschenden Verhältnissen, wenngleich in Beziehung mit zahlreichen, teilweise auch prominenten Zeitgenossen.
Am 1. Dezember 2011 wurde das Deutsche Tuberkulose-Museum im Rohrbacher Schlösschen feierlich eröffnet, an einem Ort, der für dieses Projekt prädestiniert ist. Das Schlösschen war die Keimzelle des Tuberkulosekrankenhauses Rohrbach und der jetzigen Thoraxklinik Heidelberg. In seinen Räumen wurden seit 1920 tuberkulosekranke Kriegsheimkehrer betreut, sodass das Tuberkulosemuseum gleichsam als Fortsetzung einer Tradition verstanden werden kann. Die Materialien des Museums stammen vorwiegend aus dem 2010 von Fulda nach Heidelberg verlegten Deutschen Tuberkulose-Archiv, ergänzt durch Objekte der Thoraxklinik Heidelberg. Ausschlaggebend für diesen Ortswechsel waren zwei Gründe: Zum einen waren die Bestände des Archivs, das 1996 von dem Fuldaer Pneumologen Dr. Robert Kropp gegründet wurde, so weit angewachsen, dass die dortigen beengten Räumlichkeiten eine ansprechende Präsentation nicht mehr zuließen. Zum anderen wurde die Anbindung an eine Universität angestrebt, um eine wechselseitige wissenschaftliche Nutzung zu ermöglichen, von der bisher nur eingeschränkt Gebrauch gemacht wurde.
Der Erwerb einer Kiste und deren Aufstellung in der Heiliggeist-Kapelle stehen am Anfang der Geschichte des Archivs der Universität Heidelberg. Seit dem 8. Februar 1388 konnten die grundlegenden Privilegien der 1386 gegründeten Institution an diesem sakralen Ort in „archa uniu(er)sitat(is)“ eingeschlossen werden. Gemeinsam mit den Privilegien wurden auch die Gelder der Universität „sub custodia quatuor facultatum“ dort verwahrt. Zusammen mit dem Rektor besaßen die vier Dekane der Fakultäten Schlüssel zu dieser wertvollen Archivkiste, was zur Folge hatte, dass entnommene
Stücke bisweilen auch nach Amtswechseln in der Wohnung des jeweiligen Vorgängers verblieben und letztlich auf diese Weise der Universität verloren gehen konnten. Das mit zunehmender Verwaltungstätigkeit verbundene Anwachsen von Schriftstücken in Registratur und Archiv führte nicht nur zur Anstellung eines Syndikus am 3. Oktober 1553, sondern kurz darauf auch zur Verlagerung des Archivs, dem am 3. April 1555 die Sakristei des Augustinerklosters durch die kurfürstliche Kanzlei zugewiesen wurde – das dort lagernde Kirchengerät wurde allerdings erst fortgeschafft, als die Universität am 8. Februar 1557 den (neuen) Kurfürsten Ottheinrich in jener Angelegenheit um eine erneute Verfügung bat, welche dieser umgehend aussprach. Getrennt hiervon befand sich in der Wohnung des Rektors neben dem in Gebrauch befindlichen Annalen- und Matrikelband eine „parua cistella uniuersitat(is)“, in der bereits abgeschlossene Annalen- und Matrikelbände sowie andere häufiger benötigte Unterlagen aufbewahrt wurden. Am 21. Dezember 1604 beschloss der Senat jedoch, die alten Annalen- und Matrikelbände dem Archiv zuzuweisen, was angesichts des für Heidelberg und seine Universität sehr wechselvollen 17. Jahrhunderts eine wahrhaft vorausschauende Maßnahme war, die entscheidend für den Erhalt der wertvollen Dokumente gewesen sein dürfte.
Die Psychiatriereform in der Bundesrepublik Deutschland wird gewöhnlich mit den 1970er Jahren, besonders mit dem Bericht der Enquête-Kommission von 1975 in Zusammenhang gebracht, der die Grundlage für entscheidende Veränderungen darstellte. Damit befand sich die BRD, mitbedingt durch die NS-Vergangenheit der deutschen Psychiatrie, im Rückstand gegenüber dem westlichen Ausland. Noch 1973 – im Zwischenbericht der Enquête-Kommission – wurde die Situation der Psychiatrie als „brutale Realität“ gebrandmarkt: Fast ausschließlich große, geschlossene, fern von den bewohnten Zentren gelegene Landeskrankenhäuser waren für die Aufnahmen der psychisch Kranken zuständig. Einige erreichten Bettenzahlen von über 1000. 59% der Patienten lebten hier bereits länger als zwei, 31% länger als 10 Jahre. In den heruntergekommenen Anstalten führten die Patientinnen und Patienten ein von der Gesellschaft kaum beachtetes, wenn nicht vergessenes, zumindest fast vollkommen ausgegrenztes Leben, und dies unter gänzlich unzumutbaren Umständen: 39% von ihnen waren in Räumen mit 11 oder mehr Betten untergebracht.
„Article by a young middle class woman, university graduate, married to a half-Aryan. In this article she takes a friendly but critical attitude toward the American Military Government which is both literate and symptomatic of the position of many middlen class university educated elements in Heidelberg.” Mit diesem Kommentar übersandte am 27. Juli 1945 J. Rothman, in Heidelberg stationierter Offizier des 6871st District Information Services Control Command (DISCC), das für Informationskontrolle, Medien und Kulturpolitik verantwortlich war, ein ungewöhnlich ausführliches, 22-seitiges Schreiben einer 28-jährigen Heidelbergerin an seine vorgesetzte Militärbehörde in Wiesbaden.
Am nördlichen Neckarufer steht der große hellgraue Steinquader – gefügt aus sieben Muschelkalkblöcken – parallel zu Fluss und Straße. Durch einen um wenige Zentimeter eingezogenen, 18 cm hohen Sockel scheint er knapp über der Erde zu schweben. Lange Zeit verbarg ihn dichtes Strauchwerk vor den Blicken der Passanten, seit einigen Jahren ist er gut zu betrachten. Die Höhe des schmalen Steinblocks beträgt insgesamt 2,65 m. Die breiten Seiten haben eine Ausdehnung von 3,56 m, die Stirnseiten von 1,20 m. Drei Seiten sind mit Relief-Darstellungen geschmückt, die flussabwärts gewandte Schmalseite trägt eine Inschrift aus eingetieften Versalien: „Der Ausbau des Neckars / zum grossen Schiffahrtsweg / wurde begonnen / im Jahre 1921 / Die erste Strecke Mannheim–Heilbronn / wurde im Jahre 1935 fertiggestellt.“
Eigentlich ist unübersehbar, dass die Strebepfeiler an der Heidelberger Heiliggeistkirche unterschiedlich hoch hinaufreichen: Der unbekannte Architekt des Chors, errichtet 1398–1410, baute ausschließlich Strebepfeiler, die unterhalb der Traufe enden. Am Langhaus, errichtet bis 1441, finden sich im westlichen Turmbereich ebenfalls verkürzte Strebepfeiler, der Architekt des östlichen Langhauses zog dagegen seine Außenpfeiler bis zur Traufe hoch und akzentuierte sie mit den markanten wasserspeienden Dämonenfiguren, fünf auf der Süd- und drei auf der Nordseite. 1913 beschreibt Adolf von Oechelhäuser diese Differenz an den beiden Bauteilen: „Form und Abmessungen der Strebepfeiler sind beibehalten worden, nur daß sie am Langhaus etwas höher hinaufreichen und mit Wasserspeiern verziert sind.“
Am 10. Juli 2012 wurde bei Sotheby´s in London ein einzelnes Pergamentblatt aus einer Handschrift, geschrieben um 800 n. Chr. in der Reichsabtei St. Nazarius zu Lorsch, für rund 120.000 Euro (93.650 GBP) ersteigert. Die heute weit verstreute Bibliothek dieses Klosters gehörte zu den kostbarsten Bücherschätzen der karolingischen Epoche. Wer sich für die Heidelberger (Vor-) Geschichte interessiert, weiß, dass die 764 gestiftete Abtei mit ihren beiden Niederlassungen auf dem Heiligenberg und ihren ausgedehnten Besitzungen auch südlich des Neckars eine wichtige Rolle gespielt hat. Was aber wissen wir über die Lorscher Klosterbibliothek? Baulich ist die Bibliothek längst verloren; sie mag ihren Standort im Winkel von Nordquerhaus und Chor eingenommen haben, wie es der im St. Gallener Klosterplan postulierte benediktinische Idealfall vorsieht. Der Lorscher Bibliotheksbestand ist seit 2012 fast vollständig digital erschlossen. Dieses Digitalisierungsprojekt wurde von der (für Lorsch zuständigen) Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen finanziert, von der Heidelberger Universitätsbibliothek angestoßen und in Zusammenarbeit mit der UNESCO-Welterbestätte Kloster Lorsch organisiert. Angestrebt wird bis 2014 die vollständige Abbildung und Kommentierung der ermittelbar in Lorsch geschriebenen und/oder aufbewahrten Codices und Handschriftenfragmente. Das sind nach heutigem Kenntnisstand circa 330 Handschriften. Insgesamt verteilt sich das Material auf nicht weniger als 68 in- und ausländische Bibliotheken und Archive. Im Team der Heidelberger Universitätsbibliothek sind die Kunsthistorikerin Alexandra Büttner für die Projektkoordination und der Mittellateiner Michael Kautz für die wissenschaftliche Bearbeitung zuständig.
Nach der Zerstörung der Stadt Ettenheim im 30-jährigen Krieg wurden die drei Tortürme nach und nach wieder hergestellt. Näheres dazu ist mir nicht bekannt. Die Türme am Oberen Tor und am Thomas-Tor (später auch als Ringsheimer Tor bezeichnet) standen im Eigentum der Stadt, während es sich beim großen Turm beim Unteren Tor um den Herrschaftsturm handelte. Es war der Gefängnisturm der Landesherrschaft bis zu seinem Abbruch in den Jahren 1844/45. Beim Wiederaufbau der beiden Stadttürme musste vermutlich an den Baukosten gespart werden, so dass man schlechtes Baumaterial verwendete und deswegen die Türme auch nicht allzu hoch ausfielen. Auf einem alten mit Wasserfarben gemalten Bild aus der Zeit zwischen 1814 und 1834 (Original vernichtet) sind alle drei Türme zu sehen: der Turm am Unteren Tor sehr breit mit einem Storchennest darauf, die beiden Stadttürme hingegen schmal und niedrig. Die Türme mit den angebauten Torhäusern dienten dem Schutz der Stadt und ermöglichten das Erheben des Wegzolls (Pflastergeld). Über die Geschichte der Ettenheimer Türme und Tore und ihren Abbruch berichtete bereits Philipp Harden-Rauch, worauf hier hingewiesen wird.
Mit Einwilligung von Studiendirektor a. D. Franz Ruf konnte ich im März 2010 die „Lebenserinnerungen“ seines Vaters, die dieser im Alter von 74 Jahren aufgezeichnet hatte, herausgeben. Damit wurde ein einmaliges zeitgeschichtliches Dokument, das zuvor nur im Familienbesitz war, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und vor dem Vergessen bewahrt. Die „Lebenserinnerungen“ von Edmund Ruf (29. August 1895-26. März 1986) geben einen Einblick in das noch landwirtschaftlich geprägte Leben in Ettenheim zu Beginn des 20. Jahrhunderts, vermitteln einen Eindruck von den persönlichen Erlebnissen des Autors im Ersten Weltkrieg mit Verwundung, Lazarett und Beinamputation und einem nicht enden wollendem Leidensweg bis ins hohe Alter, zeigen die Schikanen auf, die er im „Dritten Reich“ wegen seiner ablehnenden Haltung zum NS-Regime erdulden musste, lassen die Nöte des Nachkriegs-Bürgermeisters (1. Oktober 1946 - 12. Dezember 1955) erkennen, dem die Bevölkerung die Maßnahmen persönlich anlastete, welche von der französischen Besatzungsmacht angeordnet waren, jedoch von ihm durchgeführt werden mussten, und schließlich berichtet diese nur in kleiner Auflage erschienene Schrift über die mutige und vorausschauende Entscheidung, die zum Bau des neuen Krankenhauses auf dem Meierberg führte. Aus all diesen Ereignissen, die vor allem in der ersten Hälfte des 20.Jahrhunderts stattfanden, soll mit dieser Veröffentlichung die persönliche Erfahrung von Edmund Ruf im Ersten Weltkrieg einem größeren Kreis zugänglich gemacht werden.
Ein Polizist ist in der Regel ein Sinnbild für dienstlichen Gehorsam und die Verkörperung der Interessen des Staates. Aber ein Polizist ist keine Maschine, sondern ein Mensch, der durchaus seine eigene Meinung über die Ereignisse hat, mit denen er sich beruflich auseinandersetzen muss. Meistens behält er die Meinung für sich und folgt seinen Befehlen. In ganz seltenen Fällen folgt allerdings ein Polizist seinen eigenen Prinzipien und nicht dem Automatismus des vorgeschriebenen Verhaltens. Einen solchen Fall gab es vor 40 Jahren in Lahr. Und diese Prinzipientreue hatte nachhaltige Folgen - nicht nur für den Polizisten selbst, sondern für sehr, sehr viele Menschen. Das waren auf der einen Seite die Polizeikollegen und auf der anderen Seite die Demonstranten. Sie standen sich 1975 in Wyhl gegenüber, wo der Bau eines Atomkraftwerkes geplant war.
Im letztjährigen „Geroldsecker Land“ wurde versucht zu schildern, wie der Erste Weltkrieg die Stadt Lahr beeinflusst hat. Wie er die Stadtverwaltung modernisierte und die politischen Verhältnisse veränderte. 1919 war die Stadt nicht mehr dieselbe wie 1914. Eine solche „strukturelle“ Sicht auf die Stadt und ihre Geschichte ist nötig, denn in ihr werden die Veränderungen und der geschichtliche Verlauf oft deutlicher als im kleinen Detail. Doch geht dabei etwas anderes verloren. Nämlich die konkrete und alltägliche Erfahrung der Menschen jener Zeit. Was hilft es, wenn man weiß, wann die Stadt ein Lebensmittelamt einrichtete und wie es organisiert war, wenn man nicht gleichzeitig schaut, ob dessen Tätigkeiten im Leben der Menschen überhaupt etwas bewirkte? Gerade der Erste Weltkrieg war eine Zeit, in der die Menschen in kürzester Zeit Erfahrungen machten, die sich oft widersprachen und Veränderungen bewirkten, für die die Geschichte sonst Jahrzehnte braucht. Dieser Krieg war für die Menschen in aller Regel eine Zeit der Entbehrung, der Not und der tiefen Schicksalsschläge. Schon 1914 setzte deshalb der Kampf um den „Sinn“ dieses Krieges und dieser Zeit ein. Warum hatte man gelitten? Warum waren der Sohn, der Ehemann, der Vater gefallen?
„Militär und Industrie“ gilt gemeinhin als ein spannungsreiches Begriffspaar. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein pflegte das Bürgertum ebenso wie andere nichtadelige Gesellschaftsschichten und Klassen eine mal stärker, mal schwächer ausgeprägte Abneigung gegen alles Militärische. Thomas Nipperdey formulierte zusammenfassend: „[Zwischen] 1848 und den 60er Jahren [war] eher das Misstrauen gegenüber dem Militär dominant gewesen. Das Militär war teuer, es war privilegiert und exklusiv, anti-zivil und anti-bürgerlich, es war anti-parlamentarisch, innenpolitische Waffe der Gegenrevolution und des Staatsstreichs.“ Kurz: Militär galt als unproduktiv, parasitär, undemokratisch und zerstörerisch. Bekanntlich änderte sich das in den 1860er Jahren, doch das gleichzeitige Mit- und Nebeneinander von Industrie und Militär bemerkte noch sehr kritisch um 1900 der katholische Pfarrer und badische Abgeordnete Heinrich Hansjakob.
