Drittes Reich
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"Versuch zu überleben"
(2013)
Als am Karfreitag, den 1. April 1945, die Amerikaner in Heidelberg einmarschierten, saßen zwei junge Frauen, Blanca und Maria, am Straßenrand und weinten. Ihnen war bewusst, dass sie Krieg und Verfolgung zwar überlebt hatten, aber ihr Zuhause und ihre Familien vernichtet waren. Sie wurden von einem Feldprediger der US-Armee angesprochen. Er hatte erkannt, dass die beiden Frauen die ersten jüdischen Überlebenden waren, die er in Deutschland antraf. Er forderte sie auf, ins amerikanische Hauptquartier im Heidelberger Rathaus zu kommen. Als die beiden Frauen ihn am nächsten Tag im Rathaus aufsuchen wollten, war er schon weitergezogen, hatte jedoch Kontakt zu einem Offizierskollegen hergestellt, der nun bei der Wohnungssuche behilflich war. Blanca hatte das letzte Kriegsjahr mit gefälschten Papieren als polnische Fremdarbeiterin Bronislava Panasiak in einer regimetreuen Heidelberger Familie, die von ihrer jüdischen Identität nichts wissen durfte, überlebt. Wie war Blanca in diese Familie gekommen und wo hatte sie vorher gelebt? 1913 wurde sie als Blanca Nebenzahl in Gorlice, Polen, geboren und ist mit drei jüngeren Brüdern aufgewachsen. Trotz antisemitischer Ausschreitungen an der Universität Krakau begann sie dort nach dem Abitur ein Jurastudium. Sie gab dieses jedoch auf, um den Unterhalt für sich und ihren späteren Mann Wolf Rosenkranz zu verdienen, der an der Universität Warschau auf sein medizinisches Staatsdiplom hinarbeitete.
Die Ereignisse vom 9. und 10. November 1938 sind für Heidelberg grundsätzlich gut erforscht und wurden oft dargestellt: die Brandstiftungen in den Synagogen der Altstadt und in Rohrbach, die Verschleppung der erwachsenen Männer nach Dachau oder in andere Konzentrationslager und die marodierenden Aktionen der SA-Trupps gegen Geschäfte und Wohnungen in den Stadtteilen. Die hier vorgestellte Studie setzt sich damit auseinander, ob das Novemberpogrom über die massiven Angriffe auf die Unverletzlichkeit der Wohnungen hinaus auch Entmietungen einschloss und welche Rolle dabei die städtische Wohnungsbaugesellschaft für Grund- und Hausbesitz (GGH) einnahm. Ausgangspunkt dieser Fragestellung ist die Beobachtung, dass von den sechs 1938 noch in GGH-Häusern lebenden jüdischen Mietparteien im Folgejahr alle ihre Wohnung dort verloren hatten. Diese Beobachtung wirft die weitere Frage auf, ob die Stadtverwaltung unter Oberbürgermeister Carl Neinhaus nicht doch tiefer in das Novemberpogrom eingebunden war. Bisher war nur bekannt, dass Neinhaus am Morgen des 10. November vom Dienstwagen aus das Brandgeschehen in der Großen Mantelgasse in Augenschein nahm.
„Das ist nun Heidelberg, und es ist wirklich schön dort im Frühling“, schrieb der Schweizer Schriftsteller Christian Kracht in den neunziger Jahren in seinem Roman „Faserland“. Alles sei so schön grün, die Menschen säßen in der Sonne an den Neckarauen, erzählt Krachts Protagonist. Und er stellt fest: „So könnte Deutschland sein, wenn es keinen Krieg gegeben hätte.“ Es stimmt ja: Im Heidelberger Stadtbild hat der Zweite Weltkrieg kaum Spuren hinterlassen. Im Unterschied zu vielen anderen Städten wurde Heidelberg nicht in Schutt und Asche gelegt. Über die Gründe, warum das so ist, wird immer wieder diskutiert. Und besonders die Frage, ob die Amerikaner über der Stadt Flugblätter abwarfen mit der Aufschrift „Heidelberg wollen wir schonen, denn dort wollen wir wohnen“, polarisiert. Viele Zeitzeugen berichten davon, einen historisch-wissenschaftlichen Beleg aber gibt es (noch) nicht. Was aber sicher ist: Auch Heidelberg blieb von Luftangriffen nicht völlig verschont, wie der folgende Überblick über die Schäden, die der Krieg in
dieser Stadt angerichtet hat, zeigt.
