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Ich bin im August 1937 in Bruchsal geboren und wohnte bis zur Zerstörung der Stadt am ersten März 1945 in einem großen L-förmigen Mietshaus, mit zwölf Wohnungen und zwei Eingängen. Der eine Eingang mündete auf die Wilderichstraße und der andere auf die Schloßstraße. Der geräumige Hinterhof mit seinen Teppichstangen und kleinen Gärten war allen gemeinsam. Und die Kinder vom Eingang Wilderichstraße und vom Eingang Schloßstraße kannten sich und spielten miteinander. Für
mich kam vom Eingang Wilderichstraße altersgemäß nur der gutmütige „Hauserklaus" in Frage. In meinem Eingang wohnten Winfried und Gisela, die ein Jahr älter waren, und als stolze Erstkläßler auf mich herabsahen. Als Besitzerin eines - mit einer Kerze betriebenen - Puppenherds, auf dem man nicht nur Brotsuppe kochen konnte, wußte ich mich aber unentbehrlich zu machen.
Ein Beispiel dafür, daß man den größten Teil seines Lebens abseits seines Geburtslandes verbringen und dennoch mit seiner
badischen Heimat zeitlebens verbunden bleiben kann, ist Professor Dr. Horst Ferdinand, der am 4. April dieses Jahres seinen 80. Geburtstag feiern konnte. Seine Wiege stand in Ettenheim, und er entstammte väterlicher- wie mütterlicherseits
einer in Baden verwurzelten Familie. Seinen ersten Lebensabschnitt verbrachte er hauptsächlich in Ettenheim, Freiburg und Karlsruhe, doch seit mehr als 50 Jahren hat er seinen familiären und beruflichen Mittelpunkt in Bonn.
Die Besatzungszeit 1945-1949 brachte in ganz Deutschland große Veränderungen mit sich und bedeutete für die Menschen enorme Belastungen. Dabei ist allerdings die Entwicklung nicht überall gleich verlaufen, sondern war gekennzeichnet durch die Unterschiede zwischen den verschiedenen Besatzungsmächten. Auch Baden, das im Süden zur französischen Besatzungszone und im Norden zur amerikanischen Zone gehörte, erfuhr eine unterschiedliche Entwicklung. Anhand des Ortes Hemsbach an der Bergstraße soll in diesem Beitrag aufgezeigt werden, welche Probleme, Sorgen und Herausforderungen auf die Bevölkerung in Nordbaden zukamen. Hier ist Hemsbach sicher keine Besonderheit, sondern vielmehr exemplarisch für kleine Orte in Nordbaden zu sehen.
Im Archiv der Familie Schönborn zu Wiesentheid wird ein Brief verwahrt, den Damian Hugo von Schönborn am 9. März 1720 an seinen Bruder Rudolf Franz Erwein geschrieben hat. In diesem Brief findet sich der Satz „Ich habe nun den ort ausgelesen, wohe meine residentz hinkommen solle, ich habe mein lag kein schönere situation von allem gesehen, es ist zu Bruchsal, ein statt, viel größer als Aschaffenburg, rechdt schön wieder gebauet." Wie kam es dazu, daß Schönborn seinen Sitz in Bruchsal und nicht in der Stadt Speyer, die dem Fürstbistum den Namen gab, nehmen wollte? Um diese Frage zu beantworten, muß man in der Geschichte etwas zurückblicken. Damian Hugo von Schönborn war nicht von Geburt an für den geistlichen Stand bestimmt. Nach einer wissenschaftlichen Ausbildung bei den Jesuiten und mehreren Studienaufenthalten im benachbarten Ausland trat er in die Dienste Kaiser Karls VI. Für diesen war er mehrere Jahre als Diplomat tätig und wurde auch auf dessen Vorschlag hin in Rom zum Kardinal ernannt. Schließlich wählte man ihn im Jahre 1716 zum Nachfolger des Speyerer Fürstbischofs und somit war sein weiterer Lebensweg festgelegt.
Es ist eine weithin recht wenig bekannte und daher auch wenig beachtete Tatsache, daß gerade im Mittleren Schwarzwald, und ganz besonders im Kinzigtal und dessen Nebentälern, auch heute noch eine ungeheuer große Zahl an Bergbauspuren vorhanden sind. Leider werden es von Jahr zu Jahr immer weniger. Viele dieser Spuren werden oft gar nicht als solche erkannt und fallen daher der Zerstörung anheim, sei es durch land- oder forstwirtschaftlichen Betrieb, sei es durch den Straßenbau oder auch durch die Siedlungstätigkeit allgemein. Im folgenden möchte ich in geraffter Form auf dieses Problem näher eingehen. Zunächst müssen wir uns fragen, welche Bedeutung diese Spuren für uns haben. In erster Linie sind sie Zeugen vergangener menschlicher Tätigkeiten, die manchmal nicht einmal durch schriftliche Quellen belegt werden können. Sie sind daher im besten Sinne als Urkunden, sog. Bodenurkunden, zu bezeichnen. Je mehr von ihnen verschwinden, desto ärmer wird unsere Kenntnis über frühere Erwerbstätigkeiten unserer Vorfahren. In zweiter Linie vervollständigen sie unser Wissen über geschichtliche Vorgänger und um unsere Heimat. Und schließlich hilft unsere Kenntnis von diesen teils uralten Spuren dazu mit, etwas sorgsamer mit Bodenurkunden insgesamt umzugehen.
„Die stete Sorgfalt für eifrige Handhabung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit im Inneren des Großherzogthums hat Uns daher bewogen, zu diesem Zwecke ein eigenes bewaffnetes militärisch organisirtes Corps unter der Benennung ,Gendarmerie-Corps‘ zu errichten. " Ein kurzes Zitat aus dem „höchsten Edikt" vom 3. Oktober 1829 über die Gründung der Gendarmerie im Großherzogtum Baden. Die Gründungsurkunde war von Ludwig von Gottes Gnaden, Großherzog von
Baden, Herzog von Zähringen, Landgraf von Nellenburg, Graf von Salem, Petershausen und Hanau etc. unterzeichnet.
Mit diesem Gesetz erfolgte die Vereinheitlichung vielfältiger polizeilicher Einrichtungen vom Main bis zum Bodensee. Bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts war der Schutz vor Rechtsbrechern und Kriegsnöten weitgehend Privatsache. Die öffentliche Ordnung und Sicherheit versuchten Gemeinden, Grundherrschaften, Bistümer, Klöster, Landvogteien und Reichsstädte u. a. m. innerhalb ihres Zuständigkeitsbereiches zu garantieren. Die zu diesem Zweck beauftragten und beschäftigten Hatschiere, Büttel, Gerichtsdiener, Landsknechte, Bettelvögte und Nachtwächter stellten im weitesten Sinne das dar, was wir heute unter dem Begriff Polizeivollzugsdienst kennen.
Im Schloß der Mannheimer Residenz des Kurfürsten Karl Philipp wurde vor 264 Jahren, am 21. Oktober 1737, eine Verordnung unterzeichnet, die von Historikern noch immer nicht hinreichend verarbeitet worden ist. In dem Dekret, in dessen
handschriftlicher Primärfassung seine umgehende Verbreitung in den damaligen Hauptstädten Mannheim, Heidelberg und Frankenthal sowie in weiteren Oberämtern gefordert wird, verbietet der Kurfürst unter Androhung der Amtsenthebung
jedem im eigenen Zivil- oder Militärdienst stehenden Manne die Zugehörigkeit zur Freimaurerei.
Jemand, der malt
(2001)
Jemand, der malt, spricht in Bildern, also in Farben, Formen und Figuren; ihnen mit Worten zu entsprechen fällt dem, der schreibt, schwer. Denn die Worte dürfen sich nicht vor die Bilder stellen oder gar an deren Stelle treten wollen (was aber leider oft geschieht); sie müssen den Weg beschreiben, der zu ihnen hin und in sie hinein führt, und dann verstummen. Wer sie gehört oder gelesen hat, darf sie auch wieder vergessen - sobald er zu sehen beginnt. Dazu sind sie da, und sonst zu nichts.
Sehr geehrte Damen und Herren, heute können wir einen freudigen Tag für unser Land in der Badischen Landesbibliothek
feiern: Historische Dokumente, ein Teil südwestdeutscher Geschichte, bleiben im Original für Wissenschaft und Forschung, für die Öffentlichkeit erhalten. Bibliotheken und Archive werden häufig als Gedächtnis unserer Gesellschaft zitiert. Deshalb ist es gut, daß das Erbe Laßbergs an gedruckten Büchern in der Badischen Landesbibliothek zugänglich bleibt. Und zwar im Kontext, im Zusammenhang mit Laßbergs Nachlaß, seinen deutschen Handschriften und mittlerweile knapp 1000 neu erworbenen Bänden aus Laßbergs Bibliothek. Laßbergs gedruckte Bücher, das möchte ich besonders hervorheben, sind neben seltenen Rara nicht einfach Drucke, die es anderen Ortes auch gibt, sondern sie zeigen die Spuren seiner Arbeit, insbesondere seiner Beschäftigung mit dem Mittelalter und dessen deutscher Literatur. Sie sind damit wichtige und einzigartige Quellen, vergleichbar mit dem Briefwechsel. Damit nenne ich bereits ein Thema, das im Mittelpunkt unserer Ausstellung steht.
Der Heidelberger Kunstverein
(2001)
Bad. Heim.: Herr Gercke, Vereine haben oftmals ihre eigenen Traditionen, die sich von ihrer Entstehung und Geschichte herleiten. Wie ist dies beim Heidelberger Kunstverein? Gercke: Nachzuvollziehen ist dies in der anläßlich des 125jährigen Bestehens des Heidelberger Kunstvereins im Jahre 1994 erschienenen und von Christmut Präger zusammengetragenen Chronik des Vereins, in der er auch bis dahin nicht gesichtete Dokumente veröffentlicht hat. Leider waren nicht alle Dokumente lückenlos vorhanden, da der Verein sein Domizil im Laufe seiner Geschichte an die zehn Mal wechselte. Vielleicht wurde auch manches aus den vierziger Jahren absichtlich beiseite geschafft. Im Vergleich zum Badischen Kunstverein, dem Freiburger, Mannheimer oder Konstanzer ist der Heidelberger der jüngste. Erst 1869 hat der heute fast unbekannte, aber damals sehr engagierte Maler Ludwig Horst dem ,, ... hochwohllöblichen Gemeinderat der wunderschönen Stadt Heidelberg ... " klar gemacht, daß Heidelberg eine Institution braucht, die sich kompetent mit der Vermittlung zeitgenössischer Kunst befaßt. Begründet hat er dies mit dem Ruf der Universitätsstadt, die mit dem Erbe der Romantik einen gewichtigen Hintergrund hat. Daran interessant für mich war, daß ich, ohne damals diese Details zu kennen, im Zusammenhang mit der Notwendigkeit des Neubaus gegenüber dem Gemeinderat und dem Oberbürgermeister die gleichen Argumente wie Horst benutzte. Es muß gegen die starke, sicher auch Maßstäbe setzenden Dominanz der Tradition ebenso die zeitgenössische Kunst ihren Platz in einem kulturell so stark bestimmten Raum erhalten. Dies leuchtete offenbar damals wie heute den politisch Verantwortlichen ein. So konnte der Heidelberger Kunstverein nach über 100jähriger Odyssee
1990 mit der sehr spektakulären und vom damaligen Ministerpräsident Lothar Späth eröffneten Ausstellung zur Farbe Blau dies sehr interessante Domizil unter dem gleichen Dach mit dem Kurpfälzischen Museum beziehen.
Welche Personen haben auf welche Weise zur Entstehung des Mannheimer Kunstvereins beigetragen? Der Kunstvereinsgedanke des 19. Jahrhunderts führte 1833 zur Gründung des Mannheimer Kunstvereins. Zu den Gründungsmitgliedern in Karlsruhe gehörte General Carl Freiherr von Stockhorn, der später zum kommandierenden General in Mannheim ernannt wurde. Er übertrug seine Erfahrungen aus Karlsruhe und wurde so zum Gründungspräsident des sich in Mannheim konstituierenden Vereins gewählt. Ebenso wie in Karlsruhe erhielten die Mitglieder gemäß den Statuten für den Jahresbeitrag Vereinsaktien, die ein Anrecht auf jährliche Vereinsgaben darstellten. Gemäß § 1 der Satzung hatte der Verein ,,... den Zweck, den Sinn für die Bildende Kunst zu befördern, Künstler in ihrem Bestreben aufzumuntern, und, wenn es einst die Verhältnisse und Mittel erlauben, erprobte Talente zu unterstützen". Der Verein wuchs von 57 Mitgliedern auf 161 im September und bis Oktober auf 200. Zum Ende des Jahres hatte er 260 Mitglieder, von denen ein nicht unerheblicher Teil Frauen waren.
„Man bekommt gute Wetten nur, wenn der Buchmacher weniger Ahnung hat als man selbst. In der Regel haben sie aber keine Ahnung. Die deutschen Buchmacher sind im Gegensatz zu ihren englischen Kollegen ein trauriger Haufen. Die sitzen in ihren Läden und warten darauf, daß irgendein Halbidiot reinkommt und ihnen das Geld vor die Füße wirft", so abwertend äußerte sich Thomas Voburka, einer der wenigen professionellen Spieler auf deutschen Galopprennbahnen, im Jahr 1996 über das Buchmachergewerbe in Deutschland. Es sei hier dahingestellt, ob dieses Urteil über deutsche Buchmacher wirklich zutrifft. Buchmacher sind jedenfalls private Unternehmer, die für öffentlich veranstaltete Pferderennen (Galopp- und Trabrennen) im In- und Ausland Wetten anbieten. Im Gegensatz zur von den veranstaltenden Rennvereinen angebotenen Totalisatorwette, bei der die Wetter gegeneinander spielen und nach Abzug von Rennwettsteuer (16,6%) und Veranstaltungsgebühren (8,4%) wieder 75% des Einsatzes an die Gewinner ausbezahlt wird, trägt der Buchmacher das finanzielle Risiko seiner Wettgeschäfte selbst. Um in Deutschland private Pferdewetten annehmen zu können, benötigt man eine staatliche Konzession.