So manches Gebäude in Konstanz und Freiburg erinnert an seine außerordentlich nachhaltigen Regierungszeiten als Oberbürgermeister beider südbadischer Städte. Geboren und aufgewachsen ist Otto Winterer allerdings im Geroldsecker Land. Am 8. Januar 1846 erblickte er in Ettenheim als Sohn des Bäckers Viktor Winterer in der Kirchstraße 5 im Haus der alten Stadtschreiberei das Licht der Welt. „Was für ein treffender Geburtsort für einen späteren Bürgermeister!“ mag man da unwillkürlich denken. Doch ist es wohl kaum die Aura der ehemaligen Funktion seines Geburtshauses als vielmehr die Tradition der Familie, durch die Otto Winterer das Talent und die Leidenschaft zum erfolgreichen Wirken und Verwalten im Dienste eines städtischen Gemeinwohls buchstäblich in die Wiege gelegt bekam. Seine Mutter Rosalie war die Tochter des Ettenheimer Stadtschultheißen Kollofrath und auch sein Vater Viktor, der als Bäcker zugleich im Ettenheimer Stadtrat saß, stammte ebenfalls aus einer Familie von Schultheißen.
In insgesamt 46 erhaltenen Briefen und Postkarten aus der Zeit zwischen 9. September 1916 und 10. April 1918 berichten die Brüder über ihre Zeit erst auf Truppenübungsplätzen und dann von der Front. Ernst ab Mai 1917 und Hermann ab Dezember 1917. Ergreifend der Zusammenhalt der Familie, der sich in regem Briefwechsel zwischen Eltern und Geschwistern mit ihren beiden Soldaten ausdrückt. Zuhause sorgten sich außer den Eltern fünf Geschwister um ihre Brüder an der Front: Greta *1896, Olga (Olle) *1898, Julius *1901, Richard *1904 und Lisbeth *1906. Neben Briefen waren es zahlreiche Päckchen und Pakete mit Zigarren der väterlichen Zigarrenfabrik und Produkten aus der eigenen Landwirtschaft, die den beiden das Leben im Dreck des Heubergs und die Not im Schützengraben am „Chemin des Dames“ etwas erleichterten. Bemerkenswert: Was in diesem Krieg offensichtlich bis zuletzt funktionierte, war die Feldpost.
Viele Funktionen hatte das Friesenheimer Rathaus in seiner langen Baugeschichte zu erfüllen. Das Gebäude wird in das frühe 16. Jahrhundert datiert, die Jahreszahl 1548 auf dem vor dem Rathaus stehenden Stockbrunnen dürfte auch das Baujahr des Rathauses sein. Das Gebäude wurde als Gasthaus errichtet und diente mit seiner Gaststube dem Rat der Gemeinde als Versammlungsort. Auf dem Gebäude lag, bei der Veräußerung an die Gemeinde Friesenheim im Jahr 1853 eine Realwirtschaftsgerechtigkeit und es führte den Namen „Zum weißen Rössle“. Im Kaufvertrag wurde es als zweistöckiges Steinhaus mit Stallungen beschrieben, es sollte künftig nur noch Rathaus sein. Es war über eine außenliegende Holztreppe zum ersten Obergeschoss erschlossen, hier befanden sich die Räume für Bürgermeister, Ratschreiber, Rechner und Gemeinderat. Im Dachgeschoss wohnte der Lehrer. Die Räume des Erdgeschosses wurden über zwei große Hoftore erschlossen. Untergebracht war hier die Feuerwehr mit ihrem Gerät. Die Wache für die beschäftigten Polizeidiener und die zur Nachtwache eingeteilten Bürger befand sich auf der Südwestseite des Rathauses. Sie hatte einen getrennten Eingang. Zur Polizeiwache im Erdgeschoss gehörte auch eine Arrestzelle zur Unterbringung von festgenommenen Personen. Die Festnahmen erfolgten durch die Gendarmerie in Lahr, jedoch auch durch die Polizeidiener der Ortspolizeibehörde Friesenheim.
Die „Deutsche Revolution“ von 1848/49, in der vor allem Forderungen nach Einheit („ein einiges deutsches Vaterland“) und Freiheit („in einer Verfassung verankerte Grundrechte“) erhoben wurden, nahm ihren Anfang in Baden und setzte sich in weiteren deutschen Bundesstaaten fort. Radikaldemokratische Anhänger einer Republik aus dem Großherzogtum Baden waren Friedrich Hecker (1811-1881) und Gustav Struve (1805-1870). Im April 1848 wollten beide, enttäuscht über die Beschlüsse des demokratisch gewählten Parlaments in Frankfurt a. M., wenigstens in Baden eine Republik durchsetzen; ihr bewaffneter Aufstand von Konstanz aus nach Karlsruhe scheiterte in mehreren Gefechten. Im September 1848 initiierte Gustav Struve einen weiteren Aufstand von Lörrach nach Karlsruhe; der revolutionäre Zug gelangte nur bis Staufen, wo er durch großherzogliche Soldaten zerschlagen wurde. Nach dem Scheitern der Frankfurter Nationalversammlung war Baden vom Mai bis Juni 1849 unter der Führung von Lorenz Brentano vorübergehend eine Republik. Diese Revolutionsherrschaft endete mit der Entscheidungsschlacht am 21. Juni 1849 bei Waghäusel. Bundestruppen unter preußischem Befehl gewannen in diesem und in nachfolgenden Gefechten bei Rastatt die Oberhand. Die etwa 30.000 badischen Revolutionäre waren in der Auseinandersetzung mit den 60.000 gut ausgerüsteten nassauischen, württembergischen und preußischen Soldaten von vorneherein auf verlorenem Posten gewesen.
Gedenkorte, Gedenktafeln oder Gedenksteine im öffentlichen Raum und an Gebäuden bewahren die Erinnerungen an bedeutende Personen oder an Ereignisse im Wandel der Zeiten. In Nonnenweier weist in der Schmidtenstraße ein Gedenkstein darauf hin, dass auf der gegenüberliegenden Straßenseite bis 1938 die ehemalige Synagoge stand. Mit einer Skulptur in der Wittenweierer Straße, direkt am Rathaus wird an die am 22. Oktober 1940 stattgefundene Deportation jüdischer Mitbürger in das südfranzösische Internierungslager Gurs erinnert. Beide Denkmäler halten nicht nur die Erinnerung an das einstige jüdische Leben im Dorf wach. Sie rufen damit auch die Schicksale der ehemaligen jüdischen Mitbürger ins Gedächtnis zurück, die im Dritten Reich deportiert, planmäßig umgebracht, in den Tod getrieben wurden oder in Folge von Misshandlungen starben. Und letztlich zeugen sie vom geschehenen Unrecht, als ab 1933 auch in Nonnenweier Menschen nur deshalb systematisch entrechtet wurden, weil sie der jüdischen Glaubensgemeinschaft angehörten.
's Milchhiesl
(2015)
„Wenn Steine sprechen könnten ....“ heißt es, und man verbindet damit die Gewissheit, dass sie es ja doch nicht können. Aber wenn alte Mauern tatsächlich von vergangenen Zeiten erzählen könnten, dann hätte das unscheinbare Häuschen in der Ottenheimer Hintere Straße 7 bestimmt gar Vieles zu berichten. Dieses kleine Haus, in dem die örtliche Milchsammelstelle untergebracht war, ist ein ganz besonderes bauliches Stück Dorfgeschichte. Denn es hat so manches gesehen und erlebt, das zu schildern vermutlich eine überaus umfangreiche Aufzeichnung ergeben würde. Das „Milchhiesl“, wie das kleine Haus bis heute in Ottenheim genannt wird, wurde 1939 gebaut und diente bis zu seiner Schließung in den 1980er Jahren der Milchanlieferung und als Milchsammelstelle der Ottenheimer Landwirte . Das Haus ist sozusagen ein Dorfmöbel, das als nostalgisches Überbleibsel einer längst vergangenen Epoche nicht nur von sich selbst, sondern auch sehr viel über Ottenheim und dessen Einwohner erzählen könnte. Zumal die Milchzentrale schon am frühen Morgen und erst recht am Abend der Ottenheimer Kommunikationsmittelpunkt und dazu auch noch täglicher Treffpunkt der ländlichen Jugend war.
Für die Generationen derjenigen Deutschen, die nach Ende des II. Weltkrieges geboren sind, sind die Schrecken, Ängste und Sorgen der Weltkriege unvorstellbar. Bei denjenigen, die den II. Weltkrieg noch erleiden mussten, dominiert verständlicherweise diese Erinnerung. Erinnerungen, welche allerdings anders sind als jene Erfahrungen, welche die Opfer des I. Weltkrieges gemacht haben. Manche der Denk- und Merkwürdigkeiten des I. Weltkrieges muten uns heute - mehr als eigenartig, oft geradezu kurios an.
Nun hat im Allgemeinen ein Schaumschläger weder mit dem ehrenwerten Handwerk des Konditors (der schlägt ja bekanntlich den Baiser-Schaum), noch mit dem Einsatz eines Schaumlöschfahrzeuges der Feuerwehr zu tun. Meist versteckt sich hinter diesem Wortungetüm ein Phrasendrescher. Bei der Lahrer Schaumschlägerei 1979 wurde - wohl in nicht wenigen Fällen - zugeschlagen, und sicher manchmal auch kräftig. Nur nicht mit Worten, und schon gar nicht mit der wohlschmeckenden Zielsetzung des Konditors, auch nicht „feinherb“. Ein Schaumlöschfahrzeug (oder war es nicht sogar ein Löschpanzer mit Schaumlöschkanone, wie teilweise behauptet wurde) spielte dabei jedoch eine der Hauptrollen.
Ordnung muss sein
(2015)
Arnold (nennen wir diesen Menschen mal so) stammte aus der Lahrer Geroldsecker Vorstadt. Im Oberstübchen nicht ganz der Hellste, trug er gut trainierte Muskelpakete auf seinen groben Knochen her- um, und wenn einer, der dumm genug war, sich über den Klumpfuß vom Arnold lustig zu machen, dann bekam er vom wütenden Arnold was hinter die Ohren. Arnold war berüchtigt für seine Wirtshausschlägereien in der Lahrer Altstadt, aber ebenso legendär waren seine Anfälle von Gutmütigkeit; er liebte es, in den Straßen an verschreckte Kinder seine „Gutsele“ zu verteilen, und nur zu oft ließ er sich überreden, von seinem knappen Geld teure Lokalrunden für seine feixenden Kumpels zu bezahlen. Seine innere Unruhe trieb ihn von einem Job zum anderen. Oft trieb man auf den Baustellen oder Lagerhallen üble Späße mit ihm, die er mit seiner Schlagkraft vergelten musste, weil er sich nicht anders wehren konnte. Später zog er mit wechselnden Schaustellern durch unser Land, montierte Achterbahnen und Kinderkarussells, gehetzt von seinem Unglücklichsein, verfolgt von seinen Ängsten. Einmal handelte er sich eine Verurteilung wegen Körperverletzung ein, aber der milde gestimmte Richter ließ es bei einer kleinen Bewährungsstrafe bewenden. Außer den Ausnüchterungszellen der Polizei sah Arnold nie eine Gefängniszelle von innen.
Unordnung und Genie
(2015)
Die Begriffe „Recht“ und „Ordnung“ erscheinen meistens als Paar; weit ab aller rechtsphilosophischer Überlegungen benutzen wir sie zur Durchsetzung kurzfristiger Ziele im politischen Diskurs wie auch in unserem täglichen Sprachgebrauch, wobei das ältere Begriffspaar „Zucht und Ordnung“ vielen von uns auch noch in den Ohren klingelt. Recht und Ordnung sind zunächst nur zwei Worte, die mit Inhalt ausgefüllt werden müssen. Man kann, das englische „law and order“ ist nicht weit, an John Wayne denken, der mit seiner Winchester endlich im Städtchen aufräumt. Angesichts der jüngsten deutschen Vergangenheit kann man es verstehen, dass es manchen unwohl wird, wenn einer, mit der Faust auf den Tisch hauend, Recht und Ordnung einfordert; schließlich kann man mit Hilfe dieser beiden Schlagworte auch ein Konzentrationslager führen, da werden die Henker nicht widersprechen.
Auch die Provinzstadt Lahr blieb am 10. November 1938 nicht von den reichsweiten Ausschreitungen der sogenannten Reichskristallnacht verschont. Die Lahrer SS, die seit der Machtübernahme 1933 nun bereits zum SS-Sturmbann aufgestiegen war, kam ihrem Tagesauftrag äußerst regime- und führertreu nach, indem sie 103 jüdische Männer ins Konzentrationslager Dachau überstellte. Als ich erfuhr, dass es 1949 einen Lahrer Synagogenprozess gegeben hatte, wollte ich als Polizeibeamter wissen, welche Täter für diese 103 Festnahmen zur Verantwortung gezogen worden waren. Deshalb nahm ich Einblick in die Ermittlungsakten, die im Staatsarchiv in Freiburg archiviert sind, und ließ mir im Bundesarchiv in Berlin die Personalakten von einigen NSDAP- und SS-Männern kopieren, um die Abläufe während der Reichskristallnacht in Lahr rekonstruieren zu können. Bevor ich jedoch meine Rechercheergebnisse vorstelle, möchte ich darstellen, wie es im Deutschen Reich überhaupt zu diesen judenfeindlichen Maßnahmen kam.
Wenn ein Mensch durch einen Unfall vorzeitig aus dem Leben scheidet, ist das traurig genug. Wie soll man es nennen, wenn eine institutionell verbundene Forschergruppe auf diese Weise ausgelöscht wird? Denn die am 23. September 1961 in der Nähe von
Ankara abgestürzten zehn Heidelberger Althistoriker ließen nur die Akademische Rätin, Frau Dr. Ursula Weidemann, und dies auch nur durch Zufall, im Seminar zurück. Sie und drei Examenskandidaten waren alles, was damals – wie das Heidelberger Tageblatt am 25. September 1961 meldete – von der Seminarmannschaft übrig blieb.
Vor über 79 Jahren, am 2. Mai 1933, wurden die Freien Gewerkschaften von den Nationalsozialisten zerschlagen, die Gewerkschaftshäuser besetzt, ihre Funktionäre verhaftet. Das beschlagnahmte Vermögen wurde schließlich zur Einrichtung der politisch-propagandistischen Zwecken dienenden, nur vorgeblichen Arbeitervertretung „Deutsche Arbeitsfront“ benutzt. Die den Gewerkschaften geraubten Mittel flossen auch in die der DAF angeschlossene NS-Freizeit- und -Reiseorganisation KdF (Kraft durch Freude), später noch in das von der DAF errichtete Volkswagenwerk. Neun Jahre zuvor in der Zeit der Weimarer Republik erstattete das Heidelberger Gewerkschaftskartell eine Anzeige, die sich in einer heute beim Generallandesarchiv Karlsruhe verwahrten Akte des Badischen Amtsgerichts Heidelberg findet. Es geht um die Strafsache gegen den ledigen Studenten Wilhelm E., geboren 1901 in Mannheim, wohnhaft in Heidelberg, den ledigen Kaufmann Hans S., geboren 1904 in Dorndorf, wohnhaft in Jena, und den ledigen Studenten Liberatus B., geboren 1900 in München, später wohnhaft in Gießen. Am Beispiel dieser in Heidelberg begangenen Tat mit politischem Hintergrund, an der „frühe“ Nationalsozialisten beteiligt waren, soll auf die Frage eingegangen werden, ob das darauf folgende Strafverfahren zuverlässig rechtsstaatlich verlief. Oder hat das Gericht versagt, agierte die hier tätig werdende Justiz politisch, war sie – wie die Beurteilung für die Weimarer Republik im Allgemeinen lautet – auf dem rechten Auge blind?