Am 20. Juni 1939 erhielt die 81-jährige Professorenwitwe Anna Samuely eine Mitteilung der Heidelberger Stadtverwaltung, in der sie aufgefordert wurde, unverzüglich alle Gegenstände aus Gold und Silber sowie Brillantschmuck, Uhren, Bestecke, Vasen und Münzen von erkennbarem Wert beim städtischen Leihamt abzuliefern. Ihre Wertsachen würden dort amtlich geschätzt werden. Sie erhalte den Taxpreis abzüglich einer Bearbeitungsgebühr. Frau Samuely wusste, was das bedeutete. Die Aktion hatte im Februar begonnen, ein Großteil ihrer jüdischen Bekannten war schon zur Ablieferung vorgeladen worden. Sie wusste auch, dass mittlerweile die taxierten Beträge nicht mehr ausgezahlt, sondern auf ein Sperrkonto gelegt wurden. Sie hatte erfahren, dass Heidelberger Schmuck- und Uhrenhändler, zu deren Kundschaft sie auch gehört hatte, sich im Rathaus zu Auktionen versammelten, um die abgelieferten Wertsachen günstig zu ersteigern. Frau Samuely wurde Opfer einer dreisten staatlichen Raubaktion.
Auf den ersten Blick ist es ein kleiner, bescheidener Briefwechsel. Eine Mutter bedankt sich bei einer ihr unbekannten Familie, dass diese den Sohn aufgenommen hat. Sie freut sich über jede positive Nachricht. Ihre Wünsche und Hoffnungen sind größer als das wirkliche Wissen, das sie aus den kindlichen Erzählungen ihres nicht sonderlich schreibfreudigen Sohnes erfährt. Sie „promotet“ ihren Sohn und seine Schwester, in der inständigen Hoffnung, dass ihre Kinder gut aufgehoben sind. Betrachten wir die Umstände, gewinnen die scheinbar harmlosen Zeilen an dramatischem Gewicht.
Wir schreiben das Jahr 1973, als sich in einem Strafprozess im Heidelberger Amtsgericht zwei Parteien gegenüber stehen – allesamt Angehörige der Pädagogischen Hochschule Heidelberg (PH): der ASTA-Vorsitzende Wilhelm Pauli auf studentischer Seite sowie die Professoren Karl Kollnig und Wilhelm Schwab als Vertreter des Lehrkörpers. Gegenstand des Strafprozesses ist eine Anklage gegen den Studenten wegen beleidigender Äußerungen in einem Artikel der Hochschulzeitung „Asta-Info“ vom 30. April.
Otto Ehrlich (1909–1971) schloss sein Medizinstudium in Heidelberg im Dezember 1936 mit dem Staatsexamen ab. Bald darauf reichte er seine Dissertation ein und bestand die Doktorprüfung, doch der Erhalt des „Diploms“ war zu diesem Zeitpunkt keine Selbstverständlichkeit mehr. Ehrlich musste vielfältige Anstrengungen unternehmen und bürokratische Hürden überwinden, „um das Doktordiplom zu erhalten, da dies für mich für meine Auswanderung von lebenswichtiger Bedeutung ist“. Seine Bemühungen spiegeln sich in umfangreicher Korrespondenz und führten letztlich zum Ziel. Exemplarisch zeigen die von uns bearbeiteten Dokumente die sich verstärkenden Einschränkungen für jüdische Promovierende, die detaillierte bürokratische Regulierung und die verschiedenen Stellen, die mit dem Anliegen zu befassen waren – diese reichten von der Ebene der Universität mit Dekanat und Rektorat über das Badische Ministerium für Kultus und Unterricht in Karlsruhe bis zum Reichserziehungsministerium. Bürokratische Spielräume auf lokaler Ebene scheint es aufgrund
der direkten Kontrolle durch das Reichsministerium im Einzelfall kaum gegeben zu haben. Dennoch stellt sich die Frage nach der Umsetzung der Vorgaben an der Heidelberger Medizinischen Fakultät. Welchen Einfluss hatten die beteiligten Ministerien und die verschiedenen Ebenen der Universitätsverwaltung? Handelten sie streng nach Vorschrift? Versuchten sie, eigene Handlungsimpulse umzusetzen, entweder
um den Betroffenen zu helfen oder um die Aushändigung des Doktordiploms zu verhindern? Wir gehen den genannten Fragen an zwei Beispielen nach. Zunächst stellen wir kurz die Entwicklung der Gesetzeslage dar, um dann die „Fallgeschichten“ von Otto Ehrlich und Lore Hirsch einordnen zu können.