Johann Michael Moscherosch
(2001)
Zu seiner Zeit brauchte man Johann Michael Moscherosch (1601-1669) nicht vorzustellen. Seine Schriften, besonders die „Gesichte Philanders von Sittewalt" (in der Erstauflage 1640) wurden, kaum auf dem Markt, berechtigt und als ,,Raubdruck" unberechtigt sofort nachgedruckt, in Frankfurt, in Wien, ja selbst in den Niederlanden. Sie standen in allen größeren Bibliotheken Europas, auch in der königlichen Bibliothek in Paris. Auch sein Hauvaterbuch „lnsomnis Cura Parentum" - trotz des lateinischen Titels in deutscher Sprache geschrieben - wurde mehrfach aufgelegt und ins Dänische übersetzt. In den nachfolgenden Jahrhunderten wurde es stiller um Moscherosch. Doch seine Schriften sind inzwischen zwar nicht alle, auch manche nicht in voller Länge, aber doch zu einem guten Teil in Neuauflagen wieder erhältlich. Hier soll von der politischen Tätigkeit Moscheroschs die Rede sein. Denn er würde, könnte man ihn heute sprechen, auf seine Verdienste in diesem Bereich wohl mehr den Akzent legen als auf seine gedruckten Werke. Es geht um sein Wirken als Fiskal (Frevelvogt) der Stadt Straßburg und um sein Amt als ältester Rat im Regierungskollegium der Grafschaft Hanau-Lichtenberg.
Der Name der Stadt Schwetzingen ist eng verknüpft mit Schloß und Garten der kurfürstlichen Hofhaltung. In hohem Maße hat diese Hofhaltung, eingebettet in die Ideenwelt und den Repräsentations- und Darstellungsdrang des Barock und speziell des Rokoko das Bild Schwetzingens geprägt. Mit dem Bau des Schlosses und den daran anschließenden Zirkelsälen wird der überaus großzügig angelegte und von planerischen Elementen bestimmte Garten mit seinen Alleen, Blumenbeeten und Wasserflächen, aber auch mit seinen verschiedenen Kunstbauten und den figuralen Darstellungen verschiedener Allegorien heute zum touristischen Anziehungspunkt für alljährlich viele Tausend Besucher. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, in welchem Beziehungsgeflecht Schloss/ Garten und Stadt zueinander stehen. Hat der Ausbau der Wasserburganlage des 14. Jahrhunderts zum Rokokoschloss des 18. Jahrhunderts das städtische Bild Schwetzingens bestimmt, beeinflußt oder gar vollständig bedingt? Welche Elemente des dörflichen Gefüges der heutigen Großen Kreisstadt sind überliefert?
Wie wir in dem Dezemberheft der „Badischen Heimat" lesen können, sprach Marc
Twain, eigentlich Mister Samuel Langhorne
Clemens, von der „awful German language",
der schrecklichen deutschen Sprache. Aber was
für Marc Twain „awful" war, das waren einmal
die langen Wortungeheuer, d. h. Wortzusammenfügungen wie z. B. ,,Waffenstillstandsunterhandlungen" u.ä. und zum anderen die Tatsache, daß die Sprache so schwer zu erlernen
war. Deshalb macht er Vorschläge zur Vereinfachung unserer deutschen Sprache, damit man
sie „in weniger als 30 Jahren" erlernen könne.
Was würde ein Marc Twain wohl sagen,
wenn er heute nach Deutschland, nach Freiburg käme? Er müßte ja gar nicht mehr so viel
lernen, da er überall Englisch (bisweilen allerdings ein falsches) lesen und hören könnte.
Das Karlsruher Schloß
(2001)
Nähert man sich Karlsruhe und dem Schloß durch den Hardtwald von Norden oder betrachtet man das Ensemble gar aus der Luft, so läßt sich noch recht gut nachvollziehen, daß Schloß und Stadt ursprünglich in einem Waldbereich angelegt wurden. Höchstens ein Jagdstern, an dem sich mehrere Waldwege kreuzten, mag vorhanden gewesen sein. Das Schloß und die praktisch gleichzeitig gegründete Stadt nannte der Bauherr, Markgraf Karl Wilhelm von Baden-Durlach, "Carlsruhe". Sinnfällig brachte er 1728 seine Intention nach Abgeschiedenheit in einer Inschrift am Eingang des Palastes zum Ausdruck: "... ein Liebhaber der Ruhe wollte hier in der Stille die Zeit vertreiben... "
Mit dem Landespreis für Heimatforschung für das Jahr 2000 wurde am 16. November 2000 Dr. Erhard Richter, der engagierte Lehrer und Heimatforscher, der unermüdliche Ausgräber römischer Kultur und der begeisterte Theatermacher auf Burg Rötteln, ausgezeichnet. Bei der Feierstunde in den Räumen der Stuttgarter Landesbank, die musikalisch vom Kammerchor und Solisten des Königin-Katharina-Stifts Stuttgart unter der Leitung von Enrico Trummer feierlich umrahmt wurde, würdigte Staatssekretär Rudolf Köberle, MdL, vom baden-württembergischen Ministerium für Kultus, Jugend und Sport die vielseitigen und außerordentlichen Verdienste von Dr. Erhard Richter. Staatssekretär Rudolf Köberle wies bei der Preisverleihung darauf hin, daß vermehrte Kenntnisse und vertieftes Verstehen der Heimat wichtige Bausteine zu einer kulturellen Identitätsfindung seien.
Ziel des Landespreises für Heimatforschung sei es auch, die Vielfalt örtlicher und regionaler Traditionen in einem zusammenwachsenden Europa bewußt zu machen.
Eigentlich war ich auf der Suche nach Werken von Harry Breßlau, Vater von Helene Breßlau, Alberts Schweitzers Ehefrau. Über Helene Schweitzer-Breßlau ist 1998 eine gründliche Biographie erschienen, in der auch ausführlich ihres Vaters gedacht wird. Als einziger Jude im Deutschen Reiche hatte er es (1904) zum Rektor einer Universität gebracht, nämlich der Kaiser-Wilhelm-Universität in dem noch nicht so lange wieder deutschen Straßburg. 1848 in Dannenberg geboren, war Breßlau nach Studien in Göttingen und Berlin bei Gustav Droysen promoviert worden, seit 1877 Extraordinarius für mittelalterliche Geschichte und historische Hilfswissenschaften an der Univerität Berlin. Einunddreißigjährig geriet er im ,,Antisemitismusstreit" (1879/ 80) mit dem Kollegen Heinrich von Treitschke aneinander, welcher die Parole „Die Juden sind unser Unglück" in den Preußischen Jahrbüchern 1879 und 1880 salonfähig gemacht hatte. Danach waren „verschiedene Versuche, ihm in Berlin ein Ordinariat zu schaffen, gescheitert". Seit 1890 Ordinarius in Straßburg, machte sich Breßlau vor allem mit seiner „Urkundenlehre" und als Mitglied der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica einen national und international anerkannten Namen.
EUCOR
(2001)
In der Europäischen Konföderation der Oberrheinischen Universitäten, ,,EUCOR", haben sich 1989 die folgenden Universitäten zu einem grenzüberschreitenden Verbund zusammengeschlossen: • die Albert-Ludwigs-Universität, Freiburg,
• die Universität Basel, • die Universite Louis Pasteur, Straßburg, • die Universite des Sciences Humaines, Straßburg,
• die Universite Robert Schumann, Straßburg, • die Universität Fridericiana (TH), Karlsruhe, • die Universite de Haute Alsace, Mulhouse. Ziel des Verbandes war und ist die Kooperation in allen Bereichen der Forschung und Lehre durch den Austausch von Dozierenden und Studierenden, multinationaler Studentengruppen und durch interdisziplinäre Forschungsprogramme. Traditionell nimmt der Studierendenaustausch eine wichtige Rolle ein: Die Universität Freiburg entsendet derzeit 40 Studierende in die EUCOR Universitäten, das Gesamtaustauschvolumen dürfte in EUCOR insgesamt bei knapp 200 Studierenden liegen. Wichtig für uns ist dabei, dass die Studienleistungen, seien es einzelne Scheine oder Zwischenexamina oder Studienabschlüsse gegenseitig anerkannt werden. Dies garantiert, dass die Studierenden für ihre Initiative keine Studienzeitverlängerung in Kauf nehmen müssen.
André Weckmann
(2001)
„Andre Weckmann gehört zu den großen Dichtern des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Der zu Unrecht außerhalb des elsässisch-oberrheinischen Raums wenig bekannte Weckmann, der in den drei im Elsaß heimischen Ausdrucksweisen schreibt, Alemannisch, Französisch und Hochdeutsch, schuf den wichtigsten Teil seiner lyrischen Produktion in seinem Dialekt. In dieser Dialektlyrik läßt er viele künstlerische Anregungen und Tendenzen seines Jahrhunderts anklingen und findet so zu einem
unverkennbaren, ureigenen Ton. So kann man ihn in dem innovativen Kontext von zum Beispiel Giacometti, Tinguely, Hundertwasser in der bildenden Kunst, Jandl und Marti in der Literatur ansiedeln. Es darf hier auch an Brassens und an die
amerikanische Folk-, Jazz-, Gospel-, und Rap-Bewegung gedacht werden. Weckmanns Werk bezieht sich, bei weitem, nicht
allein auf seine Heimatlandschaft, sondern lebt ganz von deren Spannung zu anderen Regionen und Ländern."
Das 25-jährige Bestehen der „Deutsch-französisch-schweizerischen Regierungsvereinbarung vom 22. Oktober 1975 über die Bildung einer Kommission zur Prüfung und Lösung nachbarschaftlicher Fragen" (sog. Bonner Abkommen), mit der die institutionelle grenzüberschreitende Zusammenarbeit am Oberrhein begann, wurde am 21. September 2000 auf dem
Rheinschiff „Christoph Merian" in Basel gefeiert. Dieses Ereignis ist Anlaß die vergangenen 25 Jahre der grenzüberschreitende Zusammenarbeit, die in den letzten Jahren erheblich an Fahrt gewann, Revue passieren zu lassen. Für uns Oberrheinbewohner sind die praktische Auswirkungen eines zusammenwachsenden Europas, die Politiken der EU zur Überwindung der Grenzen, praktische Realität. Allein ca. 80 000 Pendler fahren täglich von Frankreich nach Deutschland, von Deutschland nach Frankreich, von Deutschland und Frankreich in die Schweiz. Allein im Raum Karlsruhe sind es ca. 16 000 Grenzgänger die wochentäglich vom Nordelsaß über Lauter und Rhein zur Arbeit pendeln. Rund 5 Mio. Einwohner leben in dieser Region Oberrhein auf ca. 16 389 qkm Fläche, ein Drittel davon in Frankreich, ca. 18% in der Schweiz und knapp die Hälfte in Deutschland.
Herbst im Elsaß (1927)
(2001)
In der Stadt meines Gastfreundes zu Colmar sind die Häuser zweistöckig und weiß; der Dachstock über den Etagen macht ein Knie nach dem Modell des Mansart, nach dem Geschmack der Zeit Ludwigs XIV., einem Geschmack, dessen Größe auch das Gemütliche kennt; der Kniestock ist mit Schiefer bekleidet; vor den Mansarden sitzen im Grau des Schiefers weißgerahmte Fenster wie barock geformte Broschen. Um die Häuser träumen Gärten wache Träume, Gärten im besonnten Zustand einer sanften Verwesung, die, so scheint es, ins Unendliche dauern wird; auf den feinen rötlichen Sandwegen liegen große gelbe, genau geschnittene Platanenblätter. Um die Gärten stehen übermannshohe Mauern; wildes Weinlaub malt eine rote und willkürliche Pracht auf den weißen Putz; es wuchert nach der stillen Straße draußen und wird - wir drinnen merken
es - gestreift vom Hut oder von den Fingerspitzen der wenigen, die gehört werden, wenn sie vorübergehen. Die Luft ist klar und mit Zartheit fest; die Luft ist eine durchsichtige Metaphysik voll leise glänzender und innig beruhigender, auch etwas trauriger Versicherungen. Es ist ein freundliches und wehmütiges Vorspiel von Allerheiligen ... Die Erde riecht ein wenig wie
auf den Friedhöfen.
Den Anstoß zu der Beschäftigung mit Hansjakob wurde Hildenbrand von dem Heimathistoriker Franz Schmider im Jahre 1964 vermittelt. Nach über dreißig Jahren Arbeit an Hansjakob geht es dem Autor in dem vorliegenden Buch letztlich um eine andere, kritisch differenzierte Aneignung Hansjakobs. Hildenbrand gehört einer Generation (geb. 1938) an, die das
säkularisierte Bedürfnis nach lokaler „Heiligenverehrung" der ersten bis dritten Generationen nach Hansjakobs Tod (1916) nicht mehr „belastet."
