Kaiserreich
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Ein Schatz aus dem Ersten Weltkrieg hat nach
knapp 100 Jahren einen Ehrenplatz in der Villinger
Zehntscheuer gefunden: ein Nageltisch mit
einem Eisernen Kreuz aus dem Brauereigasthaus
Ott, der sich seit Ende der 80er-Jahre im Besitz der
Historischen Narrozunft befindet.
Der Tisch entstand bei einer ungewöhnlichen
Aktion: „Nagelungen waren eine besondere Art
von Wohltätigkeitsveranstaltungen, bei denen in
hölzerne Symbole Nägel eingeschlagen wurden,
die man zuvor gekauft hatte”, erklärt Barbara
Schneider 1998 in ihrem Beitrag über den Ersten
Weltkrieg in der Reihe der Blätter zur Geschichte
der Stadt. Um die Verbundenheit mit der Front zu
zeigen, spendeten die Bürger Geld für Hinterbliebene
oder Soldaten.
Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs war ein einschneidendes Erlebnis auch für die Schüler der Realschulen und Gymnasien. Das soll im Folgenden anhand einiger Schülerpostkarten gezeigt werden, die vor und nach dem Beginn des Ersten Weltkrieges von Schülern verfertigt und an Freunde und Verwandte anlässlich der bestandenen mittleren Reife bzw. des Abiturs verschickt wurden. Die Einstellungen der Schüler reichen dabei – je nach dem Kriegsverlauf und den damit verbundenen persönlichen Erfahrungen – vom „Hurra-Patriotismus“ bis zu dem fatalen Eindruck, nur gelenktes Schlachtvieh zu sein. Die Erfahrungen der jungen Menschen spiegeln sich in den dargestellten Themen wie auch in der künstlerischen und materiellen Qualität der Karten. Waren die oft bunten Karten der Wilhelminischen Ära im Wesentlichen von rückwärtsgewandten Motiven aus Antike und Mittelalter geprägt, so sind die Botschaften nach Kriegsausbruch auf die Gegenwart des Krieges bezogen, in der Aussage klarer, häufig einfigurig und in der Regel auch einfarbig. Dies gilt sowohl für die Einjährigenkarten wie auch für die Karten zum Abitur.
Die Revolution 1918/ 19, durch die das Kaiserreich gestürzt und die Weimarer Republik geschaffen wurde, gehört zu den zahlreichen Ereignissen aus den Jahren vor 1933, die in der breiten Öffentlichkeit weitgehend in Vergessenheit gerieten. Es war eine Revolution von links, die Kaiser Wilhelm II. am 9. November 1918 zur Abdankung zwang. Sie wurde zwar nicht von
der SPD gemacht, doch stellte sich die SPD an die Spitze, um die Revolution zu mäßigen. Ein sechsköpfiger „Rat der Volksbeauftragten" wurde gebildet, der paritätisch aus Vertretern der SPD und ihrer linken Abspaltung, der USPD
(Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands), zusammengesetzt war und die vorherige Reichsregierung unter dem Prinzen Max von Baden ablöste. Der in Heidelberg geborene Friedrich Ebert (SPD) stand faktisch an der Spitze dieses Rates und nannte sich selbst „Reichskanzler" - eine Amtsbezeichnung, die es bis zum Februar 1919 offiziell nicht gab.
Das Bauland hat in seiner Geschichte immer wieder Bauernunruhen erlebt. So war die Region
sowohl im Bauernkrieg als auch bei den Unruhen zu Beginn der 1848er-Revolution eine Hochburg.
Aber auch später erwies sich die Region als rebellisch. Ausdrückliche Bezugnahmen auf
den Bauernkrieg gab es auch im 20. Jahrhundert, besonders bei Protesten nach dem Ersten
Weltkrieg und im Zuge der Auseinandersetzung um die Daimler-Benz-Teststrecke in Boxberg.