Tatort Heidelberg
(2019)
Auf der Grundlage einer Verordnung der Reichsregierung vom 21. März 1933 wurden reichsweit Sondergerichte gebildet, deren Zuständigkeit sich zunächst auf Delikte erstreckte, die nach zwei Notverordnungen strafbar wurden, mit denen die Nationalsozialisten
zum Zwecke ihrer Machtübernahme den Rechtsstaat aushöhlten: die sogenannte Reichstagsbrandverordnung („zum Schutz von Volk und Staat“) vom 28. Februar und die Verordnung „zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung“ vom 21. März 1933. Letztere kriminalisierte unter anderem Aussagen, die „das Wohl des Reiches oder eines Landes oder der Reichsregierung
oder einer Landesregierung oder der hinter diesen Regierungen stehenden Parteien oder Verbänden“ schwer schädigten. Damit wurde den Justizbehörden quasi eine Generalvollmacht erteilt, dissentierende politische Meinungsäußerungen, auch wenn sie nicht öffentlich vorgebracht wurden, zu unterdrücken. Für die Sondergerichte, deren Zuständigkeiten später noch erheblich ausgedehnt wurden, zum Beispiel auf Vergehen nach der Verordnung „gegen Volksschädlinge“ vom 5. September 1939, wurde die Strafprozessordnung in mehreren Punkten aufgeweicht, um ihre Verfahren zu beschleunigen: Mündliche Verhandlungen über den Haftbefehl fanden ebenso wenig statt wie gerichtliche Voruntersuchungen, die Ladungsfristen konnten auf 24 Stunden herabgesetzt werden, Vernehmungsergebnisse mussten in die Hauptverhandlungsprotokolle nicht aufgenommen werden, und gegen Entscheidungen der Sondergerichte waren Rechtsmittel nicht zulässig.
Erinnern und Gedenken
(2018)
Geschichtsunterricht ist idealerweise quellenbasiert. Lässt sich doch nur aus Quellen lernen, was die Zeitgeschichte ausmacht und was unsere Identität bis heute nachhaltig prägt. In der 9. Klasse des Gymnasiums ist die NS-Zeit Pflichtprogramm. Dieses Thema kann fächerübergreifend unter Einbezug von Religion, Kunst und Musik unterrichtet werden. So wird die Gleichschaltung des gesamten Alltags im Nationalsozialismus deutlich. In Gemeinschaftskunde der 9. Klasse bezieht sich der Bereich „Recht und Gesetz“ darauf. Da das NS-Regime Gesetzesänderungen auf dem Boden
der Verfassung vollzog, wirft dies vor allem aus heutiger Sicht die Frage auf, ob das, was auf dem Boden des Gesetzes geschieht, auch immer „Recht“ ist.
In einer Zeit, die bald ohne Zeitzeugen sein wird, die uns das Geschehene vor Augen führen, muss verstärkt daran gearbeitet werden, die Erinnerungskultur am Leben zu erhalten. Dabei sind Ansätze gefragt, die unsere schnelllebige Zeit überdauern und dem raschen Konsum von Bildern trotzen. Da Quellen alleine mitunter nicht für sich sprechen, ist die intensive Beschäftigung mit einem Projekt eine Möglichkeit, Nachhaltigkeit zu schaffen.
