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„Zu Unrecht Vergessene“ heißt eine Buchreihe. Zu ihnen gehört auch Karl Hagner. Er wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden. Wäre er nicht 32jährig am Kriegsende gefallen, wäre er vielleicht ein „badischer Dichterpfarrer“ geworden.
Hagner gehörte in den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts zu den jungen evangelischen Dichtern im Umfeld des Eckart-Kreises und des Furche-Verlags, auf die hoffnungsvolle Erwartungen gerichtet waren. Schon als Student schrieb er einen Roman und veröffentlichte Gedichte. Seine Begabungen wurden jäh abgebrochen durch die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs. Diese Skizze soll mithelfen, dass er nicht vergessen bleibt. Als Kindergottesdienstkind habe ich ihn erlebt, als er 1937 als Vikar an die Weinheimer Stadtkirche kam. Ich mochte ihn sehr und freute mich, wenn er Kindergottesdienst hielt. Einmal in der Woche kam er zum Mittagessen zu uns. Hager war Hagner, mit einer randlosen Brille – und sehr zugewandt.
Er stammte aus einer bäuerlichen Familie im Kraichgau, studierte Theologie, wurde Vikar, Soldat, Offizier. Kurz vor Kriegsende, im März 1945 fiel er. Hagner hatte nicht lange vor seinem Tod noch geheiratet. Anfang der Neunzigerjahre entdeckte
ich, dass seine Witwe in Langensteinbach lebt.
„Zu ihrem Gedächtnis“
(2017)
„Hilde Bitz gekannt zu haben, ist ein Privileg und bleibend Grund zur Dankbarkeit.“ So formulierte es Prälat Traugott Schächtele bei der Beerdigung der Mannheimer Pfarrerin am 1. August 2017 und sprach damit der großen Trauergemeinde aus der Seele. Ähnlich werden es wohl die Theologinnen und die Kirchenhistoriker/innen
empfinden. Nach Maria Heinsius (1893–1979) war sie die Kirchenhistorikerin, die sich mit Frauengeschichte in der badischen Kirchengeschichte befasst hat. Dabei konzentrierte sie sich im Wesentlichen auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, näherhin auf die Geschichte der frühen evangelischen Theologinnen.
„Semper Apertus“
(2012)
On 5 August 1947, two years after the occupying American army had shut it down, the University of Heidelberg recognized Prälat Hermann Ludwig Maas (1877–1970) on his seventieth birthday with a doctorate honoris causa. The document which the Rektor, Prof. Hans Freiherr von Campenhausen, presented to Maas supported the honor with half a dozen reasons why he was worthy of the title Doktor, but the laudatio made no mention of the university’s debt to Hermann Maas that arose in the summer of 1945. Years later, when Maas was a walking, living legend in his own city, the popular press remembered that Maas and members of the Theological Faculty taught uninterruptedly during the Summer Semester of 1945 while other faculties
slumbered. Maas and his colleagues helped the university live up to its heralded motto: semper apertus.
Wer heute Veranstaltungen an einer evangelisch theologischen Fakultät besucht, wird mit großer Wahrscheinlichkeit viele Frauen antreffen. Immer wieder heißt es, das Pfarramt „verweibliche“. Was heute als Alltag an den theologischen Fakultäten und in unseren Kirchengemeinden betrachtet werden kann, war lange Zeit nicht nur außergewöhnlich, sondern gänzlich unmöglich. Bereits seit mehr als 100 Jahren können zwar Frauen in Deutschland Theologie studieren, aber es ist nicht einmal 50 Jahre her, dass Männer und Frauen in unserer badischen Landeskirche gleichberechtigt als Pfarrerinnen und Pfarrer arbeiten können. Und doch nahm vor 100 Jahren, im August 1917, die erste badische Theologin, Elsbeth Oberbeck, ihren Dienst in der Heidelberger Heiliggeistgemeinde auf.
Am 12. Juli 1836 verfasste der Bürgermeister von Hilchenbach im Siegerland, Johann Heinrich Reifenrath, seinen bereits zweiten Aufruf zur Errichtung eines Denkmals für Johann Heinrich Jung-Stilling. Dieser begann mit folgenden Worten: Was
der am 2ten April 1817 zu Carlsruhe verewigte Herr Geheime Hofrath und Professor Jung=Stilling, geboren am 12ten September 1740 zu Grund in Nassau Siegen, für seine Mit- und Nachwelt war, ist nicht allein in Deutschland, sondern auf allen fünf Erdtheilen durch seine Schriften bekannt. Ihm, dessen Verdienste und Frömmigkeit, niemand bezweifelt, dürfte gewiß neben Schiller, und Stillings-Freunden Herder Göthe etc. etc. auch ein Monument in seinem Vaterlande werden. Acht Jahre später konnte man im vierten Band der Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts und des neunzehnten bis zum Sturz des französischen Kaiserreichs des Heidelberger Historikers Friedrich Christoph Schlosser lesen, dass Jung-Stilling wunderliche[] literarische Produkte hervorgebracht habe, deren sich Herder und Goethe nur deshalb angenommen hätten, weil sie jede Originalität zu begünstigen suchten. Durch Goethe, Herder und Lavater sei Jung-Stilling zu einer Bedeutung unter unserer Nation gebracht worden, die allerdings mehr auf seinen sonderbaren Schicksalen und auf der in ihm personificirten und später im idyllischen und sentimentalen Styl seiner Zeit vorgetragenen Denkart und Lebensweise einer gewissen Classe unseres geringen Volkes, als auf irgend einer ausgezeichneten Geisteseigenschaft beruht[] habe.
In einem Überblick über den Stand der Erforschung der badischen Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts benennt Udo Wennemuth zahlreiche Desiderate, nicht zuletzt über die eigentlich gut und breit erforschte Zeit des „Dritten Reiches“. Unter anderem führt Wennemuth aus: „Die Arbeit der Kirche im ‚Untergrund‘ ist noch unerforscht. Manches weiß man vom Hörensagen.“ Eine Auswertung von Quellen stünde jedoch aus. Auf Grund der Aktenlage bleibt es schwierig, das real Erlebte zu rekonstruieren – selbst dann, wenn zahlreiche Materialien vorliegen. Ehemalige „Deutsche Christen“ (DC), sofern sie den Krieg überlebten, verwahrten nach 1945 zahlreiche Dokumente und haben diese nicht selten noch zu Lebzeiten vernichtet, um weitere eigene Verstrickungen nicht bekannt werden zu lassen. Auch bei der Bekennenden Kirche (BK) können, so Wennemuth, nicht „[d]ie gesamten internen Prozesse“ beschrieben werden. Hier fehlt oft das Material, das vor 1945 ja außerordentlich belastend gewesen wäre. Die volkskirchliche „Mitte“ dagegen hat ihre Positionen nicht detailliert begründet und eher versucht, sich nicht zu äußern, so dass nur das Archivmaterial des traditionellen kirchlichen Alltags entstand. Manfred Gailus resümiert forschungsgeschichtlich zu Recht: „Eine Sozialgeschichte des Kirchenvolkes im NS-Staat steht sowohl für den Protestantismus als auch für den Katholizismus noch aus.“
Wenn im folgenden die Instruction für den Obervogten der Pfand, und Gunkellehenbaren
Herrschaften Singen und Mühlhausen, Franz Sales Ummenhofer, erlassen
durch den Grafen Franz Joseph 1. von Enzenberg (1747-1821) am 23.
August 1806, vorgestellt und erläutert wird, so deshalb, weil es sich in vieler
Hinsicht um ein außergewöhnliches Dokument handelt. Es wurde erlassen am
Ende des alten Römischen Reiches Deutscher Nation. Der Verfasser gehört noch
ganz und gar nach seinem gesellschaftlichen Rang und seiner beruflichen Stellung
der zu Ende gehenden feudalen Epoche an, zugleich aber ist er als gläubiger
Katholik ein überzeugter Vertreter der Aufklärung und durchdrungen von freimaurerischen
idealen. Man spürt, wie er mit Unbehagen dem Anbruch einer ungewissen
Zeit entgegensieht, die so vieles ändern und - ihm noch unvorstellbar
- neue staatliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Formen bringen wird.