Unter dem Titel „Wie die Kriegsjahre in der Heimat wirkten“ gab die Musikerin und Dichterin Clara Faisst (1872–1948) ihre „Tagebuchaufzeichnungen und Selbsterlebnisse“ aus der Kriegszeit wieder. Sie war die Tochter des Garnisonspredigers und Oberkirchenrats Gustav August Faisst (1834–1873) und Schwägerin des Pfarrers Dr. Ernst Lehmann. Sie selbst blieb unverheiratet. Clara Faisst studierte Klavier und Komposition, letzteres in der Meisterklasse von Max Bruch. Ihren Lebensunterhalt verdiente Clara Faisst als Pianistin und vor allem als Klavierlehrerin. Sie unterhielt regen Kontakt zu anderen Künstlern, u.a. zu Hans Thoma. Clara Faisst, die als eine der wenigen Frauen ihrer Zeit berufstätig war, unterstützte u.a. Marie Baum in ihrem Kampf um die Gleichberechtigung der Frauen in der Arbeitswelt. Das sog. Karlsruher Kriegstagebuch ist wohl unmittelbar nach Kriegsende in der vorliegenden Form zusammengestellt worden, wenn die Reinschriften und eingefügten Korrekturen auch sehr zeitnah gefertigt worden sein dürften. Es beruht, wie sie selbst sagte, auf eigenen Tagebuchnotizen und Erinnerungen. Auf 159 mit der Schreibmaschine eng beschriebenen Seiten schildert sie ihre Sicht des Krieges an der „Heimatfront“ in Karlsruhe. Die ursprünglichen handschriftlichen Aufzeichnungen sind teilweise noch vorhanden. Dabei hat sie die Stellen, die sie übernommen bzw. verarbeitet hatte, in der Vorlage ausgestrichen. Es handelt sich also teilweise auch um eine Überarbeitungen der ursprünglichen Niederschriften, ohne dass jedoch die
Unmittelbarkeit der Sprache und Gedanken verloren gegangen wäre. In die Schilderungen des Geschehens sind z.T. umfangreiche Reflexionen eingeflochten, aber auch dichterische Arbeiten (Abhandlungen und Gedichte), die in den Jahren des Krieges entstanden sind. Diese mit schriftstellerischen Ambitionen geschriebenen Abhandlungen stechen durch Papier und Typografie auch optisch und formal aus dem eigentlichen Tagebuchnotizen heraus.
[Bischesser Leut] 1914
(2014)
1914 befanden sich Straßburg und Kehl im wilhelminischen Kaiserreich und waren durch den Rhein in zwei politische Einheiten getrennt: das Großherzogtum Baden rechts und das Reichsland Elsass-Lothringen links des Flusses. Die wirtschaftliche Einheit blieb aber gewahrt und gefestigt durch die Rheinbrücke und die Tramlinie. Bei Ausbruch des Krieges war das demographische Gewicht beider Städte sehr ungleich. Die Metropole des Elsass’ zählte 180.000, Kehl, das 1910 teilweise noch ländlich geprägt war, nur 9000 Einwohner. Nach dem Ausbruch des Krieges gehörten beide Städte zum Festungsbereich und lebten somit unter dem Befehl des gemeinsamen Festungskommandanten, was öfter den Handel und den Verkehr zwischen beiden Ufern behinderte. Dazu kam noch der politische Unterschied zwischen dem Großherzogtum und dem
Reichsland. Seit Kriegsausbruch wurde die Rheinbrücke stark kontrolliert. Die badischen Staatsangehörigen brauchten eine behördliche Genehmigung, um das Elsass zu betreten, wie auch umgekehrt die Elsässer nicht ohne entsprechende Dokumente den Rhein überqueren durften. Die Truppen, die nach Westen fuhren, wurden an der Brücke informiert, dass sie nun eine „unzuverlässige“ Gegend betreten würden, was die jungen elsässischen Soldaten sehr beleidigte, wie mir ein Augenzeuge aus Obermodern im Hanauerland bestätigte. Wenigstens
blieb der ganze Festungsbereich auf beiden Seiten des Rheins während der vier Kriegsjahre von Bombardierungen und anderen Zerstörungen verschont.
