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Am 10. 07. 1974 wurde über das Unternehmen
Kaiser-Uhren in Villingen das Konkursverfahren
eröffnet. 631 Mitarbeiter erhielten die Kündigung;
Dies war der erste spektakuläre Firmenzusammenbruch
der Nachkriegszeit in Villingen-
Schwenningen. Er kennzeichnete das Ende des
Wirtschaftswunders in der gerade gegründeten
Doppelstadt Villingen-Schwenningen.
Die Firma Kaiser-Uhren ging aus der ehemaligen
Uhrenfabrik Villingen (gegr. 1852) hervor.
1914 erwarb Josef Kaiser aus Niedereschach diesen
Betrieb und gründete die Firma „Uhrenfabrik
Villingen, Josef Kaiser”. Vor dem Zweiten Weltkrieg
produzierte dieses Unternehmen täglich
6.000 Wecker. Der älteste Sohn Josef Kaisers,
Franz Kaiser (1901 bis 1962), trat 1920 in das
Unternehmen ein und übernahm 1942 nach dem
Tod des Vaters zusammen mit seinen Brüdern
Oskar und Rudolf die Leitung der Firma. Die
Demontageschäden der Nachkriegszeit wurden
schnell überwunden, das Unternehmen wurde ausgebaut
durch weitere Zweigwerke, wie die Radio- und
Fernsehgerätefabrik in Kenzingen und die
Radiogehäusefabrik in Haslach. 1970 gehörten
zur Kaisergruppe vier Betriebe: die Uhrenfabrik
J.Kaiser, GmbH Villingen, das Uhrenwerk
Schwarzwald GmbH Villingen, die Badischen
Uhrenwerke GmbH (BADUF) Furtwangen und
die Gebrüder Kaiser Uhren- und Apparatebau
OHG Kenzingen.
Ursula Haider
(2015)
In der Klosterkirche von St. Ursula zu Villingen
befindet sich auf der rechten Seite des Altarraumes
die letzte Ruhestätte der Reformäbtissin Ursula
Haider. Es ist ein bedeutender Ort, der zum Nachdenken
herausfordert. Leider ist die Erinnerung in
Villingen an diese außergewöhnliche Frau nicht
mehr so lebendig, wie es noch vor Jahrzehnten
und Jahrhunderten der Fall war. Dabei bewirkte
die erste Äbtissin des Villinger Klarissenklosters
durch ihr Charisma, ihre Visionen und tiefe Frömmigkeit,
dass das Klarissenkloster in Villingen zu
einem Zentrum mystisch-religiösen Lebens wurde.
Schultheater und Fastnacht
(2015)
Villingen, kurz vor der Mitte des 18. Jahrhunderts:
Schon seit langer Zeit bevölkern am schmotzigen
Donnerstag sowie am Fastnachtsmontag und
-dienstag Narro, Stachi und Wuescht die Straßen
und Wirtshäuser der Stadt, strählen ihre werten
Mitbürger und lassen es sich gutgehen. Einen
organisierten Umzug gibt es allerdings nicht, noch
nicht.
Auch die Studenten der beiden Villinger Gymnasien
der Benediktiner und der Franziskaner sind
auf der Gass. 1745 wurde das aktenkundig, als der
Magistrat sie einsperren ließ, weil sie gegen ein
Fastnachtsverbot verstoßen hatten. 1 Überliefert
ist auch, dass sie sich offenbar mit Begeisterung
am Bombardement mit Schneebällen, Eisstücken,
Steinen oder Prügeln eines Jeden beteiligten, der
es als Nichtvillinger wagte, mit einem gemieteten
Narrokleid auf die Straße zu gehen. 2
„Wenn Sie in Rente gehen, dann schließen ‘sie‘
die Städtische Galerie”, höre ich in letzter Zeit
immer häufiger. Aber tapfer und zugleich mit
oberschwäbischer Sturheit halte ich dagegen: das
will und darf ich gar nicht glauben! Die Städtische
Galerie aufgeben? Diesen Ort der Kunst zerstören
und damit eine nicht unbedeutende Linie der Freiheit
künstlerischen Denkens kappen? Die ‘Schule
des Sehens‘, diese wichtige Bildungseinrichtung für
alle Kunstinteressierten, die seit 67 Jahren durch
die Präsenz von Positionen aktuellen Kunstschaffens
den gesellschaftlichen Diskurs in dieser Stadt
und der gesamten Region mit vorangebracht hat,
schließen? Das wäre bloße Barbarei!
Am 1. Juli 1704, im Spanischen
Erbfolgekrieg, überschritt
der französische Marschall
Tallard den Rhein bei
Kehl und rückte mit etwa
29.000 Mann über Waldkirch
durch das Prechtal
nach Hornberg. Sein Ziel war
zunächst die Hochebene von
Hardt zwischen Rottweil und
Villingen, dann wollte er über
Tübingen und Urach nach
Ulm ziehen, um sich mit den
Bayern zu vereinigen. Er hatte
dabei die Absicht, Villingen
zu erobern und in der Stadt
ein Hauptdepot für die weiteren
militärischen Operationen
zu schaffen.
Schon seit mehreren Tagen
war die Stadt von französischen
Truppen umschwärmt,
und am 16. Juli begann die
Belagerung. Laufgräben wurden
ausgeworfen und die Stadt
beschossen. Schon waren Breschen
gelegt und die Villinger
erwarteten den Sturm – da
zog am 22. Juli der Feind
ab. Tallard sah sich in seiner
Hoffnung, die kleine Stadt
in zwei Tagen zu erobern,
getäuscht und die sechstägige
Belagerung hatte ihn in seiner
Hauptaufgabe, dem schnellen
Vormarsch nach Bayern,
aufgehalten.
Ein Epitaph ist eine Gedächtnisplatte für
einen Toten, aber vom Grab getrennt. Wie der Eintrag
im Totenbuch der Münsterpfarrei in Villingen
belegt, ist am 26. Januar 1810 morgens zwischen
drei und vier Uhr gestorben und am 28. Januar nachmittags um 14.00 Uhr von Pfarrrektor
Wittum beerdigt worden, der Hochwürdige und
Hochgeborene Herr Anselm Schababerle, 49igster
und letzter Abt des aufgelösten Benediktinerstifts
St. Georgen. Wann das Epitaph in der
Kirche aufgestellt wurde, ist unbekannt.
Wenn man heutzutage als Bewohner von Villingen
oder Besucher der Stadt an einem Samstagvormittag
in die Benediktinerkirche kommt, kann man sich
vielleicht an einer „Orgelmusik zur Marktzeit”
erfreuen. Das war nicht immer so.
Im Rahmen der Festwoche anlässlich der Weihe
der rekonstruierten Villinger Johann-Andreas-
Silbermann-Orgel von 1752 im September 2002
hatte der damalige Münsterkantor Christian
Schmitt die Idee, an einem Samstag eine – wie er
es nannte – „Orgelmusik zur Marktzeit” zu spielen.