Formal sind die lutherische und die reformierte Traditionslinie des Protestantismus in der unierten Evangelischen Landeskirche in Baden gleichrangig. Gerne und oft wird auf Martin Luther rekurriert. Kommt aber Johannes Calvin ins Spiel, neigt man rasch zur Distanzierung oder verbittet sich eine Identifizierung. Als jüngst im Calvin-Jahr 2009 die Pfarrstelle der einzigen Johannes-Calvin-Gemeinde in Deutschland, die in Mannheim-Friedrichsfeld besteht, ausgeschrieben wurde, sah man sich offenbar veranlasst, Missverständnissen vorzubeugen: [D]er Name [weist] nur [!] auf die Gründung des Ortes durch vertriebene Hugenotten im Jahre 1683 hin und bedeutet keine besondere, reformierte Prägung. Eine entsprechende Erklärung war bislang noch in keiner Ausschreibung der zahlreichen Luthergemeinden in badischen Landen zu lesen gewesen. „Luther“ steht also für das gemeine evangelische Kirchentum, „Calvin“ für eine Sonderform, so scheint doch gefolgert werden zu können. Das
„reformierte Erbe“ wird aktuell wenig dokumentiert; so finden sich im Schlagwortregister der Homepage der badischen Landeskirche wohl die Aufrufe „lutherische Kirche“ und „unierte Kirche“, nicht jedoch „reformierte Kirche“.
Am Mittwoch, dem 14. Februar 1880 verfasste der Dossenheimer Ortsgendarm Schumacher folgende an den Bezirk Heidelberg des Großherzoglichen Gendarmerie-Corps gerichtete Meldung: „Angeblicher Straßenraub“ – Dem Bezirk melde ich gehorsamst, daß mir der 65 Jahre alte evangelische Pfarrer Jakob Theodor Plitt von Dossenheim die Anzeige gemacht hat [vermutlich mündlich am 12. d. M.], er sei am 11. d. M. Abends zwischen 7 und 8 Uhr auf der Straße zwischen Handschuhsheim und Dossenheim von einem ihm unbekannten Manne angefallen und seiner Baarschaft bestehend in 37 Mark, sowie seines Stockes beraubt worden. Nähere Erhebungen haben jedoch durch Zeugen ergeben, daß Pfarrer Plitt sehr stark betrunken gewesen sei und kaum den Weg von Heidelberg nach Dossenheim hat zu Fuß zurücklegen können. Es ist daher eher möglich, Pfarrer Plitt hat unter solchen Umständen vorbesagte Gegenstände verloren und können solche von irgend einer Person aufgefunden worden sein, da auf dieser Strasse immer ein sehr lebhafter Verkehr stattfindet. Es ist umso mehr anzunehmen, da Pfarrer Plitt eine goldene Uhr bei sich getragen
und solche nicht entwendet wurde und ebenso dessen Perücke, die er getragen, etwa 40 Schritte oberhalb der Stelle, wo er angefallen worden sein will, auf der Strasse gefunden wurde. – Auch hat bis jetzt trotz genauer Nachforschung keine Spur entdeckt werden können und kann auch Pfarrer Plitt nicht das geringste Signalement des Thäters angeben, um irgend eine Spur bekommen zu können, überhaupt glaubt in Dossenheim sowie Umgegend Niemand, daß hier ein Raubanfall stattgefunden hat. – (gez.) Schumacher Gendarm
Große Verdienste um die Rastatter Ortsgruppe der Badischen Heimat hat sich Gerhard Hoffmann erworben. Nach dem Tode von Prof. Max Weber übernahm er 1982 dessen Amt und damit die Leitung, die er bis zum 31. Dez. 1999 inne hatte. Hoffmann, Mitglied der Badischen Heimat seit 1963, wurde 1928 in Rastatt geboren. Zu Beginn des 2. Weltkrieges zog die Familie mehrfach aufgrund einer Dienstverpflichtung des Vaters um. So erlebte Hoffmann Teile seiner Jugend in Bayern, Württemberg, aber auch im Danziger Gebiet und Westpreußen. Gegen Endes des Krieges gelangte Gerhard Hoffmann in den Odenwald, wo die Familie bis zur Heimkehr des Vaters aus russischer Kriegsgefangenschaft 1948 zunächst einmal wohnte.
In diesem Jahr schloß Gerhard Hoffmann seine schulische Ausbildung mit dem Abitur in Amorbach ab und begann 1949 eine Ausbildung als pharmazeutischer Kaufmann bei einem Arzneimittelgroßhändler in Baden-Baden.
Johann Heinrich Jung-Stilling, der fast vier Jahre ältere, und Johann Friedrich Mieg lebten zur selben Zeit. Sie waren beide von der Aufklärung geprägt. Mieg war dies zeitlebens und als ihr entschiedener Vertreter. Jung-Stilling dagegen setzte sich – bis zu einer geistig-geistlichen Wende im Alter von etwa 50 Jahren – als frommer Aufklärer mit der aufklärerischen Vernunftlehre und mit einzelnen ihrer Vertreter entschieden auseinander. Beide waren Freimaurer, Jung-Stilling nur wenige Jahre, Mieg dagegen war es gleichsam lebenslang und dazu ein eifriges Mitglied im Illuminatenorden. Der Unterschiede sind auch in anderer Hinsicht viele: Mieg stammte aus einer alten, großen Theologen- und Akademikerfamilie; Jung-Stilling ist aus einfachen dörflichen Verhältnissen in höchste Gesellschaftsschichten aufgestiegen. Mieg war von Studium und Beruf nur Theologe, Jung-Stilling dagegen Mediziner, Staatswirtschaftler und als Laientheologe Erweckungsschriftsteller. Mieg war einmal verheiratet, und die Ehe blieb kinderlos. Jung-Stilling war dreimal verheiratet und dreimal verwitwet und dabei bis 1799 Vater von insgesamt 13 Kindern, von denen sechs allerdings sehr
früh starben. Mieg hinterließ ein relativ kleines schriftstellerisches Oeuvre. Jung-Stilling aber kennzeichnet eine sehr umfangreiche schriftstellerische Hinterlassenschaft. Jung-Stilling stand vielfach in Verbindung mit den Großen seiner Zeit wie mit seinem bürgerlichen Umfeld. Mieg stand eher im Gegensatz zu seiner Zeit oder zumindest zu den herrschenden Verhältnissen, wenngleich in Beziehung mit zahlreichen, teilweise auch prominenten Zeitgenossen.
Zwei Karrieren
(2017)
Wie wirkten sich die politische Entwicklung Deutschlands von 1930 bis 1950 und die Umbrüche von 1933 und 1945 auf die Mitarbeiter der Heidelberger Stadtverwaltung aus? In dieser Zeit veränderte sich die personelle Zusammensetzung der Stadtverwaltung mehrfach einschneidend wie sonst kaum in einer anderen Epoche. Die folgende Untersuchung stellt zunächst die allgemeinen, vor allem die quantitativen Veränderungen in der Personalstruktur dar und beschreibt dann exemplarisch den wechselvollen beruflichen Werdegang zweier städtischer Beamten.
Pfarrer Georg Friedrich Schlatter (1799–1875) gehörte in der Mitte des 19. Jahrhunderts zu jenen Geistlichen in Baden, die die demokratische Bewegung unterstützten und in die 48er Revolution involviert waren. Als Alterspräsident eröffnete er am 11. Juni 1849 die erste Sitzung der Konstituierenden Landesversammlung, reiste aber bereits am 19. Juni in seine Pfarrei Mühlbach zurück, enttäuscht von den durch Zank und Uneinigkeit geprägten Diskussionen. Einen Monat später wurde er in Mühlbach verhaftet und später zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt, von denen er gut sechs Jahre absitzen musste. Zugleich verlor er damit seine Stellung als Pfarrer und alle Versorgungsansprüche. In den Jahren nach der Haftentlassung versuchte er sich und seine noch nicht erwachsenen Kinder – seine Frau war während seiner Haft verstorben – durch Gelegenheitsschriften über Wasser zu halten. 1875 starb er in Weinheim. Innerkirchlich geriet er fast vollständig in Vergessenheit. Erst 1999 hat die Landeskirche Schlatter auf Initiative von Konrad Fischer hin gewissermaßen rehabilitiert, stellvertretend für alle Freunde der Demokratiebewegung, die damals von der Kirche härter noch als von staatlicher Seite Repressalien ausgesetzt waren.