Mittelalterliche Städte weisen in der Regel eine klar definierte räumliche Differenzierung nach berufs- oder gewerbeorientierten Kriterien auf, häufig schon gibt der Name einer Straße oder Gasse Auskunft darüber. In der Reeperbahn saßen die Reeper, Seilschläger oder Seiler, die wegen des enormen Platzbedarfes ein für ihr Handwerk reserviertes Terrain benötigten; die Gerber oder Loher – in Heidelberg die Leyer – konzentrierten sich wegen ihres großen Bedarfs an Wasser an einer für sie günstigen Stelle einer Stadt. In Heidelberg sind wegen der besonderen Bedingungen einer sich im 14. Jahrhundert herausbildenden Residenzstadt die Verhältnisse etwas anders. Zwar ist für das Mittelalter auch hier eine grobe funktionale Stadtgliederung festzustellen, doch bereits im 16. Jahrhundert, als die Residenz und ihre Funktionen voll ausgebildet waren, zerfließen sie. Die Schiffer und Fischer wohnen nicht mehr in unmittelbarer Nähe zum Neckar, auch südlich der Hauptstraße sind sie jetzt anzutreffen, die Bierbrauer und Gerber sind trotz ihres großen Wasserverbrauchs bereits über die ganze Stadt verteilt. Eine genuin soziale Differenzierung der Wohnquartiere ist in der mittelalterlichen Stadt nicht festzustellen, wenngleich die berufliche Betätigung in besonderen Fällen zur Ausbildung bestimmter Quartiere führen konnte; freilich war sie in der Regel an besondere, für die Gewerbe spezifische topographische Besonderheiten gebunden. Anders verhält es sich mit den seit dem Mittelalter in den Städten des Reiches siedelnden Juden. Auch sie versuchten, eigene Quartiere zu bilden. Die Gründe waren
jedoch anderer Art: die Errichtung und der Unterhalt einer Synagoge in einem vollkommen christlichen, sozialen und urbanen Umfeld führte notwendigerweise zum Versuch, eine eigene Gemeinde mit jüdischer Autonomie zu bilden. Von wenigen Ausnahmen wie Speyer und Worms abgesehen, kam es allerdings nicht zur Ausbildung eines Ghettos – dies ist eine Erscheinung, deren Anfänge zwar im 15. Jahrhundert liegen, die jedoch erst im 16. Jahrhundert allgemein wirksam wurden und zu den bekannten Erscheinungsbildern führten.
Die Mennistenkonzession, das Toleranzedikt des Kurfürsten Karl Ludwig von 1664, markiert einen wichtigen Schritt in der Entwicklung von Freiheits- und Menschenrechten. Mit ihr wurde einer religiös nonkonformen Gruppe ein, wenn auch eingeschränktes, Existenz- und Bleiberecht zugestanden. Nachkommen der damaligen Einwanderer versammeln sich noch heute in den Mennonitengemeinden links und rechts des Rheins. Die Arbeitsgemeinschaft Südwestdeutscher Mennonitengemeinden (ASM) und der Verband deutscher Mennonitengemeinden (VdM) feierten unter dem Motto „Ohne Gewehr und Krieg. Menschen, die aufbauen“ das Jubiläum mit einer zentralen Veranstaltung am 8. November 2014 in Heidelberg.
"verbotenes Recht"
(2014)
1828 publizierte der evangelische Theologe und Pädagoge Heinrich Stephani (1761–1850) in Leipzig eine Schrift über das Duellwesen seiner Zeit. Stephani war ein bekennender Duellgegner und angeblicher Urheber der in Jena 1791–1793 entstandenen „Chocoladisten“-Bewegung. In dieser Schrift mit dem Titel „Wie die Duelle, diese Schande unsers Zeitalters, auf unsern Universitäten so leicht wieder abgeschafft werden könnten“ deklariert Stephani das Duell als ein Unwesen, das auf dem „ersten Sitze der Wissenschaften und der Kantianischen Philosophie zu finden [sei], wo die jungen Leute, zu solcher philosophischen und moralischen Bildung gediehen, die Lächerlichkeit und Unsittlichkeit des Zweikampfes klar erkennen müssten“. Darin läge ein Widerspruch, oder, wie er selber schreibt, ein notwendiges Übel, das er nicht hinzunehmen gewillt war. Stephani entwarf Pläne zur Abschaffung von Duellen und unterstützte die Ehrengerichtsbewegung: Anstelle der Duelle sollte ein studentisches Ehrgericht über Beleidigung und Wiederherstellung der Ehre entscheiden.
Während die Historie vieler Heidelberger Universitätsgebäude auf eine ausführliche Weise Beachtung findet, so gilt dies nicht für die Geschichte desjenigen Gebäudes, das inzwischen eine der zentralen Einrichtungen der Universität Heidelberg, nämlich die Universitätsverwaltung, beherbergt. Dass sich in den Gemäuern des Gebäudes Seminarstraße 2, vis-à-vis des Historischen und Romanischen Seminars, in den Jahren 1945 bis 1978 ein selbstverwaltetes Studentenwohnheim befand, ist heute den Studenten, die das Haus zu Immatrikulationszwecken aufsuchen, kaum noch bekannt. Das Collegium Academicum scheint weitgehend und auch bewusst aus der Darstellung der Geschichte von Stadt und Universität ausgeschlossen zu sein.
Liebesgaben und Transport
(2014)
An der Front verletzte Soldaten wurden entweder im Feldlazarett behandelt, oder aber zu Krankensammelstellen gebracht, die hinter der Front eingerichtet wurden, wobei die Sammelstellen an einem provisorischen Bahnhof liegen sollten. Nach einer ersten und oft flüchtigen ärztlichen Untersuchung wurde entschieden, wo die Soldaten weiter behandelt werden sollten. Die Verwundeten, die in die heimatlichen Lazarette verbracht wurden, wurden von den Bahnhöfen mit z.T. für den Krankentransport umgebauten Zügen in die Heimat transportiert. Die Züge fuhren mit Versorgungsmaterial und neuen Truppen in die Nähe der Front, wurden entladen und dann mit den Verwundeten beladen. Die Transportabteilung musste gelegentlich sehr vehement auftreten, damit man ihr die benötigten Züge und Hilfsgüter zu Verfügung stellte. In Heidelberg existierte ein Straßenbahnnetz, mit dem viele Lazarette erreichbar waren. Die Lazarettzüge kamen am Heidelberger Güterbahnhof an. Dort wurden sie vom Roten Kreuz erwartet, das am Bahnhof eine Verbands- und Erfrischungsstelle eingerichtet hatte. Zunächst wurden die verletzten Soldaten in Fuhrwerken zu den Lazaretten transportiert, was problematisch und für die Soldaten schmerzhaft war. Daher wurde vom Güterbahnhof über die Czernybrücke und Bergheimer Straße ein provisorisches Gleis gelegt, über das die Soldaten dann direkt vom Bahnhof mit der elektrischen Straßenbahn zu den für sie vorgesehenen Lazaretten gebracht wurden.
Vor elf Jahren habe ich in diesem Jahrbuch an die historische Bedeutung des Plättelswegs erinnert. Dabei bin ich auf dessen Trasse nicht näher eingegangen, weil sie mir allgemein bekannt zu sein schien. Manfred Benner weist 2006 im Archäologischen Stadtkataster auf die Diskussion um diesen Höhenweg und auf meinen Beitrag hin, ebenfalls ohne eine Streckenführung zu nennen. In zwei aktuellen Publikationen wird nun eine irreführende Lokalisierung vorgenommen. In dem Stadtführer „Heidelberg in Mittelalter und Renaissance“ schreibt Achim Wendt: „Wenn man zwischen der Molkenkur und dem Weg um die ‚Burgschanze‘ den Blick zu Boden richtet, fällt die linear aus großen Sandsteinplatten gebildete Wegbefestigung ins Auge, auf die sich die volkstümliche Bezeichnung ‚Plättelsweg‘ bezieht.“ Gemeint ist der westliche Abschnitt des Friesenwegs, der vom Molkenkurweg entlang der ehemaligen Steinbrüche bis zur Alten Burg führt. Bei meinen Waldführungen habe ich stets vermieden, über die Konnotation ‚Platten – Plättel‘ zu witzeln, um nicht falsche Deutungsmuster zu prägen. Aber Wendt meint es offenbar ganz ernst. Auch die Denkmaltopographie bringt ein Bild des Friesenwegs. Im Text schreibt Wolfgang Seidenspinner dazu: „Der an der Burgstelle vorbeiführende, mit Steinplatten befestigte ‚Plättelsweg‘, der durch die Burg bzw. Schanze gesperrt werden konnte, war zumindest mittelalterlichen Ursprungs, nach einer jüngst vorgetragenen These wird in ihm ein Abschnitt einer alten Fernverbindung von Worms her vermutet.“ Hier liegt derselbe Irrtum vor: Ein Weg, der weder aus dem Tal kommt noch über den Kleinen Gaisberg hinausführt, kann nie eine ‚Fernverbindung‘ gewesen sein. Im Folgenden will ich zunächst den Plättelsweg kartografiegeschichtlich belegen und die Stellen auflisten, an denen er heute wahrgenommen werden kann. Ein Exkurs
nähert sich dem Gelände östlich der alten Burg. Im letzten Kapitel soll die verkehrsgeschichtliche Bedeutung des Plättelswegs herausgearbeitet werden.
„Das ist kein Null-acht-fünfzehn-Baugebiet, das ist ein Stück Heidelberger Geschichte“, erinnerte im März 2003 Oberbürgermeisterin Beate Weber bei der Grundsteinlegung zum neuen Wohnquartier an die 1853 gegründete Fuchs Waggonfabrik, die seit 1902 ihren Standort in Rohrbach hatte. „Wir haben darauf bestanden, dass das Quartier ein Stück von seinem Charakter bewahrt. Wenn Mauern und Giebel zu sehen sind, bekommt man eine Ahnung davon, was sich da abgespielt hat.“ Auch bei der Namensgebung der Straßen wurde ein deutlicher Bezug zur Waggonfabrik gewünscht. So hatte
der Gemeinderat bereits im Dezember 2002 beschlossen, die industrielle Technikgeschichte des Baugebiets in den Vordergrund zu stellen. Namensgeber für die neuen Erschließungsstraßen wurden deshalb bedeutende Techniker, Erfinder und Ingenieure wie Felix Wankel, Franz Kruckenberg, Konrad Zuse, Georg Mechtersheimer, Rudolf Hell und Freiherr Karl von Drais. Zur Verdeutlichung ihrer jeweiligen Bedeutung tragen die Straßenschilder neben dem Namen auch die dazu gehörenden Kurzbiografien. Hier werden die jeweils wichtigsten Heidelberger Leistungen auf dem Gebiet der Eisenbahnentwicklung vorgestellt.
Einhundert Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs ist die Auseinandersetzung über seine Verursacher mit Vehemenz neu entbrannt. Vor fünfzig Jahren wurde kontrovers über die These des Hamburger Historikers Fritz Fischer diskutiert, der von einer Hauptkriegsschuld der deutschen Staats- und Militärführung ausging. Seine Sicht setzte sich in den folgenden Jahren der deutschsen Zweistaatlichkeit durch, bis zu diesem aktuellen 100jährigen Jubiläum Darstellungen bekannter Historiker populär wurden, welche die Rolle der deutschen Außenpolitik relativieren. Die europäischen
Staaten seien nach der Ermordung des österreichischen Thronfolgers in Sarajewo wie Schlafwandler aus der Dynamik der Julikrise in das Inferno getaumelt. Historiker, die auf die aggressiven Kriegsvorbereitungen in Deutschland verweisen, werden zunehmend schroff kritisiert; sie würden die Quellen der ‚Kriegsgegner‘ nicht kennen. Dem Deutschen Reich habe, eingezwängt zwischen den Bündnissen der Entente, nur der Weg in die Konfrontation offen gestanden. Es ist der Stand der Geschichtsschreibung der 1950er Jahre, der die öffentliche Meinung über den Kriegsausbruch 1914 allmählich zurückerobert. Vor allem sozialhistorische Aspekte treten in der aktuellen Debatte in den Hintergrund. Dieser Beitrag stützt sich auf ausgewählte Archivalien aus dem Heidelberger Stadtarchiv und aus dem Universitätsarchiv sowie auf zeitgenössische Zeitungsberichte. Aus gedruckten Quellen ergibt sich ein nur lückenhaftes Bild vom Heidelberger Alltag in der Zeit des Krieges.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die ersten Schritte in der Medizingeschichte unternahm Maike Rotzoll in der Bibliothek des Lübecker Instituts für Medizin- und Wissenschaftsgeschichte, als studentische Hilfskraft vor knapp 30 Jahren. Dietrich von Engelhard bestärkte sie darin, nach Florenz zu gehen, um über die Philosophie der Italienischen Renaissance zu arbeiten. Das mündete in eine Promotion über Petrus Leonius, genannt Pierleone, einem der Astrologie zugeneigten Mediziner, dem nach der Vergiftung Lorenzo de Medicis, dem er als Leibarzt diente, ein unschönes Ende widerfuhr. Den Giftmord konnte Maike Rotzoll in ihrer auf Italienisch abgefassten Dissertation nicht aufklären, dafür lieferte sie einen profunden Einblick in die Funktion der Astrologie in der Medizin der Zeit, und Pierleone wird in ihrem Buch zu einem Exempel für die Aufbrüche und Traditionen der Philosophie des 15. Jahrhunderts. An dieser Stelle muss auf die besondere Rolle Joachim Telles hingewiesen werden, der für lange Zeit ihr wichtigster akademischer Lehrer war.
"Treu zu Kaiser und Reich"
(2014)
„Kaisers Geburtstag. Die Glocken läuten, Fanfaren schmettern, Böller werden gelöst und am Vorabend zieht ein Zapfenstreich durch die Straßen der Stadt. Festtafeln werden aufgestellt, Reden und Lieder steigen, während die Schüsseln von Gast zu Gast wandern und die Gläser gefüllt und geleert werden. An den Giebeln wehen Fahnen in den Landes- und Reichsfarben und das Leben der Stadt besinnt sich auf die allgemeine Feierstunde. Dieser eine Tag im Jahre, an dem der Kaiser seinen Geburtstag begeht, versammelt die Reichsfreunde in engeren und weitergefaßten Zirkeln; und der Tag, der längst seine traditionellen Formen gewonnen hat, bietet nicht bloß wortgewandten Rednern Gelegenheit zu rhetorischen Leistungen, sie ist dem Besonnenen und stiller Gearteten ein Tag, dazu geschaffen, um in der Stunde des Festrausches die Resultate einer Jahresarbeit ernst zu prüfen.“ So der Leitartikel vom 27. Januar 1914 in den „Heidelberger Neuesten Nachrichten“, die den Nationalliberalen nahestanden, zu den hiesigen Feiern am Geburtstag Kaiser Wilhelms II. Schon die Vorschau auf das Festprogramm lässt es lohnend erscheinen, die Gestaltung der nationalen Feiertage unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg zu untersuchen. Welche Ereignisse werden in Heidelberg in den Jahren 1912–1914 festlich begangen? Wer organisiert die Feiern, welche Bevölkerungsschichten nehmen daran teil, welche bleiben ausgeschlossen? In welchen Ritualen wird das Gedenken
inszeniert? Wie wird das Ereignis in Reden, Liedern und Gedichten interpretiert und bewertet? Mit welchen Absichten werden die Feiern veranstaltet? Mobilisieren sie die Bevölkerung für den möglichen Kriegsfall?