Es sollte auch den Besuchern des Wochenmarktes
auf dem Münsterplatz zu einer günstigen Tageszeit
Gelegenheit gegeben werden, sich das herrliche
Instrument nicht nur anzusehen, sondern vor allen
Dingen auch anzuhören.
In der kleinen verpfändeten ehemals Freien Reichsstadt Waibstadt im Fürstbistum Speyer beobachtete der Schultheiß Salomon Meckesheimer seit Jahren mit zunehmender Sorge die Regierungstätigkeit seines Landesvaters Bischof Eberhard
von Dienheim (1581-1610). Er konnte nicht ahnen, was die kritischen Geschichtsschreiber des 20. und 21. Jahrhunderts nach 400 Jahren über seinen Fürstbischof schreiben würden. Er kannte
nur das, was er selbst erlebte und in Erfahrung brachte, weil er gewöhnt war, über seinen Waibstadter Tellerrand hinauszublicken.
Die Ottilienbergkapelle
(2015)
Einzelfunde belegen, dass der Ottilienberg seit der Steinzeit von Menschen aufgesucht bzw. besiedelt wurde. Auch lässt sich eine nicht eindeutig datierbare alte Befestigung des Berges mit einer Stein-Erde-Ringmauer ausmachen. Darauf deuten Pfostenlöcher hin, die 1952 und 1973 bei Erdarbeiten für die Gebäude am Südwestrand ausgemacht werden konnten. Reste des alten wohl vorgeschichtlichen Randwalles mit drei Pfostenreihen und vorgeblendeter Trockensteinmauer sind
nur am Abschnittswall erhalten geblieben. 1 Die übrigen Reste dieser Befestigungsanlage fielen spätestens der Verschanzung des Berges im Zuge des Ausbaus der Eppinger Linien 1695 - 1697 zum Opfer. Damals wurde die Bergkante abgeböscht
und der heute noch bestehende doppelte Ringwall geschaffen.
Die Anfänge des Villinger Benediktinergymnasiums
um die Mitte des 17. Jahrhunderts liegen
im Dunkeln. Erst unter Georg III. Gaisser (1685-
1690) sind Initiativen zum Ausbau von Kloster
und Schule deutlich sichtbar. Der Abt schilderte
dem Magistrat mehrfach die beengten Verhältnisse
und konnte 1687 mit der Stadt einen Vertrag über
den Neubau von Kirche und Konventsgebäude
samt Schule abschließen. In der Folge mussten
noch Einzelfragen geklärt werden. Am 16. Juni
1689 teilte er der Stadt mit, er habe „von deß
Herren Prälatens zu Zwifalten Hochwürde einen
Bawverständigen Patrem, so in dergleichen Sachen
schon vil Jahr practicirt“, zugewiesen bekommen.
Dieser habe ihm viele wertvolle Hinweise gegeben
und insbesondere einen Plan „zu einem Gymnasio“
mit den zugehörigen Nebengebäuden erstellt,
den er „den Herren Nachparen selbst unter die
Augen legen“ wolle.
Franz Sales Wocheler kann als typisches Beispiel
für Vorbildung und Tätigkeit eines Lehrers am
hiesigen Benediktinergymnasium und überhaupt
an einer Ordensschule gelten. In einem Brief an
den Konstanzer Generalvikar Wessenberg gibt er
an, „Studiersucht” und der Wunsch nach „einer
für Kirche und Staat nützlichen Beschäftigung”
hätten ihn zum Ordenseintritt in Villingen motiviert.
Er zeigt sich damit nicht nur von der josephinischen
Aufklärung, sondern auch vom Ideal des gelehrten
Mönchs geprägt, das im Lauf des 18. Jahrhunderts
insbesondere die Benediktinerklöster Frankreichs
und Deutschlands durchdrungen hatte.
VS-Villingen – Ganz still und leise, genauso
ruhig und planmäßig, wie das Geschäft seit Jahrzehnten
geführt wurde, ging eine Ära edler Villinger
Handelsgeschichte zu Ende. Feinkost Kiebler
in der Niederen Straße, seit 125 Jahren und über
vier Generationen mit alteingesessenen bekannten
Villinger Familien, wie Häßler, Kiebler, Grimm
und Neininger verknüpft, gibt es nicht mehr.
Inhaber Hansjörg Grimm und seine Frau Brunhilde,
geborene Neininger, schlossen am Samstag
nach Geschäftsschluss die Ladentür des Feinkost-
Geschäftes mit großer Wehmut für immer zu,
setzten so den Schlusspunkt unter ihr und ihrer
Vorfahren Lebenswerk. Viele Jahrzehnte lang war
Feinkost Kiebler Inbegriff und beste Adresse für
lukullische Delikatessen der feinsten Art.
Ein Schatz aus dem Ersten Weltkrieg hat nach
knapp 100 Jahren einen Ehrenplatz in der Villinger
Zehntscheuer gefunden: ein Nageltisch mit
einem Eisernen Kreuz aus dem Brauereigasthaus
Ott, der sich seit Ende der 80er-Jahre im Besitz der
Historischen Narrozunft befindet.
Der Tisch entstand bei einer ungewöhnlichen
Aktion: „Nagelungen waren eine besondere Art
von Wohltätigkeitsveranstaltungen, bei denen in
hölzerne Symbole Nägel eingeschlagen wurden,
die man zuvor gekauft hatte”, erklärt Barbara
Schneider 1998 in ihrem Beitrag über den Ersten
Weltkrieg in der Reihe der Blätter zur Geschichte
der Stadt. Um die Verbundenheit mit der Front zu
zeigen, spendeten die Bürger Geld für Hinterbliebene
oder Soldaten.
Amtmann Hieronymus Bold
(2015)
Den wenigsten Villingern ist der Bezug zu dem
halbrunden Wappenschild mit der Jahreszahl 1582
in der Schulgasse, links von der Benediktinerkirche,
bekannt. Dieses war schon vor dem Neubau
des Münsterzentrums am Haus Nr. 15 angebracht.
Im Jahre 1970 wurde die ganze Häuserzeile (Nr.
11/13/15/17) abgebrochen.
Das Wappen ist das des Hieronymus Bold d. J.
und seiner Frau Luzia, geb. Kegel. Er war, wie
schon sein gleichnamiger Vater, Amtmann des
Benediktiner-Klosters von St. Georgen.
Am 31. Aug. 1967 wurde im Südkurier ein ausführlicher
Bericht über „Das kleine Wappenschild
in der Schulgasse” unter „heimatliche Kostbarkeiten
am Rande der Villinger Stadtgeschichte”
veröffentlicht.
Die bedeutende Familie Bold wohnte in der
Schulgasse Haus 15, es war das niederste dieser 4
Häuser. Das halbrunde Wappenschild war damals
über der Haustüre eingemauert.