Das im Jahre 1872 von Franz Xaver Leibold gegründete „Ettenheimer Wochenblatt“, das ab 1879 unter dem Titel „Ettenheimer Zeitung“ erschien, ist eine wertvolle Geschichtsquelle, die auch einen Blick auf die Ereignisse und Begebenheiten während des Ersten Weltkrieges in Ettenheim ermöglicht. Am Anfang steht großformatig und für jeden eindeutig erkennbar die Bekanntgabe der Mobilmachung, die in der „Ettenheimer Zeitung“ am 1. August 1914 im „Amtlichen Verkündigungsblatt für den Amtsbezirk Ettenheim“ befohlen wird. Verantwortlich für die Veröffentlichung ist das Großherzogliche Bezirksamt Ettenheim. Da es damals weder Fernseh- noch Rundfunksendungen gab, waren Plakate und Zeitungen die einzigen Medien, um die gesamte Bevölkerung schnell und flächendeckend mit dieser besonderen Information zu erreichen. Die erste Rundfunkübertragung in Deutschland fand übrigens erst im Dezember 1920, also nach Beendigung des Krieges statt.
Am Abend des 22. Mai 1922 wurde Sina Aronsfrau, ein Mannheimer Kaufmann mit ostjüdischen Wurzel, ermordet. Schon bald kam der Verdacht auf, der Mord mitten in den Quadraten sei von einer radikalen antisemitisch-völkischen Organisation verübt worden.
Ausgehend von dieser Tat untersucht die Studie die frühe völkische Bewegung in Mannheim. Ihr erster Fokus liegt auf den 1890-er Jahren, als in Mannheim die Redaktion einer antisemitischen Zeitung ihren Sitz nahm und erstmals zu einem öffentlichen Boykottaufruf gegenüber jüdisch geführten Geschäften aufrief.
Die weitere Entwicklung bis in die frühen Jahre der Weimarer Republik sind durch eine Reihe von antisemitischen Ereignissen und immer dichteren Strukturen innerhalb der völkischen Bewegung gekennzeichnet. Die Autorinnen, Karen Strobel und Brigitte Zwerger, benennen in ihrer Studie Beteiligte und Vereinigungen, die in Mannheim in jenen Jahren aktiv waren, bevor der NS-Staat heraufzog.
Dabei zeigt sich, dass viele der radikalisierten Aktivisten dem gehobenen Bürgertum entstammten und darunter nicht wenige Jugendliche und junge Erwachsene zu finden sind, die nach 1933 Karriere machten. Einen vorläufigen Höhepunkt ihrer Aktivitäten bildete das Jahr 1922. Eine Reihe von antisemitischen Vorfällen und Sprengstoffanschlägen erschütterte die Stadt.
Mit ihrer Studie möchten die Autorinnen nicht nur an den Mord an Sina Aronsfrau erinnern, sondern völkische Strukturen und den breiten Antisemitismus aufzeigen, der bereits vor 1933 in weiten Teilen der Mannheimer Bevölkerung, wenn auch verdeckt, verankert war und auf dem das NS-Regime aufbauen konnte.
Mitten im Ersten Weltkrieg, im Jahr 1916, pflanzte ein junger Zwangsarbeiter aus der Ukraine bei einem Bauernhof in Nordrach ein kleines Bäumchen. Daraus ist eine stattliche Fichte geworden, deren Entstehungsgeschichte zum 100-jährigen
Ende des Ersten Weltkrieges im Jahr 2018 einer Erinnerung würdig ist. Den im Laufe der Jahrzehnte etwas windschief gewordenen markanten Baum oberhalb des Ortszentrums der Schwarzwaldgemeinde Nordrach haben wohl die meisten Einwohner schon mal unbewusst gesehen, wenn sie etwa beim Gräberbesuch oder bei Beerdigungen auf dem Friedhof nach oben auf die Felder blicken. Auch Besuchern der traditionellen Kilwi immer am letzten Augustwochenende könnte der Baum beim Bummel zwischen den Marktständen rund um die neugotische Pfarrkirche St. Ulrich schon mal aufgefallen sein. Die große Fichte erhebt sich auf einer kleinen Anhöhe neben dem Hermerhansenhof im Dorf. Wind und Wetter haben sie in den