Der studentische Verein „Heidelberger Lupe e.V. – Verein für Historische Forschung und Geschichtsvermittlung“ wurde im Frühjahr 2016 gegründet und hat sich zum Ziel gesetzt, die Regionalgeschichte Heidelbergs im Nationalsozialismus zu erforschen und didaktische Zugänge und Methoden für den Schulunterricht zu entwickeln. Er entstand aus einer Projektidee in Kooperation mit dem Arbeitsbereich Minderheitengeschichte und Bürgerrechte in Europa am Lehrstuhl für Zeitgeschichte (Historisches Seminar der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg) und mit der Jüdischen Kultusgemeinde Heidelberg. Er ist ein Zusammenschluss aus Studierenden und Absolventinnen und Absolventen der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg sowie der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Bereits im Sommersemester 2015 hatte ein Teil der Gruppe im Rahmen eines Seminars eine Ausstellung mit dem Titel „Herausgerissen – Deportation von Heidelbergern 1940“ konzipiert. Mit ihr beleuchteten wir die Deportationen der Heidelberger Juden und Sinti im Jahr 1940 anhand von regionalhistorischen Quellen und Orten. Die Ausstellung war im Foyer des Rathauses zu sehen und wird seither als Wanderausstellung an Heidelberger Schulen verliehen.
Auch die Provinzstadt Lahr blieb am 10. November 1938 nicht von den reichsweiten Ausschreitungen der sogenannten Reichskristallnacht verschont. Die Lahrer SS, die seit der Machtübernahme 1933 nun bereits zum SS-Sturmbann aufgestiegen war, kam ihrem Tagesauftrag äußerst regime- und führertreu nach, indem sie 103 jüdische Männer ins Konzentrationslager Dachau überstellte. Als ich erfuhr, dass es 1949 einen Lahrer Synagogenprozess gegeben hatte, wollte ich als Polizeibeamter wissen, welche Täter für diese 103 Festnahmen zur Verantwortung gezogen worden waren. Deshalb nahm ich Einblick in die Ermittlungsakten, die im Staatsarchiv in Freiburg archiviert sind, und ließ mir im Bundesarchiv in Berlin die Personalakten von einigen NSDAP- und SS-Männern kopieren, um die Abläufe während der Reichskristallnacht in Lahr rekonstruieren zu können. Bevor ich jedoch meine Rechercheergebnisse vorstelle, möchte ich darstellen, wie es im Deutschen Reich überhaupt zu diesen judenfeindlichen Maßnahmen kam.
Der traditionsreiche Stadtteilverein „Alt-Heidelberg e.V.” hat sich 2016 der Aufarbeitung eines der dunkelsten Kapitel seiner Geschichte angenommen. Im Jahr 1935 beteiligte sich dessen Vorstand an der von Oberbürgermeister Carl Neinhaus veranlassten und von den städtischen Behörden ausgeführten Vertreibung der in Heidelberg ansässigen Sinti-Familien. Diese Aktion markierte den Beginn einer Verfolgungsgeschichte, welche für mindestens drei Personen und ein Neugeborenes mit dem Tod im Vernichtungslager Auschwitz Birkenau endete.
Eine französische Lehrerin aus dem besetzten Elsass, Hélène Garnier, wird umgeschult, nach Wieblingen und Edingen versetzt und unterrichtet dort bis zum Einmarsch der Amerikaner 1945. Die zwangsweise Umschulung elsässischer Lehrer und Lehrerinnen nach der Besetzung des Elsass ist ein wenig bekanntes Kapitel der deutsch-französischen Geschichte des Zweiten Weltkriegs, das wir – Daniel Morgen und Günter Lipowsky – in dem 2014 erschienenen Buch mit Hilfe von etwa hundert Zeitzeugenaussagen und an Hand der vorhandenen Archivalien in den Archiven des Oberrheins
schildern und analysieren.
Dem aus Schlesien stammenden Dichter Joseph Karl Benedikt Freiherr von Eichendorff (1788–1857) sind in Heidelberg mehrere Orte der Erinnerung gewidmet. Der heutige Eichendorffplatz im Stadtteil Rohrbach, dessen Fläche ein nach Norden ausgerichtetes asymmetrisches Trapez bildet, wird von vier Straßen eingefasst: von der Karlsruher und der Heidelberger Straße an den Langseiten, von der Eichendorffstraße im Norden und von der Karlsluststraße im Süden. Der alte „Denkstein“ von 1938 ist heute von Efeu überwuchert. Seinen heutigen Namen erhielt der Platz 1938, vorher wurde dieses Areal „Kreuz“ (oder „Am Kreuz“, „Kreuzplatz“) genannt, nach einem steinernen Kruzifixus von 1732, der damals auf den Friedhof versetzt wurde, wo er heute noch steht.