Verbum Dei manet in aeternum
(2015)
Predigt und theologische Lehre ereignen sich nicht im luftleeren Raum. Sie sind Deutung und Orientierung konkreten Ergehens im Licht des Wortes Gottes. Wenn Sie heute freundlicherweise der Einladung zu einem Gespräch zum Thema Wort Gottes, Kirche und Konfession im Licht der Barmer Theologischen Erklärung gefolgt sind, wissend, dass dieses Gespräch durch mein mit dem 1. November 2008 wirksam gewordenes Ausscheiden aus dem aktiven Kirchendienst veranlasst ist, so möchte ich einstimmungsweise jetzt zunächst bedeuten, dass ich im Folgenden keinen abgerundeten theologischen Vortrag anbieten werde. Ich möchte vielmehr versuchen, das, was Predigt und Lehre, Gemeindeleben und kirchliches Handeln in dieser Zeit, die ich gelegentlich mitverantwortlich begleiten durfte, manchmal subkutan und eher
verborgen, manchmal aber auch ganz offenkundig geprägt hat, gewissermaßen atmosphärisch spürbar zu machen.
Gespräch heißt auf lateinisch sermo. „Sermo“, so hat der für meine Arbeit und mein Selbstverständnis als Pfarrer wichtigste Lehrer, der Heidelberger Dogmatiker Peter Brunner, an bestimmter Stelle ausgeführt, „bedeutet eigentlich ein ruhiges,
gelassenes Gespräch über einen bestimmten Gegenstand, auch eine einfache Rede im Gesprächston.“ Also möchte ich Ihnen heute einen Sermon halten, eine Ansprache und einfache Rede im Gesprächston, eine Nachdenklichkeit über die Farbe der Zeit.
Nun schon seit 15 Jahren wird der Denkmalschutzpreis Baden-Württemberg vom Schwäbischen Heimatbund und dem Landesverein Badische Heimat gemeinsam ausgelobt, wobei die Finanzierung seit 2006 der Wüstenrot Stiftung zu verdanken ist. Alle zwei Jahre werden jeweils fünf vorbildliche Beispiele prämiert. Das Preisgericht setzt sich zusammen aus Vertreterinnen und Vertretern der beiden auslobenden Vereine, der Wüstenrot Stiftung, der Landesdenkmalpflege, des Städtetags Baden-Württemberg und der Architektenkammer Baden-Württemberg.
Für Jahrtausende stellte in Mitteleuropa der
Wald die wichtigste Energie- und Rohstoffressource dar. Das änderte sich erst ab dem
18. Jahrhundert durch die vermehrte Verwendung von Steinkohle und im 20. Jahrhundert
dann in großem Ausmaß durch den Einsatz
von Erdöl. Mineralöle dienen heute nicht nur
als Energieträger, sondern prägen als Ausgangsmaterial für Kunststoffe unsere Lebenswelt. Alltägliche Gebrauchsgegenstände wie
Löffel, Schöpfkellen, Schüsseln, Eimer, Fässer, Leiterwägen etc. wurden früher aus Holz
hergestellt. Inzwischen ist vieles, was wir permanent benutzen – zumindest teilweise – aus
Plastik. Im Zuge dessen verschwand der Wald
als Wirtschaftsraum nach und nach aus dem
Alltag der meisten Menschen und avancierte
stattdessen zum Erholungsort für die bürgerliche Gesellschaft. Als Ort für vielfältige Freizeitaktivitäten hat der Wald seitdem immer
mehr an Bedeutung hinzugewonnen.
Die Historische Hochwasserforschung ist ein noch relativ junges Teilgebiet der Historischen Klimatologie, das sich insbesondere in den letzten Jahrzehnten einen eigenständigen Platz innerhalb
der Klimaforschung erarbeitet hat. Ihr Ziel ist es, lange Reihen von Hochwasserereignissen zu
bilden und extreme Ereignisse zu rekonstruieren, wozu ihr prinzipiell zwei Erkenntnispfade offenstehen: Für den langen und mittleren Zeithorizont von Tausenden von Jahren steht ihr der
naturwissenschaftliche Zugang über die dendrochronologische Analyse von Althölzern aus den
Auenbereichen der Flüsse offen, über die auf bis sehr weit in die Vergangenheit zurückreichende
Hochwasserereignisse geschlossen werden kann. Für den mittleren und jüngeren Zeithorizont
von rund 1.200 Jahren lassen sich die Reihen und Informationen über einen hermeneutischen
Zugang auf der Basis von schriftlichen und gegenständlichen Quellen generieren. Damit stehen
zwei voneinander unabhängige Proxies zur Verfügung, die auf unterschiedlichen zeitlichen und
räumlichen Skalen ihre Anwendung finden und zur wechselseitigen Verifikation herangezogen
werden können.
Es ist nicht ganz ungewöhnlich, dass im Alemannischen Institut nach Schätzen gesucht wird, aber
meist handelt es sich dabei um neue und überraschende Entdeckungen aus der Welt der Geisteswissenschaften, vor allem jener, welche die Menschheitsgeschichte betreffen. Bei der Tagung „Landesschätze unserer Zukunft“ von 2012 ging es jedoch diesmal um sehr konkrete Schätze aus der
Natur, auf die sich das Augenmerk richtete: Rohstoffe und Energieträger in Baden-Württemberg.
Keine prosperierende Wirtschaft kommt ohne Rohstoffe aus. Rohstoffe zu finden, sie zu bewerten, sie schließlich zu gewinnen und zu nutzen geht nicht ohne Rohstoffforschung. In Zeiten
sich abzeichnender weltweiter Rohstoffverknappung und -verteuerung ‒ und das betrifft nicht
nur das Erdöl ‒ drängt sich die Frage auf, wo und wie welche Rohstoffe in Baden-Württemberg
erforscht, erschlossen und genutzt werden können. Die historische Forschung hat zusammen mit
den Naturwissenschaften für eine realistische Einschätzung des Klimawandels in den vergangenen Jahrzehnten bereits bahnbrechende Erkenntnisse erzielt. Auch für den Bereich der Prospektion auf besonders wichtige oder seltene Bodenschätze sind aus Geschichte und Archäologie
zentrale Hinweise zu erwarten. Die weitere Forschung und die Schaffung interdisziplinärer Vernetzungsstrukturen der betreffenden Wissenschaftler sind bedeutende Ziele für die kommenden
Jahre.
Am 28. Juli 2014 verstarb unser langjähriger
geschäftsführender Vorsitzender Prof. Dr.