Lebensraum Oberrhein
(2001)
Die Publikation „Lebensraum Oberrhein ... eine gemeinsame Zukunft - Raumordnung für eine nachhaltige Entwicklung ohne Grenzen" für das Mandatsgebiet der Oberrheinkonferenz will einen Beitrag leisten zu der grenzüberschreitenden Raumordnungs- und Raumentwicklungspolitik der „Akteure" am Oberrhein. Zielvorstellung der Studie, die sich als Referenzdokument versteht, ist die ökologische und wirtschaftlich „harmonische Entwicklung des Oberrheingebiets." Der etwas unförmigen Publikation im Format 21 x 33 cm wünscht der Präsident der Oberrheinkonferenz, Philippe Marland, eine Leserschaft, die sich „durch Kommentare und Vorschläge aktiv an der Definition gemeinsamer Schwerpunkte für den Lebens- und Handlungsraum am Oberrhein beteiligt" (S. 10). Nicht zuletzt soll die Studie das Mandatsgebiet „besser bekannt machen" und ein breiteres Publikum dafür sensibilisieren, ,,daß die raumordnerische Planung" von allgemeinem Interesse ist (S. 134).
In verklärtem Glanz der Sonntagssonne erscheint mir das Elsaß im Rückblick auf meine Kinder- und Jugendtage. Besuche auf der Hochkönigsburg mit den Eltern oder Großeltern, in einem Alter, in welchem Ritterromantik bereits faszinieren konnte, doch der Begriff von Staatlichkeit, gerade auch der unterschiedlichen Staatlichkeit zwischen Deutschland und Frankreich noch völlig unbekannt war. War es nicht so, daß man vor dem Strasbourger Münster, dessen Einmaligkeit und besonderer Bedeutung man sich noch gar nicht richtig bewußt war, solange man nicht auf die Sprache achtete, gar nicht bemerkte, daß man nicht mehr in Deutschland war? Einzige Auffälligkeit waren doch die vielen mobilen Händler, die nicht nur mit ihrem buntscheckigen Warenangebot Aufmerksamkeit erregten, sondern auch ihrer dunklen Hautfarbe wegen. Des Meisterwerks der Rosette des Münsterbaumeisters Erwin von Steinbach, des Wunderwerks der astronomischen Uhr und des tiefen Sinnes von „Ecclesia" und „Synagoga" bin ich mir erst viel später bewußt geworden.
Der wirtschaftliche und soziale Austausch zwischen dem Elsaß und den angrenzenden badischen Gebieten nimmt an Intensität zu. Das Netz der Geschäftsbeziehungen, Arbeitsverhältnisse, der Bekanntschaften und Freundschaften über den Rhein hinweg wird, dank auch dem Pamina-Projekt und der Oberrheinkonferenz, dichter. Mancher Beobachter gewinnt jedoch den Eindruck, im Bereich der Kultur bleibe die Entwicklung der wechselseitigen Beziehungen zurück. Dafür gibt es Indizien. Es ist noch immer nicht möglich, französische Bücher in badischen Buchhandlungen problemlos zu bestellen. Die städtischen Bibliotheken Badens führen nur in seltenen Fällen elsässische Zeitungen. Der wissenschaftliche Austausch zwischen elsässischen und badischen Universitäten ist schwach und geht mit großen Reibungsverlusten vor sich.
Angeregt durch Haehling von Lanzenauers "Stationen einer Schicksalsreise" in BADISCHE HEIMAT 4/ 1999 suchte ich im vergangenen April die Grabstätte des bedeutenden Zeitzeugen und Schriftstellers Alfred Döblin in Housseras (Département Vosges) auf. Nach einer Fahrt durch die unermeßlichen, aber auch von „Lothar" schwer gebeutelten Wälder der lothringischen Vogesen erreichte ich nach St. Dié und kurz vor Rambervilliers das kleine Dorf Autrey. Hier befindet sich ein ehemaliges
Prämonstratenserkloster, das heute von einer charismatischen Gemeinschaft, der Communauté des Sept Béatitudes besiedelt ist. Mit der Klosterkirche besitzt das Dorf eine ganz seltene Kostbarkeit, einen reinen Renaissancebau. Zwei Kilometer weiter liegt Housseras.
Grenzen sind keine „natürlichen" Gegebenheiten. Grenzen sind das Resultat historischer Prozesse. Die heutige Vorstellung der Grenze als Demarkationslinie ist relativ jung. Der Staat war im Mittelalter, wie der französische Historiker Lucien Febvre unterstrich, eine Addition von mehr oder weniger zahlreichen Grundherrschaften. Diese Grundherrschaften waren nicht
in erster Linie Territorien, sondern Rechtsgebilde. Dasselbe Territorium besaß oft mehrere Souveräne. Die Französische Revolution machte jedoch aus einer Ansammlung von Mitgliedern eingeschränkter Gemeinschaften die Körperschaft der Bürger eines Staates. An Stelle der inneren ständischen Grenzen trat die äußere Grenze des Territorialstaates.
Im Sommer 1944 näherten sich amerikanische und französische Truppen vom Westen her dem Elsaß, das damals als Reichsgebiet galt und zusammen mit Baden einen Gau bildete. Am 28. August ließ daher das Badische Innenministerium einen Runderlaß an die Landräte über den Bau einer „Schutzstellung West". Es sollten Hitlerjungen im Alter von 14 bis 18 Jahren eingesetzt werden, nicht länger als zwei bis drei Wochen. Zur Beaufsichtigung, Unterstützung und Betreuung der Jugendlichen werden HJ-Führer, politische Leiter, Lehrer und Gesundheitspersonal zum Einsatz gebracht ... Die Errichtung der Schutzstellung West wird zunächst öffentlich nicht erörtert; eine propagandistische Auswertung ähnlich wie in Ostpreußen ist zunächst nicht vorgesehen. In der Umgebung der Baustellen konnte die gesamte Bevölkerung herangezogen werden. Trotz der Geheimhaltungsvorschrift wurde wenige Tage später ein öffentlicher Aufruf publiziert. In ihm ist der Kreis der Betroffenen stark erweitert. Es werden nun alle männlichen Personen von 14 und 65 Jahren und alle weiblichen Personen von 16 bis 50 zur Herstellung einer Vogesenstellung und der Verteidigungsbereitschaft des Westwaldes einberufen. Dieser Aufruf stammt von der Gauleitung. Das Kompetenzgerangel beginnt also schon im Vorfeld, ein Rundbrief des Innenministers und ein Aufruf des Gauleiters stehen sich gegenüber.
Lob der Reichenau
(2001)
Die UNESCO sieht eine noble Aufgabe darin, besondere Kultur- und Naturgüter zum Weltkulturerbe zu erklären, weil sie
einen „außergewöhnlichen universellen Wert" besitzen und sich auszeichnen durch ,,Einzigartigkeit" und „Authenzität". Baden-Württemberg war bisher auf dieser Adelsliste nur vertreten durch das Kloster Maulbronn, sicher ein Zentrum religiösen Lebens
im Mittelalter, begründet 1147 von zwölf Elsässer Zisterziensermönchen. Nun wurde auch die Insel Reichenau auserwählt, die
Klostergründung Pirmins von 724, die in der Folgezeit rasch zu einem geistlichen und geistigen Mittelpunkt Europas wurde.
Der Elternverein ABCM - Zweisprachigkeit (Association pour Je Bilinguisme en Classe des Ja Maternelle) wurde im Dezember 1990 unter der Schirmherrschaft seines Ehrenpräsidenten Tomi Ungerer von Richard Weiss, einem Lehrer aus Colmar, gegründet. Die Zielsetzung war in erster Linie, zu erreichen, daß die Schulverwaltung im Elsaß und im deutschsprachigen Lothringen zweisprachige Klassen (Französisch/Regionalsprache) einrichtet. Zu damaliger Zeit gab es schon in ziemlich vielen Klassen zwei oder drei Stunden Deutschunterricht pro Woche, je nach dem guten Willen des Lehrers, und zwar schon seit den
siebziger Jahren. Dies konnte aber den Zerfall der Deutschkenntnisse und des Dialekts in den jüngeren Generationen nicht mehr aufhalten. Es mußte unbedingt etwas Neues gefunden werden, wollte man die Zweisprachigkeit im Elsaß noch retten.
Hans im Schnokeloch
(2001)
Mit dem Liedchen vom wählerischen „Hans im Schnokeloch" verbinde ich eine persönliche Erinnerung. Vor Jahren, als meine Tochter noch im Kindergarten- oder Grundschulalter war, habe ich es ihr - nur verschwommen etwas von seiner Herkunft aus dem Straßburger Raum wissend - gelegentlich vorgesungen, wenn sie mich mit dem einen oder andern Wunsch nach neuen Spielsachen plagte. Die Wirkung war erstaunlich: Die Kleine zog einen halbtrotzigen, halbverschmitzten Schmollmund
und gab sich für eine Weile wieder zufrieden. Daß der Spottvers bereits vor hundert Jahren auf „eigenwillige Kinder" gesungen wurde (Böhme, 1897, S. 289), wußte ich damals genauso wenig wie ich etwas von seiner packenden Entstehungs- und Wirkungsgeschichte ahnte.
Baden, meine zweite Heimat
(2001)
Als geborener Straßburger aus der Zwischenkriegszeit verbrachte ich wie die meisten Stadtkinder bäuerlicher Herkunft den größten Teil meiner Schulferien auf dem Lande bei den Großeltern, vorwiegend mütterlicherseits, und zwar in Kilstett, einem friedlichen Ried-Dorf unweit des Rheins, nördlich von Straßburg auf der legendenumwobenen Goethe-Straße nach
Sesenheim.
Es waren hauptsächlich drei Gründe, die mich bewogen, neben der Fülle bislang publizierter Bild- und Textdokumente zum französischen Deportations- und Internierungslager Gurs nach weiteren Belegen zu suchen: Zum einen die Vorbereitung auf eine fünftägige Gedenkstätten-Gruppenreise im Herbst 2000, die mich über Orleans und Oradour-sur-Glane (b. Limoges) nach Gurs, ca. 13 km nordwestlich von Oloron-Ste. Marie an der Route D 936, ins Departement Pyrenees-Atlantiques und von dort via Noe (b. Toulouse) in das gleichermaßen berüchtigte ehemalige Lager Les Milles östlich von Aix-en-Provence und schließlich nach Carpentras geführt hat. Zusammengenommen anläßlich des sechzigsten Jahrestages der Deportation von sechseinhalbtausend badischen und saarpfälzischen Juden am 22. Oktober 1940. Zum anderen war es meine Vermutung oder eher Zuversicht, aufgrund positiver Erfahrungen bei der Beschaffung von westalliierten Aufklärerfotos zur Totalbombardierung meiner Heimatstadt Halberstadt im nordöstlichen Harzvorland am 8. April 1945 sowie zum fünf Kilometer weiter südlich gelegenen, am 11. April von US-Truppen befreiten KZ Langenstein-Zwieberge, daß solche Senkrechtluftaufnahmen aus zumeist 6 bis 9 Kilometer Höhe auch für Orte außerhalb der reichsdeutschen Grenzen, also für die von der Wehrmacht besetzten Gebiete existieren müßten. Fotodokumente jedenfalls, die das von den ehemals
Internierten so intensiv erinnerte kilometerweite Ausmaß des hier interessierenden südwest-französischen Lagers Gurs besonders deutlich werden ließen. Drittens lag mir daran, mit Hilfe der mutmaßlich zu beschaffenden Luftbilder die bislang publizierten lediglichen Lagerskizzen bzw. -pläne nebst zugehörigen Erläuterungen zu verifizieren, sie authentisch belegt zu
ergänzen und die Fotodokumente anhand eigener Erkenntnisse während der Gedenkstättenbesichtigung - soweit es die Zeit unserer Gruppe dort zuließ -, sachlich weitgehend korrekt zu beschriften.
Freiburg. Nachbarschaft am Oberrhein: Glaubt man dem Freiburger Regierungspräsidenten Sven von Ungern-Sternberg, ist das eine wunderbare Sache. Schließlich, so erzählt er, sehe er seine französischen Kollegen inzwischen öfter als die Regierungspräsidenten aus den baden-württembergischen Nachbarbezirken. Probleme gibt's keine, unter den Verwaltungsspitzen beiderseits des Rhein herrsche ein gutes Klima ohne sonderliche Spannungen. Man kann's auch anders erleben. Christoph Döbeli von der Geschichtswerkstätte Basel spricht von „immer denselben Fettnäpfchen", in die reihum Basler, Badener und Elsässer beim Nachbarn treten - aus Unkenntnis der unterschiedlichen Mentalität. Und darum gehe auf
der normalen alltäglichen Ebene nichts so recht zusammen: Wer beherrscht schon die Sprache des Nachbarn so gut, daß er auch deren Zwischentöne heraushört?