Gedenken gestalten
(2015)
Am 22. Oktober 2015 jährt sich die NS-Deportation der Heidelberger Juden in das südfranzösische Internierungslager Gurs zum 75. Mal. Im Rahmen der ersten planmäßigen Massendeportation von Juden aus dem Deutschen Reich wurden auf Betreiben des Gauleiters von Baden, Robert Wagner, sowie des saarpfälzischen Gauleiters Josef Bürckel über sechstausend jüdische Bürgerinnen und Bürger aus Baden, der Pfalz und dem Saarland von der Gestapo und französischen Behörden nach Gurs verschleppt. Viele dieser Opfer wurden daraufhin weiter in Konzentrationslager und Vernichtungslager im Osten deportiert. Darunter waren auch mindestens 299 Heidelbergerinnen und Heidelberger. Frühmorgens am letzten Tag des jüdischen Laubhüttenfestes „Sukkoth“ wurden sie von Gestapobeamten in ihren Wohnungen verhaftet und unter den Augen der Öffentlichkeit zum Gleis 1a des alten Hauptbahnhofes transportiert. Mit Sonderzügen erfolgte gegen 18.15 Uhr ihre vier Tage andauernde Deportation ins südfranzösische Lager Gurs. 208 der Heidelberger Jüdinnen und Juden, die nach Gurs deportiert worden waren, starben dort oder in anderen Lagern.
Vorbemerkung: Das Stadtmuseum in der Tonofenfabrik, ein aufregendes Projekt, ein Glücksfall für Lahr: Raus aus den beengten
Verhältnissen in der Villa Jamm, Platz für die übergroße Fülle an Exponaten, von der Römerzeit über die Stadtgründung bis zum
Grizzlybären. Um die bewegte Geschichte unserer Stadt darzustellen, hat Gabriele Bohnert, die Leiterin des Museums, eine Menge
erstklassigen Materials - und doch nicht genug. Ende 2015 fragt sie die Mitglieder des Fördervereins nach Dokumenten und Exponaten
zum Ersten und Zweiten Weltkrieg, denn „leider wurde zu diesem Thema nichts gesammelt“. Die Geschichte: Ich gehöre zu der Generation, die das Ende des Zweiten Weltkriegs als Kind noch in Erinnerung hat. Dazu gehört vor allem ein einschneidendes Ereignis: der nächtliche Absturz eines englischen Bombers im Litschental bei Seelbach, weniger als drei Kilometer von meinem Elternhaus entfernt. Und der Besuch
zusammen mit meinem Vater und den Brüdern an der Absturzstelle, wo deutsche Soldaten die Trümmer des riesigen viermotorigen
Lancaster-Bombers bargen, der, kurz nachdem er seine Bombenlast im vorderen Litschental abgeworfen hatte, an einer Bergwand im
Wald zerschellt war. Ich erinnere mich daran, dass mein Vater den deutschen Soldaten gegen ein Kistchen Zigarren etwas abgehandelt
hatte, ein kompaktes Steuerelement aus dem Cockpit des Flugzeugs. Bis zu Gabriele Bohnerts Rundruf lag dieses „Artefakt“ fast vergessen auf meinem Speicher. War das nicht genau das Richtige für die Sammlung?
Wenn in diesem Buch einige Unglücke und katastrophale Momente der Geschichte der Stadt Lahr und ihrer Umgebung erzählt werden sollen, dann dürfen die alliierten Fliegerangriffe zum Ende des Zweiten Weltkrieges nicht fehlen. Denn immerhin wurden bei den 16 Angriffen vom 10.08.1944 bis zum 18.04.1945 auf die Stadt Lahr 85 Zivilisten getötet und 156 verletzt. Außerdem wurden 130 Gebäude total zerstört und 275 weitere Häuser schwer beschädigt. Von den 5.480 Wohnungen in Lahr galten 580, also fast 10 Prozent, als verloren. Im Kreis Lahr wurden rund 23 Prozent der Industriebetriebe mittel und schwer beschädigt.