Hans Ulrich Nuber nach kurzer, schwerer
Krankheit – spes contra spem. Im April hatte
er sich bei der Mitgliederversammlung – in
verantwortungsvoller Vorausschau auf die
schwierige Zeit der Behandlung in der Klinik – von den vielfältigen Pflichten der geschäftsführenden Vorstandschaft entbinden
lassen, sich aber voll Vertrauen in die Zukunft
zum stellvertretenden Vorsitzenden wählen
lassen. Dem Institut auf diese Weise eng verbunden zu sein und es mit seinem Rat zu unterstützen, ohne jedoch regelmäßige Pflichten zu haben, das war ihm leider nicht mehr
vergönnt. In der knappen ihm geschenkten
Zeit hat er maßgeblich seine Nachfolge vorbereitet und dabei für eine mehr naturwissenschaftliche Ausrichtung Sorge getragen.
Am 8. August 2012 starb Prof. Dr. Sönke Lorenz, der viele Jahre im Vorstand des Alemannischen Instituts gewirkt hat, insbesondere in
seiner Funktion als Leiter der Außenstelle
Tübingen. Das Institut ist ihm für sein wissenschaftliches Engagement und die jahrelange ehrenamtliche Arbeit zu tiefem Dank
verpflichtet. Wir alle betrauern zutiefst seinen
Tod.
Obgleich seine Krankheit seit vielen Jahren sein Leben überschattete, hatte er diese
Beeinträchtigung doch immer wieder mit
bewundernswerter Energie überwunden und
sich mit aller Kraft in den vielfältigen Dienst
der Landesgeschichte gestellt, um die einmal
übernommenen Verpflichtungen zu erfüllen.
2015 gelang es, im Regierungsbezirk Karlsruhe zwei
neue Naturschutzgebiete auszuweisen. Eines davon,
das Naturschutzgebiet „Nüstenbachtal, Hessental und
Masseldorn“ auf Gemarkungen der Stadt Mosbach,
wird hier beschrieben. Es umfasst auf ca. 149 ha die
Lebensräume der weitgehend naturnah verlaufenden
Talaue des Nüstenbachs mit den angrenzenden
Hangbereichen. Gegeben und typisch für das Landschaftsbild
der naturräumlichen Einheit „Bauland“ ist
ein kleinstrukturiertes Mosaik aus wärmeliebenden
Gebüschen, mageren Wiesen, Halbtrocken- und Trockenrasen
sowie ortsumschließenden Streuobstwiesen,
entstanden durch extensive landwirtschaftliche
Nutzung. Das neue Naturschutzgebiet ist aufgrund
der nachgewiesenen Artvorkommen von landesweiter
Bedeutung. Wir fanden eine vom Aussterben bedrohte
Art (das Graue Langohr Plecotus austriacus),
zwölf stark gefährdete Arten (Bienen- und Hummelragwurz
Ophrys apifera, O. holoserica, Wendehals
Jynx torquilla, Graues Langohr Plecotus austriacus,
Mopsfledermaus Barbastella barbastellus, Steinkrebs
Austropotamobius torrentium, Hirschkäfer Lucanus
cervus, Kurzschwänziger Bläuling Cupido argiades,
Großer Feuerfalter Lycaena dispar, Wegerich- und
Roter Scheckenfalter Melitaea cinxia und M. didyma,
Flockenblumen-Grünwidderchen Adiscita globulariae)
sowie sehr zahlreiche gefährdete Arten; keine der
umfassend untersuchten Artengruppen (Blütenpflanzen,
Fledermäuse, Vögel, Schmetterlinge und Heuschrecken)
war verarmt. Eine naturschutzfachliche
Besonderheit dieses Gebietes ist die Ausdehnung und
Qualität der Mähwiesen: Mit 53 ha stellen artenreiche
Ausprägungen des Lebensraumtyps der Mageren
Flachland-Mähwiese den weitaus überwiegenden
Anteil des Grünlandes im Gebiet. Sie sind in dieser
Ausdehnung und vor allem in zusammenhängender
Fläche so im Neckar-Odenwald-Kreis sonst nicht
mehr zu finden. Eine Ausweisung als Naturschutzgebiet
würdigt und schützt sowohl die Existenz der zahlreichen
gefährdeten Lebensraum-Typen und Arten als
auch die vorhandenen, nach Bundes- und Landesnaturschutzgesetz
besonders geschützten Biotope
und konkretisiert die zu ihrem Schutz notwendigen
Regeln. Gefährdungen bestehen durch Zunahme der
Freizeitnutzung und durch den Rückgang der heute
gegebenen, südlich der Ortschaft Nüstenbach vorbildlichen,
extensiven landwirtschaftlichen Nutzung.
Durch die Aufnahme in die höchste Schutzkategorie
der Kulturlandschaften Baden-Württembergs werden
dem Gebiet sowohl die angemessene ordnungspolitische
Aufmerksamkeit als auch die finanziellen Fördermöglichkeiten
des Landes gesichert.
Carolinea. – 73 (2015)
(2015)
Im Juni 1940 geht bei dem „Herrn Obmann der Rechtswissenschaftlichen Fakultät Heidelberg“ das vom 11. Juni 1940 datierende Schreiben des Oberbürgermeisters Dr. Otto Gönnenwein in Schwenningen am Neckar ein, mit dem dieser um „Zulassung zur Habilitation an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät“ nachsucht. Dem Gesuch sind beigefügt ein ausführlicher Lebenslauf, ein vorläufiges Zeugnis der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen über die Erlangung der juristischen Doktorwürde, der wissenschaftliche Aufsatz „Das Normenprüfungsrecht der Verwaltungsbeamten und die Grenzen der Gehorsamspflicht“ sowie als Habilitationsschrift das Buch „Das Stapel- und Niederlagsrecht“.
Am 26. September 2013 stieß der Eppelheimer Bildhauer Günter Braun bei Abwasserarbeiten auf seinem Grundstück in der Seestraße 78 auf einen etwa 40 x 40 cm großen, aus Sandstein gemauerten Kanal. Dieser durchquert in ca. 2 m Tiefe vom Eppelheimer Ortskern kommend sein Grundstück und führt von dort hinaus aufs Feld in Richtung Mannheim. Günter Braun legte diesen Kanal auf eine Länge von ca. 2 m frei und schützte ihn durch ein provisorisches Dach. Die hinzugerufenen Experten, der Eppelheimer Heimatforscher Hans Stephan und Dr. Renate Ludwig, Archäologin und Denkmalschützerin im Kurpfälzischen Museum, bestätigten übereinstimmend, dass es sich hier um ein bisher unbekanntes Teilstück der
„Traitteur‘schen Wasserleitung“ handelt. Frau Dr. Ludwig lobte zwar die vorbildlich vorgenommene Freilegung, empfahl aber zugleich, den Fund wieder einzugraben, um ihn so optimal zu konservieren. Letztlich überließ sie es aber Herrn Braun als Grundstückseigner, wie er damit umgehen wolle. Der entschied sich dafür, die Fundstelle offen zu lassen und so zu präparieren, dass sie jederzeit öffentlich einsehbar ist. Dazu hat er inzwischen die Grubenwände befestigt und mit einer Trittleiter versehen, ein wetterfestes Dach darüber gebaut und eine große Schautafel angebracht, in der
anschaulich der geplante Verlauf und die Geschichte der „Traitteur‘schen Wasserleitung“ dargestellt sind.