Der Sommer 1947 versank in einer großen Dürre. Ein erheblicher Teil der ersehnten Ernte ging verloren. Nach dem schrecklichen Hungerwinter 1946 auf 1947 trieb die Ernährungslage einer weiteren Katastrophe entgegen. Als Erzbischof Gröber am 1. April 1947 sein 75. Lebensjahr vollendete — keine Jubelfeier, sondern nur in kleinen Kreis—, war er von der Zuspitzung der allgemeinen Notlage sehr bedrückt, von den Folgen des verlorenen Krieges, vom Auseinanderreißen seiner Diözese in zwei Besatzungszonen, die eine hinreichende Kommunikation erheblich erschwerte. Freiburg, die Bischofsstadt, blieb gezeichnet vom furchtbaren Bombenangriff des 27. November 1944, der Wiederaufbau konnte nur ganz zaghaft beginnen. Das erzbischöfliche Palais am Münsterplatz, Gröbers Wohnsitz, war zunächst verschont geblieben, stand freilich inmitten brennender Häuser. Dem Funkenflug und den aus dem Brandschutt züngelnden Flammen suchte Dr. Bernhard Welte, Gröbers Sekretär und Hausgenosse seit 1934, noch bis in die Nacht zum 29. November mit einigen beherzten Buben zu wehren, in Eimern Wasser heran schleppend, hilflos und bald erschöpft, frierend in der aufziehenden Kälte, unzureichend gekleidet und mit schlechtem Schuhwerk, das unter den Brandbedingungen litt. Es war alles vergeblich, spätestens, als die Wasserzufuhr versagte. Da war nichts mehr zu retten. Das Palais geriet, ausgehend von den Nebengebäuden in der Schusterstraße, voll in Brand. Dr. Welte und die hilfsbereiten Buben mußten sich in Sicherheit bringen.
So manches Gebäude in Konstanz und Freiburg erinnert an seine außerordentlich nachhaltigen Regierungszeiten als Oberbürgermeister beider südbadischer Städte. Geboren und aufgewachsen ist Otto Winterer allerdings im Geroldsecker Land. Am 8. Januar 1846 erblickte er in Ettenheim als Sohn des Bäckers Viktor Winterer in der Kirchstraße 5 im Haus der alten Stadtschreiberei das Licht der Welt. „Was für ein treffender Geburtsort für einen späteren Bürgermeister!“ mag man da unwillkürlich denken. Doch ist es wohl kaum die Aura der ehemaligen Funktion seines Geburtshauses als vielmehr die Tradition der Familie, durch die Otto Winterer das Talent und die Leidenschaft zum erfolgreichen Wirken und Verwalten im Dienste eines städtischen Gemeinwohls buchstäblich in die Wiege gelegt bekam. Seine Mutter Rosalie war die Tochter des Ettenheimer Stadtschultheißen Kollofrath und auch sein Vater Viktor, der als Bäcker zugleich im Ettenheimer Stadtrat saß, stammte ebenfalls aus einer Familie von Schultheißen.
Mit Worten hoher Anerkennung würdigt ein Chronist des 18. Jahrhunderts die Persönlichkeit Johannes Egons, der in den Jahren 1626 bis 1643 Prior des Reichenauer Klosters gewesen ist: „Er war zweifellos ein überaus würdiger Prior, dem das Leben nach der Ordensregel und die Verehrung Gottes, der Gottesmutter und der Heiligen in einzigartiger Weise am Herzen lag, dazu ein nach dem Zeugnis der Gelehrten ungewöhnlich gründlicher Historiker, wie sich an seiner Abhandlung über die bedeutenden Männer der Reichenau und an verschiedenen anderen Schriften erkennen läßt. In seiner gewinnenden und freundlichen Art im Umgang mit Leuten jeglichen Standes war er bewundernswert. Da er in hohem Maß die Gunst des erlauchten Fürsten und Bischofs genoß, erlangte er zum Wohl unseres Reichenauer Konvents die Freiheit, wie ein erfahrener Verwalter eigene Güter hinzuzukaufen.“ Obwohl der Reichenauer Mönch und Historiker Januarius Stahel diese kurze Würdigung erst etwa hundert Jahre nach dem Tod des Priors Johannes Egon niederschrieb, spürt man doch, wie die Erscheinung und das Wirken eines bedeutenden und integren Mannes noch nichts von ihrem Glanz verloren hatten. Frömmigkeit, wissenschaftliches Talent, die Ausstrahlung einer souveränen und gewinnenden Persönlichkeit, diplomatisches Geschick und erfolgreiche Tätigkeit als Verwalter: Es sind viele Facetten, die hier zur Sprache kommen.
Für die Darstellung der Biographie von Wilhelm Holzwarth kann nicht nur auf die überlieferte Spruchkammerakte zurückgegriffen werden, sondern auch auf persönliche Dokumente, die sowohl das Privatleben als auch die Parteifunktionen
widerspiegeln. Diese Dokumente gelangten bei Kriegsende im Zuge einer Hausdurchsuchung vor der Verhaftung von Wilhelm Holzwarth am 8. September 1945 an die amerikanische Besatzungsmacht und wurden später an die zuständige Spruchkammer Ludwigsburg übergeben. Nach der Aufösung der Spruchkammer wurden die Unterlagen dem Staatsarchiv Ludwigsburg
abgeliefert und stehen dort heute der Forschung zur Verfügung. Wilhelm Holzwarth wurde am 27. März 1889 in Oberderdingen geboren, wuchs dort unter »kleinbäuerlichen Verhältnissen« auf und besuchte die Volksschule. Das eigene Elternhaus beschrieb er als »pflichtgetreu« und »vaterländisch gesinnt«.
Wien - Shanghai - Heidelberg
(2021)
Als auffälliger Außenseiter war er in den 1950er- bis in die 1970er-Jahre hinein Teil des Heidelberger Stadtbildes, sichtbar vor allem am Bismarckplatz vor den damaligen Arkaden: eine hagere Gestalt, nach vorne gebeugt, nach links gekrümmt, in einen langen schäbigen Mantel gehüllt, einen Packen Zeitungen oder Zeitschriften unter dem Arm. Wollte er diese wirklich verkaufen oder eher Almosen erbetteln? Aus seinem mühevollen langsamen Gang schreckte er nur dann auf, wenn ihn Jugendliche mit dem Wort „Stürmer“ verspotteten. Er drohte ihnen und versuchte vergeblich, sie zu verfolgen, ohne sie je zu erreichen. Ältere Heidelbergerinnen und Heidelberger erinnern sich wohl – wie ich – an diesen bedauernswerten Mann; manche haben durch Erzählungen von ihm gehört. Wenig wusste man von ihm, auch sein Name war nicht bekannt. Hieß er wirklich Jakob, oder war dies nur ein Spottname? Nur wenige schriftliche Zeugnisse erwähnen ihn.
Werner Kornhas (1910-1992)
(2001)
Am 16. August des Jahres 2000 jährte sich der Geburtstag des Karlsruher Künstlers Werner Kornhas zum 90. Mal. Dieses Jubiläum war der willkommene Anlaß, Malerei und Zeichnung der letzten beiden Lebensjahrzehnte durch eine Ausstellung des Bezirksverbandes Bildender Künstler und Künstlerinnen im Künstlerhaus Karlsruhe zu präsentieren. Begleitend erschien hierzu ein Katalog, der das Lebenswerk von Werner Kornhas eingehend würdigt.
Am 18. August 1999 war es 1150 Jahre her, daß der erste deutsche Schriftsteller starb, der mit einem Teil seiner Werke heute noch ein Publikum erreicht: Walahfrid Strabo von der Reichenau. Er hat sich für seine deutsche Muttersprache interessiert, wie die sachkundigen Ausführungen zur Herkunft des Wortes „Kirche“ in seiner Liturgiegeschichte zeigen; wie fast alle seiner europäischen Zeitgenossen konnte er sich literarisches Schreiben aber nur in der „Vatersprache“ Latein vorstellen. Walahfrid ist wohl im Jahr 807 im alemannischen Raum geboren und wurde im Kloster Reichenau erzogen. Der gelehrte lateinische Beiname, mit dem man sich zu seiner Epoche - der „Karolingischen Renaissance“ - gern schmückte, hat bei Walahfrid einen bitteren Beigeschmack; denn „Strabo“ (oder „Strabus) heißt „der Schieler“, und das war Walahfrid auch. Seine erste große Stunde kam, als er nach dem Tod des Reichenauer Klosterlehrers Wetti (824) den Auftrag bekam, die aufwühlenden Visionen, die der Verstorbene kurz vor seinem Tod hatte, in lateinischen Versen darzustellen. Walahfrid erledigte die Aufgabe bravourös; seine Visio Wettini vom Jahr 825 ist sein erstes Erfolgsbuch geworden.