„500 Studenten sind in einer Hauptvorlesung zuviel“ – diese Parole beschrieb Anfang der 1960er Jahre die Situation von Studierenden nicht nur, aber auch an der Heidelberger Medizinischen Fakultät. Im Mai 1961 äußerten sich die drei Medizinischen Fakultäten im Land Baden-Württemberg – Freiburg, Heidelberg und Tübingen – in einem „Memorandum zur Frage der Errichtung medizinischer Akademien“ über Lösungsmöglichkeiten dieses Problems. Sie sprachen sich für den Aufbau einer Medizinischen Akademie in Konstanz als „Keimzelle einer vierten Landesuniversität“ und explizit gegen Medizinische Akademien in Stuttgart und Mannheim aus. Denn Großstädte – so die Begründung – hätten „die Beziehung zur Landschaft, aus der sie hervorgegangen sind, weitgehend verloren“ und entwickelten sich „mehr und mehr zu farblosen Gebilden“. Wie sehr die drei traditionsreichen Landesuniversitäten die Vorstellung von einer „echten Universitätsstadt“ prägten, wird in der abschließenden Forderung des Memorandums deutlich: „Eine Universität sollte ferner eine Stadt zur Heimstätte haben, die Mittelpunkt einer kulturhistorischen Landschaft ist und für überschaubare Zeit bleibt“. Mit dieser traditionellen Sichtweise konnten sich die Medizinischen Fakultäten jedoch nicht durchsetzen. Anderen Interessengruppen erschien die akademische Ausbildung in einer Groß- und Industriestadt offenbar nicht so abwegig. In Heidelberg jedenfalls protestierten die Medizinstudenten im Juli 1962
wegen „untragbarer Zustände“. Sie forderten „Zweitkliniken“ in Mannheim, der zweitgrößten Stadt des Landes.
Heute scheint diese Freude vergangen zu sein, denn Bismarck steht im wahrsten Sinne des Wortes abseits der Aufmerksamkeit der Touristen und auch der Heidelberger selbst: Die Büste befindet sich zwar weiterhin an ihrem ursprünglichen Platz, aber nunmehr am Rande des Knotenpunktes Bismarckplatz. Die Bismarcksäule ist selbst im Winter nur noch von wenigen Stellen der Stadt aus zu erahnen, früher war sie von weitem sichtbar. Dass Bismarck Ehrenbürger Heidelbergs war, dürfte den Wenigsten bekannt sein, ebenso wie die Gründe für die Benennung des Bismarckplatzes. Dies soll die vorliegende Arbeit ändern und einen Überblick bieten über die verschiedenen Ehrungen, die Bismarck aus Heidelberg zuteil wurden. Freilich war die Bismarckverehrung keine Heidelberger Besonderheit, sondern ein Massenphänomen. So wurde Bismarck allein an seinem 80. Geburtstag 1895 von hunderten deutschen Städten zum Ehrenbürger ernannt, auch befanden sich überall im Deutschen Reich Bismarckplätze und -straßen, -denkmäler sowie -säulen und -türme.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lieber Hans-Martin, in den ausgehenden Wilden Siebzigern war am grauen Stein der Neuen Universität lange Zeit eine Parole zu lesen: „Die Uni muss wieder zur Wiese werden“. Sie stand da in ausholenden Lettern knapp über das Fundament des ehrwürdigen Gebäudes gesprüht, das über dem Portal, an zentraler Stelle, dem „lebendigen Geist“ gewidmet ist. Die Hochschulpolitischen Implikationen dieses Slogans waren mir nicht klar, der ich immer wieder mit dem aufschießenden Glücksgefühl eines entdeckten Witzes an ihm vorüberging, sie haben mich nicht wirklich interessiert. Was mir gefiel, war der naive Gestus dieses Stoßseufzers, der auch einiges über den studentischen Fleiß verriet. Er ist mir jedenfalls nicht aus dem Kopf gekommen und hat unlängst noch mit der Formulierung: „Wiese ist Macht“, in ein Gedicht Eingang gefunden, dessen Titel „Partisan Wiese“ heißt. Die Wiese, das Vieh. Dass man den Lernenden mit einem wiederkäuenden Rind vergleichen könnte, verstärkt noch die innere Logik dieser aufsässigen Zeile, obwohl sie dem Sprayer vielleicht nicht bewusst gewesen ist. Hans-Martin Mumm dürfte die Parole nicht gefallen haben. Er hatte vermutlich damals das ganze hochschulpolitische Gerangel satt. In einer gewissen Weise hat er sich aber, wie viele von uns, als Schüler dieses Mantras bewiesen, das dazu aufforderte, die Uni und mit ihr die Stadt zu renaturieren.
Krieger, Künstler, Kavalier
(2014)
Samstag, 2. Februar 1667. Samuel Pepys, Staatssekretär im englischen Marineamt, notiert in sein berühmtes Tagebuch: „This day I hear that Prince Rupert is to be trepanned. God give good issue to it“. Immer wiederkehrende, starke Kopfschmerzen, die Folge einer alten Schussverletzung, hatten keine andere Wahl gelassen: eine riskante Operation, bei der ein Loch in den Schädelknochen gebohrt wird, um einen chronischen Abszess zu sanieren. Ohne Betäubung – mehrere Männer müssen den Patienten festhalten. Vier Tage später trifft Pepys zwei Mediziner, die der Meinung sind, Rupert werde die Trepanation nicht überleben – „he will not recover it“. Gleichwohl: der 47-Jährige erholt sich rasch, der Kopfschmerz verschwindet, und am 3. April trifft ihn Pepys wieder bei guter Gesundheit: „pretty well as he used to be“ – nur die Perücke sehe etwas seltsam aus: „something appears to be under his periwigg“. Der Patient bedankt sich für die ärztliche Kunstfertigkeit, indem er eines dieser chirurgischen Instrumente technisch verbessert. Neurochirurgen unserer Tage haben Einzelheiten des Eingriffs anhand von zeitgenössischen Dokumenten geprüft und festgestellt, dass ihre Londoner Kollegen absolut professionell und nahezu modern gearbeitet hatten. So ist Rupert auch in die Medizingeschichte eingegangen.
Im Jahr 2013 feierten „evangelische Kirchen in aller Welt das 450jährige Jubiläum des Heidelberger Katechismus. Der HEIDELBERGER ist wie die Confessio Augustana und Luthers kleiner Katechismus ein wichtiger Lehr- und Bekenntnistext der Reformation“. „Ihn als wichtigsten Heidelberger Exportartikel zu bezeichnen, ist nicht übertrieben.“ Aber er ist ein „inzwischen weniger wahrgenommener Text. So wurde eine Ausstellung veranstaltet, um die Öffentlichkeit „für seine Wirkungsgeschichte zu interessieren.“
Das erste große Interesse an der Heidelberger Schlossruine spiegelt sich Anfang des 19. Jahrhunderts in den nationalen und internationalen Protesten gegen den bereits verfügten Abriss der Ruine wider. Ende des 19. Jahrhunderts tobte ein Streit um den Wiederaufbau der Schlossruine, bei dem der moderne auf Erhaltung der Ruine zielende Denkmalschutz entstand. Damit verbunden war der Beginn erster wissenschaftlicher Beschäftigung mit dem Schloss durch Adolf von Oechelhäuser 1887, Bezirksbaudirektor Julius Koch und Architekt Fritz Seitz 1891, Gymnasialprofessor Karl Pfaff 1897, Baudirektor Josef Durm 1903: Die zu dem Ergebnis kam, die historische Quellenlage insbesondere, was die erste Heidelberger Burganlage betrifft, ist ausreichend uneindeutig. Einzig der Baubefund als solcher biete nach Koch und Seitz die Möglichkeit Fragen zu beantworten. So wurde erstmals die Ruine selbst als Primärquelle aufgefasst. Die Quellenlage, wie sie sich uns heute zeigt, besagt auch, dass man sich dabei vor allem auf die Ruine selbst beschränkte; was außerhalb der Ringmauer war, blieb im wahrsten Sinne des Wortes außen vor, weil die zusätzlichen Kosten der Bearbeitung durch Koch und Seitz nicht zu finanzieren waren. Insbesondere die Südwestecke ist ein relativ unbeschriebenes Blatt. Eine Erklärung dafür mag sein, dass der Zugang zum Schloss seit Jahrhunderten von Osten bzw. Süden erschlossen war.
Die Nachricht von der Mobilmachung löste in Heidelberg Bestürzung aus: Am 30. Juli 1914 drängten sich die Menschen um die Litfaßsäulen, in den Lebensmittelgeschäften kauften Hausfrauen die Vorräte auf, und vor der städtischen Sparkasse erwarteten aufgeregte Kunden die Auszahlung ihres Ersparten. Wie ein Lauffeuer habe sich die Meldung von der „Mobilisation“ verbreitet, berichteten die „Heidelberger Neuesten Nachrichten“: „Dieses Wort wirkte wie ein Schuß. Man sah, wie Viele vor Schreck erbleichten und vor nervöser Angst erzitterten, hörte die Entsetzensschreie und die laute Verzweiflung von Frauen, war Zeuge von Weinkrämpfen, und der Menschheit ganzer Jammer lud jeden zum Zeugen, der noch ruhig genug war, auf dieser bewegten Szene Zuschauer zu sein. Auf der Hauptstraße rannten die Menschen wild durcheinander.“ Kaum ein Zeitungsbericht dieser Tage schildert so mitteilsam die ängstlichen bis verzweifelten Reaktionen auf den Beginn des Ersten Weltkriegs, stehen doch sonst kollektiver Jubel und patriotische Begeisterungsstürme im Vordergrund. Allein: Der Artikel beschreibt gar nicht die Wirkung der eigentlichen Mobilmachungsnachricht –
die erfolgte nämlich erst am 1. August –, sondern die einer Falschmeldung zwei Tage zuvor. Die Journalisten des „Heidelberger Tageblattes“ waren einer Fehlinformation gefolgt und hatten rasch ein Extrablatt drucken lassen, das eilends in der ganzen Stadt verteilt wurde und jene oben geschilderte Bestürzung auslöste. Wenn nun nach der Verkündung des tatsächlichen Mobilmachungsbefehls in den „Heidelberger Neuesten
Nachrichten“ behauptet wurde, die Bevölkerung habe mit „Ruhe und Entschlossenheit“ auf „dies[e] grandios[e] Tatsache“ reagiert und Angst und Panik keine Erwähnung mehr finden, dann weckt dieser Widerspruch die Aufmerksamkeit des Historikers.
Ein Jahrzehnt reloaded
(2014)
Die Ausstellung, die dem Kurpfälzischen Museum 2014 einen enormen Besucherstrom verschaffte, trug unverkennbar die Handschrift von Manfred Metzner, dem Verleger, Kulturhaus- und Literaturtageaktivisten. Aus seinen privaten Beständen stammten auch zahlreiche Exponate, weitere Objekte aus der grafischen Sammlung des Museums. Metzners Blick in die 70er Jahre empfinden viele der kritischen Kommentatoren als überdominant. Kaum eine Stehparty in den letzten Monaten, in denen die Ausstellung nicht süffisant als Ausdruck eines wilden Egotrips gebrandmarkt und auf ihre Auslassungen, Lücken und Lokozentrismen (Karl Markus Michel, 1978) kritisiert sowie auf die Vernachlässigung der wirklichen und politisch bedeutsamen Aspekte hin zerpflückt wurde. In Ausgabe 177 des taz-Journals Kontext verdichtete der Journalist und Filmemacher Mario Damolin diese Kritik mit schwerem rhetorischen Säbel (Der Sponti-Kurator von Heidelberg in: Kontext vom 20. August 2014).
Wer aufmerksam die Gräberreihen auf dem „Ehrenfriedhof“ der Stadt Heidelberg entlang geht, wird linkerhand in den ersten Reihen auf 18 Grabkreuze mit russischen Namen stoßen. Soldatengräber aus dem Ersten Weltkrieg. Offenbar in Heidelberg verstorbene, russische Kriegsgefangene. Diese Beobachtung wirft Fragen auf. Wie ist die Anwesenheit dieser russischen Soldaten in Heidelberg fernab der Ostfront zu erklären? Was wissen wir über sie, ihre Herkunft und ihren Aufenthalt, vermutlich als Kriegsgefangene (KGF) in Heidelberg? In Lagern und Lazaretten? Und warum überhaupt befinden sich Gräber mit russischen Soldaten auf einem Soldatenfriedhof, der 1933/1934 von der Stadt Heidelberg als monumentale Gedenkstätte für die deutschen Kriegsgefallenen errichtet und in einer schauerlich-pathetischen Zeremonie am 28. Oktober 1934 „eingeweiht“ wurde? Darüber hinaus wollen wir zusammentragen, was zu den Kriegsgefangenenlagern in Heidelberg inzwischen zu ermitteln war.
Wahrscheinlich im Sommer 1465 schrieb der in Heidelberg weilende Humanist Petrus Antonius de Clapis einen lateinischen Brief an den 16- oder 17-jährigen Pfalzgrafen Philipp. In diesem lobte Petrus den Lehrer des zukünftigen Kurfürsten: „So hat man es nun, in Vertrauen auf das Vorbild des Königs Philipps [von Makedonien], der festlegte, dass seinem Sohn Alexander Sokrates zur Unterweisung in der Wissenschaft zugeordnet sein sollte, gewollt, dass man den hochgelehrtesten Mann Peter Brechtel, der mit einzigartiger Klugheit versehen und im römischen Recht gebildet ist, zu Deinem Lehrer machte, auf dass nach dessem allervortrefflichsten Vorbild an Gewähltheit und höchstem Wissen in den litterae dein Geist, der in deinem adligen Körper hervortritt, noch edler und edelmütiger gemacht werde.“ Abgesehen davon, dass Petrus Antonius Sokrates mit Aristoteles verwechselt, wird in dem Brief des im Umfeld des Heidelberger Hofs wirkenden Italieners der humanistische Anspruch deutlich, Fürsten durch die Unterweisung in den „litterae“, das heißt vor allem in der lateinischen Sprache und Literatur, zu besseren Menschen und Herrschern zu erziehen. Es muss allerdings beachtet werden, dass der Adressat des Schreibens zwar Pfalzgraf Philipp war, es aber fraglich ist, ob der Fürst überhaupt genug Latein beherrschte, um den Brief lesen zu können. Tatsächlich dürfte es dem Humanisten vor allem darum gegangen sein, das Interesse des am Hof gut vernetzten Peter Brechtel zu wecken. Zudem muss die Darstellung des weisen, überaus gelehrten Lehrers, kritisch hinterfragt werden. Die im Umfeld des Heidelberger Hofs während der Regierungszeit von Pfalzgraf Philipps Adoptivvater Friedrich I. „dem Siegreichen“ entstandenen historiographischen Werke, Fürstenspiegel, Gedichte und andere Texte tendieren dazu, fürstliche Bildungsbestrebungen, sei es als Mäzene oder Rezipienten gelehrten Wissens, topisch überhöht darzustellen. Wie Fürsten tatsächlich zu gelehrtem Wissen standen, wird im Fall des Heidelberger Hofs von einer Mauer aus Panegyrik verdeckt. Eine der Möglichkeiten, hinter diese zu schauen, ist, einen Blick auf jene Personen zu werfen, die dieses Wissen an die Fürsten vermittelten. Es handelt sich um die gelehrten Erzieher, die in den zeitgenössischen Quellen meist als Präzeptoren oder Zuchtmeister bezeichnet werden. Ihre Rolle am spätmittelalterlichen Heidelberger Hof steht im Mittelpunkt dieses Beitrags.