100 Jahren, in denen sie dort steht, etwas zerzaust, die Spitze oben ist von Stürmen gekappt.
Der offizielle Hurrapatriotismus des Kaiserreichs und die fast einhellige Kriegsbegeisterung im städtischen Bildungsbürgertum, anfängliche Siegesmeldungen von der Front, bald aber auch Nachrichten von vielen Verwundeten und Gefallenen versetzten die Pfarrer in den Heimatgemeinden bereits vom August 1914 an unter einen besonderen Erwartungsdruck ihrer Gemeindeglieder. Die Kriegsstimmung musste aufgenommen werden; bei den meisten Predigern geschah es bis zuletzt mit überzeugtem Nationalismus. Andererseits galt es, Verantwortungsträger zu ermutigen und Leidtragende zu trösten sowie eine Deutung des Geschehens und Weisung zu geben. Die Predigten waren somit meist weniger Bibeltextauslegungen als Thema- oder Mottopredigten, eben „Zeitpredigten“ (Ernst Lehmann). Die älteren Pfarrer an der „Heimatfront“ wurden, trotz immer wieder neuer Mobilmachungsaktionen, durchweg als unabkömmlich eingestuft, jedoch neben ihrem eigentlichen Gemeindedienst als Garnison- oder Lazarettpfarrer eingesetzt. Ihre Kriegspredigten und Kriegsandachten ließen sie oft drucken, damit sie auch ihren Gemeindegliedern im Felde zugesandt werden konnten oder um mit dem Verkaufserlös Hilfsmaßnahmen zu unterstützen.
1882 hielt der seit einem Jahr in Neckarrems amtierende Pfarrer Dr. Christoph Julius Schwartz in seinem amtlichen Pfarrbericht fest: »Mit der Gemeinde ist seit 10, 20, 30 Jahren eine große Veränderung vor sich gegangen. Während der
kleine Ort durch seine Lage an zwei Flüssen und einer frequenten Landstraße und mit einem großen herrschaftlichen Holzgarten früher von ziemlicher Bedeutung war, ist er, nachdem alle diese Vorteile durch die neuen Verkehrsverhältnisse abhandengekommen sind, auf die Bedeutung eines gewöhnlichen Dorfes herabgesunken, das jetzt wie viele andere einzig auf seine Markung angewiesen ist.« Es war in der Tat ein grundlegender Wandel, der sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in Neckarrems vollzogen hatte und im Jahre 1882 noch lange nicht zum Abschluss gekommen war. Der Vergleich mit den Mitteilungen in der Oberamtsbeschreibung von 1850 macht überdeutlich, welch negativen Auswirkungen der Ausbau des württembergischen Eisenbahnnetzes auf die Entwicklung des Dorfes Neckarrems gezeitigt hatte. Denn dort können wir lesen: »Auf der Rems wird der hiesige Holzgarten mit Holz versehen; auf dem Neckar gehen Holzflöße für den Rhein. Am unmittelbaren Ausflusse der Rems finden drei bis vier Schiffe Haltplatz und Schutz. Oberhalb der Neckarbrücke halten
gewöhnlich Schiffe zum Übernachten, manchmal drei bis vier mit je zwei bis drei Beinachen.« Die Flößerei und der Holzgarten waren für Neckarrems von zentraler Bedeutung. Sie garantierten Beschäftigung und brachten Geld ins Dorf. Doch 1862 war plötzlich Schluss mit der Brennholzflößerei auf der Rems und dem Holzgarten; den Holztransport besorgte nun die im Jahr zuvor eröffnete Remstalbahn.