Im Innern der Heiliggeistkirche steht an der Nordwand eine Grabplatte. Sie zeigt eine junge Frau in wohlhabender Kleidung. Von der weithin zerstörten Inschrift sind hauptsächlich noch „Ostfriesland“ und die Jahreszahl „1552“ zu lesen. Gewidmet ist sie der Gräfin Anna Cirksena, geboren 1534 in Greetsiel, gestorben 1552 in Heidelberg. Greetsiel ist heute ein Teilort der Gemeinde Krummhörn an der Emsmündung in Ostfriesland und mit seinem kleinen Hafen und den beiden Windmühlen ein bedeutendes Tourismusziel.
Von Baden nach Amerika
(2003)
Das Leben, dessen Lauf hier nachgezeichnet wird, ist beispiellos, ja fast bizarr zu nennen; in ihm traf zusammen, was sonst nie zusammentrifft. Aber zugleich ist es auch beispielhaft für die vielen Biographien derer, die, mit wenig mehr als Gottvertrauen ausgerüstet, im 19. Jahrhundert ihre badische Heimat verließen, um in Amerika eine neue zu suchen; und die nur auf diese Weise den geistlichen Beruf ergreifen konnten, den sie erstrebten — oder denen nur dadurch, dass sie ihn ergriffen, die Ausreise gelang. Von vielen ist nur wenig oder nichts bekannt; aber die Geschichte des Joseph Albrecht handelt auch von ihnen, indem sie die Schwierigkeiten zeigt, die auch sie bewältigen mussten, und die sie oft besser bewältigten als er es tat.
Ein junger Mann überlebt das »Dritte Reich« nur mit größter Not. Er hatte sich im totalitären Weltanschauungsstaat in Not gebracht – auf Grund seines christlichen Glaubens konnte er nicht anders. Der »Fall« von Ernst Münz lässt sich mit den Akten aus Kirche und Justiz und einem Nachlass nachzeichnen. So ergeben sich Einblicke ins kirchliche Alltagsleben während der ideologischen und organisatorischen Unterdrückung zwischen 1933 und 1945, einem sehr gut erforschten Zeitabschnitt in der Kirchengeschichte auch in Baden.
Vom Benediktiner zum Täufer
(2000)
In den vergangenen Jahren kamen mehrmals amerikanische Täufergemeinden nach St. Peter im Schwarzwald, um an der ihnen überlieferten frühen Wirkungsstätte nach Spuren und Erinnerungen ihres Glaubensbruders Michael Sattler zu suchen. Dort freilich war der Name nicht bekannt. Die ältere Literatur zur vormaligen Benediktinerabtei vermittelte den Eindruck, dass Reformation und Bauernkrieg fast spurlos an St. Peter vorbeigegangen seien. Dies war kein Zufall. Gehört doch die „damnatio memoriae“, die Vernichtung, besser noch die Verhinderung der Erinnerung zu den Mitteln der Verdrängung, deren sich gesellschaftliche und politische Gruppierungen im Umgang mit unliebsam gewordenen Personen, Häretikern oder Dissidenten, immer bedient haben. Eben dies gilt wohl auch für jenen Michael Sattler, der es nach alten Überlieferungen im Benediktinerkloster St. Peter auf dem Schwarzwald bis zum Prior gebracht hatte, um 1524 die Abtei verließ und wenige Jahre danach als Mitbegründer der Täuferbewegung in Rottenburg a. N. hingerichtet wurde.
Am 24. Juni 1991 veröffentlichten die Ärzte des St.-Elisabeth-Hospitals in Essen ein Kommunique zum Tode des Ruhrbischofs Franz Kardinal Hengsbach. Der Schlusssatz lautete: „Seine Eminenz Franz Kardinal Hengsbach verstarb in der Nacht zum Montag um 1.45 Uhr unter dem Zeichen eines Herz- und Atemversagens.“ Es war ein sehr warmer Sommermorgen auf dem Essener Burgplatz. Der zierliche goldene Matare-Engel auf dem Bischofshaus deutete mit seinem zarten Zeigefinger in den strahlend blauen Himmel, als die Glocken der Essener Münsterkirche mit dumpfen Schlägen den Tod des Kardinals verkündeten.
Der in seiner Polarisation uneindeutige Titel wirft Fragen auf, die es zu erörtern gilt. Wäre ausschließlich vom Rinderle-Grabmal die Rede, ließe sich das Thema bündig eingrenzen und in beschränktem Umfang an der historischen Persönlichkeit festmachen, der man sich im Rückblick auf das, was sie auszeichnet, gerne erinnert. Thaddäus Rinderle, um das kurz vorauszuschicken, erfreute sich eines erfüllten Lebens, das sich in geistigem Tun und einer ausgleichenden Leidenschaft für technisches Gerät erschöpfte. 1748 in Staufen geboren, währte es 76 Jahre lang. Berufen, es in den Dienst Gottes zu stellen, trat Rinderle in St. Peter im Schwarzwald dem Orden der Benediktiner bei. Dort, wo er schon als Knabe schulisch unterwiesen worden war, sollte er später auch die Priesterweihe erhalten. Seinen Taufnamen Matthias legte er ab, um
sich fortan Thaddäus zu nennen. Anzeichen einer außerordentlichen mathematischen Begabung veranlassten Abt Philipp Jakob Steyrer, den jungen Novizen für ein Hochschulstudium in Salzburg freizustellen, das ihn alsbald in den Stand setzte, sich selber als Professor für angewandte Mathematik an der Universität Freiburg zu empfehlen. Aus seinem Abstraktionsvermögen und einer betont aufgeklärten Unvoreingenommenheit gegenüber naturwissenschaftlichen Erkenntnissen erklärt sich Rinderles Interesse für Astronomie und physikalische Zusammenhänge. Seiner Erfindungsgabe verdanken wir eine Reihe verbesserter Teleskope und vieles mehr, darunter Landvermessern und Architekten nützliche Nivellierinstrumente. Ein besonderes Faible hatte er für Uhren – zweifellos ein Grund, warum man ihm hierzulande so viel Sympathie entgegenbringt. Berühmtheit erlangte der „Uhrenpater“, wie er schon zu Lebzeiten liebevoll genannt wurde, durch eine heute im Deutschen Uhrenmuseum zu Furtwangen aufbewahrte geographisch-astronomische Uhr, die ihn weit über Freiburg hinaus bekannt machen sollte. Erwähnt sei zu guter Letzt, dass er auch zwei Weltkugeln anfertigte. Die Tatsache, dass ein Globus als ikonographisches Bildmotiv sein Grabmal krönt, mag deshalb nicht überraschen, obschon dieser ursächliche Zusammenhang einer anderen Voraussetzung geschuldet ist, wie zu sehen sein wird. Wer auch immer sich mit Rinderle beschäftigt, kommt unweigerlich auf dieses Monument zu sprechen, und sei es nur, um die dort eingeschriebene Inschrift zu zitieren, deren realistischer Sinngehalt nachdenklich stimmt: Vieles hat er im Leben mathematisch errechnet mit Ziffer und Buchstab. Aber die Stunde des Todes bleibt unbekannter als x.
Am 26. April 1823 immatrikulierten sich zwei Schleswiger Studenten an der Heidelberger Ruprecht-Karls-Universität. Die Brüder Ernst (1802–1826) und Bernhard Wieck (1803–1824) aus dem unter dänischer Krone stehenden Herzogtum Schleswig hatten zuvor bereits drei Semester an der Christian-Albrechts-Universität in Kiel studiert. Sie waren Söhne des Schleswiger Großkaufmanns und Senators Bernhard Wieck (1772–1851) und seiner Ehefrau Elise Wieck geb. Westphal (1772–1840), die Familie wohnte im Stadtteil Friedrichsberg und hatte eine elfköpfige Kinderschar.