Von 1972 bis 1989 wohnte ich in Heidelberg am Klingenteich. Für mich waren das siebzehn wichtige Jahre. Ich zog ein als Doktorand mit verfallenem Staatsexamen, der nicht vorankam, und mein Privatleben war so unerfreulich wie chaotisch. Am Ende dieser Zeit zog ich mit meiner Frau und unserer Tochter nach Münster, wohin ich auf eine Professur berufen worden war. Ich wohnte in einem ausgebauten ehemaligen Weinberghäuschen über der Serpentine der Klingenteichstraße, wo der Graimbergweg abzweigt. „Das Häusle“ steht auf einer mächtigen Sandsteinmauer hoch über der Straße. Von meinem Schreibtisch hatte ich einen Blick über das enge Tal zu Gärten und Wald gegenüber, und durch das Fenster zur Rechten zum Graimbergweg und über die Stadt in die Ebene. Schwer verständlich, dass dieser besondere Ort für mich anfangs nur Schlafplatz war, aber ich hatte die Wohnung zunächst nur für ein Jahr von einer Kollegin übernommen, ohne zu ahnen, dass daraus ein Lebensabschnitt würde, und mein Lebensmittelpunkt war das Seminar, in dem ich ein Jahr später Assistent wurde.
Rück-kehr
(2016)
Es wäre wohl schwer zu erklären, warum ein Kind seine Mutter liebt. So ähnlich ergeht es auch mir, wenn ich an Heidelberg denke. Die Schönheit Heidelbergs ist schon viel gepriesen worden. Mir aber scheint es leichter, ein farbiges Bild mit kalter Asche zu malen, als Worte für das zu finden, was jenseits des geschriebenen Wortes steht. Heidelberg war die Welt für mich. Es war mein Welt-Garten, in dem ich mich – so wie die ganze Stadt – von den steilen, umgebenden Bergen vor Unwetter geschützt fühlte.
(Hans) Meinhard von Schönberg kam am 28. August 1582 in Bacherach auf die Welt. In der lokalen Erinnerung Heidelbergs überlebte sein Name durch den „Schönberger Hof“, ein Stadtpalais, das er sich 1613 erbauen ließ. Dem Spross einer eng mit Kurpfalz verbundenen Familie war eine militärische Zukunft vorgezeichnet. Erst ca. 27 Jahre nach seiner Geburt wird „Meinhard von Schönberg am Rein, bestellter Hauptmann bei den Staat'schen in den Niederlanden“ am 6. Februar unter den „Fremde[n], die im Jahr 1609 nach Nürnberg kamen“, zum ersten Mal wieder dokumentarisch fassbar. Noch im Februar schickte ihn der Heidelberger Kurfürst Friedrich IV. als Kurier auf eine Reise, die ihn nach Österreich und Ungarn führte. Diese beiden Nachweise umreißen Schönbergs „Profession“: den militärischen und diplomatischen Dienst in fürstlichem Auftrag.
Am 9. April 2016 jährte sich zum 130. Mal der Todestag von Joseph Victor von Scheffel, Anlass, an einen Schriftsteller zu erinnern, der in unseren Tagen zwar weitgehend vergessen ist, zu seinen Lebzeiten und noch zwei, drei Jahrzehnte danach aber ein Bestsellerautor war. Scheffel gehörte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu den literarischen Schwergewichten in Deutschland. Doch schon für den Philosophen Kuno Fischer und in dessen Kielwasser für Bertolt Brecht und andere war Scheffel nicht viel mehr als ein „Saufpoet“. Spätestens seit der Katastrophe des ersten Weltkrieges passt Scheffel nicht mehr in die literarische Landschaft. In unseren Tagen werden seine Prosawerke schon gar nicht mehr gelesen. Wenn irgendwelche Jungscharler das Lied von den frech gewordenen Römern oder Korporationstudenten vom „wunderschönen Nest“ Heidelberg singen, dann werden
sie kaum einen Gedanken an dessen Verfasser verschwenden.
Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz und seine Gemahlin Elisabeth Stuart – verhängnisvollerweise auch vorübergehend König und Königin von Böhmen – erfreuten sich bekanntlich eines reichen Kindersegens: dreizehn an der Zahl, wovon neun das Erwachsenenalter erreichten. Hiervon nehmen fünf nicht unbedeutende Plätze in der europäischen Geschichte ein: Karl Ludwig als Reorganisator der Pfalz, Elisabeth als Briefpartnerin großer Philosophen, Ruprecht als Reitergeneral im englischen Bürgerkrieg, Luise Hollandine als Äbtissin und Sophie als Beinahe-Königin von Großbritannien. Und das sind nur die wichtigsten Stichworte, die sich jeweils mühelos erweitern ließen. Denn alle waren hochbegabt und geistreich, hatten zum Teil abenteuerliche Lebenswege und schauten zudem in jungen Jahren recht fesch aus. Eine schrecklich faszinierende Familie also. Etwas weniger bekannt ist ein sechstes Kind, Moritz. Er spielte zwar als General und später Militärgouverneur eine maßgebliche Rolle im englischen Bürgerkrieg; damit vertraut sind heute jedoch nur noch Spezialisten. Die anderen drei Kinder – Eduard, Henriette und Philipp – wurden von den Zeitgenossen kaum wahrgenommen und sind inzwischen weitgehend vergessen. Dieser Aufsatz befasst sich mit zwei Vergessenen und dem Halbvergessenen: Philipp, Henriette und Moritz.
Die folgenden drei Texte sind mit Bedacht so zusammengestellt. Wir begegnen im ersten Beitrag der Korrespondenz der Schwestern Etta und Ruth Veit Simon im Sommer 1940 mit den Eltern Heinrich und Irmgard Veit Simon. Nach Aufenthalten in Bad Neuenahr und Nordrach im Schwarzwald wurde die tuberkulosekranke Ruth im Juli 1940 in Heidelberg-Rohrbach operiert. Bei Recherchen zur Berliner Familie Veit Simon erhielten die Historikerinnen Anna Hájková und Maria von der Heydt Zugang zu dieser Korrespondenz. Unverblümt und lebendig schildern die Geschwister
die Klinik und das örtliche Umfeld in seinen dramatischen und komischen Aspekten. Der Name Veit Simon steht für eine seit 1872 bestehende Mentorenschaft der wohlhabenden Berliner Juristenfamilie für die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. Über drei Generationen sicherten die Veit Simons den Bestand dieser Hochschule als Mitglieder und Vorsitzende des Kuratoriums, bis sie 1942 ihre Tore schließen musste, kurz nachdem Ruths und Ettas Vater, Heinrich Veit Simon, in Gestapohaft ermordet worden war. Die in Heidelberg ansässige Hochschule für jüdische Studien steht in unmittelbarer Tradition zu dieser Lehranstalt. Im zweiten Beitrag stellt Maria von der Heydt den familiären und biografischen
Kontext von Ruth und Etta Veit Simon dar, gestützt auf Material aus dem Nachlass von Etta (Japha) und dem Archiv von Irene Japha in Seattle.
Michael Ehmann untersucht im dritten Beitrag die Kliniksituation in Rohrbach um 1940, stellt die Behandlungsverfahren dar und beschreibt den bemerkenswerten Umgang von Ärzten und Klinikpersonal mit der jungen, lebensfrohen jüdischen Patientin. Seine weiteren Recherchen gelten der nachfolgenden Krankheits- und Verfolgungsgeschichte der Veit Simons, die beide Schwestern in das Ghetto Theresienstadt führte, wo Ruth trotz kompetenter medizinischer Behandlung im Juli 1943 starb. Etta überlebt. Vielleicht ein Anlass, die Briefe noch einmal und mit anderen Augen zu lesen.
„Können Sie das verstehen? Das ist doch unmöglich!“ Fassungslos kommentierte Carl Neinhaus in einem Telefongespräch mit Dieter Haas (1928–1998), damals Lokalredakteur beim „Heidelberger Tageblatt“, die Tatsache, dass ihn die Heidelberger im zweiten Wahlgang am 22. Juni 1958 als Oberbürgermeister abgewählt hatten. Auch in einem nächtlichen Gespräch mit seinem Vertrauten, dem Musikpädagogen Dr. Fritz Henn (1901–1984) soll er seiner Enttäuschung Luft gemacht haben. Das Jahr 1958 bedeutet eine Zäsur in der Heidelberger Nachkriegsgeschichte. Seitdem standen nur Oberbürgermeister aus der SPD an der Spitze der Stadt: Robert Weber (1958–1966), Reinhold Zundel (1966–1984) und Beate Weber (1990–
2006). Die CDU stellte nie wieder den Oberbürgermeister und konnte nur parteilose OB-Kandidaten (Reinhold Zundel 1984, Eckart Würzner 2006 und 2014) unterstützen. Im Folgenden sollen die Ursachen dieses „Machtwechsels“ von 1958 sowie die damaligen politischen Lager und Stimmungen in der Bevölkerung untersucht werden. Während die Jahre 1945–1949 durch Friederike Reutter sehr gut erforscht sind, liegt eine entsprechende Studie für die 1950er Jahre nicht vor. Einige Einblicke vermitteln die Darstellungen von Dieter Haas und Theodor Scharnholz. Das Geschehen des Wahljahres wird aus der Lokalpresse, „Rhein-Neckar-Zeitung“ und „Heidelberger Tageblatt“, rekonstruiert.
Im Namen Rohrbach ist die Anspielung auf Wasser schon enthalten und in seinem Wappen bereits visualisiert. Fünf blaue Wellenlinien symbolisieren den Bach im geteilten Wappenschild. Darüber stehen auf gelbem Grund die Buchstaben „r o r“. Der Bach oder „Die Bach“ wie die Mundartbezeichnung ist, hat seinen Namen nicht, wie heute oft irrtümlich angenommen, von seinem im Ortsbereich weitgehenden Verlauf in Rohren, sondern vom Schilfrohr, das am Bachufer wuchs. Das Bachwasser floss vom kleinen Odenwald in einen der nacheiszeitlich stark mäandrierenden Schwemmarme von Rhein oder Neckar, die früher bis ins Gebiet des heutigen Rohrbach und Kirchheim reichten. Der „Kerchemer See“ genannte Altarm, der Rohrbach und Kirchheim trennte, war noch bis etwa 1920 mit Wasser gefüllt. Nach seinem vollständigen Verlanden erinnert allein der Verlauf der „Oberen-“ und „Unteren Seegasse“ in Kirchheim an dieses Gewässer.
Für Montag, den 6. Oktober 1919 kündigte eine Zeitungsannonce einen Vortrag von Franz Rosenzweig aus Kassel an: „Die Stellung der jüdischen Religion unter den Weltreligionen“, abends um halb neun. Veranstalter war eine „Arbeitsgemeinschaft der jüdischen Jugend“, Vortragsort der Saal des kaufmännischen Vereins, Hauptstraße 77, Ecke Bienenstraße, „Eingang durch Kaffee Hohenzollern“. Der Eintritt war frei, Gäste waren willkommen. Dieser Auftritt des bedeutenden Religionsphilosophen soll im Folgenden nach den knappen Quellen dargestellt und in die Beziehungen Franz Rosenzweigs nach Heidelberg eingeordnet werden. Zum Inhalt des Vortrags ließen sich bislang weder ein Manuskript noch ein Pressebericht nachweisen. Der Zeitpunkt dieses Auftritts fällt allerdings ziemlich genau in die entscheidende Phase von Rosenzweigs Weg vom akademischen zum jüdischen Gelehrten. Weder in der Biografik Rosenzweigs noch in der Geschichte der Heidelberger Juden hat dieser Vortrag bislang Beachtung gefunden.
Emmanuel Prince (später Duc) de Croÿ (1718−1784) hielt sich am 3. und 4. März 1742 in Heidelberg auf. Seine Eindrücke hat er in einem Tagebuch festgehalten, auf das hier ausdrücklich aufmerksam gemacht werden soll. Der Reisebericht ist an diesem Ort und in dieser Kürze leicht zu übersehen, aber kulturgeschichtlich umso wertvoller, weil er eine vorromantische Perspektive auf Stadt und Schloss bietet. Der Angehörige des französischen Hochadels hatte als Reichsfürst Ende Januar bis Mitte Februar in Frankfurt Wahl und Krönung Kaiser Karls VII. (1697−1745) verfolgt und sich im Anschluss an die Feierlichkeiten auf eine Reise durch Westdeutschland begeben (S. 28−60). De Croÿ kam aus Darmstadt nach Heidelberg, um dann
weiter nach Speyer und Mannheim zu ziehen. Die Entfernung von Darmstadt nach Heidelberg war damals noch eine Tagesstrecke, der Reisende brauchte zu Pferde neun Stunden, nämlich von sieben Uhr morgens bis vier Uhr nachmittags.
Martin Dibelius (1883–1947) kam in Dresden als „Sohn des späteren Oberhofpredigers und Vizepräsidenten des sächsischen Landeskonsistoriums Franz Dibelius“ zur Welt. Nach dem Studium in Neuchâtel, Leipzig, Tübingen und Berlin wurde er 1905 in Tübingen zum Dr. phil. und 1908 in Berlin zum Lic. theol. promoviert. 1905–1914 war er Lehrer in Berlin und in Berlin-Charlottenburg. Nach der Habilitation 1910 in Berlin und Privatdozentur wurde er „zum SS 1915 auf den Heidelberger neutestamentlichen Lehrstuhl berufen“, den er bis zu seinem Lebensende 1947 bekleidete. Er war ein Cousin des damaligen Berliner Superintendenten und späteren Bischofs Otto Dibelius (1880–1967).
Seit Jahrhunderten ranken sich Sagen und Geschichten um den Wolfsbrunnen. Allerdings beweisen die Funde von zwei Steinbeilen eine Besiedlung der Gegend um den Wolfsbrunnen schon während der Jungsteinzeit. Erstmalig historisch belegt ist der Ort durch eine Nennung des „Hauses des
Wolfskreisers (Wolfsjägers) der Pfalzgrafen bei Rhein zu Heidelberg“ in einer Urkunde aus dem Jahre 1465. 1550 wird die Quelle in ein Brunnenhaus gefasst. In den nachfolgenden Jahrhunderten wird dieses Haus von den Kurfürsten als Jagdschloss genutzt. Nach den verheerenden Kriegen des 17. Jahrhunderts und dem Wegzug der Kurfürsten Ende des 17. Jahrhunderts zerfällt in den folgenden Jahrzehnten die Anlage samt dem Gebäude. Mit Auflösung der Kurpfalz 1803 ging der Wolfsbrunnen als Staatsdomäne in den Besitz des Großherzogtums Baden über. Seit 1796 war dort ein Wirtschaftsbetrieb eingerichtet. 1822 wird das Haus nach Plänen von Weinbrenner zu einem dreistöckigen Gebäude umgebaut. Sein heutiger Zustand geht weitgehend auf diesen Umbau im Stil eines „Schweizerhauses“ zurück. In den folgenden Jahrhunderten erfolgen weitere Umbauten und Veränderungen am Gebäude und seiner Umgebung, weitgehend unbeobachtet. Das Neubauprojekt der Wolfsbrunnen gGmbH und die Renovierung des Weinbrenner-Gebäudes in der Wolfsbrunnensteige 15 bot seit 2011 erstmalig Gelegenheit, neue denkmalpflegerische und archäologische Erkenntnisse zu gewinnen.