Heute scheint diese Freude vergangen zu sein, denn Bismarck steht im wahrsten Sinne des Wortes abseits der Aufmerksamkeit der Touristen und auch der Heidelberger selbst: Die Büste befindet sich zwar weiterhin an ihrem ursprünglichen Platz, aber nunmehr am Rande des Knotenpunktes Bismarckplatz. Die Bismarcksäule ist selbst im Winter nur noch von wenigen Stellen der Stadt aus zu erahnen, früher war sie von weitem sichtbar. Dass Bismarck Ehrenbürger Heidelbergs war, dürfte den Wenigsten bekannt sein, ebenso wie die Gründe für die Benennung des Bismarckplatzes. Dies soll die vorliegende Arbeit ändern und einen Überblick bieten über die verschiedenen Ehrungen, die Bismarck aus Heidelberg zuteil wurden. Freilich war die Bismarckverehrung keine Heidelberger Besonderheit, sondern ein Massenphänomen. So wurde Bismarck allein an seinem 80. Geburtstag 1895 von hunderten deutschen Städten zum Ehrenbürger ernannt, auch befanden sich überall im Deutschen Reich Bismarckplätze und -straßen, -denkmäler sowie -säulen und -türme.
Die Situation in Schopfheim während des Ersten Weltkrieges bzw. Wahrnehmung des Kriegsbeginns auf lokaler Ebene offenbart sich nicht nur in patriotischen Feiern vorort und der Mobilmachung vieler Bewohner der Stadt. Vor allem wurde sie damals geprägt von den Aktivitäten des Frauenvereins Schopfheim. In selbstlosem Einsatz widmeten sich die Vereinsdamen der Liebesgabenverschickung an die Soldaten im Felde und dem Unterhalt eines Lazaretts in Schopfheim. Die aus den Reihen des Bildungsbürgertums stammenden Frauen setzten in jenen Kriegsjahren ihre standesbedingten Vorteile an Ausbildung und Können in den Dienst der Öffentlichkeit.
Marbach im Sommer 1914
(2014)
Erst im Abstand von hundert Jahren gelangt die Bedeutung des Jahres 1914 richtig
ins allgemeine Bewusstsein. Erst jetzt wird deutlich, wie alle die großen Umwälzungen
des 20. Jahrhunderts in den Geschehnissen jenes Jahres ihren Ausgang nahmen. Im
Folgenden soll gezeigt werden, wie sich das große Weltgeschehen in der kleinen Stadt
Marbach ausgewirkt hat, was die Bürger zu spüren bekamen, wie sich ihr Leben verändert hat, womit sie fertig werden mussten.
Dazu ist erforderlich, dass die Stadt von 1914 zunächst vorgestellt wird. Marbach
wies damals zwei Wachstumsspitzen auf: im Osten den schon 1879 eröffneten Bahnhof und im Süden das 1903 eröffnete Schillermuseum. Entlang den strahlenförmig
vom mittelalterlichen Stadtkern ausgehenden Straßen entstanden mehr und mehr
landwirtschaftliche Anwesen, deren Besitzer aus der Enge der Altstadt aussiedelten.
An der Straße zum Bahnhof wurden in sicherer Entfernung zur Kernstadt auch mehrere
ländliche Villen gebaut, die heute im Verlauf von Güntterstraße und Goethestraße
noch erhalten sind. Was es in Marbach im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts nicht
gab, war ein weiträumiger Stadtentwicklungsplan, der eine klare Trennung zwischen
Wohn- und Gewerbe- bzw. Industriegebiet vorgesehen hätte. Es gab fabrikähnliche
Anwesen im Westen an der Ludwigsburger Straße, eine Schuhfabrik beim Schillermuseum, Möbelfabriken beim Bahnhof und an der Schillerstraße, und die Ludwigsburger Firma Franck betrieb eine Zichorienfabrik an der Straße nach Rielingshausen.