In den „Notices genealogiques des familles de l'ancienne noblesse d'Alsace", die 1862 in Straßburg veröffentlicht wurden, galt ein ausführliches Kapitel auch der Familie Gayling, deren Namen erstmals im 11. Jahrhundert genannt wird und die im 14. Jahrhundert ihrem Familiennamen noch einen Ortsnamen aus der Grafschaft Hanau hinzufügte: Gayling von Altheim. Die Liste der Ämter und Aufgaben, die verschiedene Familienmitglieder in den folgenden Jahrhunderten übernahmen, ist ausführlich und gut dokumentiert. 1994 veröffentlichte die „Societe d'histoire et d'archeologie de Saverne et environs" als
Nr. 166 von „Pays d'Alsace" ein dünnes, aber inhaltsschweres Heft: ,,Buswiller et ses seigneurs les Gayling d'Altheim". Seit 1986 war Georg Fischer, damals noch Bürgermeister von Niedermodem bei Haguenau, in Freiburger Archiven tätig auf der Suche nach den historischen Spuren der Geschichte von Hanau-Lichtenberg rechts und links des Rheins, der Kontakt mit der in Freiburg-Ebnet wohnenden Familie von Gayling wurde hergestellt und damit der Zugang in ein Archiv, das der Forschung zwischen Hagenau und Zabern sicher viele Quellen erschließt. Von 1629 bis Dezember 1793 waren die Stadt Buchsweiler, die Motherburg in Niedermodem und das Dorf Buswiller im Unterelsaß die Heimat der Familie von Gayling-Altheim, die aus dem rechtsrheinischen Hanau-Lichtenberg ins linksrheinische Hanauer Land gewechselt war und dort verwandt wurde mit bekannten Familien der unterelsässischen Ritterschaft, wie z. B. Böcklin von Böcklinsau, Fleckenstein, Berstett. Als 1793 die Familie von Gayling über den Rhein fliehen mußte (und sich schließlich 1811 in Schloß Ebnet bei Freiburg niederließ), wurde dafür gesorgt, daß auch das in der Kalbsgasse in Straßburg lagernde Familienarchiv über die
Grenze gebracht wurde und so diese reiche Quelle für die unterelsässische Adels- und Herrschaftsgeschichte erhalten blieb. Diese Informationen machten es inzwischen möglich, daß z. B. Frederic Rexer/ Bouxwiller anhand einer noch im Oktober 1789 erfolgten Beschreibung des Gayling-Schlosses in Buswiller, das dann 1793/94 durch die Jakobiner zerstört wurde,
den Bau zeichnerisch zu rekonstruieren vermochte.
Nachbarschaft am Oberrhein
(2001)
Die Idee Europa, der Weg der Einheit dieses Kontinents - für uns sicher unbestritten! Nach so vielen nationalen Irrwegen und der Selbstzerfleischung muß Europa unsere Zukunft sein, nicht der Nationalstaat. Dabei ist das Verhältnis Deutschland-Frankreich sicher von besonderer Bedeutung. Aber sind nicht die offiziellen Kontakte nicht zu lästigen Pflichtübungen verkommen? Unsere Vision von Europa ist geprägt und bestimmt von der Vorstellung, daß die Identität Europas verstanden wird als dauerhafte Einheit in großer Vielfalt. Wir sprechen gerne von der europäischen Herzregion am Oberrhein, wo die
Nachbarn rechts und links des Flusses sehr wohl ein gemeinsames kulturelles Erbe haben. Wir sprechen gerne von der „Nachbarschaft am Oberrhein" - von dieser zentralen Region in Europa, die jedoch am Rande der jeweiligen
Staaten liegt, ,,Randregionen", weit weg von Paris, noch viel weiter weg von Berlin. Baden - Elsaß: Der Mythos Elsaß hat in Deutschland, am meisten gewiß in Baden, eine dynamische Kraft.
Internationale Sprach-, Informations- und Kulturkompetenz bilden die Schlüsselqualifikationen der Zukunft, so Hilmar Hoffmann, Präsident der Goetheinstitute. Zweifellos haben die Bewohner eines Grenzgebietes die allerbesten Chancen, diese Fähigkeiten nicht nur theoretisch zu erwerben, sondern auch gleich praktisch anzuwenden. Der daraus zu ziehende Wettbewerbsvorteil gegenüber Bewohnern grenzferner Regionen, aber auch die Frage, wie sich eine Stadt wie Karlsruhe und generell der badische Landesteil in Zeiten der Globalisierung in einem geeinten Europa positionieren könne, haben in den letzten Jahren dazu geführt, die grenzüberschreitenden Beziehungen zum Elsaß stärker als bisher auszubauen. Denn mehr als fünfzig Jahre nach Kriegsende bedarf es neuer Begründungen für eine besondere Rolle der deutsch-französischen Zusammenarbeit, die, insbesondere für die „jüngere" Generation (ab 50 abwärts) scheinbar so selbstverständlich, so normal, aber deswegen eben auch nicht besonders spannend zu sein scheint.
Die heutige Zusammenarbeit der Universitäten in der oberrheinischen Region läßt sich in ihren Anfängen genau bestimmen. In den Rechenschaftsberichten des Rektors der Universität Freiburg vor 1983 kommt der Begriff nicht vor, obwohl es mit der Universität Basel Kontakte der Rektorate und eher punktuelle Kontakte von Wissenschaftlern gab, ebenso
verdienen die schon länger von der Johann Wolfgang Goethe-Stiftung geförderten sog. Regioseminare der Germanisten der Universitäten Freiburg-Basel-Straßburg eine besondere Erwähnung. Im November 1983 fand unter dem Titel
,,Universität 2000" eine vom Europarat initiierte Tagung in Straßburg statt, bei der die Rektoren der oberrheinischen Universitäten zusammen mit den Regionalkörperschaften des Elsasses und Basels eine weitere Zusammenarbeit ins Auge faßten. Es war dann vor allem der Recteur der Academie de Strasbourg et Chancelier des Universites d'Alsace, P. Deyon, der im Jahr darauf die begonnenen Überlegungen zur Zusammenarbeit der Universitäten unter Einbeziehung der Universität Karlsruhe weitertrieb. So wurden besonders ökologische Themen z. B. zur Klimaforschung in der Region in Arbeitsgruppen vorbereitet.
Wir kehren uns den Rücken zu
(2001)
Ich bin ich und er ist er. Jeder auf seinem Boden und ein hoher engmaschiger Zaun zwischen unseren beiden Gerechtsamen. Damit es nicht zu Anfechtungen komme. Ordnung muß sein. Ja doch, es kommt vor, daß wir miteinander sprechen, wir sind schließlich Nachbarn. Aber das Gespräch halten wir kurz, seine Sprache ist sowieso nicht die meine, und zum Gemüse- und
Obstaustausch genügen eigentlich Gebärden. Auch denkt er anders als ich und orientiert sich nach Osten, meine Bezugsrichtung dagegen ist der Westen.
Der Begriff der „elsässischen Identität" hat sich in der Nachkriegszeit als Konterpart zum viel benutzten Terminus der „französischen" Identität herausgebildet und setzt an die Stelle der Monokultur, der Monosprachigkeit eine ,,elsässische" Doppelkultur und Doppelsprachigkeit als Anspruch und Verantwortung. Elsässer sein heißt: Anspruch erheben auf die französische Staatsbürgerschaft mit allem, was dies beinhaltet im politischen und kulturellen Bereich und Mitinhaber sein der deutschen Sprache und ihrer kulturellen Komponente im Elsaß (in der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft).
Diese „Janusköpfigkeit", diese Zugehörigkeit zu zwei Sprach- und zwei Kulturräumen, dieses „und" oder „plus" wirkte und wirkt seit jeher störend und wurde/ wird fast immer mißverstanden. Es erhebt sich die Frage, wie dieser Begriff einer spezifisch elsässischen Identität von den Bewohnern des heutigen Elsaß rezipiert und reflektiert wird. Dabei ist in Betracht zu ziehen, daß die Elsässer in der bewegten politischen Geschichte der letzten 120 Jahre viermal die Staatsangehörigkeit und die „Nationalsprache" wechseln mußten.
Helmut Lutz
(2001)
„Grenzüberschreitung" - das ist schon immer sein Ziel gewesen, Grenzen überwinden mit den Mitteln der Kunst. Als der Künstler Helmut Lutz sich vor 30 Jahren auf dem Münsterberg in Breisach ansiedelte, dort sein Wohnhaus und sein Atelier teilweise mit eigenen Händen baute, ging sein Blick über den Rhein, über die deutsch-französische Grenze hinweg, hinüber zum Festungsstern nach Neuf-Brisach. Der doppelt-achteckige Festungsstern hatte geradezu magische Wirkung auf ihn, inspirierte ihn zu einem Werk von monumentalen Ausmaßen, zu seinem „Sternenweg": Ein Kunstwerk mit Figuren und Instrumenten u. a. aus Stahl, Stein und Holz - ein Mysterienspiel, ein „Spectaculum" aus Klang und sparsam eingesetzter Sprache, aus Schwingung und Bewegung - ein kultisches Weg-Spiel, zu dem der spanische Komponist Cristobal Halffter die Musik schuf. Der Künstler verstand dieses Werk von Anfang an als seine „Europa-Weg-Initiative", womit er beides zugleich benennt: seine Lebensaufgabe und den Weg zu deren Verwirklichung. Europa „erfahren" und auf diese Weise an einem
zukunftsfähigen Europa bauen, dieses Ziel hat er, seitdem er an der Realisierung dieser Utopie arbeitet, nie aus den Augen gelassen.
Europäer?
(2001)
Otto Flake ist 1880 in Metz geboren, 1963 in Baden-Baden gestorben. Sein Vater war Verwaltungsbeamter in Elsaß-Lothringen, Flake verbrachte so seine Kindheit im Saargemünd, Mulhouse, Colmar, studierte in Straßburg. Literarische Aktivitäten entwickelte er zusammen mit Rene Schickele. Vorbild waren die französischen Romanciers Balzac, Flaubert, Stendhal. Als freier Schriftsteller hatte er vielfache Ortswechsel, ab 1928 lebte er überwiegend in Baden-Baden. Er bearbeitete u. a. auch viele badische Themen: ,,Kaspar Hauser", ,,Türkenlouis", zwei Bände „Badische Chronik". Vor allem aber überzeugte er auch als zuverlässiger Übersetzer und Herausgeber wichtiger Texte aus der französischen Literatur, verstand sich ganz bewußt als Mittler zwischen Frankreich und Deutschland (Vgl. die Kurzbiographie von Erich Kleinschmidt in BW-Biographien I, 85 ff). Die Resignation kennzeichnet sein Spätwerk.
Das Elsaß und die Elsässer
(2001)
Wie vor Generationen ist auch heute noch das Elsaß eine bemerkenswerte Natur- und Kulturlandschaft, der man seiner Ursprünglichkeit halber ein höchstes Lob zollen muß. Johann Wolfgang Goethe hat die Elsässer in seinem Jahrhundert schon als „Bewohner eines Paradieses" tituliert, wobei er mit seiner Bewunderung an alte, von der römischen Antike herrührende Bezeichnungen anknüpfte. Hat er doch ein ganzes Jahr im Elsaß zugebracht und dabei Land und Leute kennen gelernt. Im Mittelpunkt eines größeren Interesses steht das Elsaß heute nicht mehr, wenngleich die Auswahl Straßburgs als Europastadt das Land heraushebt. Auch die Spannungen um den Besitz dieses Landstrichs sind heute behoben, aber doch hat sich sein Schicksal der letzten Jahrhunderte in das Bewußtsein der Menschen beispielhaft eingegraben. Gerade dieses Schicksal der letzten Jahrhunderte hat Frederic Hoffet, der aus dem Elsaß stammt und seine Menschen kennt, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg (1951) einer psychoanalytischen Deutung unterzogen, die im Elsaß selbst und darüber hinaus Aufsehen erregt hat.
- hopp la, guck mal da! Aus einem mit einem blauen Band zusammengeknoteten Stoß alter Briefe, verschlissener Inflationsgeldscheine mit Millionenbeträgen und seit Jahrzehnten beglichener Haushaltsrechnungen zückt Mutter ein Schulheft hervor. Die Farbe des Umschlags ist so verblichen, daß man kaum zwischen blau und violett unterscheiden kann. - ach ja, mein Schulheft! damals war ich erst. . . Moment mal, Januar 1918, na erst sieben! Tatsächlich verkündet ein mit verschnörkelten Arabesken verziertes Etikett: Elsaß-Lothringen Emma Rublé Straßburg - komisch doch, damals die Schreibart mit e! Vater bestand ausdrücklich auf dem é mit Akzent.
Salon du Livre in Colmar
(2001)
Am 25. und 26. November 2000 fand auf dem Ausstellungsgelände, dem „Parc de l'Exposition", in Colmar zum 11. Mal der „Salon du Livre" statt. Wie der Name schon andeutet, ist es keine Buchmesse im herkömmlichen Sinn. Der „Salon du Livre" ist vielmehr eine Demonstration um und für das Buch. Immerhin ist es die größte Bücherschau Ostfrankreichs mit über 600 Ausstellern und Akteuren. Der Unterschied zu einer Buchmesse, bei welcher es außer um Information über Neuheiten vor allem um Geschäftsabschlüsse geht, wird in Colmar durch die Gliederung in vier Abteilungen deutlich, welche in den vier weiten Ausstellungshallen untergebracht sind.
Daß der Rhein eigentlich keine Trennungslinie ist, zeigte am Oberlauf schon immer die Praxis. Wir sehen dies hier am Beispiel der Grafschaft Hanau-Lichtenberg: Das heute noch sogenannte Hanauerland umfaßt die Landschaften um das rechtsrheinische Kehl und das linksrheinische Buchsweiler und Lichtenberg, nordwestlich der Stadt Hagenau. Dieses Land
am Oberrhein gehörte seit 1480 zur Grafschaft Hanau-Lichtenberg. Der linksrheinische Teil kam 1763 an Hessen-Darmstadt, die rechtsrheinischen Ländereien an Baden. Im elsässischen Hanauerland waren auch die Herren von Gayling begütert, insbesondere im Gebiet Pfaffenhofen-Niedermodern, Berstett, Zutzendorf etc ... , wo mehrere kleinere Schlösser in ihrem Besitz waren. Die Gemeinde Niedermodern hat auch noch heute das Gaylingsche Wappen in ihrem Siegel. Heute hat die
Familie von Gayling ihren Wohnsitz im Schloß Ebnet bei Freiburg, nachdem sie ihre elsässische Heimat in den Wirren der französischen Revolution 1793 verlassen mußte.