Um Salomon de Caus, einen Mann mit vielen Talenten und Interessen, ranken sich zahlreiche Legenden. Einige Aspekte seines Schaffens wurden in den Rang von bedeutender Großartigkeit erhoben, andere fielen unter den Tisch. So entstanden schiefe Bilder, die es zurechtzurücken gilt. Beim aufmerksamen Quellenstudium und Lesen seiner hinterlassenen Schriften schiebt sich ein anderes und keineswegs unbedeutenderes Bild in den Vordergrund: das Bild des frühneuzeitlichen Ingenieurs.
„Liebe Mitbürger! Als der gewaltige Kampf ausgebrochen war, in dessen Mitte wir jetzt stehen, da drangen in rascher Aufeinanderfolge die Nachrichten von Siegen und Fortschritten unseres Heeres zu uns in die Heimat, so daß wir hoffen konnten, wie vor 40 Jahren in Bälde einen entscheidenden Sieg erleben zu dürfen. Es ist anders geworden. Die Uebermacht, die uns von allen Seiten bedrängte, war zu groß, die Arbeit, die unsere Heere zu leisten hatten, zu gewaltig, sodaß wir bald erkennen mußten, daß noch schwere Kämpfe und ein langes mühevolles Ringen erforderlich seien, und daß die gebrachten Opfer an Gut und Blut noch ganz gewaltig anwachsen müssen, ehe wir den ersehnten Tag des Sieges erleben würden.“ So Oberbürgermeister Ernst Walz (1859–1941; OB seit 1914) am 29. November 1915 auf dem Ludwigsplatz (heute: Universitätsplatz), als dort einige erbeutete belgische Geschütze aufgestellt wurden. Seine Worte spiegeln recht gut die Gefühle wider, die die deutsche und die Heidelberger Bevölkerung seit August 1914 durchlebt hatten. Zunächst die Euphorie der ersten Kriegsmonate und die sichere Erwartung eines schnellen Sieges im Westen („Weihnachten sind wir wieder zu Hause“). Nach den deutschen Niederlagen an der Marne und beim „Wettlauf zum Meer“ blieb der nach dem Muster von 1870/71 als Bewegungskrieg geplante Krieg an der Westfront schon Ende November 1914 stecken. Es folgte ein extrem verlustreicher Stellungskrieg auf beiden Seiten; der Frontverlauf änderte sich bis Anfang 1918 nur unwesentlich.
Es gibt nicht viele Dinge, die so stark in alle Bereiche unseres Lebens strahlen wie die Bedrohung durch einen Krieg. Die Bandbreite der Emotionen bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges lässt sich nicht bis ins letzte Detail beschreiben. Es können lediglich Kategorien genannt werden, die die Gefühlslage der Menschen umreißen. Aber aus ihren Handlungen können Indizien abgeleitet werden, die eine Gefühlsdeutung ermöglichen. Die Aufstellung einer bewaffneten Bürgerwehr im Stadtbezirk Heidelberg Anfang August 1914 kann in diesem Sinne als ein dringendes Bedürfnis nach Sicherheit bewertet werden, das diese in einer Umgebung „voller“ möglicher Gefahren stillen sollte. Wie dem obigen Zitat aus dem Tagebuch der Rohrbacherin Margarethe Schmidt zu entnehmen ist, fühlten sich einige Bevölkerungsteile inner- und außerhalb des Heidelberger Stadtgebietes äußerst bedroht. Die sogenannte „Spionageangst“ griff um sich und führte dazu, dass es landesweit zu regelrechten Hetzjagden auf vermeintliche Spione kam, denen eine hinterhältige Invasion aus dem Landesinneren zugetraut wurde. Als sich diese Angst als unbegründet erwies, verschwand die Bürgerwehr genauso schnell von der Bildfläche, wie sie zuvor aufgetaucht war. Dass 1918 nach Kriegsende eine „Volkswehr“ aufgestellt wurde, ist ganz anderen Gründen zuzuschreiben.
Gedenken gestalten
(2015)
Am 22. Oktober 2015 jährt sich die NS-Deportation der Heidelberger Juden in das südfranzösische Internierungslager Gurs zum 75. Mal. Im Rahmen der ersten planmäßigen Massendeportation von Juden aus dem Deutschen Reich wurden auf Betreiben des Gauleiters von Baden, Robert Wagner, sowie des saarpfälzischen Gauleiters Josef Bürckel über sechstausend jüdische Bürgerinnen und Bürger aus Baden, der Pfalz und dem Saarland von der Gestapo und französischen Behörden nach Gurs verschleppt. Viele dieser Opfer wurden daraufhin weiter in Konzentrationslager und Vernichtungslager im Osten deportiert. Darunter waren auch mindestens 299 Heidelbergerinnen und Heidelberger. Frühmorgens am letzten Tag des jüdischen Laubhüttenfestes „Sukkoth“ wurden sie von Gestapobeamten in ihren Wohnungen verhaftet und unter den Augen der Öffentlichkeit zum Gleis 1a des alten Hauptbahnhofes transportiert. Mit Sonderzügen erfolgte gegen 18.15 Uhr ihre vier Tage andauernde Deportation ins südfranzösische Lager Gurs. 208 der Heidelberger Jüdinnen und Juden, die nach Gurs deportiert worden waren, starben dort oder in anderen Lagern.
Dem aus Schlesien stammenden Dichter Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff (1788–1857) sind in Heidelberg mehrere Orte der Erinnerung gewidmet. Der heutige Eichendorffplatz im Stadtteil Rohrbach, dessen Fläche ein nach Norden ausgerichtetes asymmetrisches Trapez bildet, wird von vier Straßen eingefasst: von der Karlsruher und der Heidelberger Straße an den Langseiten, von der Eichendorffstraße im Norden und von der Karlsluststraße im Süden. Der alte „Denkstein“ von 1938 ist heute von Efeu überwuchert. Seinen heutigen Namen erhielt der Platz 1938, vorher wurde dieses Areal „Kreuz“ (oder „Am Kreuz“, „Kreuzplatz“) genannt, nach einem steinernen Kruzifixus von 1732, der damals auf den Friedhof versetzt wurde, wo er heute noch steht.