Am 26. April 1823 immatrikulierten sich zwei Schleswiger Studenten an der Heidelberger Ruprecht-Karls-Universität. Die Brüder Ernst (1802–1826) und Bernhard Wieck (1803–1824) aus dem unter dänischer Krone stehenden Herzogtum Schleswig hatten zuvor bereits drei Semester an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel studiert. Sie waren Söhne des Schleswiger Großkaufmanns und Senators Bernhard Wieck (1772–1851) und seiner Ehefrau Elise Wieck geb. Westphal (1772–1840), die Familie wohnte im Stadtteil Friedrichsberg und hatte eine elfköpfige Kinderschar.
Die Stadtbücherei Heidelberg von der NS-Zeit bis zum Heidelberger "Library Spirit" der 1960er Jahre
(2016)
Am 6. Mai 2016 hat sich zum fünfzigsten Mal die Eröffnung des Gebäudes der Stadtbücherei Heidelberg in der Poststraße gejährt. Erst dieser Neubau hat die weitere, über viele Jahre so positive Entwicklung bis hin zu einer der besten deutschen Stadtbibliotheken möglich gemacht. Bis zur Bestimmungsübergabe des Hauses war es ein langer, oft schwieriger Weg. Dieser führte von der bibliothekarischen „Stunde Null“ im Jahr 1945 über eine solide Entwicklung Ende der 1940er und anfangs der 1950er Jahre sowie nach jahrelangen Bemühungen und Kämpfen zu dem neuen Büchereigebäude. Nach skandinavischen und anglo-amerikanischen Vorbildern konzipiert, wurde es zu der räumlichen Voraussetzung für die weitere Arbeit der Stadtbücherei; Mitte der 1960er Jahre galt es als eines der beispielhaften Büchereigebäude Deutschlands. Den Weg dorthin schildert der folgende Aufsatz. Er setzt die Ausführungen im Jahrbuch des Heidelberger Geschichtsvereins Jg. 11, 2006/07 über „Georg Zink und die Heidelberger Volksbibliothek und Volkslesehalle“ fort.
Während der NS-Herrschaft konnte der Heidelberger Rechtsphilosoph einen freundschaftlichen Gedankenaustausch mit dem Kunsthistoriker Gustav Friedrich Hartlaub pflegen. In den schweren Jahren der geistigen Verbannung war diese Freundschaft für den musischen Rechtsdenker eine wichtige Inspirationsquelle. Bislang hat diese Verbindung aber noch keine gebührende Beachtung in der Forschungsliteratur gefunden, daher zeichnet der Beitrag die Entwicklung der Freundschaftsbeziehung nach.
Der traditionsreiche Stadtteilverein „Alt-Heidelberg e.V.” hat sich 2016 der Aufarbeitung eines der dunkelsten Kapitel seiner Geschichte angenommen. Im Jahr 1935 beteiligte sich dessen Vorstand an der von Oberbürgermeister Carl Neinhaus veranlassten und von den städtischen Behörden ausgeführten Vertreibung der in Heidelberg ansässigen Sinti-Familien. Diese Aktion markierte den Beginn einer Verfolgungsgeschichte, welche für mindestens drei Personen und ein Neugeborenes mit dem Tod im Vernichtungslager Auschwitz Birkenau endete.
Heidelberg im Jahr 1891
(2016)
Hochzuverehrender Herr Bürgermeister Erichson, Allerhöchst verehrliche Frau Vorsitzende, Frau Dr. Werner-Jensen, Hochansehnliche Festgemeinde, Höchstgeneigte Mitglieder des Vereins Alt-Heidelberg. So etwa hätte der Chronist des Jahres 1891 diese Festversammlung begrüßt, ich schließe mich dem an. Im Mai des Jahres 1891 schlossen sich sieben Heidelberger Bürger zusammen und teilten dem „Verehrlichen Stadtrat der Stadt Heidelberg“ folgendes mit: „Wohldemselben beehren wir uns ergebenst anzuzeigen, daß sich vor Kurzem zur Wahrung der Interessen der in ihrer Entwicklung zurückgebliebenen Stadtteile hiesiger Stadt ein Verein unter dem Namen ‚Alt-Heidelbergʻ gebildet hat. … zur Wahrung der Interessen der in ihrer Entwicklung zurückgebliebenen Stadtteile hiesiger Stadt …“ Unmittelbar hat man das Bild des heutigen Heidelberg vor Augen, wenn man
diesen Satz hört, aber das Heidelberg von 1891 war eine Kleinstadt, in der 26 928 Einwohner in 5 574 Haushalten lebten. Und die in ihrer Entwicklung zurückgebliebenen Stadtteile waren die Kernaltstadt, die Voraltstadt, Schlierbach und die gerade entstehende Weststadt, für die im Jahre 1891 gerade der Bebauungsplan fertiggestellt wurde. Diese heutigen Stadtteile bildeten die gesamte Stadt Heidelberg. Warum aber nun „Alt-Heidelberg“? Heute versteht sich unter dem Namen „Alt-Heidelberg“ der renommierte Stadtteilverein, dessen 125-jähriges Jubiläum wir feiern, und stadtgeografisch die Kernaltstadt zwischen Karlstor und Universitätsplatz und die Voraltstadt zwischen der Grabengasse und dem Bismarckplatz. Alt-Heidelberg klingt programmatisch nach Gegensatz zu Neu-Heidelberg, das es freilich noch nicht gab. Es hatte sich etwas Anderes ereignet, das viele Heidelberger befürchten ließ, die heutige Altstadt werde hinter der allgemeinen Entwicklung zurück bleiben: Zum 1. Januar 1891 war die bis dahin selbständige bäuerliche Gemeinde Neuenheim nach Heidelberg eingemeindet worden.
Histoire vraie
(2016)
Eric Gaber ist am 1. November 2015 gestorben. Dass sein Lebensbericht in Heidelberg veröffentlicht werden sollte, hat ihn gefreut. Hat er doch lange gekämpft, seine Erinnerungen wiederzufinden – große Lücken in seiner Kindheitsgeschichte sind geblieben oder unter den traumatischen Erfahrungen des Überlebens verschüttet geblieben. Wenig ließ sich in Erfahrung bringen. Geboren wurde Eric Gaber am 8. Dezember 1932 in Karlsruhe als Sohn von Amalie Gaber – sein Vater ist unbekannt. Er hatte eine zwei Jahre ältere Schwester, Mary, die er nie kennenlernte. Dass sie in Auschwitz ermordet wurde, ist das Einzige, was man von ihr weiß. Die beiden Kinder wurden sehr früh getrennt und bei verschiedenen Familien untergebracht, Eric für kurze Zeit vermutlich bei seiner Großmutter in Karlsruhe. Nach deren Tod hat die Familie Haberer aus Villingen irgendwann in den 30er Jahren das Kind aufgenommen. Deren eigener Sohn, sein „Adoptivbruder“ Joseph (später Joe) Haberer, konnte mit einem Kindertransport über England in die USA gerettet werden. Am 22. Oktober 1940 wurde Eric aus Heidelberg aus dem „Judenhaus“ Bluntschlistraße 4 nach Gurs deportiert. Aus dem Lager „befreit“ hat ihn eine Mitarbeiterin des jüdischen Kinderhilfswerks OSE (Organisation de Secours aux Enfants) im Mai 1941. In verschiedenen Heimen und bei südfranzösischen Bauern versteckt, überlebte er den Krieg. Die Eltern Haberer wurden aus Villingen nach Gurs verschleppt. Der „Adoptivvater“ starb bereits im Lager, die „Adoptivmutter“ wurde weiter nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Dies ist das karge Ergebnis einer mühsamen Suche. Nahestehende, die ihm hätten helfen können, waren tot, Akten im Krieg vernichtet worden.
Wie bereits hinreichend erforscht, waren jüdische Deutsche schon bald nach dem Herrschaftsantritt der NSDAP der stetig wachsenden Diskriminierung ausgeliefert. Auch für den Raum Heidelberg sind die nationalsozialistische Diktatur und die damit verbundenen Folgen für die Juden gut erforscht. Mehr als die Hälfte der jüdischen Bevölkerung Heidelbergs sah sich, solange es noch möglich war, zur Auswanderung gezwungen. Obwohl in diesem Zusammenhang bereits aussagekräftige autobiografische Texte vorliegen, muss an dieser Stelle auf das Forschungsdefizit in Bezug auf die individuellen Beweggründe der Emigranten hingewiesen werden. Die vorliegende Studie setzt sich zum Ziel einen Beitrag zu diesem bestehenden Forschungsdesiderat zu leisten.
Johnny 1949
(2016)
Ich, Johnny, war acht Jahre alt, als meine Mutter (Mutti) mich kurzerhand von jener fürchterlichen Privatschule – der Belmont School, Wood Lane, Falmouth – nahm und entschied, dass ich sie nach Deutschland begleiten sollte, wo sie sich auf die Suche nach ihrer (und meiner) Familie machen und die Stadt sehen wollte, in der sie geboren war: Heidelberg, in das sie, wegen des Kriegs und ihres halbjüdischen Bluts, nicht hatte zurückkehren können. Ich wusste von diesen Dingen natürlich nichts, jung wie ich war; ich hatte nur eine vage Vorstellung davon, dass wir den Krieg gewonnen und die verhassten Deutschen ihn verloren hatten. Ich habe blasse Erinnerungen von Gefechten auf dem Spielplatz, bei denen ich bestimmte, Andy Dell solle Hitler spielen, während ich der strahlende Held war, der ihn erschoss. Andy brach in Tränen aus, da ich darauf bestand, als der niederträchtige Bösewicht müsse er sterben.
„Warum erinnern? Wäre es nicht viel leichter einfach zu vergessen? Warum Vergangenes in unserer Gegenwart und Zukunft weiter ,erleben‘, wenn wir es zeitlich schon längst überlebt haben?“ So leitet eine Schülerin aus dem Philosophiekurs des Hölderlin Gymnasiums ihren Essay ein, in dem sie sich mit der Frage auseinandersetzt, wie ihre Generation mit der NS-Zeit siebzig Jahre nach Kriegsende umgehen soll. Die hier aufgeworfenen Fragen
beschreiben sehr gut die Herausforderungen einer heutigen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der Schule. Für einen Großteil der heutigen Jugendlichen ist die faschistische Diktatur Geschichte aus dem Schulbuch geworden, es fehlen mittlerweile familiäre Bezüge. Daher muss die Schule andere Zugänge liefern, die den Schülern nach wie vor die Wichtigkeit einer intensiven Aufarbeitung dieser Zeit vor Augen führt. Ein Beispiel für eine schülerorientierte Annäherung an dieses zentrale Thema der deutschen Geschichte ist ein umfassendes Projekt mit sehr unterschiedlichen schulischen und außerschulischen Heidelberger Akteuren, das im Folgenden vorgestellt werden soll.
CityCult-Projekt
(2015)
Kann man mit 13 bis 16-jährigen Jugendlichen in einer knappen Woche wesentliche Einsichten und Erfahrungen zu einem viele Generationen entfernten historischen Geschehen, dem Ersten Weltkrieg, entstehen lassen? Vom 27. bis 31. Oktober 2014 (in den Herbstferien) versuchten dies ca. 25 Jugendliche aus Heidelberger Gymnasien, zusammen mit einem Team aus Referendaren, Studierenden, Wissenschaftlern, Lokalhistorikern und jungen FSJlern – eingeladen vom Jugendtreff CityCult (einer Kooperation der Evangelischen Altstadtgemeinde Heidelberg- Providenz mit der Stadt Heidelberg). Der thematische Fokus lag auf „Heidelberg im Ersten Weltkrieg“, was möglich machen sollte, den lokalen Bezug, Orte, Namen, Geschehen zu nutzen und zugleich in Institutionen vor Ort zu forschen. Projektarbeit braucht Nähe, sie versucht, Wirklichkeiten plastisch und begrifflich zu erfassen, sich über die noch verfügbare Erinnerung von Menschen, die Teilhaber und Zeitgenossen waren, ein Bild zu machen. Sie ist keine didaktische Spezialmethode, sondern von Anspruch und eigener Geschichte aus betrachtet der Versuch, durch erfahrungsgeleitetes, aktives und selbstständiges Lernen Bildungsprozesse tief zu verankern. Vage Begriffe wie „Erlebnis, Tun, Begegnung“ versuchen die aktivierende und prägende Wirkung von Erfahrung in sozialen und kulturellen Umwelten zu erfassen. Die klassische Projektidee verbindet anspruchsvolle, realistische und relevante Aufgaben, ein hohes Maß an Mitwirkung und Eigenaktivität von SchülerInnen, gemeinsame Planungsprozesse, die Einbeziehung der Sinne und die von Kognitionsstrukturen sowie eine unverkennbare interdisziplinäre Produktionsorientierung.
Im September 2014 befand sich das historische Studentenlokal „Zum Roten Ochsen“ in der Heidelberger Altstadt seit 175 Jahren im Besitz der Familie Spengel. In der bis heute nahezu unveränderten Gaststube wird diese Tradition spürbar. Als sei die Zeit stehen geblieben, hängen von der Decke historische Trinkhörner, stehen in den Regalen reich verzierte Bierhumpen, bedecken gut 400 Bilder zumeist von Personen oder Personengruppen die Wände, viele vom ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, manche zurückreichend bis in die Anfänge der Fotografie. Sie zeigen zahlreiche Studentenverbindungen, aber auch prominente Gäste und natürlich die ebenfalls nicht unbekannten Generationen von Gastwirten selbst. Zusammen mit 30 Gästebüchern legen sie ebenso ein beredtes Zeugnis von der bewegten Geschichte des Studentenlokals ab wie die zahllosen Ritzereien und Beschriftungen auf Tischen, Wänden und Decken.
Ihre Entführung im Jahre 1623 war der wohl größte Kulturverlust der Kurpfalz. Rund 3700 mittelalterliche und frühneuzeitliche Handschriften und etwa 13.000 Inkunabeln und Druckschriften aus der Heidelberger Heiliggeistkirche gelangten als Kriegsbeute der Katholischen Liga in die päpstliche Bibliothek. Diese Schätze sind heute unter der allgemein üblichen Bezeichnung Bibliotheca Palatina bekannt. Diese ist ein Sammelbegriff für die ursprünglich separaten Bestände der Heidelberger Universität, des Heidelberger Schlosses und der von Ulrich Fugger (1526–1584) übernommenen Bibliothek, die nach und nach, aber nie ganz vollständig, auf den Emporen der Heiliggeistkirchen vereinigt worden waren. Es handelt sich hauptsächlich um deutsche und lateinische Handschriften, aber auch um griechische, hebräische, arabische und türkische. Mit den 845 deutschsprachigen Handschriften kehrte 1816 ein wesentlicher Bestandteil der Bibliotheca Palatina nach Heidelberg zurück. Dort kam als Aufbewahrungsort solcher
Schätze – nach dem Ausscheiden von Hof und Kirche als Kulturträger – nur noch die aufblühende Universität infrage.