Im Unterschied zu den weiteren Vorträgen dieser Reihe spreche ich nicht über Texte, sondern über zwei Lebensläufe. Es geht um Theodor Haubach (1896−1945) und Emil Henk (1893−1969). Nach meiner Begrifflichkeit waren beide Georgeaner, auch wenn sie dem Meister selbst persönlich nie begegnet sind. Ihr geistiger Mentor war Friedrich Gundolf, in dessen Kolleg sie saßen und mit dem sie befreundet waren. Noch bevor Haubach 1919 zum Studium nach Heidelberg kam, kannte er Henk, vermutlich von Wandervogelbegegnungen. In Heidelberg trafen sie sich in Gundolfs Vorlesung und im Freundeskreis um Carl Zuckmayer. Haubach war, als er 1923 nach Hamburg ging, bereits SPD-Mitglied, Henk wurde es bald darauf in Heidelberg. Beide wirkten publizistisch gegen den aufkommenden Nationalsozialismus, beide begannen 1933 unverzüglich mit aktivem Widerstand. 1934 bis 1936 waren sie in Haft. Anschließend richteten sie ihr Berufsleben auf künftiges illegales Handeln aus und suchten ab 1941 neue Kontakte. Am 20. Juli 1944, dem Tag des Stauffenberg-Attentats, waren sie zusammen im Allgäu, in den Tagen danach in Heidelberg. Haubach wurde als Mitglied des Kreisauer Kreises am 23. Januar 1945 in Plötzensee hingerichtet. Henk dagegen blieb unentdeckt. Ausgewählt habe ich diese beiden Lebensläufe, weil sie erstens mit Heidelberg verbunden sind und weil sie zweitens Antworten geben können auf die Frage nach der politischen Ausstrahlung des Werks Stefan Georges nach dessen Tod 1933. Haubach und Henk hatten bis 1933 sicherlich weitere Impulse erhalten. Aber die
Unbeirrbarkeit, mit der sie dem aufkommenden Nationalsozialismus entgegen traten, ist auch zu verstehen als Frucht der Lehren, die sie bei Gundolf/George erfahren haben. Das kann ich nicht im strengen Sinn beweisen, will es aber biografisch-historisch nachvollziehbar machen.
Gleichgültig, wen man als den wichtigsten Träger der Reformation bewertet, ob Fürstenreformation oder – wie G. D. Dickens es sehen wollte – die Glaubensneuerung als „urban event“, als Magistratsreformation, nie ist bezweifelt worden, dass zwischen ihr und der Intensivierung und Ausweitung der öffentlichen Gewalt ein enger Zusammenhang – genauer – eine Wechselwirkung – bestand: Auf der einen Seite die Schaffung eines lutherischen Kirchenregiments unter Nutzung des politischen Potentials, auf der anderen die Stabilisierung der politischen Macht durch das Obrigkeitsverständnis der Reformatoren; im Ergebnis: Der frühneuzeitliche Obrigkeitsstaat auf dem Fundament eines konfessionell homogenen Untertanenverbandes. Geradezu paradigmatisch wird dies in der Vorrede zur Großen Kirchenordnung des Herzogtums
Württemberg von 1559 zum Ausdruck gebracht: Wie wir uns dann vor Gott schuldig erkennen [… ] wie auch des Gott, der Allmechtig, in seinem gestrengen Urteil von uns erfordern würdet, vor allen dingen unser undergebne Landtschafft mit der reinen Leer des heiligen Evangelii, so den rechten friden des Gewissens bringt unnd die hailsame waid z(o)m ewigen Hail unnd Leben ist, versorgen.
Simon Sulzer (1508–1585)
(2017)
Als Professor Ehmann sich vor gut sechs Jahren zum ersten Mal mit mir über die möglichen Themen für mein Promotionsprojekt unterhielt, rauchte er noch Pfeife. Es glich daher einem antiken Orakel, als seine Stimme wie aus der Wolke zu mir sprach: „Schauen Sie sich mal diesen Simon Sulzer an. Der könnte was für Sie sein.“ Von Simon Sulzer hatte ich bis dahin zugegebenermaßen nicht viel gehört. Die einschlägigen Lexikonartikel wie auch der Titel des heutigen Vortragsabends verraten immerhin, dass Simon Sulzer, geboren 1508, Basler Antistes und Generalsuperintendent in Südbaden war; Basler Antistes seit 1553 und Generalsuperintendent in Südbaden, genauer im Markgräfer Land, seit der badischen Reformation 1556. Wer tiefer gräbt, findet schnell heraus, dass Sulzer seit Anfang 1554 versuchte, den badischen Markgrafen zur Reformation zu bewegen, dass er 1556 möglicherweise an der Beratung der badischen Kirchenordnung beteiligt war, und dass er anschließend die oberländischen Herrschaften der Markgrafschaft Baden-Durlach (also Rötteln, Badenweiler, Hachberg und Sausenberg) mit Pfarrern und Vikaren aus Basel versorgte. Von zuvor 66 katholischen Geistlichen waren 1556 nur neun zur Reformation übergetreten. Von den 57 vakanten Stellen konnte Sulzer mindestens 32 mit Basler Absolventen besetzen.
Siegfried Rietschel
(2000)
Hoch über der Elbe in Dresden steht auf der Brühlschen Terrasse ein Denkmal des einst namhaften Bildhauers und Kunstprofessors Ernst RietscheI. Bei genauerem Hinsehen kann der Betrachter erstaunt und zugleich fragend feststellen, daß Ihm diese etwas verschmitzt wirkenden Gesichtszüge und dieses angedeutete Lächeln bekannt zu sein scheinen. Natürlich, geht es ihm durch den Kopf, der Siegfried Rietschel aus Karlsruhe. Da haben offensichtlich die von vielen Soziologen, Psychologen und Ideologen noch heute abgelehnten Gene bewirkt, daß beim Nachfahren noch in der 4. Generation signifikante Merkmale der Physiognomie, möglicherweise aber auch der Wesensart, zumindest andeutungsweise erhalten geblieben sind.
Schon von Kindesbeinen an, als ich ein kleiner Ministrant war, ist mir die Gedenktafel an der Sakristeiwand unserer katholischen Kirche vertraut. Darauf ist ein Reliefbild von einem prächtigen Baum zu sehen und es steht zu lesen: „Auguste Pattberg, geb. von Kettner, geboren am 24. Februar 1769 in Neunkirchen, gestorben am 4. Juli 1850 in Heidelberg. Es steht ein Baum im Odenwald. Dem Gedächtnis der Romantikerin des kleinen Odenwaldes und der Mitarbeiterin an der Liedersammlung ‚Des Knaben Wunderhorn’ geweiht. Odenwaldklub und Gemeinde Neunkirchen 1929.“ Damals war mir allerdings noch nicht bewusst, welche Bewandtnis es mit diesen Zeilen hat. Auch die Auskünfte der älteren Generation zu dieser Person waren verschwommen und ungenau. Erst später wurde mir bekannt, dass Auguste Pattberg aus meinem Heimatort einen nicht ganz unwichtigen Beitrag zur deutschen Literaturgeschichte geleistet hatte. Heutzutage werden mit der Liedersammlung „Des Knaben Wunderhorn“ nur noch die strahlenden Namen Achim von Arnim und Clemens Brentano assoziiert. Auguste Pattberg, die hierzu immerhin 17 Volkslieder beisteuerte, ist nahezu vergessen. Nur noch in Neunkirchen und Neckarelz und bei wenigen Heidelbergern steht sie in, wenn auch blasser, Erinnerung. In Mosbach-Neckarelz ist zumindest noch ihr Name durch das Auguste-Pattberg-Gymnasium und die Pattberg-Hauptschule gegenwärtig.
Rolf Seuser aus Wehr/Baden
(2010)
Zu den vernachlässigten Themen der Katholizismusforschung gehören u. a. die Kriegserfahrungen junger Katholiken. Zudem fehlt es bisher an lokalen oder zumindest regionalen „Tiefenbohrungen“, die „etwa anhand von Ego-Dokumenten den Stellenwert des Antisemitismus bzw. Antijudaismus im Alltagsleben des katholischen Milieus ausloten“ könnten. Das Forschungsfeld „Katholische Kirche und Krieg“ ist erst in Ansätzen bearbeitet. Bezüglich der aktiven katholischen Soldaten im Zweiten Weltkrieg fehlt nicht nur eine zuverlässige Quellenedition von Ego-Dokumenten aus der Akteursebene, sondern auch eine breit angelegte Studie. Im folgenden Beitrag soll das zuerst genannte Desiderat aufgegriffen werden, wohingegen zum zweiten zumindest Spurenelemente nachgewiesen werden können. Im Mittelpunkt des Beitrages steht Rolf Seuser, der am 8. Oktober 1920 in Wehr im südlichen Schwarzwald geboren wurde, am Sonntag, dem 18. August 1935 in das Fidelis-Kolleg Bensheim eintrat und Ostern 1940 die Reifeprüfung am Gymnasium Bensheim ablegte. Am 6. Juli 1940 begann er sein Noviziat im Kapuzinerkloster Stühlingen (Frater Gerbert). Er wurde am 10. Oktober 1940 zur deutschen Wehrmacht einberufen und fiel am Montag, dem 28. Juli 1941, an der Ostfront.