Dank an Jochen Goetze
(2015)
Lieber Herr Goetze, anlässlich unserer heutigen Mitgliederversammlung möchten wir uns gerne bei Ihnen für Ihr langjähriges Engagement im Heidelberger Geschichtsverein und insbesondere für Ihre Tätigkeit in der Jahrbuch-Redaktion bedanken. Auch als Autor waren Sie von Anfang an dabei und es gibt kaum ein Jahrbuch, in dem kein Beitrag von Ihnen zu finden ist, aber darauf werde ich später noch eingehen. Zunächst wird es etwas persönlich. Als mich vor ein paar Wochen die Bitte erreichte, Sie mit einer kleinen Laudatio zu ehren, habe ich mich spontan dazu bereit erklärt, da ich mich in gewisser Weise als Ihr Schüler empfinde. Die Erinnerungen an Ihre Lehrveranstaltungen, die ich als Student zu Beginn der 1980er Jahre besucht habe, sind mittlerweile natürlich sehr selektiv. Im Gedächtnis geblieben ist mir insbesondere Ihre Erläuterung eines Siegels und was man aus den darauf abgebildeten Personen und Gegenständen alles erfahren kann, und zwar nicht nur im Hinblick auf die Rechtsstellung hansischer Kaufleute, sondern auch über mittelalterlichen Schiffsbau und andere Aspekte der materiellen Kultur. In der Rückschau zählen Sie zu den fünf bis sechs Lehrerpersönlichkeiten an Schule und Hochschule, die spezifische Interessen bei mir geweckt und mir Zugänge zu neuen Themenbereichen erschlossen haben.
Ludwig V. und seine Brüder
(2015)
Mit der Revolution von 1525 beginnt die Geschichte der deutschen Demokratie. Bei dem Historiker Peter Blickle, der die Bauernkriegsforschung auf neue Füße stellte, heißt es: „Die vorwaltende mittelalterliche Vorstellung, Herrschaft sei eine angeborene und gottgewollte Fähigkeit des Adels wurde substituiert […] durch die Überlegung, Herrschaft werde durch einen willentlichen Akt des politischen Zusammenschlusses konstituiert.“ Trotz seiner vernichtenden Niederlage hat sich der Aufstand des Gemeinen Mannes, den auch die Zeitgenossen schon verkürzend „Bauernkrieg“ nannten, tief in das deutsche Gedächtnis eingebrannt. Generationen von allgemein und regional Forschenden haben nicht nur Quellen gesichtet und narrative Zusammenhänge geprägt, sondern auch verschiedenartige Deutungen erarbeitet. Von Interesse könnte die Feststellung sein, dass zwei der bedeutendsten Bauernkriegshistoriker in Heidelberg waren: Günther Franz lehrte hier von 1935 bis 1937 Mittlere und Neuere Geschichte; obwohl er
sich nach 1945 von der NS-Ideologie nie lossagte, ist seine Forschungsleistung unbestritten. Max Steinmetz begann sein Studium 1932/33 in Heidelberg als NS-Student und schloss es 1940 in Freiburg mit einer Dissertation über Ludwig V. ab. Erst in sowjetischer Kriegsgefangenschaft wurde er zum Marxisten und später zum führenden DDR-Historiker des Bauernkriegs. Aber dieses forschungsgeschichtliche Panorama kann hier nicht eröffnet werden. Die Ereignisse des Jahres 1525 für Heidelberg darstellen zu wollen, erschiene ein müßiges Unterfangen. Heidelberg war 1525 keine ‚Zitadelle des Aufruhrs‘ wie 1968, sondern eine Zitadelle der Repression. Auf dem Schloss sammelten sich einige aus ihren Residenzen vertriebene Landesherren, und von hier aus startete der vernichtende Feldzug gegen die Bauernheere im Kraichgau, in Franken und in der Pfalz. In der Residenzstadt selbst blieb es äußerlich ruhig.
Die Brüder Adam (1877–1951) und Hermann Remmele (1880-1939) repräsentierten die beiden Flügel der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung. Ihr Konflikt wird in diesem Beitrag auf dem Hintergrund unterschiedlicher Organisationserfahrungen im Rhein-Neckar-Raum beschrieben, in dem sie bis 1919 aktiv waren. Die Arbeiterbewegung war hier sehr unterschiedlich ausgeprägt. Einfluss auf die Entwicklung der Brüder hatten möglicherweise auch ihre unterschiedlichen Berufsperspektiven – auf der einen Seite ein sterbendes Gewerbe, das zur Anpassung zwang, und auf der anderen Seite ein
Arbeitsplatz in der Metallindustrie, Träger der hochindustriellen Entwicklung. Beide jedoch machten ihren Weg in politische Führungspositionen.
Eine französische Lehrerin aus dem besetzten Elsass, Hélène Garnier, wird umgeschult, nach Wieblingen und Edingen versetzt und unterrichtet dort bis zum Einmarsch der Amerikaner 1945. Die zwangsweise Umschulung elsässischer Lehrer und Lehrerinnen nach der Besetzung des Elsass ist ein wenig bekanntes Kapitel der deutsch-französischen Geschichte des Zweiten Weltkriegs, das wir – Daniel Morgen und Günter Lipowsky – in dem 2014 erschienenen Buch mit Hilfe von etwa hundert Zeitzeugenaussagen und an Hand der vorhandenen Archivalien in den Archiven des Oberrheins
schildern und analysieren.
Die Frauenrechtlerin und Germanistin Dr. Elise Dosenheimer schrieb 1959, kurz vor ihrem Tod in New York, an ihre Nichte: „Was mich betrifft, so geht es mir nicht immer glänzend, trotz des Zimmers für mich allein. Man wandelt nicht ungestraft unter Palmen, wie ihr wisst, und man wandelt auch nicht ungestraft unter 90 Jahren. Tragik des Alters.“ Mit den Zitaten aus Virginia Woolfs „Ein Zimmer für sich allein“ und Goethes „Wahlverwandschaften“ benennt Elise Dosenheimer die beiden schwersten Kämpfe ihres 90-jährigen Lebens: Sie kämpfte für einen privaten und öffentlichen Raum für Frauen, „ein Zimmer für sich allein“, das sie schließlich in Heidelberg fand; sie wurde als Jüdin von Heidelberg nach Gurs deportiert und floh von dort nach New York, an einen Ort in der Fremde, an dem sie, in Goethes Worten, nicht ungestraft unter Palmen wandelte, weil sie durch ihre Flucht zu einem anderen Menschen geworden war.
Es gibt zwei konkurrierende Thesen zum Lebenslauf des historischen Faust. Eine alte These, die auf Johannes Manlius zurückgeht und dessen berühmten Lehrer Philipp Melanchthon als Zeugen für die Geburt des umstrittenen Magiers in Cundling (d.h. Knittlingen), mit dem Vornamen Johann, angibt. Die andere, entgegengesetzte These erschien erst 1913 mit der Edition von Kilian Leibs Wettertagebuch durch Karl Schottenloher. Mit einer knappen Aufzeichnung in diesem Werk kam zum ersten Mal ans Licht, dass Faust, mit Vornamen Georg, nun als einer von Helmstadt bei Heidelberg identifiziert wurde. Man möchte also wissen: Stammte Faust nicht aus Knittlingen, sondern aus Helmstadt? Hieß er Johann oder Georg? Was bedeutet dieser Unterschied? Der Streit um die Frage der Herkunft schuf jedenfalls Verwirrung und hat zur Folge, dass man nicht mehr glaubt, es könne eine klare Linie von den historischen Anfängen zur Legende und schließlich zum mythischen Faustbuch von 1587 gezeichnet werden.