Der Landesvorsitzende der Badischen Heimat hatte den deutschen Koordinator der Deutsch-Französischen Begegnungsstätte Breisach Clemens Gaul zu Gast zu Information und Gedankenaustausch. Zu Funktion und Zielsetzung seiner Arbeit sagte Clemens Gaul u. a.: ,,Die deutsch-französische Schülerbegegnungsstätte in Breisach besteht seit 1989 in einem modernen Haus in idealer geographischer Lage mit der optimalen Möglichkeit der pädagogischen Zusammenarbeit mit dem
Betreuertandem Clemens Gaul am Martin-Schongauer-Gymnasium in Breisach und Jean-Pierre Meistermann am Lycee Kastler in Guebwiller. Unser Schwerpunkt ist die bilinguale Projektarbeit, mit der wir versuchen, Schüler für den Kultur- und Lebensraum Oberrhein zu motivieren, wie auch für die Sprachen, die dort gesprochen werden.
Zu Seuchen und Pandemien
(2023)
Im Medizinstudium lernt man, dass eine Pandemie eine sich ausbreitende Infektionskrankheit ist, welche sich zeitlich begrenzt über Ländergrenzen hinweg verbreitet. Im Gegensatz zu einer Epidemie, welche örtlich begrenzt abläuft. Wohingegen eine Endemie örtlich begrenzt und zeitlich unbegrenzt verläuft. Eine Pandemie wirkte früher ein bisschen wie der Stoff, aus denen Katastrophenfilme gemacht werden. Dennoch waren sich Experten einig, dass mit Pandemien zu rechnen ist. Deshalb wurde der nationale Influenza-Pandemieplan vom Robert-Koch-Institut im Jahr 2017 aktualisiert. Es gibt genug Zitate aus der Fachwelt und der Politik, in denen vorher von einer Pandemie gewarnt wurde.
Maskenstickerei
(2023)
Auf dem Titelbild des letzten GHV-Jahrbuchs waren die Masken abgebildet, die einst den schweren, roten Vorhang des Theaters am Ring schmückten. Wir wissen, dass diese Artefakte, die Komödie und Tragödie symbolisieren, auf der Grundlage einer zeichnerischen Vorlage des Villinger Kunstmalers Richard Ackermann als Kunststickerei entstanden, die in ihrer filigranen Ausführung Generationen von Theater- und Kinobesucher(innen) in ihren Bann zog, bevor der sie tragende Vorhang sich öffnete und die Vorstellung beginnen konnte.
Mit „Der Krieg erreicht Villingen“ endet die Reihe mit Tagebuchauszügen. Während der dritte Teil unter anderem die Berichte von der Front zum Inhalt hatte, geht es in diesem Aufsatz um die Auswirkungen des Krieges auf Villingen und Umgebung. Den Schwerpunkt bilden die Anmerkungen zu den Tagen ab dem 12. April 1945. Mit ihnen haben wir einen Zeitzeugenbericht über die Ereignisse zum unmittelbaren Kriegsende in Villingen. Mit der Abfahrt aus Villingen und der Fahrt über Frankreich nach Amsterdam, die Thijs Jonker mit vielen Fotos dokumentiert, klingt die Artikelserie aus.
Mit seinen beiden Türmen, dem 53,94 Meter hohen Nordturm und dem 52,54 Meter hohen Südturm, ist das Münster das charakteristische Wahrzeichen der alten Zähringerstadt Villingen. So wie das Gotteshaus mit seinen Türmen dem Stadtbild ein unverwechselbares Gepräge gibt, so gehört auch der Klang seiner Glocken seit Jahrhunderten ganz selbstverständlich zum Leben der Menschen. Zu jeder Viertelstunde lassen die Glocken hören, was die Uhr geschlagen hat. Zu den Gottesdiensten rufen die Glocken in verschiedenen Zusammensetzungen und an hohen Festtagen liegt der gewaltige Klang aller neun Münsterglocken wie ein Teppich über der Stadt. Die Glocken des Münsters haben, wie die aller Kirchen landauf landab, eine bewegte und wechselvolle Geschichte. Immer wieder wurden Glocken neu beschafft, ausgetauscht und ergänzt. Immer wieder raubten Kriege die Rufer von den Türmen und immer wieder beschafften die Villinger Glocken, um ihrem Münster eine würdige Stimme zu geben.
Die Stadtbibliothek Villingen-Schwenningen feiert dieses Jahr ihr 50-jähriges Bestehen. Die Gründung hängt direkt mit dem Städtezusammenschluss von 1972 zusammen. In beiden Stadtbezirken bestanden schon lange zuvor Büchereien in Trägerschaft der jeweiligen selbstständigen Städte. Die Entwicklung dieser beiden Einrichtungen soll im Aufsatz dargestellt werden. 2022 ist nicht nur das 50-jährige Bestehen der Stadt Villingen-Schwenningen zu feiern, sondern ebenso das gemeinsame 50-jährige der Stadtbibliothek. Hinzu kommt, dass die Bibliothek Villingen Ihren hundertsten Geburtstag feiert, denn 1922 wurde mit der Lesehalle die Vorgängerin der heutigen Bibliothek eröffnet – und die Schwenninger Stadtbibliothek wird 2023 quasi nachziehen und ihren 75. Geburtstag begehen. Ein guter Grund, die Geschichte dieser Einrichtung der Doppelstadt zu betrachten.
Es geschah am 24. Mai
(2023)
Im Herbst 1947 konnte die Würzburger Künstlerin Gertraud Rostosky in Schwenningen 10 Original-Lithographien von der Handpresse abziehen und diese Grafik-Mappe in einer Auflage von 33 Exemplaren auflegen. Das war in Kunstkreisen eine Sensation, denn die Schwenninger Presse, gegründet von dem jungen Arzt Dr. Franz Georg Ludwig (Lovis) Gremliza, bot neben der ’eidos-presse’ in Stuttgart als erste Druckpresse nach dem Zweiten Weltkrieg ehemals von den Nationalsozialisten verfemten Künstlern die Möglichkeit, Auflagendrucke herzustellen.
"Freut euch mit Jerusalem!"
(2023)
“[I]n dem jar Christe 1489 war ein gar großes jubileum ußgangen von dem päpstlichen stuel zue Rom, dergleichen in vil jaren nie geschehen. Und disse große gnadt war auch der statt Villingen verkindt.” Das schreibt Juliane Ernstin (1589 – 1665), die Verfasserin der Chronik des Konvents von St. Klara im Villinger Bickenkloster und dessen Äbtissin zwischen 1655 und 1665. Demnach hatte der Papst 1489 der Stadt Villingen die Feier eines stellvertretenden römischen Jubeljahrs gewährt. Soweit ich sehe, wird dieses Ereignis in keiner anderen Quelle erwähnt. Trotz dieses Umstands und obgleich das Jahr (keineswegs ein „rundes“) und der Ort für ein derartiges Ereignis ungewöhnlich und überraschend erscheinen mögen, waren solche Anlässe dennoch alltäglich und beliebt: In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, und schon zuvor, suchten eine Reihe von Städten um die Erlaubnis nach, das römische Jubeljahr bei sich zu feiern. Beispiele sind Augsburg und Ulm 1451, Erfurt 1488, Nürnberg 1489 sowie Hamburg und Lübeck 1503.
Der Klimawandel ist eine zentrale gesellschaftliche Herausforderung. Die Folgen der Erderwärmung sind schon heute zu beobachten und die im Pariser Klimaschutzabkommen festgelegte Begrenzung der menschengemachten globalen Erwärmung auf 1,5 Grad erfordert erhebliche Anstrengungen zur Reduktion der globalen CO2-Emissionen. Die Verknappung der Energieressourcen, der weltweit steigende Energieverbrauch und der Klimawandel umreißen die Handlungsschwerpunkte der Energiepolitik in Gegenwart und Zukunft. Jugendliche machen mit ihrer Bewegung „Fridays for Future“ auf das Thema aufmerksam, dass zur Sicherung akzeptabler Lebensbedingungen auch in der Zukunft die derzeitige Energie- und Klimaschutzpolitik umgestellt werden muss. Erste Reaktionen der Politik sind erfolgt: Der Bund hat Eckpunkte zum Klimaschutz beschlossen, das Land hat am 12. Oktober 2021 das Klimaschutzgesetz Baden-Württemberg (KSG BW) 2013 novelliert und verschärft.
Steinbeis – Das ist ein Name, der im Gedächtnis bleibt. Aber wer verbirgt sich hinter der Person, in der die Begriffe „Stein“ und „beißen“ scheinbar aufeinanderprallen? Hinter dem Namensgeber für den weltweiten Steinbeis-Verbund für Wissens- und Technologietransfer und dessen Niederlassung in Villingen? Ferdinand von Steinbeis ließ sich von Widerständen nicht beirren, eckte an, revolutionierte mit seinen Ideen. Er gilt als „Wegbereiter der Wirtschaft“ in Württemberg. Dabei hätte er eigentlich Pfarrer werden sollen.
Der mittelalterliche Baubestand Villingens ist seit mehr als drei Jahrzehnten Gegenstand baugeschichtlicher Untersuchungen und durch den Verfasser in verschiedenen Beiträgen thematisiert worden. Im Vordergrund standen dabei Analysen zu Bau- und Nutzungsstrukturen der ältesten Bürgerhäuser und deren bauliche Einbindung in das städtische Siedlungsgefüge. Dabei war es von Anfang an das Bestreben, die erzielten Ergebnisse durch dendrochronologische Untersuchungen zeitlich zu schichten, um über das so gewonnene Datierungsraster von absolut datierten Bauphasen vergleichbare, aber nicht datierte Befunde bzw. Bauzustände relativ sicher einordnen zu können.
Mein Vorgänger im Amt, Gerhard Gebauer stellte 1998 in einem Aufsatz zur Fusion von Villingen und Schwenningen vor 50 Jahren mit Stolz fest, dass die Neubildung der Stadt Villingen-Schwenningen in Deutschland die größte Gemeindereformmaßnahme war, die seit 1945 erfolgreich durchgeführt wurde. Dies gilt auch heute fast 25 Jahre später, und das macht den Sachverhalt noch bemerkenswerter. Hinzu kommt, dass diese Fusion auf der Grundlage einer Zustimmung der Bürgerschaft in beiden Städten Schwenningen und Villingen vollzogen wurde. Aber neben der Würdigung dieses doch sehr einzigartigen Vorgangs stellt sich deshalb die Frage, weshalb es keine Nachahmer mehr gab, und ob man dann tatsächlich vom Erfolg dieser Maßnahme sprechen kann.
Es war im Februar 2018, als ich folgende Mail erhielt: „Sehr geehrte Damen und Herren, mein Name ist Lotem Pinchover und ich bin Ph. D. Kandidatin der mittelalterlichen Kunstgeschichte an der Hebräischen Universität von Jerusalem, Israel (…). Ich schreibe meine Dissertation über mittelalterliche künstlerische Darstellungen von Jerusalem in deutschen Nonnenklöstern. Ich habe die interessante Geschichte des Bickenklosters und der Ablasstafeln kennen gelernt, und es machte mich sehr neugierig. Im April dieses Jahres beabsichtige ich, Deutschland zu besuchen, und ich würde gerne die Gebäude des ehemaligen Klosters besichtigen. Ist es möglich, das mittelalterliche Klostergebäude zu besuchen? (…)“
Der Gemeinderat der Doppelstadt Villingen-Schwenningen entschied am 16. 01. 2016 (bei einigen Gegenstimmen und mehreren Enthaltungen) die Straßen im Baugebiet Friedrichspark gemäß dem Vorschlag des Bauträgers Topbau nach der Familie Großherzog Friedrichs I. von Baden zu benennen. Eine dieser Straßen erhielt den Namen Luise-von-Preußen-Straße nach der Gemahlin Friedrichs. Außerdem errichtet das Villinger Familienheim seit 2021 auf der gegenüberliegenden Straßenseite das LuisenQuartier, das ebenfalls das Andenken an die Großherzogin ehrt. Wer war Prinzessin Luise von Preußen, durch Heirat Großherzogin von Baden, derer noch im 21. Jahrhundert in der Doppelstadt, von der einst nur ein Teil zum Großherzogtum Baden gehörte, gedacht wird?
2021 hat der Gemeinderat einen Realisierungsbeschluss für das Museumsquartier Bürk in Schwenningen gefasst. Die denkmalgeschützten ehemaligen Fabrikräume der Württembergischen Uhrenfabrik Bürk & Söhne werden zu einem neuen Kulturzentrum ausgebaut. Endlich gibt es damit Hoffnung für die Schwenninger Museumslandschaft, seit Jahrzehnten geprägt von infrastruktureller, personeller und finanzieller Unterversorgung und mit einem seit Jahren nur noch sporadisch geöffneten Heimat- und Uhrenmuseum. Das neue Museumsquartier Bürk wird kein Stadtmuseum für Schwenningen im traditionellen Sinn, keine Parallelstruktur zum erfolgreichen Villinger Franzikanermuseum. Das Bürk-Areal wird Begegnungsstätte und Diskussionsforum der Zivilgesellschaft mit dem Generalthema „Zeit“: Zeitstrukturen, Zeitregime, Zeitvorstellungen, kurz gesagt zur Frage, wie wir unsere Zeit verbringen wollen.