Aber nicht nur Aussiedlerhöfe und Fabriken wurden gebaut. Es war ein Jahrzehnt,
in dem auch eine ganze Reihe öffentlicher Bauten errichtet wurde. Ein Jahr nach dem
Schillermuseum konnte die städtische Turnhalle an der Haffnerstraße eingeweiht
werden, die lange Zeit auch als städtische Festhalle diente. Zwei Jahre später erstrahlte
in Marbach elektrisches Licht.
Man kann in Marbach eigentlich nicht von Revolutionsgeschehen reden, denn es hat hier keine Revolution stattgefunden. Aber die Revolution, die anderswo, etwa in Berlin, Kiel oder München, zum Umsturz geführt hat, hat sich auch in Marbach ausgewirkt und auch hier Spuren hinterlassen. Wenn wir aber das hiesige Geschehen als Fernwirkung von auswärtigen Ereignissen sehen, dann müssen wir zuerst untersuchen, auf welche Weise Nachrichten nach Marbach kamen und was die Marbacher Bürger vom auswärtigen Geschehen wissen konnten. Wichtigste Quelle vor hundert Jahren war zweifellos die örtliche Zeitung, der »Postillon«. Sie erschien viermal in der Woche, montags, mittwochs, freitags und als Wochenendausgabe etwas reicher an Umfang samstags. Sie bezog die Nachrichten von verschiedenen Presseagenturen und druckte sie gewöhnlich unkommentiert ab. Eine redaktionelle Bewertung der Wichtigkeit ist nicht erkennbar, und es gab zwar einzelne Überschriften, aber keine Schlagzeilen. Für das örtliche Geschehen sind wir zusätzlich über Anzeigen unterrichtet; allerdings erschien nicht über alles, was angekündigt wurde, dann auch ein Bericht. Die Erscheinungsweise und die damaligen Kommunikationsmöglichkeiten ließen die Zeitung dem aktuellen Geschehen immer ziemlich hinterherhinken. Mit der Aktualität war es nicht weit her. Man konnte die Zeitung nur im Abonnement beziehen, es gab keinen Einzelverkauf. Wir können daher auch davon ausgehen, dass die einzelnen Ausgaben von mehreren Personen gelesen und vielfach auch an Nachbarn weitergegeben wurden.
Für die Zeitenwende 1918/1919, den Zusammenbruch des Kaiserreichs, die Revolution und die Einführung einer neuen
Staatsverfassung, hat sich in Kehl eine einzigartige Quelle erhalten, die es ermöglicht, die Geschehnisse vor Ort aus einer ganz persönlichen Perspektive zu rekonstruieren: das Tagebuch von Mathias Nückles V.
„Liebe Mitbürger! Als der gewaltige Kampf ausgebrochen war, in dessen Mitte wir jetzt stehen, da drangen in rascher Aufeinanderfolge die Nachrichten von Siegen und Fortschritten unseres Heeres zu uns in die Heimat, so daß wir hoffen konnten, wie vor 40 Jahren in Bälde einen entscheidenden Sieg erleben zu dürfen. Es ist anders geworden. Die Uebermacht, die uns von allen Seiten bedrängte, war zu groß, die Arbeit, die unsere Heere zu leisten hatten, zu gewaltig, sodaß wir bald erkennen mußten, daß noch schwere Kämpfe und ein langes mühevolles Ringen erforderlich seien, und daß die gebrachten Opfer an Gut und Blut noch ganz gewaltig anwachsen müssen, ehe wir den ersehnten Tag des Sieges erleben würden.“ So Oberbürgermeister Ernst Walz (1859–1941; OB seit 1914) am 29. November 1915 auf dem Ludwigsplatz (heute: Universitätsplatz), als dort einige erbeutete belgische Geschütze aufgestellt wurden. Seine Worte spiegeln recht gut die Gefühle wider, die die deutsche und die Heidelberger Bevölkerung seit August 1914 durchlebt hatten. Zunächst die Euphorie der ersten Kriegsmonate und die sichere Erwartung eines schnellen Sieges im Westen („Weihnachten sind wir wieder zu Hause“). Nach den deutschen Niederlagen an der Marne und beim „Wettlauf zum Meer“ blieb der nach dem Muster von 1870/71 als Bewegungskrieg geplante Krieg an der Westfront schon Ende November 1914 stecken. Es folgte ein extrem verlustreicher Stellungskrieg auf beiden Seiten; der Frontverlauf änderte sich bis Anfang 1918 nur unwesentlich.