Der folgende Aufsatz beschäftigt sich mit der Frage, welche Faktoren eigentlich bei der „Erklärung“ eines historischen Phänomens beachtet werden müssen. Genauer gesagt geht es um die Frage, wie der Aufstieg des Nationalsozialismus in den heutigen Stadtteilen von Lahr - damals noch selbständigen Dörfern - „erklärt“ oder beschrieben werden kann. Was war eigentlich ausschlaggebend? Die politische oder soziale „Großwetterlage“? Oder das politische Personal vor Ort? Strukturen oder Menschen?
Kriegsende in Lahr 1945
(2019)
Der Zweite Weltkrieg endete in Europa erst, nachdem das Deutsche Reich von den Alliierten militärisch besiegt und besetzt worden war. Zwar hatten die Westalliierten bereits seit Herbst 1944 versucht, durch eine Intensivierung des Luftkriegs die Moral der deutschen Zivilbevölkerung zu brechen, das NS-Regime zu destabilisieren und so ein schnelles Kriegsende herbeizuführen, doch kam es in den letzten Kriegsmonaten seitens der Zivilbevölkerung allenfalls zu lokal isolierten Widerstandshandlungen. Diese waren in der Regel nicht politisch motiviert, sondern spontane Aktionen Einzelner oder kleiner Gruppen mit dem Ziel, die (weitere) Zerstörung des persönlichen Lebensumfeldes durch letzte Rückzugsgefechte der Wehrmacht zu verhindern und die eigene (materielle) Existenz zu sichern. Die an einer möglichst langen Fortführung des Krieges interessierte nationalsozialistische Führungselite reagierte auf diese Auflösungserscheinungen innerhalb der ,Heimatfront' mit brutalen Mitteln. Der „Flaggenbefehl“ Himmlers von Anfang April 1945, wonach Angehörige der Polizei und Wehrmacht „[g]egen das Heraushängen weisser Tücher, das Öffnen bereits geschlossener Panzersperren, das Nichtantreten zum Volkssturm und ähnliche Erscheinungen[ ... ] mit härtesten Massnahmen durchzugreifen“ hatten, war hierfür symptomatisch. Für den Gau Baden sind zahlreiche Fälle belegt, in denen Angehörige der Wehrmacht, der SS, der Polizei und Parteifunktionäre Zivilisten erschossen, die sich nicht bereit gezeigt hatten, ihre Stadt, ihr Dorf oder ihr Haus zu verteidigen.
Bei den Großdeportationen der südwestdeutschen jüdischen Bevölkerung durch die NS-Gauleiter Adolf Wagner und Josef Bürckel vom 22. Oktober 1940 handelte es sich um terminlich koordinierte, aber separate Abschiebungs-Aktionen. Dies zeigt sich deutlich auch an der unterschiedlichen Durchführung der Transporte. Gemeinsam hatten sie das Ziel Südfrankreich, worüber in Mannheim sogar offiziell und schon am frühen Morgen durch den Gestapo-Chef informiert wurde. Auch der Gestapo-Referent „für Judensachen“ Philipp Haas gab in Karlsruhe diese Auskunft und fügte, vielleicht zur eigenen Beruhigung, hinzu, „die Fahrt gehe nach dem Süden, in ein warmes Land“. Dass die Massenvertreibung rücksichtslos und zynisch auf das jüdische Fest „Sukkot“ gelegt wurde, könnte Anlass geben, dahinter eine besonders bösartige Schikane des Antisemitismus
zu vermuten. Als Erklärung bietet sich aber auch der Umstand an, dass die Kinder schulfrei hatten und nicht aufsehenerregend aus den Schulen abgeholt zu werden brauchten.