Das mir zugedachte Thema erlaubt, ja verlangt es, wie jedes andere, hinterfragt zu werden. „Heidelberg – Stadt der Dichter“, ohne Fragezeichen so hingesetzt – kann man das ernsthaft behaupten? Gibt es tatsächlich vor Ort eine durch die Jahrhunderte sich fortzeugende literarische Tradition, die etwa von Goethe bis Hilde Domin reichen könnte und so lebendig, produktiv und untereinander bindend ist, dass sie das Attribut rechtfertigt? Wem aber „Stadt der Dichter“ doch etwas hochstapelnd vorkommt, der könnte ja immer noch auf „Stadt der Poesie“ ausweichen, das klingt allgemeiner, die Landschaft spielt mit herein sowie das Große und Ganze der Kunst, Burgruine und Brücke: Heidelberg als „Symbol der Poesie“ und „geweihte Stätte“, als „Wallfahrtsort unserer Dichtung“. Mit solchen heute leicht verstiegen klingenden Formeln feiert Philipp Witkop, einst Heidelberger Student, ab 1910 Germanistik-Professor in Freiburg, in seinem grundlegenden Buch „Heidelberg und die deutsche Dichtung“ von 1916 eine imaginierte, eine spät- oder neuromantisch erträumte Stadt, die schon damals nicht in die ernüchterte (Kriegs-)Zeit passte und in die heutige erst recht nicht, wo man Begriffe wie Transzendenz, Schöpfertum, Genieglaube ja längst höhnisch verabschiedet hat und emsig auf Vermarktung, Vernetzung und Verwurstung baut.
Brezeln aus Heidelberg
(2015)
In Heidelberg werden schon seit Jahrhunderten Brezeln gebacken und gekauft, was nicht nur die in Stein gehauenen Brezel-Maße bei den Verkaufsnischen an der Südseite der Heiliggeistkirche belegen. 1921 kamen beinahe zeitgleich Wilhelm Käferle in der Altstadt und die Brüder Jakob und Otto Lulay in der Weststadt auf die für Heidelberg neue Idee, kleine Brezelchen „Freiburger Art“ in Tüten zu verpacken und das lange haltbare Salzgebäck in Gastwirtschaften und Lebensmittelgeschäften als Beiwerk zu Bier oder Wein anzubieten. Im Laufe der 1920er Jahre gründeten sich in Heidelberg noch mehrere kleine Brezelfabriken, die jedoch nur wenige Jahre existierten. Die zuerst gegründeten Firmen erwiesen sich auch als die langlebigsten, Käferle und Lulay existierten über 50 Jahre lang. Da Wilhelm Käferle seine Fabrik wenige Wochen früher als die Brüder Lulay gegründet hatte, konnte er sie mit Recht „Erste Heidelberger Brezelfabrik“ nennen. Zur größten und bekanntesten aller Heidelberger Salzgebäck-Fabriken entwickelte sich die Firma Lulay. Die Quellenlage zur Geschichte dieser Firma ist recht ergiebig. Im Stadtarchiv Heidelberg ist ein Konvolut mit Dokumenten von der Gründung 1921 bis zum Betriebsende 1976 erhalten. Günter Lulay, der 1930 geborene letzte Miteigentümer des Betriebs, stellte sich freundlicherweise als Zeitzeuge zur Verfügung und gab durch seine Erinnerungen und die Bereitstellung aufschlussreicher Bildquellen Einblick in die Firmen- und Familienhistorie. So lässt sich ein fundiertes und detailreiches Bild der Geschichte dieser Brezelfabrik zeichnen.
Als im November 2013 die Denkmaltopographie für den Stadtkreis Heidelberg (im Folgenden DT) mit ihren über 1200 Seiten in zwei Bänden herauskam, waren die ersten Reaktionen in der Presse, bei den öffentlichen Persönlichkeiten und im Bekanntenkreis sehr euphorisch: Soviel Neues an Geschichte, Beschreibungen und Deutungen des Wohnumfelds waren zu entdecken. Im privaten Kreis schlugen nach ein paar Wochen die Reaktionen um: Alle hatten nun einen oder mehrere Fehler gefunden, Widersprüche oder Lücken entdeckt. Viele Fragen erreichten uns. Der Geschichtsverein lud daraufhin zu einer Fachkonferenz Denkmaltopographie ein, die am 26. September 2014 in der Volkshochschule Heidelberg stattfand. Die Teilnahme war lebhaft, fast alle Stadtteile waren vertreten. In der Einladung waren Stellungnahmen zur Bewertung der Denkmaltopographie erbeten. Die Konferenz hatte einen ergiebigen Verlauf. Es gibt ein knappes Protokoll, ein paar Statements, E-Mails und den Auftrag an mich, einen Bericht zu schreiben. Der Tenor war sehr einhellig: Die DT wurde als wichtiges Hilfsmittel für die Stadtforschung begrüßt, im Detail fehlte es dann nicht an Kritik, Korrekturen und Fragen. Im Folgenden will ich meinem Auftrag gerecht werden, indem ich mich weitgehend auf solche Themen und Beispiele beschränke, mit denen ich selbst mich befasst habe. Darüber hinaus gilt mein Dank allen, die mit ihren Anregungen zur Diskussion beigetragen haben. Besonders hervorheben will ich die Beiträge von Georg Machauer zum Pfaffengrund, von Walter Petschan zu Wieblingen und von Tobias Städtler zu Ziegelhausen.
Im September 2014 befand sich das historische Studentenlokal „Zum Roten Ochsen“ in der Heidelberger Altstadt seit 175 Jahren im Besitz der Familie Spengel. In der bis heute nahezu unveränderten Gaststube wird diese Tradition spürbar. Als sei die Zeit stehen geblieben, hängen von der Decke historische Trinkhörner, stehen in den Regalen reich verzierte Bierhumpen, bedecken gut 400 Bilder zumeist von Personen oder Personengruppen die Wände, viele vom ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert, manche zurückreichend bis in die Anfänge der Fotografie. Sie zeigen zahlreiche Studentenverbindungen, aber auch prominente Gäste und natürlich die ebenfalls nicht unbekannten Generationen von Gastwirten selbst. Zusammen mit 30 Gästebüchern legen sie ebenso ein beredtes Zeugnis von der bewegten Geschichte des Studentenlokals ab wie die zahllosen Ritzereien und Beschriftungen auf Tischen, Wänden und Decken.