Das Sinfonieorchester Villingen-Schwenningen wurde noch in der Kaiserzeit am 12.08.1912 als ‚Orchesterverein Villingen‘ gegründet und besteht seit 110 Jahren als Verein. Die zahlreichen Namensänderungen spiegeln die wechselvolle Geschichte Deutschlands in der Zeit zweier Weltkriege, eines geteilten Deutschlands und der Wiedervereinigung wider. Die ‚Streicherabteilung‘ der Stadt- und Bürgerwehrmusik Villingen, wurde in schwieriger Zeit im Januar 1953 in ‚Villinger Kammerorchester e.V.‘ umbenannt. Mit dem Städtezusammenschluss 1972 von Villingen und Schwenningen, der sich in diesem Jahr zum 50. Male jährt, wurde folgerichtig die Namensänderung in ‚Kammerorchester Villingen-Schwenningen e.V.‘ vollzogen und war damit einer der ersten Vereine der gemeinsamen Stadt.
Ein völlig unbekanntes Kapitel der Villinger Kulturgeschichte ist der Verlag deutscher Klassiker des eigenwilligen Professors
Josef Josua Eiselein (1781 – 1856). Dieser war ab 1818 Lehrer und Präfekt am Gymnasium in Donaueschingen, wurde im
selben Jahr zum Priester geweiht und war ab 1820 Hofkaplan in Donaueschingen und Bibliothekar der Fürstenbergischen
Hofbibliothek. 1823 trat er überraschend zum evangelischen Glauben über und verließ Donaueschingen. Ab 1822 veranlasste
er die Herausgabe der Werke Lessings und gab von 1825 bis 1829 in eigener Verantwortung die Werke von Johann J.
Winckelmann (1717 – 1768) in einer zwölfbändigen Ausgabe heraus, die z.T. bis heute Gültigkeit besitzt.
Das verflixte Jahr 1806
(2023)
Gilt das Jahr 1806 insgesamt in der deutschen Geschichte als ein „Epochenjahr“, das den Übergang vom feudalen ins bürgerliche Zeitalter kennzeichnet, so war es dies für die Geschichte der Stadt Villingen in erhöhtem Maße, denn die Bürger der ehrwürdigen Stadt an der Brigach erlebten in diesem verflixten Jahr mehrere existenzielle Herrschaftswechsel und mehr als eine Schrecksekunde.
Der wilde Mann von Villingen
(2023)
Der wilde Mann von Villingen hat Anlass gegeben zur Einordnung von Sebastian Münster (*1488 – † 1552) und dessen Cosmographia (1544) in die europäische Umbruchszeit des 15. und 16. Jahrhunderts. Die „Weltbeschreibung“ Münsters lebte auch davon, dass sie Fremdes und „wunderbarliche Dinge“ darstellte. Einhegnung und Einordnung durch wissenschaftliche Systematisierung erlebten die menschlichen Wunderrassen in Mittelalter und beginnender früher Neuzeit. Das galt gerade auch für die Wildmenschen, wilde Männer und Frauen, die – immerhin unmittelbar der christlichen Zivilisation benachbart – doch nur Wesen am Rand der Gesellschaft waren, von deren Existenz im Grunde nur das Bücherwissen Auskunft gab. Die wilden Menschen gehörten zu den in Münsters Cosmographia ausgiebig betrachteten Monstern und Fabelwesen. Sie gehörten auch zu Gottes Schöpfungsplan im christlichen Kosmos des Mittelalters und der frühen Neuzeit. Aus Münsters Darstellung des wilden Manns von Villingen gehen die Eigenschaften der Wild- oder Waldmenschen hervor: Ursprünglichkeit, Kraft, Robustheit, Wildheit, Sexualität, kurz gesagt: Fremdheit. Ob es den wilden Mann wirklich gegeben hat, diesen Außenseiter der Gesellschaft, der lieber allein abseits von den Menschen im Wald lebte, oder ob er eine Sage und Legende war, die die Villinger Bürger sich erzählten, muss dahingestellt bleiben. Für Münster war der Abschnitt über Villingen in seiner Cosmographia insofern bedeutsam, dass er damit den Gegensatz zwischen Natur und Kultur, Wald und wilder Mann auf der einen, Stadt und bürgerliche Zivilisation auf der anderen Seite beschrieb und hervorhob.
Obwohl über einen Zeitraum von nahezu zwei Jahrhunderten nachzuzeichnen, ist die Geschichte der Erwerbungen von Abgüssen antiker Plastik durch das Haus Baden und des Fortbestandes dieser Sammlungen bislang kaum untersucht und nie zusammenhängend dargestellt worden. Auch die einzelnen Komplexe dieser Sammlungsgeschichte, die durch das Engagement des Hauses Baden wie durch einen roten Faden verbunden sind, gleichwohl aber auch für sich stehen könnten, haben zum Teil wenig Beachtung gefunden. So ist z. B. weitgehend unbekannt, dass auch Markgräfin Karoline Luise von Baden (1723–1783) in Karlsruhe eine eigene Abguss-Sammlung besaß. Und weitgehend in Vergessenheit geraten ist auch die Existenz einer Abguss-Sammlung im Mannheimer Schlossmuseum. Erweitert werden soll die Darstellung außerdem um die Anfänge der ersten Sammlung von Antikenabgüssen für die Karlsruher Zeichenakademie unter Markgraf Karl Friedrich von Baden (1728–1811).
Das heutige Stadtgebiet von Lörrach umfasst außer der Gemarkung des Kernortes die von sechs angrenzenden ehemals selbstständigen Dörfern. Stetten wurde 1908 eingemeindet, Tüllingen und Turnringen 1935; Haagen schloss sich im Zug der Gemeindereform 1974 an die Stadt an, und Brombach und Hauingen wurden 1975 eingemeindet. Verwaltungszentrum war bis in die frühe Neuzeit das Röttler Schloss, dessen Vogt die Dörfer Turnringen, Haagen und Hauingen direkt unterstellt waren, ebenso wie die kleinen Siedlungen Rötteln, wo seit Urzeiten eine Kirche steht, und Röttelnweiler.
Seit seiner Gründung im Jahre 1926 hat der Röttelnbund e. V. eine beträchtliche Leistung für den Erhalt des Kulturgutes „Röttler Schloss" erbracht. Basierend auf der Satzung, welche den Erhalt der Burgruine in den Vordergrund stellt, ist neben dem Vorstand die freiwillige Arbeitsgruppe das tragende Element der Vereinsarbeit. Bei Beginn der Vereinstätigkeit war das
Ziel, die zum Teil desolate Burgruine zu erhalten. Dies geschah zum Teil gegen den Widerstand der Bevölkerung, welche die romantische Kulisse, das „Märchenschloss", gefährdet sah. Zugegebenerweise ist eine zugewachsene, mit Efeu berankte Burgruine sicherlich ein schöner, gerade von Dichtern gepriesener Anblick, doch die Schäden darunter sind zum Teil unermesslich und müssen angegangen werden. So war dies die primäre Aufgabe und blieb es eigentlich auch bis heute.
Wer im Jahr 1882 von Basel aus mit der Eisenbahn nach Lörrach fuhr, erreichte eine kleine Industriestadt von etwa achttausend Einwohnern. In jenem Jahr feierte Lörrach sein zweihundertjähriges Stadtjubiläum. Aus diesem Anlass wurde die aktuelle Stadtgestalt zum ersten Mal ausführlich gewürdigt. Ein Blick rechts aus dem Zugfenster hätte dem Reisenden kurz vor der Ankunft auf dem 1862 errichteten Bahnhof die repräsentativen Neubauten des Amtsgerichts und der Hebelschule gezeigt. Auf der linken Zugseite jedoch wäre der Blick des Ankömmlings, nachdem der Zug die Wallbrunnstraße passiert hätte, in Höhe der heutigen Belchenstraße lediglich über unbedeutende Kleingärten geglitten.
Städte vom Zuschnitt Lörrachs sind im Grunde urbane Zwitter: Sie sind längst keine Kleinstadt mehr und noch lange keine Großstadt. In dieser Zwischenlage ist es fast unmöglich, eine unverwechselbare kommunale Identität zu entwickeln, es sei denn, etwas Einzigartiges verbinde sich mit dem Stadtnamen, so wie einem zum Beispiel bei Colmar die Altstadt einfällt und das Unterlinden-Museum mit dem weltberühmten Grünewald-Altar. Lörrach hat nichts dergleichen, denn Johann Peter Hebel kann die Stadt nur eingeschränkt für sich beanspruchen. Erschwerend kommt die Nachbarschaft Basels hinzu, das mit seiner Universität und Musik-Akademie, seinem Dreispartentheater und Sinfonieorchester, seinen inzwischen fünf großen Museen, der Paul Sacher Stiftung und seinen diversen Instrumentalensembles und Chören einen starken kulturellen Sog auf die Nachbarschaft ausübt. Noch vor 20 Jahren war es die Regel, dass Lörrachs musik- oder theaterliebende Bürger und seine Kunstfreunde ihre kulturellen Bedürfnisse fast ausschließlich in Basel befriedigten.
Vier Fotos aus Lörrach
(2002)
Es könnte ein Bühnenbild sein, zum Beispiel eine Opernschlussszene, in der noch einmal alle Personen auftreten und sich dorthin gestellt haben, wo der Regisseur sie haben will. Vom in der Mitte die Hauptdarsteller, in ihrem Rücken, teils direkt hinter ihnen stehend, das mitspielende Volk, teils, um die Bildchoreografie zu steigern, von zwei Fenstern im ersten Stock eines die Szene abschließenden Hauses aus zuschauend. Eine grandiose Finalmusik ist zu hören, denn die Vernunft und das Gute haben gesiegt, und alle Beteiligten singen sich in den Triumph der Menschlichkeit hinein, ehe der Vorhang fällt und begeisterter Applaus aufrauscht. Nichts von alledem. Das Foto zeigt vier ältere Frauen und drei Männer in Wintermänteln, Hüten und Handgepäck, deren Blicke ins Leere fallen. Am linken Bildrand ist ein Uniformierter zu sehen, er hat den Mund geöffnet und erhebt den Zeigefinger der rechten Hand.
Die Unvergessene
(2002)
Zuerst war da der Name: Hilde Ziegler, Autorin eines Buches mit einem, wie ich fand, irritierend-albernen Titel. Eine Freundin hatte es mir zum Geburtstag geschenkt, ich begann am nächsten Abend darin zu lesen und legte es erst wieder aus den Händen, als ich es durch hatte. Und fasziniert, ja begeistert war! Diese Präzision der Beobachtung in den liebenden kurzen Rückblicken. Alemannisch immer nur dort, wo es unverzichtbar war, um Augenblicke unverfälscht aufleben zu lassen, die zum Teil fast ein halbes Jahrhundert zurück lagen. Da die Badische Zeitung eine Buchbesprechung bringen wollte, las ich immer wieder in diesen „Erinnerungen eines Kindes" und kam so der Autorin stetig näher. Dass wir uns wenig später auf einem Beisammensein der Dreiland-Kolumnisten leibhaftig trafen, erschien mir als logische Folge meiner Lese- und Schreibarbeit. An jenem Abend in der Cafeteria der Basler Zeitung begann unsere Freundschaft, die am 9. Februar vor drei Jahren keineswegs endete, als sie vormittags ihr Haus oberhalb Leymens verließ, durch den Schnee über die Wiesen hinunter ins Dorf lief, um dort ihr Leben zu beenden.
Briefe der Brüder
(2002)
Friedrich Vortisch (1899-1991), Rechtsanwalt, Stadtrat und Landtagsabgeordneter in Lörrach ist der Verfasser der hier abgedruckten Briefe aus den Jahren 1933-1940. Empfänger war sein Bruder Hanns Vortisch (1900-1982), der 1923 nach Argentinien ausgewandert und in Monte Carlo, Misiones, ansässig geworden war. Von diesem gibt es nur den ungewöhnlichen Brief vom 3.12.1933, der als frühes Echo der Vorgänge im Deutschen Reich in diese Sammlung aufgenommen wurde. Hanns Vortisch hat die Briefe seines Bruders gesammelt und bis zu seinem Tode aufbewahrt. Seine Tochter Ursula Volberg de Vortisch, die nach Aufenthalten in Mexiko, Indien und Deutschland wieder zum elterlichen Anwesen in Monte Carlo zurückgekehrt ist, hat mir die Briefe, die infolge der eigenwilligen deutschen Handschrift für sie unleserlich waren, überlassen. Dafür gebührt ihr besonderer Dank, ebenso für die langwierige Suche des Briefs ihres Vaters vom 3.12.1933, der aus dem Nachlass der Mutter Minna Vortisch (1874-1976) wieder nach Argentinien zurückgelangt war. Nach ihrer Rückkehr lagen die Briefe einige Jahre unberührt in Lörrach. Als eine erste Durchsicht ergeben hatte, daß ein großer Teil der Briefe nicht aus Deutschland, sondern aus der Schweiz geschrieben worden war, erwachte meine Neugierde, denn grundlos war dieser Schreib- und Absendeort in den 30-er Jahren nicht gewählt worden.