Nacht über Bretten
(2022)
In diesem Beitrag geht der Autor der Frage nach, wie sich die politischen Ereignisse im Jahr 1933, dem Jahr der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten, in den Beiträgen des Brettener Tagblattes widerspiegeln. Es wird aufgedeckt,
wie die Bevölkerung der Stadt Bretten und ihres Umlandes durch die Nationalsozialisten vereinnahmt wurde und wie sie auf die offensichtliche Beseitigung der Demokratie reagierte. Dabei ist sehr deutlich festzustellen, wie rasch die Nationalsozialisten ihre Ideologie und die damit verbundenen Zwangsmaßnahmen umsetzten.
Die katholische Kirche mit ihren Gläubigen war die Institution in Meßkirch, die den Nationalsozialisten während ihrer 12-jährigen Herrschaft wohl die meisten Unannehmlichkeiten bereitete. Zu Beginn war es vor allem der Redakteur Albert Zimmermann von der katholischen Zentrumszeitung „Heuberger Volksblatt“, welcher schon lange vor 1933 offen gegen die Nationalsozialisten Stellung bezog. Leider ist dieser mutige Mann bis heute in Meßkirch verkannt, wie die Straßennamendebatte um die Jahreswende 2013/14 beweist. Vorgeschlagen von der SPD-Fraktion und vom gesamten Meßkircher Gemeinderat bereits beschlossen, wurde eine Albert-Zimmermann-Straße wenige Wochen später vom gleichen Gremium revidiert. Nach zum Teil polemischen Leserbriefen, die nachweislich falsche Behauptungen enthielten, wurde die
Straßenbenennung von den beiden anderen Gemeinderatsparteien nun abgelehnt. Bemerkenswert daran sind zwei Dinge: Einmal, dass der Vorschlag zur Zimmermannstraße von der Meßkircher SPD kam, der Partei, die zu Zimmermanns Zeiten seine erklärte Gegnerin war. Zum anderen, dass die CDU, deren Wurzeln in der von Zimmermann vertretenen katholischen Zentrumspartei liegen und für deren Überzeugungen er sein Leben lang eintrat, den Vorschlag ablehnte.
Nachdem bereits 1927 unter Vorsitz des Nazivordenkers Alfred Rosenberg der „Kampfbund für Deutsche Kultur“ gegründet worden war, begann mit dem Aufstieg der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) Anfang der 1930er-Jahre, die Intoleranz gegenüber avantgardistischen Künstlern einen zunehmend repressiven Charakter anzunehmen. Gleich nach der sogenannten „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 wurde der gesamte Kulturbereich zentralisiert und im Interesse der neuen Machthaber durchstrukturiert. Dem im März 1933 eingerichteten Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unter Leitung von Joseph Goebbels kam dabei eine zentrale Rolle zu. Durch das wenige Wochen später erlassene Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wurden zahlreiche jüdische und nicht systemkonforme Lehrende an den Akademien sowie Mitarbeiter von Museen in ganz Deutschland entlassen. Schließlich wurden im Juli auf Erlass des Reichsministeriums alle Künstlervereinigungen und Kunstvereine gleichgeschaltet und in das Reichskartell der bildenden Künste überführt. Wenige Wochen später erfolgte die Gründung der Reichskulturkammer. Sieben Einzelkammern erfassten sämtliche kulturellen Bereiche: Musik, Theater, Schrifttum, Presse, Rundfunk, Film und auch die bildenden Künste. Wer der Reichskulturkammer bis zum 15. Dezember 1933 nicht beitreten wollte oder konnte, hatte fortan keine Möglichkeit mehr, seinen Beruf auszuüben. Voraussetzung für die Aufnahme war die deutsche Staatsangehörigkeit und der Nachweis einer „arischen“ Abstammung, doch auch aus politischen oder anderen Gründen „unerwünschte“ Künstler konnten mit dieser perfiden Maßnahme auf Einfachste ausgegrenzt werden.