"Treu zu Kaiser und Reich"
(2014)
„Kaisers Geburtstag. Die Glocken läuten, Fanfaren schmettern, Böller werden gelöst und am Vorabend zieht ein Zapfenstreich durch die Straßen der Stadt. Festtafeln werden aufgestellt, Reden und Lieder steigen, während die Schüsseln von Gast zu Gast wandern und die Gläser gefüllt und geleert werden. An den Giebeln wehen Fahnen in den Landes- und Reichsfarben und das Leben der Stadt besinnt sich auf die allgemeine Feierstunde. Dieser eine Tag im Jahre, an dem der Kaiser seinen Geburtstag begeht, versammelt die Reichsfreunde in engeren und weitergefaßten Zirkeln; und der Tag, der längst seine traditionellen Formen gewonnen hat, bietet nicht bloß wortgewandten Rednern Gelegenheit zu rhetorischen Leistungen, sie ist dem Besonnenen und stiller Gearteten ein Tag, dazu geschaffen, um in der Stunde des Festrausches die Resultate einer Jahresarbeit ernst zu prüfen.“ So der Leitartikel vom 27. Januar 1914 in den „Heidelberger Neuesten Nachrichten“, die den Nationalliberalen nahestanden, zu den hiesigen Feiern am Geburtstag Kaiser Wilhelms II. Schon die Vorschau auf das Festprogramm lässt es lohnend erscheinen, die Gestaltung der nationalen Feiertage unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg zu untersuchen. Welche Ereignisse werden in Heidelberg in den Jahren 1912–1914 festlich begangen? Wer organisiert die Feiern, welche Bevölkerungsschichten nehmen daran teil, welche bleiben ausgeschlossen? In welchen Ritualen wird das Gedenken
inszeniert? Wie wird das Ereignis in Reden, Liedern und Gedichten interpretiert und bewertet? Mit welchen Absichten werden die Feiern veranstaltet? Mobilisieren sie die Bevölkerung für den möglichen Kriegsfall?
Es gibt nicht viele Dinge, die so stark in alle Bereiche unseres Lebens strahlen wie die Bedrohung durch einen Krieg. Die Bandbreite der Emotionen bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges lässt sich nicht bis ins letzte Detail beschreiben. Es können lediglich Kategorien genannt werden, die die Gefühlslage der Menschen umreißen. Aber aus ihren Handlungen können Indizien abgeleitet werden, die eine Gefühlsdeutung ermöglichen. Die Aufstellung einer bewaffneten Bürgerwehr im Stadtbezirk Heidelberg Anfang August 1914 kann in diesem Sinne als ein dringendes Bedürfnis nach Sicherheit bewertet werden, das diese in einer Umgebung „voller“ möglicher Gefahren stillen sollte. Wie dem obigen Zitat aus dem Tagebuch der Rohrbacherin Margarethe Schmidt zu entnehmen ist, fühlten sich einige Bevölkerungsteile inner- und außerhalb des Heidelberger Stadtgebietes äußerst bedroht. Die sogenannte „Spionageangst“ griff um sich und führte dazu, dass es landesweit zu regelrechten Hetzjagden auf vermeintliche Spione kam, denen eine hinterhältige Invasion aus dem Landesinneren zugetraut wurde. Als sich diese Angst als unbegründet erwies, verschwand die Bürgerwehr genauso schnell von der Bildfläche, wie sie zuvor aufgetaucht war. Dass 1918 nach Kriegsende eine „Volkswehr“ aufgestellt wurde, ist ganz anderen Gründen zuzuschreiben.