Robert Reitzel
(2002)
Im Jahre 1889 sah das Städtchen Schopfheim Besuch aus den USA. Der Emigrant Robert Reitzel aus Langenau, von seinem Vater 20jährig als vermeintlicher Taugenichts nach Amerika abgeschoben, hatte von einem Gönner Geld für eine Europareise geschenkt bekommen. Doch Reitzels Heimweh erwies sich, wie jede sentimentale Regung, als ein zweifelhafter Ratgeber - denn die Wiederbegegnung wurde zu einer einzigen Enttäuschung. Überall fand der Wiesentäler, der 1849 just in der Nacht
zur Welt gekommen war, als sein Elternhaus nach Schriften und Revolutionären durchsucht wurde, die badisch-demokratische Tradition in einem „spezifischen Preußentum" ersäuft, und das allenthalben sichtbare „preußische Wappenvieh" bewies ihm unfehlbar eine „unfreie Grundstimmung". Aus dem einst demokratischen „Statthalter von Schopfheim" seines Onkels Georg Uehlin war nach dem deutsch-französischen Krieg ein nationalliberales Blättchen geworden, und was Reitzel selbst betraf, so musste er erkennen, dass er das Stigma des schwarzen Schafes der Familie und der verkrachten Existenz noch immer nicht los geworden war. Zwar hatte sich Reitzel drüben zu einem geachteten Schriftsteller entwickelt und in Detroit ein eigenes Blatt begründet - doch wer wusste das schon in der alten Heimat, wo ihm der Vater, ein ehemaliger Schulmeister, und die eigenen Verwandten mit unverhohlenem Misstrauen begegneten.
Der evangelische Theologe Richard Rothe ist am 28. Januar 1799 in Posen geboren worden und am 20. August 1867 hier in Heidelberg verstorben. Rothe hat in Heidelberg und Berlin studiert und wirkte seit 1823 als Gesandtschaftsprediger an der
preußischen Botschaft in Rom, was ihn in bleibende Verbindung zum preußischen Botschafter Karl Josias Bunsen (1791-1860) brachte. Nach kurzer Lehrtätigkeit in Heidelberg 1827 folgte er einem Ruf an das von dem erweckten Theologen Heinrich Heubner (1780-1853) geleitete Wittenberger Predigerseminar, wo Rothe seine prägende – zu seinem späteren Liberalismus durchaus spannungsvolle – mystisch-wundergläubige Frömmigkeit entwickelte. Am 27. April 1837 wurde er nach Heidelberg berufen, zum ordentlichen Professor und zum Direktor des hiesigen Predigerseminars. 1849-1854 wirkte er in Bonn, um nach seiner Rückberufung (1853) nach Heidelberg von 1854 bis zu seinem Tode 1867 als Universitätsprofessor und Universitätsprediger zu fungieren. 1861 ist er zum außerordentlichen Mitglied des Oberkirchenrats ernannt worden, das auch in der Generalsynode der Landeskirche eine erhebliche Rolle spielte; seit 1863 war er Mitglied der Ersten Kammer, also des Oberhauses des badischen Parlaments. Somit stand Rothe seit 1861 auf dem Gipfel seines Einflusses, zugleich aber im Schatten der Trauer um seine Frau Luisa, geb. von Brück, einer chronisch kränkelnden und depressiven Frau, die er 1823 geheiratet hatte. Friedrich Nippold (1838-1918), ein beinahe schon postumer Verehrer und dann Biograph Rothes, berichtet, Rothe habe seine Frau „mit einer geradezu unvergleichlichen Hingabe gepflegt“. Die Ehe blieb kinderlos. Rothe wohnte in der heutigen Friedrich Ebert-Anlage, woran noch heute eine Tafel am Haus erinnert.
Dieser Beitrag befasst sich mit der Person Richard Kuenzers, eines eher weniger bekannten Beteiligten des aktiven Widerstands gegen das nationalsozialistische Unrechtsregime. Ausgewertet wurde dabei seine umfangreiche Privatkorrespondenz aus den Jahren 1888 bis 1945, die die Familie dankenswerterweise zur Verfügung gestellt hat. Beim Lesen dieses schriftlichen Nachlasses ist ein Bild entstanden, das seine herausragende Persönlichkeit verdeutlicht. Nach einem unter verschiedenen thematischen Gesichtspunkten gewährten Einblick in die Briefe Kuenzers insbesondere aus der Haftzeit wird allgemein der Frage nachgegangen, wie der Widerstand gegen das NS-Regime aus christlicher Überzeugung zu verstehen ist, wie er sich in die Gesamtbetrachtung über den Widerstand einordnet, welche Beweggründe die Betreffenden zu ihrem Handeln motiviert haben, ja auch, welche Rolle das Verhalten dieser christlichen Männer und Frauen für die Beurteilung der Rolle der Kirche in der Zeit des NS spielt. Im Anschluss hieran soll in einem weiteren Abschnitt der christliche Widerstand unter juristischen Gesichtspunkten vertiefend betrachtet werden. Dabei wird der Anklageschrift gegen Richard Kuenzer in dem Verfahren vor dem Volksgerichtshof besondere Aufmerksamkeit gewidmet.
Am 12. April 2018 ist der Mittel- und Neulateiner Prof. Dr. Reinhard Düchting infolge eines tragischen Fahrradunfalls gestorben. In seinen letzten Lebensjahren war er der Spiritus Rector des Heidelberger Donnerstags-Clubs. Dieser Zusammenschluss von Buch-Menschen,
die sich jeweils am ersten Donnerstag eines Monats treffen, wurde 1977 durch den Bibliografen Heinz Sarkowski (1925–2006), zuletzt Hersteller beim Springer-Wissenschaftsverlag, ins Leben gerufen.
Geht man die Bergstraße in Breisach hinauf, so steht auf der halben Höhe zum Münster, auf der linken Seite, ein in rot-braun gehaltenes Haus mit der Hausnummer 11, das im Rahmen des Wiederaufbaus entstand. Rechts davon geht es die Schänzletreppe hinauf zur Oberstadt. Erbaut wurde das Haus von einem Breisacher Bauunternehmer mit dem Vornamen Gervas (Gervasius). Auf der Ostwand dieses Hauses ist ein Sgraffito angebracht. Auf dessen linken Seite ist dargestellt, wie auf einem Schiff (Weidling) der Schrein mit den Reliquien des hl. Gervasius und Protasius gebracht werden. Auf der rechten Seite davon wird der Schrein in feierlicher Prozession zum Münster getragen. Vor dieser Darstellung ist ein Bischof in vollem
Ornat zu sehen. Darunter steht der Name dieses Bischofs, Reinald von Dassel. Wer immer die Bergstraße hinauf geht, wird durch das Sgraffito an die Überbringung der Reliquien im Jahr 1164 durch Reinald erinnert. Wer war nun dieser Reinald von Dassel, der nicht nur Breisach sondern auch Remagen und Köln mit Reliquien aus Mailand beehrte. Das Leben Reinalds liegt leider nur in lückenhaften Berichten vor, so daß selbst bei aller Ausbeute an geschichtlichem Stoffe die Darstellung seines Lebens nur bruchstückhaft sein kann.