Das mir zugedachte Thema erlaubt, ja verlangt es, wie jedes andere, hinterfragt zu werden. „Heidelberg – Stadt der Dichter“, ohne Fragezeichen so hingesetzt – kann man das ernsthaft behaupten? Gibt es tatsächlich vor Ort eine durch die Jahrhunderte sich fortzeugende literarische Tradition, die etwa von Goethe bis Hilde Domin reichen könnte und so lebendig, produktiv und untereinander bindend ist, dass sie das Attribut rechtfertigt? Wem aber „Stadt der Dichter“ doch etwas hochstapelnd vorkommt, der könnte ja immer noch auf „Stadt der Poesie“ ausweichen, das klingt allgemeiner, die Landschaft spielt mit herein sowie das Große und Ganze der Kunst, Burgruine und Brücke: Heidelberg als „Symbol der Poesie“ und „geweihte Stätte“, als „Wallfahrtsort unserer Dichtung“. Mit solchen heute leicht verstiegen klingenden Formeln feiert Philipp Witkop, einst Heidelberger Student, ab 1910 Germanistik-Professor in Freiburg, in seinem grundlegenden Buch „Heidelberg und die deutsche Dichtung“ von 1916 eine imaginierte, eine spät- oder neuromantisch erträumte Stadt, die schon damals nicht in die ernüchterte (Kriegs-)Zeit passte und in die heutige erst recht nicht, wo man Begriffe wie Transzendenz, Schöpfertum, Genieglaube ja längst höhnisch verabschiedet hat und emsig auf Vermarktung, Vernetzung und Verwurstung baut.
Brezeln aus Heidelberg
(2015)
In Heidelberg werden schon seit Jahrhunderten Brezeln gebacken und gekauft, was nicht nur die in Stein gehauenen Brezel-Maße bei den Verkaufsnischen an der Südseite der Heiliggeistkirche belegen. 1921 kamen beinahe zeitgleich Wilhelm Käferle in der Altstadt und die Brüder Jakob und Otto Lulay in der Weststadt auf die für Heidelberg neue Idee, kleine Brezelchen „Freiburger Art“ in Tüten zu verpacken und das lange haltbare Salzgebäck in Gastwirtschaften und Lebensmittelgeschäften als Beiwerk zu Bier oder Wein anzubieten. Im Laufe der 1920er Jahre gründeten sich in Heidelberg noch mehrere kleine Brezelfabriken, die jedoch nur wenige Jahre existierten. Die zuerst gegründeten Firmen erwiesen sich auch als die langlebigsten, Käferle und Lulay existierten über 50 Jahre lang. Da Wilhelm Käferle seine Fabrik wenige Wochen früher als die Brüder Lulay gegründet hatte, konnte er sie mit Recht „Erste Heidelberger Brezelfabrik“ nennen. Zur größten und bekanntesten aller Heidelberger Salzgebäck-Fabriken entwickelte sich die Firma Lulay. Die Quellenlage zur Geschichte dieser Firma ist recht ergiebig. Im Stadtarchiv Heidelberg ist ein Konvolut mit Dokumenten von der Gründung 1921 bis zum Betriebsende 1976 erhalten. Günter Lulay, der 1930 geborene letzte Miteigentümer des Betriebs, stellte sich freundlicherweise als Zeitzeuge zur Verfügung und gab durch seine Erinnerungen und die Bereitstellung aufschlussreicher Bildquellen Einblick in die Firmen- und Familienhistorie. So lässt sich ein fundiertes und detailreiches Bild der Geschichte dieser Brezelfabrik zeichnen.
Es gibt zwei konkurrierende Thesen zum Lebenslauf des historischen Faust. Eine alte These, die auf Johannes Manlius zurückgeht und dessen berühmten Lehrer Philipp Melanchthon als Zeugen für die Geburt des umstrittenen Magiers in Cundling (d.h. Knittlingen), mit dem Vornamen Johann, angibt. Die andere, entgegengesetzte These erschien erst 1913 mit der Edition von Kilian Leibs Wettertagebuch durch Karl Schottenloher. Mit einer knappen Aufzeichnung in diesem Werk kam zum ersten Mal ans Licht, dass Faust, mit Vornamen Georg, nun als einer von Helmstadt bei Heidelberg identifiziert wurde. Man möchte also wissen: Stammte Faust nicht aus Knittlingen, sondern aus Helmstadt? Hieß er Johann oder Georg? Was bedeutet dieser Unterschied? Der Streit um die Frage der Herkunft schuf jedenfalls Verwirrung und hat zur Folge, dass man nicht mehr glaubt, es könne eine klare Linie von den historischen Anfängen zur Legende und schließlich zum mythischen Faustbuch von 1587 gezeichnet werden.
Die Brüder Adam (1877–1951) und Hermann Remmele (1880-1939) repräsentierten die beiden Flügel der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung. Ihr Konflikt wird in diesem Beitrag auf dem Hintergrund unterschiedlicher Organisationserfahrungen im Rhein-Neckar-Raum beschrieben, in dem sie bis 1919 aktiv waren. Die Arbeiterbewegung war hier sehr unterschiedlich ausgeprägt. Einfluss auf die Entwicklung der Brüder hatten möglicherweise auch ihre unterschiedlichen Berufsperspektiven – auf der einen Seite ein sterbendes Gewerbe, das zur Anpassung zwang, und auf der anderen Seite ein
Arbeitsplatz in der Metallindustrie, Träger der hochindustriellen Entwicklung. Beide jedoch machten ihren Weg in politische Führungspositionen.
Die Frauenrechtlerin und Germanistin Dr. Elise Dosenheimer schrieb 1959, kurz vor ihrem Tod in New York, an ihre Nichte: „Was mich betrifft, so geht es mir nicht immer glänzend, trotz des Zimmers für mich allein. Man wandelt nicht ungestraft unter Palmen, wie ihr wisst, und man wandelt auch nicht ungestraft unter 90 Jahren. Tragik des Alters.“ Mit den Zitaten aus Virginia Woolfs „Ein Zimmer für sich allein“ und Goethes „Wahlverwandschaften“ benennt Elise Dosenheimer die beiden schwersten Kämpfe ihres 90-jährigen Lebens: Sie kämpfte für einen privaten und öffentlichen Raum für Frauen, „ein Zimmer für sich allein“, das sie schließlich in Heidelberg fand; sie wurde als Jüdin von Heidelberg nach Gurs deportiert und floh von dort nach New York, an einen Ort in der Fremde, an dem sie, in Goethes Worten, nicht ungestraft unter Palmen wandelte, weil sie durch ihre Flucht zu einem anderen Menschen geworden war.
Eine französische Lehrerin aus dem besetzten Elsass, Hélène Garnier, wird umgeschult, nach Wieblingen und Edingen versetzt und unterrichtet dort bis zum Einmarsch der Amerikaner 1945. Die zwangsweise Umschulung elsässischer Lehrer und Lehrerinnen nach der Besetzung des Elsass ist ein wenig bekanntes Kapitel der deutsch-französischen Geschichte des Zweiten Weltkriegs, das wir – Daniel Morgen und Günter Lipowsky – in dem 2014 erschienenen Buch mit Hilfe von etwa hundert Zeitzeugenaussagen und an Hand der vorhandenen Archivalien in den Archiven des Oberrheins
schildern und analysieren.
Als im November 2013 die Denkmaltopographie für den Stadtkreis Heidelberg (im Folgenden DT) mit ihren über 1200 Seiten in zwei Bänden herauskam, waren die ersten Reaktionen in der Presse, bei den öffentlichen Persönlichkeiten und im Bekanntenkreis sehr euphorisch: Soviel Neues an Geschichte, Beschreibungen und Deutungen des Wohnumfelds waren zu entdecken. Im privaten Kreis schlugen nach ein paar Wochen die Reaktionen um: Alle hatten nun einen oder mehrere Fehler gefunden, Widersprüche oder Lücken entdeckt. Viele Fragen erreichten uns. Der Geschichtsverein lud daraufhin zu einer Fachkonferenz Denkmaltopographie ein, die am 26. September 2014 in der Volkshochschule Heidelberg stattfand. Die Teilnahme war lebhaft, fast alle Stadtteile waren vertreten. In der Einladung waren Stellungnahmen zur Bewertung der Denkmaltopographie erbeten. Die Konferenz hatte einen ergiebigen Verlauf. Es gibt ein knappes Protokoll, ein paar Statements, E-Mails und den Auftrag an mich, einen Bericht zu schreiben. Der Tenor war sehr einhellig: Die DT wurde als wichtiges Hilfsmittel für die Stadtforschung begrüßt, im Detail fehlte es dann nicht an Kritik, Korrekturen und Fragen. Im Folgenden will ich meinem Auftrag gerecht werden, indem ich mich weitgehend auf solche Themen und Beispiele beschränke, mit denen ich selbst mich befasst habe. Darüber hinaus gilt mein Dank allen, die mit ihren Anregungen zur Diskussion beigetragen haben. Besonders hervorheben will ich die Beiträge von Georg Machauer zum Pfaffengrund, von Walter Petschan zu Wieblingen und von Tobias Städtler zu Ziegelhausen.
Ludwig V. und seine Brüder
(2015)
Mit der Revolution von 1525 beginnt die Geschichte der deutschen Demokratie. Bei dem Historiker Peter Blickle, der die Bauernkriegsforschung auf neue Füße stellte, heißt es: „Die vorwaltende mittelalterliche Vorstellung, Herrschaft sei eine angeborene und gottgewollte Fähigkeit des Adels wurde substituiert […] durch die Überlegung, Herrschaft werde durch einen willentlichen Akt des politischen Zusammenschlusses konstituiert.“ Trotz seiner vernichtenden Niederlage hat sich der Aufstand des Gemeinen Mannes, den auch die Zeitgenossen schon verkürzend „Bauernkrieg“ nannten, tief in das deutsche Gedächtnis eingebrannt. Generationen von allgemein und regional Forschenden haben nicht nur Quellen gesichtet und narrative Zusammenhänge geprägt, sondern auch verschiedenartige Deutungen erarbeitet. Von Interesse könnte die Feststellung sein, dass zwei der bedeutendsten Bauernkriegshistoriker in Heidelberg waren: Günther Franz lehrte hier von 1935 bis 1937 Mittlere und Neuere Geschichte; obwohl er
sich nach 1945 von der NS-Ideologie nie lossagte, ist seine Forschungsleistung unbestritten. Max Steinmetz begann sein Studium 1932/33 in Heidelberg als NS-Student und schloss es 1940 in Freiburg mit einer Dissertation über Ludwig V. ab. Erst in sowjetischer Kriegsgefangenschaft wurde er zum Marxisten und später zum führenden DDR-Historiker des Bauernkriegs. Aber dieses forschungsgeschichtliche Panorama kann hier nicht eröffnet werden. Die Ereignisse des Jahres 1525 für Heidelberg darstellen zu wollen, erschiene ein müßiges Unterfangen. Heidelberg war 1525 keine ‚Zitadelle des Aufruhrs‘ wie 1968, sondern eine Zitadelle der Repression. Auf dem Schloss sammelten sich einige aus ihren Residenzen vertriebene Landesherren, und von hier aus startete der vernichtende Feldzug gegen die Bauernheere im Kraichgau, in Franken und in der Pfalz. In der Residenzstadt selbst blieb es äußerlich ruhig.
Dem aus Schlesien stammenden Dichter Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff (1788–1857) sind in Heidelberg mehrere Orte der Erinnerung gewidmet. Der heutige Eichendorffplatz im Stadtteil Rohrbach, dessen Fläche ein nach Norden ausgerichtetes asymmetrisches Trapez bildet, wird von vier Straßen eingefasst: von der Karlsruher und der Heidelberger Straße an den Langseiten, von der Eichendorffstraße im Norden und von der Karlsluststraße im Süden. Der alte „Denkstein“ von 1938 ist heute von Efeu überwuchert. Seinen heutigen Namen erhielt der Platz 1938, vorher wurde dieses Areal „Kreuz“ (oder „Am Kreuz“, „Kreuzplatz“) genannt, nach einem steinernen Kruzifixus von 1732, der damals auf den Friedhof versetzt wurde, wo er heute noch steht.
Es gibt nicht viele Dinge, die so stark in alle Bereiche unseres Lebens strahlen wie die Bedrohung durch einen Krieg. Die Bandbreite der Emotionen bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges lässt sich nicht bis ins letzte Detail beschreiben. Es können lediglich Kategorien genannt werden, die die Gefühlslage der Menschen umreißen. Aber aus ihren Handlungen können Indizien abgeleitet werden, die eine Gefühlsdeutung ermöglichen. Die Aufstellung einer bewaffneten Bürgerwehr im Stadtbezirk Heidelberg Anfang August 1914 kann in diesem Sinne als ein dringendes Bedürfnis nach Sicherheit bewertet werden, das diese in einer Umgebung „voller“ möglicher Gefahren stillen sollte. Wie dem obigen Zitat aus dem Tagebuch der Rohrbacherin Margarethe Schmidt zu entnehmen ist, fühlten sich einige Bevölkerungsteile inner- und außerhalb des Heidelberger Stadtgebietes äußerst bedroht. Die sogenannte „Spionageangst“ griff um sich und führte dazu, dass es landesweit zu regelrechten Hetzjagden auf vermeintliche Spione kam, denen eine hinterhältige Invasion aus dem Landesinneren zugetraut wurde. Als sich diese Angst als unbegründet erwies, verschwand die Bürgerwehr genauso schnell von der Bildfläche, wie sie zuvor aufgetaucht war. Dass 1918 nach Kriegsende eine „Volkswehr“ aufgestellt wurde, ist ganz anderen Gründen zuzuschreiben.
„Liebe Mitbürger! Als der gewaltige Kampf ausgebrochen war, in dessen Mitte wir jetzt stehen, da drangen in rascher Aufeinanderfolge die Nachrichten von Siegen und Fortschritten unseres Heeres zu uns in die Heimat, so daß wir hoffen konnten, wie vor 40 Jahren in Bälde einen entscheidenden Sieg erleben zu dürfen. Es ist anders geworden. Die Uebermacht, die uns von allen Seiten bedrängte, war zu groß, die Arbeit, die unsere Heere zu leisten hatten, zu gewaltig, sodaß wir bald erkennen mußten, daß noch schwere Kämpfe und ein langes mühevolles Ringen erforderlich seien, und daß die gebrachten Opfer an Gut und Blut noch ganz gewaltig anwachsen müssen, ehe wir den ersehnten Tag des Sieges erleben würden.“ So Oberbürgermeister Ernst Walz (1859–1941; OB seit 1914) am 29. November 1915 auf dem Ludwigsplatz (heute: Universitätsplatz), als dort einige erbeutete belgische Geschütze aufgestellt wurden. Seine Worte spiegeln recht gut die Gefühle wider, die die deutsche und die Heidelberger Bevölkerung seit August 1914 durchlebt hatten. Zunächst die Euphorie der ersten Kriegsmonate und die sichere Erwartung eines schnellen Sieges im Westen („Weihnachten sind wir wieder zu Hause“). Nach den deutschen Niederlagen an der Marne und beim „Wettlauf zum Meer“ blieb der nach dem Muster von 1870/71 als Bewegungskrieg geplante Krieg an der Westfront schon Ende November 1914 stecken. Es folgte ein extrem verlustreicher Stellungskrieg auf beiden Seiten; der Frontverlauf änderte sich bis Anfang 1918 nur unwesentlich.
Im Juni 1940 geht bei dem „Herrn Obmann der Rechtswissenschaftlichen Fakultät Heidelberg“ das vom 11. Juni 1940 datierende Schreiben des Oberbürgermeisters Dr. Otto Gönnenwein in Schwenningen am Neckar ein, mit dem dieser um „Zulassung zur Habilitation an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät“ nachsucht. Dem Gesuch sind beigefügt ein ausführlicher Lebenslauf, ein vorläufiges Zeugnis der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen über die Erlangung der juristischen Doktorwürde, der wissenschaftliche Aufsatz „Das Normenprüfungsrecht der Verwaltungsbeamten und die Grenzen der Gehorsamspflicht“ sowie als Habilitationsschrift das Buch „Das Stapel- und Niederlagsrecht“.