CityCult-Projekt
(2015)
Kann man mit 13 bis 16-jährigen Jugendlichen in einer knappen Woche wesentliche Einsichten und Erfahrungen zu einem viele Generationen entfernten historischen Geschehen, dem Ersten Weltkrieg, entstehen lassen? Vom 27. bis 31. Oktober 2014 (in den Herbstferien) versuchten dies ca. 25 Jugendliche aus Heidelberger Gymnasien, zusammen mit einem Team aus Referendaren, Studierenden, Wissenschaftlern, Lokalhistorikern und jungen FSJlern – eingeladen vom Jugendtreff CityCult (einer Kooperation der Evangelischen Altstadtgemeinde Heidelberg- Providenz mit der Stadt Heidelberg). Der thematische Fokus lag auf „Heidelberg im Ersten Weltkrieg“, was möglich machen sollte, den lokalen Bezug, Orte, Namen, Geschehen zu nutzen und zugleich in Institutionen vor Ort zu forschen. Projektarbeit braucht Nähe, sie versucht, Wirklichkeiten plastisch und begrifflich zu erfassen, sich über die noch verfügbare Erinnerung von Menschen, die Teilhaber und Zeitgenossen waren, ein Bild zu machen. Sie ist keine didaktische Spezialmethode, sondern von Anspruch und eigener Geschichte aus betrachtet der Versuch, durch erfahrungsgeleitetes, aktives und selbstständiges Lernen Bildungsprozesse tief zu verankern. Vage Begriffe wie „Erlebnis, Tun, Begegnung“ versuchen die aktivierende und prägende Wirkung von Erfahrung in sozialen und kulturellen Umwelten zu erfassen. Die klassische Projektidee verbindet anspruchsvolle, realistische und relevante Aufgaben, ein hohes Maß an Mitwirkung und Eigenaktivität von SchülerInnen, gemeinsame Planungsprozesse, die Einbeziehung der Sinne und die von Kognitionsstrukturen sowie eine unverkennbare interdisziplinäre Produktionsorientierung.
Ihre Entführung im Jahre 1623 war der wohl größte Kulturverlust der Kurpfalz. Rund 3700 mittelalterliche und frühneuzeitliche Handschriften und etwa 13.000 Inkunabeln und Druckschriften aus der Heidelberger Heiliggeistkirche gelangten als Kriegsbeute der Katholischen Liga in die päpstliche Bibliothek. Diese Schätze sind heute unter der allgemein üblichen Bezeichnung Bibliotheca Palatina bekannt. Diese ist ein Sammelbegriff für die ursprünglich separaten Bestände der Heidelberger Universität, des Heidelberger Schlosses und der von Ulrich Fugger (1526–1584) übernommenen Bibliothek, die nach und nach, aber nie ganz vollständig, auf den Emporen der Heiliggeistkirchen vereinigt worden waren. Es handelt sich hauptsächlich um deutsche und lateinische Handschriften, aber auch um griechische, hebräische, arabische und türkische. Mit den 845 deutschsprachigen Handschriften kehrte 1816 ein wesentlicher Bestandteil der Bibliotheca Palatina nach Heidelberg zurück. Dort kam als Aufbewahrungsort solcher
Schätze – nach dem Ausscheiden von Hof und Kirche als Kulturträger – nur noch die aufblühende Universität infrage.
„Warum erinnern? Wäre es nicht viel leichter einfach zu vergessen? Warum Vergangenes in unserer Gegenwart und Zukunft weiter ,erleben‘, wenn wir es zeitlich schon längst überlebt haben?“ So leitet eine Schülerin aus dem Philosophiekurs des Hölderlin Gymnasiums ihren Essay ein, in dem sie sich mit der Frage auseinandersetzt, wie ihre Generation mit der NS-Zeit siebzig Jahre nach Kriegsende umgehen soll. Die hier aufgeworfenen Fragen
beschreiben sehr gut die Herausforderungen einer heutigen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der Schule. Für einen Großteil der heutigen Jugendlichen ist die faschistische Diktatur Geschichte aus dem Schulbuch geworden, es fehlen mittlerweile familiäre Bezüge. Daher muss die Schule andere Zugänge liefern, die den Schülern nach wie vor die Wichtigkeit einer intensiven Aufarbeitung dieser Zeit vor Augen führt. Ein Beispiel für eine schülerorientierte Annäherung an dieses zentrale Thema der deutschen Geschichte ist ein umfassendes Projekt mit sehr unterschiedlichen schulischen und außerschulischen Heidelberger Akteuren, das im Folgenden vorgestellt werden soll.
Gedenkorte, Gedenktafeln oder Gedenksteine im öffentlichen Raum und an Gebäuden bewahren die Erinnerungen an bedeutende Personen oder an Ereignisse im Wandel der Zeiten. In Nonnenweier weist in der Schmidtenstraße ein Gedenkstein darauf hin, dass auf der gegenüberliegenden Straßenseite bis 1938 die ehemalige Synagoge stand. Mit einer Skulptur in der Wittenweierer Straße, direkt am Rathaus wird an die am 22. Oktober 1940 stattgefundene Deportation jüdischer Mitbürger in das südfranzösische Internierungslager Gurs erinnert. Beide Denkmäler halten nicht nur die Erinnerung an das einstige jüdische Leben im Dorf wach. Sie rufen damit auch die Schicksale der ehemaligen jüdischen Mitbürger ins Gedächtnis zurück, die im Dritten Reich deportiert, planmäßig umgebracht, in den Tod getrieben wurden oder in Folge von Misshandlungen starben. Und letztlich zeugen sie vom geschehenen Unrecht, als ab 1933 auch in Nonnenweier Menschen nur deshalb systematisch entrechtet wurden, weil sie der jüdischen Glaubensgemeinschaft angehörten.
Auch die Provinzstadt Lahr blieb am 10. November 1938 nicht von den reichsweiten Ausschreitungen der sogenannten Reichskristallnacht verschont. Die Lahrer SS, die seit der Machtübernahme 1933 nun bereits zum SS-Sturmbann aufgestiegen war, kam ihrem Tagesauftrag äußerst regime- und führertreu nach, indem sie 103 jüdische Männer ins Konzentrationslager Dachau überstellte. Als ich erfuhr, dass es 1949 einen Lahrer Synagogenprozess gegeben hatte, wollte ich als Polizeibeamter wissen, welche Täter für diese 103 Festnahmen zur Verantwortung gezogen worden waren. Deshalb nahm ich Einblick in die Ermittlungsakten, die im Staatsarchiv in Freiburg archiviert sind, und ließ mir im Bundesarchiv in Berlin die Personalakten von einigen NSDAP- und SS-Männern kopieren, um die Abläufe während der Reichskristallnacht in Lahr rekonstruieren zu können. Bevor ich jedoch meine Rechercheergebnisse vorstelle, möchte ich darstellen, wie es im Deutschen Reich überhaupt zu diesen judenfeindlichen Maßnahmen kam.