Das Ausmaß der Verbrechen, die im Nationalsozialismus begangen wurden, übersteigt die Vorstellungskraft jedes Einzelnen. Mit Hilfe von Zahlen versucht man das Leid zu quantifizieren, aber letztendlich sind es hilflose Versuche, das Unfassbare zu begreifen. Anhand von Einzelschicksalen lässt sich natürlich nicht das gesamte Unrechtssystem erklären, aber Einzelschicksale ermöglichen zumindest einen Einblick in ein zutiefst menschenverachtendes und im wahrsten Sinne
gnadenloses Justizsystem. Am Beispiel des Schicksals von Raimund Faller aus Unadingen und seiner Ehefrau Ida wird dargestellt, wie sich die politische Justiz in Deutschland in den letzten Kriegsjahren dramatisch verschärfte und zu einer Rechtsprechung führte, die bei geringsten Vergehen die Todesstrafe verhängte und vollstreckte. Die sehr gute Quellenlage ermöglicht eine detaillierte Beschreibung der letzten Monate Fallers, bevor er am 23. März 1944 wegen Verstoß gegen das Rundfunkgesetz im Gefängnis Brandenburg (Havel)-Görden hingerichtet wurde. Für den Autor selbst hat das Schicksal Raimund Fallers eine besondere Bedeutung, da seine Urgroßmutter Lucia Marx eine Schwester von Raimund war. Sie war mit dem damaligen Bürgermeister Emil Marx verheiratet, der bei der Verhaftung Raimund Fallers auch in Erscheinung trat. Die Forschungen zu dessen Schicksal sind somit nicht nur von akademischer Bedeutung, sondern es stellt sich auch die Frage, ob die eigene Verwandtschaft eine Mitschuld am Tode Fallers hatte. Diese Fragen konnten durch das Einsehen der Gerichtsakten im Bundesarchiv in Berlin geklärt werden.
Pädagoge und Historiker
(2002)
Franz Schnabel ist am 18. Dezember 1887 als Sohn einer Kaufmannsfamilie in Mannheim geboren. Die Mutter war Französin, Normannin, Katholikin. Sie vermittelte schon dem Jungen weite Perspektiven: „Dank den Verwandten meiner Mutter kam ich schon als Knabe nach der Normandie und nach Paris. Wer aber in seiner Jugend französischen Boden betritt, wird immer den Sinn für die großen Konturen der Weltgeschichte mitnehmen". Am Gymnasium seiner Vaterstadt erfuhr Franz Schnabel eine klassische Bildung, er ließ sich für das ganze Leben prägen in bester humanistischer Tradition, er machte sich auch vertraut mit der reichen lokalen und regionalen Kulturgeschichte, erlebte aber auch direkt die industrielle Dynamik der Region Mannheim. Nach dem Abitur lag das Französisch-Studium für ihn nahe (für die Insel-Bücherei übersetzte Schnabel später „Carmen" von
Pros per Merimee), Geschichte aber wurde das Thema und der Inhalt seines Lebens.
Paul Mauk wurde am 19. Juli 1900 in Waldkirch geboren. Nach Beginn des Ersten Weltkriegs meldete er sich freiwillig zum Militärdienst beim 5. Badischen Infanterie-Regiment Nr. 113 in Freiburg (siehe Abb. 1). Die Kriegsstammrolle seiner Einheit verzeichnet: Beruf: Schüler. Mauk fällt fünf Wochen vor seinem 15. Geburtstag am 7. Juni 1915 in Nordfrankreich im Alter von 14 Jahren. Sein Grabstein befindet sich – zusammen mit über 15.000 Weiteren – auf dem Soldatenfriedhof Lens-Sallaumines. 1928 wird seine Biografie veröffentlicht und er als „Jüngster aller Feldgrauen“ bezeichnet. Elf Jahre später, am 11. Juni 1939, laden Bürgermeister Kellmayer aus Waldkirch und Rektor Weber von der dortigen Volksschule – beide NSDAP-Mitglieder – zu einer „Paul-Mauk-Gedenkfeier“ ein. Anlass war die Benennung der Waldkircher Volksschule (heute: Schwarzenbergschule) nach Paul Mauk. Folgende Fragen drängen sich auf: Wie verhielt sich die Militäradministration bei der Freiwilligenmeldung eines gerade 14-Jährigen und wie war hierzu die Rechtslage? Wie haben die Waldkircher und die Freiburger Paul Mauks Leben und Sterben ab 1915 und insbesondere nach 1928 wahrgenommen und bewertet? Wie ist zu erklären, dass ein Schuljunge – wenige Tage nach seinem 14. Geburtstag – sich freiwillig zum Kriegsdienst melden konnte? Welche Rolle spielten die Herkunft, das Elternhaus, die Kirche und die Schule?
Paul Billet
(2019)
Der folgende Aufsatz ist Teil einer Seminarkursarbeit der beiden Karlsruher Gymnasiasten Eliah Canpolat und Philipp Niese. In ihrer Arbeit vergleichen die Autoren den nationalsozialistischen Kult um die beiden „Märtyrer und Blutzeugen“ der NS-Bewegung Horst Wessel und Paul Billet. Sie ist hier um den Teil zu Horst Wessel gekürzt und behandelt Leben, Sterben und „Nachleben“ des Lahrer Nationalsozialisten Paul Billet.
Der folgende Aufsatz eröffnet nicht nur einen Blick auf die Biographie eines Mannes, der in kleinbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen ist und einen im Kaiserreich durchaus nicht selbstverständlichen Aufstieg genommen hat. Er beschreibt auch die besondere Lebenswelt eines Militärarztes im Frieden, nach früher Pensionierung seine Tätigkeit an der Universitätsklinik Heidelberg und schließlich während
des Ersten Weltkriegs seinen Dienst als hiesiger Reservelazarettdirektor an der „Heimatfront“.
Oberforstmeister und Kammerherr Friedrich Heinrich Georg Freiherr Drais von Sauerbronn (1758-1833)
(2000)
Kein Beruf baut wohl mehr auf der unermüdlichen und stillen Arbeit und Hingabe mehrerer Generationen auf, als der des Forstmannes. Erst die Enkel kommen in den Genuß dessen, was andere vor ihnen gesät, gepflanzt und gehegt haben. Wie leicht wird man aber bei solch großen Zeitspannen dazu verleitet, alle die zu vergessen, die an den heutigen Ergebnissen einst tätigen Anteil hatten. An den, der den haubaren Bestand vormals begründete, denkt der, der ihn nutzt, meist selten! Es sei daher gestattet, mit einem Abriß über das an Arbeit und Mühe so reiche Leben des Oberforstmeisters F. H. G. von Drais zugleich auch die forstliche Aufbauarbeit unserer Vorväter zu würdigen und dabei aber auch anzuerkennen, wie ungeheuer viel Gutes und Bewunderungswürdiges von ihnen mit Weitblick und Energie in jahrzehntelanger Arbeit geschaffen und
erreicht wurde. Friedrich Heinrich Georg Freiherr Drais v. Sauerbronn, aus einer alten lothringischen Familie stammend, ist 1758 in Ansbach als Sohn des markgräflich brandenburgischen Geheimen Raths und Obristen Friedrich von Drais geboren.
Im Archiv der früheren freien Reichsstadt Lindau am Bodensee findet sich eine sehr umfängliche handschriftlich abgefasste Chronik sämtlicher aus Lindau stammenden bzw. dort wirkenden Theologen, verfasst von dem dort von 1720 bis 1749 wirkenden evangelisch-lutherischen Pfarrer Magister Bonaventura Riesch (1696–1749): Lindauische Prediger: und Schul:Historie, von der heilsamen Reformation an bis auf gegenwärtige Zeiten, aus glaubwürdigen Urkunden zusammen getragen, und nebst Vier besonderen Anhängen den Liebhabern der vatterländischen Geschichten mitgetheilet von M. Bonaventura Riesch, Evangelischen Prediger hieselbst, A. C. 1739. Riesch war selbst aus Lindau gebürtig. Schon von daher ist sein Interesse am Thema der aus der Reichsstadt stammenden und der hier wirkenden Geistlichen zu verstehen.
Am 10.12.1696 in Lindau geboren, durchlief er die Schulen seiner Vaterstadt und immatrikulierte sich am 13.4.1713 in Jena, wo er Theologie, Philosophie und orientalische Sprachen studierte und am 13.12.1714 die Magisterprüfung in Philosophie ablegte. 1717 war er wieder in Lindau zurück und war kurzzeitig Hauslehrer in Lyon, am 24.11.1718 immatrikulierte er sich in Straßburg. 1719 wurde er Hauslehrer in Durlach und übernahm das Amt eines Hofpredigers und Beichtvaters der Markgräfin Auguste Maria von Baden-Durlach in Augustenburg. 1720 kehrte er als Rektor und Pfarrer nach Lindau zurück, 1724 übernahm er zusätzlich das Amt des Bibliothekars an der Reichsstädtischen Bibliothek und des Hospitalpfarrers. Wie damals üblich, stieg er 1728 zum dritten, 1738 zum zweiten und 1740 zum ersten Stadtpfarrer auf. Im gleichen Jahr wurde er Senior des Predigerministeriums und Visitator der Lateinschule. Gleichzeitig war er im Ehegericht und im Amt des Büchercensors tätig. Er wurde bekannt als Unterstützer der Salzburger Emigranten und als Vertreter der Franckeschen
Mission. Am 18.3.1749 verstarb er in Lindau. Er war auch sonst als Autor tätig.