Robert Reitzel
(2002)
Im Jahre 1889 sah das Städtchen Schopfheim Besuch aus den USA. Der Emigrant Robert Reitzel aus Langenau, von seinem Vater 20jährig als vermeintlicher Taugenichts nach Amerika abgeschoben, hatte von einem Gönner Geld für eine Europareise geschenkt bekommen. Doch Reitzels Heimweh erwies sich, wie jede sentimentale Regung, als ein zweifelhafter Ratgeber - denn die Wiederbegegnung wurde zu einer einzigen Enttäuschung. Überall fand der Wiesentäler, der 1849 just in der Nacht
zur Welt gekommen war, als sein Elternhaus nach Schriften und Revolutionären durchsucht wurde, die badisch-demokratische Tradition in einem „spezifischen Preußentum" ersäuft, und das allenthalben sichtbare „preußische Wappenvieh" bewies ihm unfehlbar eine „unfreie Grundstimmung". Aus dem einst demokratischen „Statthalter von Schopfheim" seines Onkels Georg Uehlin war nach dem deutsch-französischen Krieg ein nationalliberales Blättchen geworden, und was Reitzel selbst betraf, so musste er erkennen, dass er das Stigma des schwarzen Schafes der Familie und der verkrachten Existenz noch immer nicht los geworden war. Zwar hatte sich Reitzel drüben zu einem geachteten Schriftsteller entwickelt und in Detroit ein eigenes Blatt begründet - doch wer wusste das schon in der alten Heimat, wo ihm der Vater, ein ehemaliger Schulmeister, und die eigenen Verwandten mit unverhohlenem Misstrauen begegneten.
Marie Baumgartner
(2002)
Marie Baumgartner entstammte dem Geschlecht der Mühlhauser Textilindustriellen Koechlin. Durch ihre Heirat mit Jakob (Jacques) Baumgartner im Jahre 1851 kam sie zwanzigjährig nach Lörrach. Wie sehr indes die geistreiche und belesene Frau, die einen Teil ihrer Erziehung in Rouen genossen hatte, ihrer Heimat, der französischen Kultur und Lebensart verbunden blieb, beweist die Entschiedenheit, mit der sie nach dem deutsch-französischen Krieg überzeugte Elsässerin blieb. Sie soll sogar Gedichte und Schriften gegen die Germanisierung und Prussifizierung des Elsass' verfasst haben.
"Schöpflin Haagen - weitersagen", wer kennt diesen Slogan nicht . . . . kannte, muss man jetzt eigentlich sagen, denn das traditionsreiche Großversandhaus Schöpflin im südbadischen Lörrach gibt es nicht mehr. Der Mutterkonzern Quelle kündigte 1998 die Schließung Schöpflins an. Davon betroffen waren 900 Beschäftigte. Die Art und Weise der Schließung löste eine beispielgebende Unterstützungskampagne aus, die in einem bundesweiten Boykott gegen die Firma Quelle gipfelte.
Es wird ein turbulentes Jahr jüngerer Lörracher Geschichte aus der Sicht einer Beteiligten geschildert. Geschichte geschieht nicht einfach. Sie wird von Menschen gemacht, die etwas tun oder nicht tun.
Er wagte sich auf viele Gebiete der Bildenden Kunst. Ob Malerei, Bildhauerei, Keramik oder Holz- und Linolschnitt, keine Kunstgattung war Paul Ibenthaler fremd. Deshalb verwundert es nicht, dass er sich auch der Glasmalerei zuwandte.
In seiner Geburtstadt Lörrach hatte er gleich zweimal hintereinander die Gelegenheit, sich dieser in der Hauptsache angewandten und monumentalen Kunst zu nähern. Er entwarf die Beichtkapellenfenster für St. Peter und ein Seitenkapellenfenster für St. Bonifatius. Bei diesen Aufträgen machte er Erfahrung mit einem sehr wichtigen Element der Architektur, dem Fenster und dessen farblicher Gestaltung. Ibenthaler musste von seiner bisherigen Arbeitsweise abweichen, denn anders als bei seinen freien Arbeiten war er hier an den Ort und seine Nutzung gebunden; und auf beide hatte er eine stimmige Antwort zu finden. Seinem künstlerischen Konzept musste er den genauen Grund- und Aufriss der Kirche und
der Seitenkapelle zu Grunde legen. Als erstes malte er das Bild im Maßstab von 1:10, das er erst später in den Maßstab von 1:1 vergrößerte, als der Auftraggeber diesem Vorschlag zugestimmt hatte.
"Max Laeuger gilt heute noch als der Beste unter den Keramikern Deutschland", so ist zu lesen in einem Bericht über die Geschichte der Majolika-Manufaktur Karlsruhe (Badische Heimat, Heft 4, 2001, S. 665 ff.). Wer war dieser Künstler? Nun, schlägt man in der Kunstgeschichte das Kapitel "Jugendstil" auf, so wird man sicherlich auf den Namen Max Laeuger stoßen, ganz bestimmt aber, wenn in jener Zeit von Keramik die Rede ist, denn er spielte in der Entwicklung der modernen Keramik des 20. Jahrhunderts eine bedeutende Rolle.
Manfred Marquardt
(2002)
Manfred Marquardt wurde am 25.12.1927 in Lörrach in eine Handwerkerfamilie (Tapeziermeister) geboren, besuchte dort von 1934-39 die Hebelschule und anschließend bis 1948 das Hans-Thoma-Gymnasium, unterbrochen durch Arbeitsdienst in Böhmen und Kriegsdienst in der Wehrmacht. Nach dem Abitur studierte er ein Semester an der Universität Freiburg „Philosophie des Geistes" bei Prof. H. Müller, ,,Vom Wesen der Erziehung" bei Prof. Fink und „Psychologie der menschlichen
Beziehung" bei Prof. Bender. In einem diskussionsfreudigen Künstler- und Lehrerkreis mit dem Dichtermaler Paul Hübner, dem Keramiker Hermann Messerschmidt, mit Walter Eichin, Heinz Baumgartner und Ulf Schünemann wurde, geprägt durch die Erfahrungen in der Nazizeit, ein neues, optimistisches Menschenbild entworfen, die Entwicklung der modernen Malerei und Musik der Welt außerhalb Deutschlands nachgeholt. Dem Jazz blieb Manfred Marquardt enthusiastisch verbunden bis ans Lebensende. Von 1949-51 studierte er an der Pädagogischen Akademie in Lörrach mit dem Abschluss für das Lehramt an Volksschulen. Seine erste Stelle war in Marzell, im oberen Kandertal, von wo aus er auch die Söhne des Wirts auf dem Hochblauen (1167 m) unterrichtete, im Winter nach anstrengender Tour auf Skiern.
Neun Jahrzehnte Schöpflin
(2002)
Heute ist Schöpflin in unserer Gegend ein typischer und öfters vorkommender Familienname - sonst nichts. Nichts mehr. Im letzten Jahrhundert war Schöpflin das Synonym für Einkaufs- und Verdienstquelle im vorderen Wiesental und im südlichen Rebland. Welche wirtschaftliche Bedeutung Schöpflin für die Gemeinde Haagen hatte, ist in der Haagener Ortschronik von 1965 belegt. Auch die Ortschronik von Brombach von 1972 und das Jahrbuch der Stadt Lörrach von 1974 widmen der Firma größere Beiträge. Daraus, dazu aus Erzählungen der Gründerin und aus anderen Quellen, wie den Werkzeitschriften aus verschiedenen Jahren, beschreibe ich hier die Geschichte der Firma.
In Lörrach flanieren
(2002)
Wer Lörrach von weither bereist, zum Beispiel mit dem Autoreisezug, wundert sich vielleicht über die lebhafte und unterhaltsame Atmosphäre der Kreisstadt. Und wer gerne andernorts der Kunst wegen reist, ist erstaunt über die zahlreichen großen Skulpturen in der Kernstadt. Beides verdankt sich dem Konzept einer verkehrsberuhigten Innenstadt mit Fußgängerzone. Die Menschen kaufen nicht nur gerne hier ein, sondern bummeln auch mit Genuss an Schaufenstern in den Straßen und Gässchen vorbei oder sitzen in einem der vielen Lokale auf den verschiedenen Plätzen - in Lörrach kann Sehen und Gesehenwerden ebenso zum unverzichtbaren Freizeitwert gehören wie die Begegnung mit zeitgenössischer Kunst.
Das Museum am Burghof bewahrt die bedeutendste kulturhistorische Sammlung der Region zwischen Breisgau und Bodensee. Unter diesen über 50 000 Objekten befinden sich zahlreiche Exponate zur Geschichte der Stadt Lörrach. Das Autorinnenteam hat aus dieser Vielzahl einige Gegenstände ausgewählt, die auf vielfältige Weise Einblicke in Lörrachs Geschichte geben. Diese Objekte stammen aus verschiedenen Jahrhunderten und gehören zu unterschiedlichsten Sammlungsgebieten. Sie erzählen aus dem Alltag der Menschen oder stehen als Zeugen für ein historisches Ereignis. Die Betreuung der Sammlung gehört mit zu den wichtigsten Aufgaben der Museumsarbeit. Seit mehreren Jahren werden die Objekte in einer Datenbank mit Bild wissenschaftlich erfasst. Ziel des Museums ist es, alle Objekte in diese computerunterstützte Dokumentation aufzunehmen, um schließlich auch interessierten Museumsbesuchern die Möglichkeit zu geben, sich per Mausklick in der Museumssammlung zu bewegen
Bischof Burkhard von Basel, das Kloster St. Alban und ihre Beziehungen zu Lörrach und Umgebung
(2002)
Die Urahnen der Grafen von Straßburg waren die Herren von Fenis. In diese Familie gehört auch Bischof Burkhard von Basel. Er nannte sich zeitweilig auch „Burkhard von Hasenburg", weil er einige Zeit dort gelebt hatte. Der Lausanner Bischof Kuno war sein Bruder. Der Vater der beiden ist Graf Ulrich von Fenis. Bischof Burkhard, dessen verwandtschaftliche Beziehungen tief in den burgundischen Raum in die Gegend des Neuenburger Sees hineinreichten, war zuvor Kämmerer des Mainzer Erzbischofs. In den Urkunden des Klosters St. Alban in Basel erscheint zweimal ein Mangold von Fenis, ein jüngerer Bruder von Burkhard. Er wurde der Vater der ersten beiden Grafen von Neuenburg, deren Nachfahren zusammen mit Philipp, dem letzten Markgrafen von Hachberg-Sausenberg und Herrn von Rötteln, in der Schlosskirche bestattet und in einem lebensgroßen Denkmal verewigt sind. Das Herz Markgraf Philipps wurde bekanntlich 1503 in der Röttler Kirche in der Gruft Rudolfs III. beigesetzt.
Es dauerte dann doch noch ein paar Jahre, bis alles gebaut war und funktionierte. Aber im Sommer 1852, am 27. Juli bzw. 11. August, wurde der „Vertrag zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Großherzogtum Baden betreffend die Weiterführung der badischen Eisenbahnen über schweizerisches Gebiet" abgeschlossen. Wodurch waren Badens Interessen begründet?
J. P. Hebel und Lörrach
(2002)
Seit der Eingemeindung Hauingens zur Stadt Lörrach 1975 beginnt dieses Thema bereits am 30. Juli 1759 mit der Trauung der Eltern Johann Peter Hebels in der Hauinger Kirche. Hier fand aber nicht nur die Hochzeit der Eltern in der Kirche und anschließend im Gasthaus „Zum Bad" statt, hier im „Bad" kam nach Pfarrer Richard Nutzingers Erzählung und Recherchen „Das Hanspeterli" von 1938 am 10. Mai 1760 auch Johann Peter Hebel zur Welt. Zahlreiche Belege dieser Wahrscheinlichkeit habe ich in der „Hauinger Chronik" von 2002 festgehalten. Ein weiteres Indiz liefert auch Gustav Oberholzer in seinem Artikel „Die Rechtsverhältnisse des Johann Jakob Hebel" (,,Das Markgräflerland" 1/1985), als der Vater J. P. Hebels beim Oberamt Lörrach 1759 zwecks Heirat mit Ursula Örtlin sich als Hintersass in Hausen bewarb. Dort heißt es wörtlich: ,,Jakob Hebels Heirat pressierte". Denn eine eheliche Verlobung sollte damals nur ein halbes Jahr dauern.
Ende November 2002 wurde das Museum am Burghof in Lörrach nach eineinhalbjähriger Schließung neu eröffnet. Anlässlich Lörrachs 900-Jahr-Feier wurden die Räume gründlich saniert, ein Lift an das Gebäude angebaut und die Dauerausstellung neu gestaltet. Thema der permanenten Ausstellung sind Gegenwart und Geschichte der RegioTriRhena, der Drei-Länder-Region zwischen Schwarzwald, Vogesen und Schweizer Jura. Die Wiedereröffnung des Museums bietet Anlass für einen Rückblick auf
die Entwicklung des Lörracher Museums in den vergangenen 120 Jahren.
Minna Vortisch-Großmann
(2002)
Minna Vortisch-Großmann wurde am 6.8.1874 als Tochter des Textilindustriellen Emil Großmann, dessen Familie bedeutenden Anteil an der Industrialisierung des Wiesentals hatte, in Uhingen/Württ. geboren. Sie war von Geburt Schweizerin und Bürgerin von Aarburg. Ihre Mutter Elise, geb. Wenner, war eine Tochter jenes Lörracher Bürgermeisters Karl Georg Wenner, der in den Jahren 1848/49 wegen Unterstützung der Revolution sein Amt verlor und inhaftiert wurde. Er wurde 10 Jahre später erneut vom Vertrauen seiner Mitbürger an die Spitze der Gemeinde berufen. Die Tochter Elise soll in der Revolutionszeit 1848/ 49
dem inhaftierten Vater täglich das Essen in den „Turm" gebracht haben.