Am 26. September 2013 stieß der Eppelheimer Bildhauer Günter Braun bei Abwasserarbeiten auf seinem Grundstück in der Seestraße 78 auf einen etwa 40 x 40 cm großen, aus Sandstein gemauerten Kanal. Dieser durchquert in ca. 2 m Tiefe vom Eppelheimer Ortskern kommend sein Grundstück und führt von dort hinaus aufs Feld in Richtung Mannheim. Günter Braun legte diesen Kanal auf eine Länge von ca. 2 m frei und schützte ihn durch ein provisorisches Dach. Die hinzugerufenen Experten, der Eppelheimer Heimatforscher Hans Stephan und Dr. Renate Ludwig, Archäologin und Denkmalschützerin im Kurpfälzischen Museum, bestätigten übereinstimmend, dass es sich hier um ein bisher unbekanntes Teilstück der
„Traitteur‘schen Wasserleitung“ handelt. Frau Dr. Ludwig lobte zwar die vorbildlich vorgenommene Freilegung, empfahl aber zugleich, den Fund wieder einzugraben, um ihn so optimal zu konservieren. Letztlich überließ sie es aber Herrn Braun als Grundstückseigner, wie er damit umgehen wolle. Der entschied sich dafür, die Fundstelle offen zu lassen und so zu präparieren, dass sie jederzeit öffentlich einsehbar ist. Dazu hat er inzwischen die Grubenwände befestigt und mit einer Trittleiter versehen, ein wetterfestes Dach darüber gebaut und eine große Schautafel angebracht, in der
anschaulich der geplante Verlauf und die Geschichte der „Traitteur‘schen Wasserleitung“ dargestellt sind.
Um Salomon de Caus, einen Mann mit vielen Talenten und Interessen, ranken sich zahlreiche Legenden. Einige Aspekte seines Schaffens wurden in den Rang von bedeutender Großartigkeit erhoben, andere fielen unter den Tisch. So entstanden schiefe Bilder, die es zurechtzurücken gilt. Beim aufmerksamen Quellenstudium und Lesen seiner hinterlassenen Schriften schiebt sich ein anderes und keineswegs unbedeutenderes Bild in den Vordergrund: das Bild des frühneuzeitlichen Ingenieurs.
Gedenken gestalten
(2015)
Am 22. Oktober 2015 jährt sich die NS-Deportation der Heidelberger Juden in das südfranzösische Internierungslager Gurs zum 75. Mal. Im Rahmen der ersten planmäßigen Massendeportation von Juden aus dem Deutschen Reich wurden auf Betreiben des Gauleiters von Baden, Robert Wagner, sowie des saarpfälzischen Gauleiters Josef Bürckel über sechstausend jüdische Bürgerinnen und Bürger aus Baden, der Pfalz und dem Saarland von der Gestapo und französischen Behörden nach Gurs verschleppt. Viele dieser Opfer wurden daraufhin weiter in Konzentrationslager und Vernichtungslager im Osten deportiert. Darunter waren auch mindestens 299 Heidelbergerinnen und Heidelberger. Frühmorgens am letzten Tag des jüdischen Laubhüttenfestes „Sukkoth“ wurden sie von Gestapobeamten in ihren Wohnungen verhaftet und unter den Augen der Öffentlichkeit zum Gleis 1a des alten Hauptbahnhofes transportiert. Mit Sonderzügen erfolgte gegen 18.15 Uhr ihre vier Tage andauernde Deportation ins südfranzösische Lager Gurs. 208 der Heidelberger Jüdinnen und Juden, die nach Gurs deportiert worden waren, starben dort oder in anderen Lagern.
Dank an Jochen Goetze
(2015)
Lieber Herr Goetze, anlässlich unserer heutigen Mitgliederversammlung möchten wir uns gerne bei Ihnen für Ihr langjähriges Engagement im Heidelberger Geschichtsverein und insbesondere für Ihre Tätigkeit in der Jahrbuch-Redaktion bedanken. Auch als Autor waren Sie von Anfang an dabei und es gibt kaum ein Jahrbuch, in dem kein Beitrag von Ihnen zu finden ist, aber darauf werde ich später noch eingehen. Zunächst wird es etwas persönlich. Als mich vor ein paar Wochen die Bitte erreichte, Sie mit einer kleinen Laudatio zu ehren, habe ich mich spontan dazu bereit erklärt, da ich mich in gewisser Weise als Ihr Schüler empfinde. Die Erinnerungen an Ihre Lehrveranstaltungen, die ich als Student zu Beginn der 1980er Jahre besucht habe, sind mittlerweile natürlich sehr selektiv. Im Gedächtnis geblieben ist mir insbesondere Ihre Erläuterung eines Siegels und was man aus den darauf abgebildeten Personen und Gegenständen alles erfahren kann, und zwar nicht nur im Hinblick auf die Rechtsstellung hansischer Kaufleute, sondern auch über mittelalterlichen Schiffsbau und andere Aspekte der materiellen Kultur. In der Rückschau zählen Sie zu den fünf bis sechs Lehrerpersönlichkeiten an Schule und Hochschule, die spezifische Interessen bei mir geweckt und mir Zugänge zu neuen Themenbereichen erschlossen haben.
Der Vogesensandstein
(1991)
Das heutige Landschaftsbild der Vogesen ist das Ergebnis einer langen erdgeschichtlichen
Entwicklung. Über dem im Erdaltertum gebildeten und wieder
großenteils abgetragenen Sockel, dem Grundgebirge, lagerte sich im Mittelalter
der Erdgeschichte, dem Mesozoikum, eine mächtige Abfolge von Sedimenten ab.
Sie nahmen zwischen dem damaligen skandinavisch-russischen Nordkontinent
und einem im Süden liegenden Meer, der sog. Thetys, einen breiten Raum ein,
das sog. germanische Becken. In einem Zeitraum von etwa 40 Millionen Jahren
(ca. 240-200 Mill. v.Z.) entstanden hier folgende Schichten:
zuerst die klastischen, d.h. aus Trümmern älterer Gesteine bestehenden Ablagerungen
des Buntsandsteins unter festländischen und flach-marinen Bedingungen,
dann die karbonatreichen marinen Sedimente des Muschelkalks,
zuletzt die festländisch (terrestrisch) beeinflußten Bildungen des Keupers.
Dieser Dreiteilung der Gesteine entspricht die germanische Trias, eine Einheit
der geologischen Gliederung, die vor rund 150 Jahren benannt wurde (v. Alberti
1834). Diese Schichten wurden später zum Teil noch durch die des Jura
überdeckt. Erst seit dem Übergang zur Neuzeit der Erde (Tertiär) wurden alle
diese Sedimente durch eine infolge der Alpenfaltung ausgelöste Ausgleichsbewegung
gehoben und verbogen. Zwischen den so gehobenen Randgebirgen der
Vogesen und des Schwarzwalds sank gleichzeitig der Oberrheingraben ein. In
der Folgezeit wurden die Deckschichten des Erdmittelalters (Trias und Jura)
infolge der exponierten Lage auf den Randgebirgen großenteils wieder abgetragen.
Als im 6. Jh. an Stelle der keltisch-romanisierten Bezeichnung von Argentorate
der Name Strateburgum auftaucht, ist dies gleichsam ein Symbol der Europäischen
Mission Straßburgs. Strateburgum, soviel wie die Burg an der Straße gelegen,
weist schon genügend auf das Schicksal und die Geschichte der Stadt hin.
Im Schnittbereiche der beiden großen Kulturkreise des Abendlandes, der im Mittelmeergebiet
entsprungenen römisch-keltischen und der im mittleren Europa
beheimateten germanischen Kultur, gelegen, wurde Straßburg zu einem Ort
materiellen und geistigen Austausches zwischen Westen und Osten. Deshalb
kannte es während seiner wechselvollen 2000-jährigen Geschichte wenig echte
Friedensperioden. Denn hier am Oberrhein führten die Wege der Vermittlung
und Verständigung vorbei, aber auch die Kampfstraßen der Heere.
Im Jahre 1943 erschien in der Zeitschrift „Raumforschung und Raumordnung"
ein Aufsatz des bekannten Agrarwissenschaftlers A. MÜNZINGER mit dem Titel
„Die württembergische Wirtschaft - Vorbild für den Osten?". Die Antwort auf
diese Frage war ein entschiedenes Nein. Münzinger schloß seine Ausführungen
mit dem Satz: ,,Diese Wirtschaftsstruktur auf andere Länder zu übertragen,
hieße in Wirklichkeit, dem im Osten neu aufzubauenden Bauerntum von
vorneherein das Vorwärtskommen unmöglich machen". Diese Aussage unterschied
sich diametral von der zu Beginn der 30er Jahre weitverbreiteten Meinung,
daß Württemberg in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht die gesündesten
und harmonischsten Strukturen aufweise und deshalb als Vorbild für andere weniger
entwickelte Teile des Deutschen Reiches dienen könne. Es erscheint lohnend,
einmal der Frage nachzugehen, wie es zu diesem Wandel der Bewertung
kommen konnte.
Die erste schriftliche Erwähnung des Kanderner Eisens finden wir im
Codex Laureshamensis, also im Verzeichnis der Schenkungen an das
nahe der Bergstraße gelegene Kloster Lorsch. 776 geben Lantsuint und seine
Söhne Richbertus und Zenzo diesem Kloster Wiesen und Ackerfeld »in
Cancer«, womit Kandern gemeint ist. In weiteren Schenkungen in den Jahren
778, 786 und 790 wird der Ort »in pago Brisgowe in villa Cantara« genannt.
Dazu tritt ein Eintrag in den Hubenlisten Nr. 3657, der für unsere Untersuchung
wichtiger ist. Er lautet: »De villa que dicitur Cantero. In Cantero est
huba I que solvit de ferro IV solidos valens«. Das Eisen in Kandern ist also
bekannt. Ob schon die Kelten hier Bergbau trieben, ob die Römer hier einen
Teil ihres Eisenbedarfs zu decken suchten, wird kaum mit Sicherheit bewiesen
werden können.
Der Besucher, der am Vorabend des Festes Christi Himmelfahrt in den
Mauern der alten Stadt Endingen am Kaiserstuhl weilt, kann dort heute noch
alljährlich Zeuge eines eigenartigen, singulären Brauches werden. An diesem
,,Auffahrtsabend" wird in der Martinskirche ein feierlicher Gottesdienst abgehalten.
Er findet zu Ehren der sog. ,,Weinenden Muttergottes von Endingen"
statt und zieht Jahr für Jahr eine große Zahl von Gläubigen an.
Der schweizerische Kanton Freiburg ist aus einer Stadt hervorgegangen, die
mit der Stadt Freiburg im Breisgau durch mancherlei geschichtliche Beziehungen
verbunden ist. Beide verdanken dem gleichen Fürstengeschlecht Entstehung
und Stadtrecht. Sie gehören zur gleichen Städtefamilie und tragen den
gleichen Namen. Beide sind Bischofsstädte, beide sind stolz auf ihre Hochschule,
hier auf eine altehrwürdige, dort auf eine junge. Früh jedoch sind beide Städte
in ihrer Entwicklung eigene Wege gegangen, so daß sie heute nicht mehr viel
Gemeinsames haben. Durch nichts unterscheidet sich Freiburg im Üchtland
mehr von Freiburg im Breisgau - wie übrigens von allen andern Städten
namens Freiburg (Freiburg in Lothringen, Freiburg an der Unstrut in Thüringen,
Freiburg an der Polsnitz in Schlesien und Freiburg nahe der Elbemündung)
- als durch die eigenartigen Sprachverhältnisse, die manchem fremd und
sonderbar erscheinen mögen. Ähnlich wie das Verhalten eines Menschen durch
sein Erbgut und seine Umwelt weitgehend begreiflich erscheint, werden diese
Eigentümlichkeiten erst aus der Geschichte dieses Staatswesens, eines Schweizer
Kantons, verständlich. Wir müssen deshalb zu den gemeinsamen Anfängen
hinabsteigen und diesem Bericht eine kurze geschichtliche Einführung vorausschicken.
Im Jahre 1886 erschien zur fünften Säkularfeier der Schlacht bei Sempach
ein umfangreiches Werk, das im Auftrage der Luzerner Regierung der Staatsarchivar Theodor von Liebenau herausbrachte. Das umfangreiche Werk
schildert vorerst knapp auf 97 Seiten die Schlacht, die sich am 9. Juli 1386
ob Sempach abspielte. Was aber den Wert dieser Arbeit ausmacht, das sind
die über 200 edierten Chronikstellen und Annalen, die über die Schlacht und
vor allem über die Gefallenen Aufschluß geben. Darauf folgen 70 einschlägige
Stellen aus Jahrzeitbüchern, 20 Lieder und Gedichte zur Schlacht und noch
eine große Menge weiterer wichtiger Materialien. P. X. WEBER hat 1936 eine
Bibliographie der Literatur über die Sempacher Schlacht mit hunderten von
Titeln zusammengestellt. Mir ist keine Schlacht des Mittelalters bekannt, die
ein so umfangreiches und maßgebliches Material zu Tage gefördert hätte.
Kein hammerschwingender Thor
(2016)
An dieser Stelle soll an eine im Geroldsecker Land vor über 44 Jahren aufgestellte, ganz außerordentliche sportliche Höchstleistung durch den Lahrer Walter Schmidt erinnert werden. Sie versetzte seinerzeit die Sportwelt in Staunen, es war eine absolute Leichtathletiksensation. Die Lahrer Historikerin Christel Seidensticker hat es in ihrem Buch „Das gibt es nur in Lahr“ verewigt: Den Weltrekord eines Lahrers in einer olympischen Disziplin, im Hammerwerfen, aufgestellt in Lahr. Und bei den regelmäßigen Stadtführungen wird bei einer Aufzählung von Lahrer Persönlichkeiten und bekannten Bürgersöhnen der Hammerwerfer Walter Schmidt immer wieder genannt.
Mit Erleichterung wurde in der Stadt Lahr im Oktober 2015 die Nachricht aufgenommen, dass das Haus Friedrichstraße 15 - im Zerfall befindlich und schon länger allgemein als ein Schandfleck und eine Zumutung empfunden - einen Käufer gefunden hatte, der es aufwändig zu restaurieren beabsichtigt. Dass ausgerechnet dieses Haus dem Denkmalschutz unterliegt, stieß bislang in der Lahrer Bevölkerung auf wenig Verständnis. Wer sich aber einige wichtige Fakten aus der Geschichte dieses Hauses vergegenwärtigt, wird möglicherweise umdenken. Eine neue Sichtweise sucht der folgende historische Abriss zu befördern.
Das Fahrrad hatte schon einige Jahrzehnte der Entwicklung - vom Drais'schen Laufrad über Veloziped, Hochrad zum Niederrad mit Kettenantrieb des Hinterrads - hinter sich, als auch in der Raumschaft Lahr das große Interesse für dieses Fortbewegungsmittel und Sportgerät erwachte. Die in den 1880er-Jahren entstandenen deutschen Radfahrvereine hatten ihre Mitgliedschaft im besitzenden Bürgertum, denn noch waren die Fahrräder wegen der hohen Preise ein reiner Luxusartikel. Ende der 1880er-Jahre hatte der Radverkehr in Lahr allerdings schon derartig zugenommen, dass sich der Vorstand des Radfahrervereins „Germania“ genötigt sah, öffentlich auf einen Missstand hinzuweisen: Er bat alle Radfahrer, und insbesondere diejenigen, die keinem Radfahrverein angehörten, das Befahren von Fußwegen (Dinglinger Allee, Rosenweg, Philosophenweg und alle an den Straßen entlang führenden Gehwege) zu vermeiden.