Mönchhofstraße 12
(2013)
Jeder, der die Mönchhofstraße von der Brückenstraße kommend entlang geht oder fährt, wird bald auf der rechten Seite - es ist die Hausnummer 12 - ein großes Grundstück mit einer stattlichen Villa bemerken. Hier befindet sich das „Astronomische Rechen-Institut Heidelberg“. Sichtlich hat man irgendwann mehr Raum benötigt und in den Garten einen etwas banalen, aber bestimmt sehr zweckmäßigen zweiten Bau gestellt. Außerdem gibt es noch einen kleinen etwas einsamen Pavillon als Rest einer Gartenanlage. Ob diejenigen, die hier arbeiten, wissen, wer die früheren Bewohner dieses Grundstücks waren? Ich möchte von ihnen erzählen: auch ich wohne in der Mönchhofstraße und komme fast täglich an der Nummer 12 vorbei. Das erklärt vielleicht das fast persönliche Interesse, das ich an ihnen habe. Der Name des Max Freiherrn von Waldberg steht auf der Gedenktafel in der Alten
Universität für die im Dritten Reich vertriebenen Hochschullehrer. Dass er der Doktorvater von Joseph Goebbels war, hat ihn vor diesem Schicksal nicht bewahrt.
„Mensch, höre meine Worte: kämpfe und vertraue!“ Blickt man auf die Geschichte der knapp ein halbes Jahrhundert in Heidelberg beheimateten und damals fest im kulturellen Erlebnisraum der Stadtgesellschaft verankerten Familie Romhányi, ist es dieser Schlussvers aus dem von Goethes „Faust“ beeinflussten und berühmten Werk „Die Tragödie des Menschen“ des ungarischen Dichters und Dramatikers Imre Madách (1823–1864), welches sich als mögliches Credo dieser Familie betrachten ließe. Es war die Liebe zu den Künsten, welche den Juden Jenő Reich und die Christin Erna Sauer, zwei Menschen ungleicher nationaler, ethnischer, sprachlicher sowie religiöser Zugehörigkeit, zusammenführte. Ihre Verbindung sollte durch die Vermählung 1910 und die damit verbundene Konversion Jenős bekräftigt werden. Es folgten Jahre der familiären Harmonie und des beruflichen Erfolgs an ihrem neugewählten Lebensmittelpunkt in der Universitätsstadt am Neckar. Über 23 Jahre hinweg konsolidierte die Familie in Heidelberg ihre auf viel Geschick und Fleiß beruhende Stellung als erfolgreiche Unternehmer – zunächst in der Möbelfabrikation, später in der Kino-Branche – bis sie schließlich 1933 nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten im Zuge der systematischen Zwangsenteignungen und Verdrängung jüdischer Bürger aus dem deutschen Wirtschaftsleben sowie des gezielten Boykotts ihrer Geschäfte („Arisierung“) schlagartig der gewohnten Lebenswelt entrissen wurden. Knapp ein ganzes Jahrzehnt war die kleine, zwischenzeitlich auseinandergerissene und sich erst 1935 in Romhányi umbenannte Familie den nicht enden wollenden Verfolgungen und Repressalien des NS-Regimes ausgesetzt. Diesem Druck konnte sie letzten Endes nicht mehr standhalten. Es folgte die unwiderrufliche Ausweisung nach Ungarn im Frühjahr 1943, welche im tragischen Höhepunkt jener verhängnisvollen Jahre endete, dem durch das Zwangsexil verursachten, gewaltsamen Verlust der beiden Söhne Rudolf und Ludo. Doch auch der Lebensabend des Ehepaares Romhányi, welches das Kriegsende in Budapest erlebte, sollte im Deutschland der Nachkriegszeit von abermaligen Schwierigkeiten und Konflikten nicht verschont bleiben.
Minna Vortisch-Großmann
(2002)
Minna Vortisch-Großmann wurde am 6.8.1874 als Tochter des Textilindustriellen Emil Großmann, dessen Familie bedeutenden Anteil an der Industrialisierung des Wiesentals hatte, in Uhingen/Württ. geboren. Sie war von Geburt Schweizerin und Bürgerin von Aarburg. Ihre Mutter Elise, geb. Wenner, war eine Tochter jenes Lörracher Bürgermeisters Karl Georg Wenner, der in den Jahren 1848/49 wegen Unterstützung der Revolution sein Amt verlor und inhaftiert wurde. Er wurde 10 Jahre später erneut vom Vertrauen seiner Mitbürger an die Spitze der Gemeinde berufen. Die Tochter Elise soll in der Revolutionszeit 1848/ 49
dem inhaftierten Vater täglich das Essen in den „Turm" gebracht haben.
Mina Becker
(2021)
Wieder einmal mache ich Halt am Fuß des Schutterlindenbergs, in Lahr, wo ich in den 40er und 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts meine Schulzeit verbrachte. Der Rosenbrunnen in der Lahrer Altstadt ist das letzte Zeugnis der Anwesenheit von Mina Becker, die von 1912 bis 1956 mit ihrem Geist und ihren Impulsen das Leben in Lahr inspirierte und prägte. Sie war meine Großmutter. Die im Brunnentrog eingemeißelte Jahreszahl 1917 bedeutet mehr als das Jahr der Errichtung des Brunnens, das war 1919. Im September 1917 war Minas Mann Karl im Weltkrieg in Belgien gefallen, und sie veranlasste anstelle des alten, wohl baufälligen Brunnens die Neuerrichtung nach dem Entwurf des Karlsruher Architekturprofessors Gisbert von Teuffel. Dies entsprach einem Versprechen, welches sich die Eheleute für den Fall von Karls Tod im Krieg gegeben hatten. Auch in späteren Jahren war dieser Brunnen ein generationenübergreifendes Symbol. Ein Foto zeigt einen Teil der Familie im Sommer 1942 beim Holen des Taufwassers für die beiden neugeborenen Enkel.
Michael Sattler (1490-1527)
(2013)
Das Urteil, das im Prozess gegen den ehemaligen Mönch und Täuferführer Michael Sattler am 17. Mai 1527 in der vorderösterreichischen Amtsstadt Rottenburg am Neckar – gleichzeitig Sitz der Grafen von Hohenberg – gefällt wurde, übertraf an Grausamkeit alles Vorstellbare und erfüllte selbst die Zeitgenossen allgemein mit Abscheu und Entsetzen. Der Angeklagte sollte dem hencker an die handt [ge]geben werden, der soll ihn auf den [Markt]platz fuehren, und ihm allda zuerst die zungen abschneiden, danach uff ayn wagen schmiden, im allda zwaymal mit einer eyßnen glueende zangen auß seynem leib reissen. Nachmals, biß man [ihn] auff die malstat bringt, noch fünf griff [mit der Zange] wie vor[her] […] geben. Danach seyn leyb wie ayn ertzketzer zu pulver verprennen. Am 20. Mai 1527 wurde das Urteil vollstreckt. Noch auf der Hinrichtungsstätte habe Sattler Got für seine verfolger gebetten und erklärt, die warhayt bezeugen und mit meinem blut versigeln zu wollen, so der Augenzeugenbericht. Mit Sattler starben neun Männer und zehn Frauen, die mit ihm gemeinsam aufgegriffen worden waren und sich wie er geweigert hatten, den widertauff [zu] widerruff[en]. Unter ihnen war
auch Sattlers Ehefrau Margarete. Einem der Gefangenen, Veit Feringer, welcher auß furcht zum ersten ganntz und gar abgefallen war und widerrieff, sich auch begeben hat, alles zu glauben, was seyn oberkayt wollt, wurde ohne weitere Misshandlungen der Kopf abgeschlagen. Eine der verurteilten Frauen erhielt einen Hinrichtungsaufschub, bis sie ihr ungeborenes Kind entbunden hatte. Die übrigen Gefangenen wurden lebendig verbrannt, die Frauen im Neckar ertränkt.