Begegnung mit dem Islam
(2002)
Wie selbstverständlich reden wir von der Welt des Islams, aber was meinen wir damit? Islam ist bei uns ein Sammelname für den islamischen Glauben, für eine Hochkultur, für eine politische Theorie und für ein Weltreich, das sich von Nordafrika bis Indien ausdehnte. Heute wird Islam im Westen nicht selten und bereitwillig gleichgesetzt mit einem seiner bedrohlichsten Zweige und einem seiner aggressivsten Auswüchse, mit dem sogenannten Fundamentalismus oder Islamismus. Die politischen Verhältnisse im Nahen Osten, der Fanatismus der Taliban oder die Fetwa gegen Salman Rushdie z. B. bestimmen, wie der Islam in Europa wahrgenommen wird. Sie haben das alte Feindbild des militanten Islam wieder belebt und die Ängste und auch die Abwehr gegenüber dem uns Fremden und Unbekannten wachsen lassen.
Vorausgegangen ist diesem Essay ein Vortrag im Museum, der fraglos ziemlich kühn in seiner Ankündigung war: Ist das Markgräflerland eine „Kunstprovinz" oder ist die Kunst hier im Markgräflerland doch nur provinziell? Zum Begriff „Kunstprovinz". Diese erste Frage ist ein wenig Lockvogel-Attrappe und sollte rasch beseitigt werden. Dem Begriff
,,Kunstprovinz" haftet heute ein unauslöschliches Odium des Pejorativen, des Unfreien, Stubenhockerischen, Verengten an. Das war aber nicht immer so. Die berühmtesten Kunstprovinzen erblühten im Italien der Renaissance, in der Toscana. (Ganz nebenbei: Unter deren herrlichen Früchten lässt sich ja auch ziemlich viel von musealem Kunst-Dörrobst finden). Heute
spricht man, um dem Missverständnis vorzubeugen, bei solchen Kunstprovinzen lieber von Kunstlandschaften, Regionen oder von Schulen. Wahrscheinlich drückt sich in dieser Zurückweisung des Begriffes „Kunstprovinz" auch der Zweifel aus, ob in einer Landschaft, in ihrem „Blut und Boden", überhaupt noch derartige Wirkungsmacht steckt. Jedenfalls haben jüngere Kunstregionen mit etwas weniger kunstgeschichtlichem Strahlenglanz auszukommen. Die Pleinairisten von Pontoise, die das Silberlicht der Erlen so hingebungsvoll perfektionierten, wussten sich bereits zu bescheiden.
Lörrach: Kunst und Stadt
(2002)
Noch vor wenigen Jahren war Lörrach auch traditioneller Standort der Textilindustrie. Mitte der neunziger Jahre geriet dann das seit fast 250 Jahren im Stadtgebiet ansässige textilverarbeitende Unternehmen KBC Manufaktur in Schwierigkeiten und war gezwungen, sich von wesentlichen Teilen der Produktionsflächen zu trennen. Stadt und Betrieb sahen sich vor die gemeinsame Aufgabe gestellt, aus dieser akuten Notlage für beide Seiten das Beste zu machen: Es galt aus stadtentwicklungspolitischer Perspektive einen Kompromiss zu suchen, der trotz der unaufhaltsamen Veränderungsdynamik in diesem Quartier für die Gesamtstadt dennoch Innovationsimpulse zu initiieren vermochte. Alternative städtebauliche Konzeptionen waren nun gefragt, die Erarbeitung eines Zentren- und Märktekonzepts, neue Prioritäten in der Verkehrsplanung, Verhandlungen zu einem städtebaulichen Vertrag mit potentiellen Investoren, Rahmenvorgaben zu Planungszielen und Funktionszuweisungen
auch für Teilbereiche der Gewerbebrache und vieles andere mehr.
Wohnkultur auf Burg Rötteln
(2002)
Als Hans von Waltheim aus Halle an der Saale am 9. Juli 1474 den Markgrafen Rudolf IV. auf Schloss Rötteln besuchte, tat er das vor allem, um dessen burgundischen Wirkmeister und seine Wandteppiche zu sehen. Der Wirkmeister führte den Gast in die Kemenate des Markgrafen. Hans von Waldheim staunt über die Schönheit der Tapisserien und beschreibt,
dass der Raum „oben und an allen Mauern mit Teppichen überzogen war. Das war das hübscheste Werk von Bildern, von Angesichten, von Kleidungen, von Tieren und Blumen und von anderem Werke, gleich als ob es lebte, dergleichen ich nicht viele gesehen habe" (nach Werminghoff 1922, 79 f. bzw. Waldheim 1925, 87, von der Autorin ins Hochdeutsche bertragen). Der Reisebericht des Wallfahrers ist eine der wenigen schriftlichen Quellen, die Auskunft darüber geben, wie es einstmals in den Gemächern der Burg ausgesehen hat. Solche Wirkteppiche wie Waltheim sie beschreibt haben sich in verschiedenen Sammlungen bis heute erhalten. 1990 war im Historischen Museum in Basel eine Ausstellung von Bildteppichen des 15. Jahrhunderts aus Basel und Straßburg unter dem Titel „Zahm und wild" zu sehen. Vermutlich hat das eine oder andere dort
gezeigte Stück ehemals auf Burg Rötteln gehangen oder wurde sogar dort gefertigt. Heute ist es den Autorinnen des Katalogs immerhin möglich, anhand stilistischer und technischer Merkmale die Stücke der Basler oder der Straßburger Wirkproduktion zuzuweisen (Rapp Buri/Stucky-Schürer 1990, 24 ff.).
Seit Jahrtausenden kreuzen sich am Rheinknie die Verkehrswege vom Süden Europas nach Norden mit denen, welche von der Donau entlang des Hochrheines durch die Burgunder Pforte nach Westeuropa führen. Jeder Durchreisende ist auch heute noch von der mächtigen Burgruine Rötteln, dem Kleinod des vorderen Wiesentales, tief beeindruckt. Nicht weniger interessant ist die Geschichte und die politische Bedeutung der Herrschaft Rötteln. Immer lagen die Besitztümer in mehrerer Herren Länder. Dies erforderte von den Edelherren von Rötteln und später von den Markgrafen von Rötteln besonderes diplomatisches und politisches Geschick, um nicht zwischen den großen Kontrahenten der damaligen Zeit (Burgund, Österreich, Frankreich und Eidgenossenschaft) zerrieben zu werden.
Salem
(2002)
Badische Kommissare nahmen am 1. Oktober 1802 für den Markgrafen Carl Friedrich und dessen Söhne Ludwig und Friedrich eines der fortschrittlichsten Klöster Süddeutschlands - und ein sehr begütertes - ,,provisorisch" in Besitz: Salem, die 1134 gegründete Zisterzienserabtei, ausgezeichnet in langer Tradition durch beispielhafte Leistungen in Kunst und Wissenschaft, berühmt durch eine umfangreiche Bibliothek und bedeutende naturwissenschaftliche Sammlungen. Der „Reichsdeputationshauptschluß" von 1803 bestätigte die Inbesitznahme; Carl Friedrich, nun Kurfürst geworden, verfügte, die ihm nun zugefallenen Teile der ehemaligen Reichsabtei Salem und auch der Abtei Petershausen in seinen Erträgen den jüngeren Söhnen des Hauses Baden zukommen zu lassen. Sie haben dort auch zeitweise gewohnt - in den alten Gegebenheiten und Verhältnissen. So wurde Salem in der Tat verschont von Demontage und Ausplünderung, in ihrer Gesamtheit blieben Gebäude und Ausstattung erhalten (Das Archiv wird heute im Generallandesarchiv Karlsruhe aufbewahrt, die Bibliothek gehört seit 1826 zum Bestand der Universität Heidelberg).
Pünktlich zum Sommeranfang am 21.6.2002 wurde ein weiterer Teil der geplanten Gesamt- und Dauerausstellung „Baden von den Anfängen bis zur Gegenwart" im Schloss zu Karlsruhe, Sitz des Badischen Landesmuseums, eingeweiht. Der neue Ausstellungsteil mit vielen informativen Schau- und Hinweistafeln zur Geschichte und technisch-zivilisatorischen Entwicklung des Landes - wie auch en detail seiner Einwohner - beginnt mit dem Schicksalsjahr 1918, als am 9. 11. der Waffenstillstand im Eisenbahnwagen bei Compiegne geschlossen wurde.
Pädagoge und Historiker
(2002)
Franz Schnabel ist am 18. Dezember 1887 als Sohn einer Kaufmannsfamilie in Mannheim geboren. Die Mutter war Französin, Normannin, Katholikin. Sie vermittelte schon dem Jungen weite Perspektiven: „Dank den Verwandten meiner Mutter kam ich schon als Knabe nach der Normandie und nach Paris. Wer aber in seiner Jugend französischen Boden betritt, wird immer den Sinn für die großen Konturen der Weltgeschichte mitnehmen". Am Gymnasium seiner Vaterstadt erfuhr Franz Schnabel eine klassische Bildung, er ließ sich für das ganze Leben prägen in bester humanistischer Tradition, er machte sich auch vertraut mit der reichen lokalen und regionalen Kulturgeschichte, erlebte aber auch direkt die industrielle Dynamik der Region Mannheim. Nach dem Abitur lag das Französisch-Studium für ihn nahe (für die Insel-Bücherei übersetzte Schnabel später „Carmen" von
Pros per Merimee), Geschichte aber wurde das Thema und der Inhalt seines Lebens.
Geboren ist Max Rieple am 13. Februar 1902 in Donaueschingen und zwar „in dem traditionsreichen Zimmer, in dem Josef Viktor von Scheffel Studien zu seinem nie vollendeten Wartburg - Roman gemacht hatte" (Scheffel wohnte dort von 1857 bis 1859). So schrieb Rieple selbst in seinen Lebenserinnerungen - mit liebevollen Texten, die zurückblenden auf das „Fürstenschloß inmitten eines eichendorffschönen Parks", auf die Schätze der Hofbibliothek, die der „Ekkehard" - Dichter einmal betreut hatte, an die „Fasnet" seiner Kindertage: Der 13. Februar 1902, der "schmutzige Dunschdig" - an diesem alemannischen Festtag ist Max Rieple geboren. 1911 erhielt die Firma des Vaters Timotheus Rieple den Titel „Lieferant seiner Durchlaucht des Fürsten von Fürstenberg" - Textilien, Kurzwaren, Haushaltswaren, Spielwaren kaufte man u. a. bei „Rieple's". Aber 1912 verlor der 10-jährige seine Mutter, die noch mit viel Freude hatte erleben dürfen, wie der kleine Max seine musischen Talente entwickelte. Sich für eine bestimmte Studien- bzw. Berufsrichtung zu entscheiden, fiel dem 20-jährigen schwer; aber er hatte gar keine Wahl, er hatte letztlich das väterliche Geschäft zu übernehmen - und durfte hoffen auf einen Anteil an allem, was das kulturelle Leben Donaueschingens zu bieten hatte.
Am 5. Oktober 2001 wurde in Unteralpfen, Gemeinde Albbruck (Hochrhein), die Jakob-Ebner-Stube eröffnet. In Anlehnung an den Emil Baader initiierten Heimatstuben-Gedanken wird hier an den charismatischen Sohn der Gemeinde, Dr. Jakob Ebner (1873-1960), erinnert. Heft 4/2001 berichtete über die Stubeneinweihung im Geburtshaus des Priesters. In der gleichen Ausgabe begann eine Gesamtschau der Heimatstuben im Bereich der Gemeinde Albbruck, die mit vier „intakten" Stuben aufwarten kann. Diese Kurzportraits werden nun abschließend fortgesetzt.
Die Verweigerung der Moderne
(2002)
Die Beschäftigung mit der Architektur Albert Speers (1905-1981) führt zwangsläufig zu einer Auseinandersetzung mit seinem Bauen im Dritten Reich. In einer Veröffentlichung der Arbeiten Speers, für die er selbst das Vorwort schrieb, werden seine Arbeiten erst ab 1933, dem Jahr der Machtergreifung Hitlers aufgeführt. Karl Arndts Aussage, daß Speers „Bauaufträge [...] so gut wie ausschließlich mit dem nationalsozialistischen Regime verbunden" seien, ist zu bestätigen. Allerdings wären da nicht wenige Indizien für ein architektonisches Schaffen vor 1933, könnte es den Eindruck erwecken, Albert Speer sei als Chefarchitekt und Handlanger Hitlers wie ein Phönix aus der Asche gestiegen. Um ein differenziertes Bild seiner architektonischen Entwicklung zu erhalten, ist es notwendig den Fokus auf seine frühen Entwürfe, die nicht im nationalsozialistischen Kontext entstanden sind, zu richten. Neben den Entwürfen eines Siedlungshauses (um 1931) und
einer evangelischen Kirche in Berlin-Zehlendorf (vor 1933), beziehen sich zwei der raren Entwürfe aus der frühen Schaffensperiode interessanterweise auf Heidelberg: Es handelt sich um ein Zweifamilienhaus, das er 1929 für seine Schwiegereltern in Heidelberg-Schlierbach realisiert und um den Entwurf eines Gärtnerhauses, das nicht ausgeführt worden ist.
Auf der Höhe seiner Schaffenskraft wird Heinrich Hübsch (1795-1863), der grosse badische Baumeister der Romantik und Leiter der Bauverwaltung des Großherzogtums in der Nachfolge Friedrich Weinbrenners, mit einer Aufgabe betraut, die in der ersten Hälfte des 19. Jh. zu den wichtigsten und technisch anspruchsvollsten öffentlichen Bauaufgaben gehört, nämlich der Erbauung einer zentralen Strafanstalt. Mit der Schaffung des Männerzuchthauses in Bruchsal wird Baden, neben Preußen, eines der führenden Länder der Zeit bei der Entwicklung und Humanisierung des Strafvollzuges und des Strafvollzugsbaues.