Noch im Mai 1945 erließ Erzbischof Gröber einen Runderlass an die Dekane der Erzdiözese, in dem er die Mitteilung so genannter Kriegsberichte aus allen Pfarreien seines Bistums verlangte. Aus der kleinen Breisgaugemeinde Bombach meldete der Pfarrer und Geistliche Rat Fridolin Mayer: „Die Vorgänge am 20. und 22. [April 1945] bei uns in Bombach sind so interessant und instruktiv für das Kriegsende, daß sie wert sind, in die Geschichte einzugehen. Ich werde den ganzen Verlauf eingehend schildern für die Pfarrchronik und das erzb. Ordinariatsarchiv [...]. Vorläufig muss ich aber noch einige dunkle Punkte aufklären, wozu mir aber infolge der Verkehrsverhinderung die Möglichkeit fehlt.“ In den über die Pfarrei Bornbach geführten Akten des Ordinariates fand sich nun der versprochene Bericht Mayers in Form eines 30-seitigen und teilweise handschriftlich korrigierten Typoskripts; da er auch heute noch „interessant und instruktiv für das Kriegsende“ ist, wird er im Folgenden zum ersten Mal veröffentlicht.
Warum haben die Katholiken die Hitler-Diktatur nicht verhindert? Hatten sie keine Möglichkeit dazu? Oder wollten sie sich gar nicht ernsthaft gegen die Nazis wehren? Wer (oder was) hat sie gehindert, der NSDAP den Weg zur totalen Machtergreifung zu versperren? Es gibt neue Quellen, neue Gesichtspunkte, neue Einschätzungen hierzu.
Zu Beginn möchte ich Sie auf eine Zeitreise mitnehmen. Wir können dazu in diesem Raum bleiben, denn das Geschehen, an das ich nun erinnere, hat aller Wahrscheinlichkeit nach genau in diesem Saal, in der Aula der Universität, auf jeden Fall aber in diesem Gebäude stattgefunden. Auch wenn Sie also sitzen bleiben dürfen, müssen Sie doch gedanklich 78 Jahre zurückgehen, genauer in das Sommersemester 1933. Die Fachschaft der Theologischen Fakultät hat zu einem Vortrag eingeladen. Der Hörsaal, in dem der Vortrag stattfindet, ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Nicht nur Studierende und Professoren der Theologischen Fakultät sind in großer Zahl erschienen, auch Hörer anderer Fakultäten und etliche Menschen aus der Stadt Freiburg sind gekommen.
Manchmal gibt es auf komplizierte Fragen Antworten, die so einfach sind, daß man sich nur wundern kann, warum man nicht selbst darauf gekommen ist. Es gibt aber auch Fragen, die scheinen so banal, daß niemand auf die Idee kommt, sie zu stellen. Für die Frage nach „Zwangsarbeitern in kirchlichen Einrichtungen“ gilt beides: Gestellt hatte sie fast ein halbes Jahrhundert lang niemand, sondern sie wurde erst im Sommer des Jahres 2000 aktuell — dann aber sogleich mit großer öffentlicher Resonanz, verbunden mit weitreichenden Vorwürfen — und die Antwort darauf war so einfach wie naheliegend. Ausgelöst hatte die Debatte eine Sendung des Fernseh-Magazins „Monitor“, in der an einigen Fallbeispielen aufgezeigt wurde, daß auch in kirchlichen Einrichtungen — so etwa im Kloster Ettal — Zwangsarbeiter eingesetzt worden sind. Die folgenden Wochen waren erfüllt von hektischer Betriebsamkeit in der Deutschen Bischofskonferenz, in Diözesan- und Ordensleitungen, in kirchlichen Archiven aller Art, aber auch in den Redaktionsstuben von Massenmedien, die, teils aus echtem Aufklärungsinteresse, teils aus purer Sensationslust, hier ein lohneswertes Betätigungsfeld für Recherche und Berichterstattung sahen. Bis heute vermag niemand so recht zu erklären, warum die ganzen Jahre zuvor keiner wissen wollte, ob es auch in kirchlichen Einrichtungen Zwangsarbeiter gegeben habe, obwohl doch das Thema „Zwangsarbeit“ schon längst Gegenstand der historischen Forschung geworden war.
Im folgenden Beitrag soll anhand zweier Beispiele - der Lonza-Werke GmbH Waldshut und der Aluminium GmbH Rheinfelden - die Rolle Schweizer Industriebetriebe am Hochrhein zur Zeit der NS-Herrschaft beleuchtet werden. Schwerpunkte sind dabei die Einbindung in die deutsche Kriegswirtschaft und der Einsatz von Zwangsarbeitern, über deren Entschädigung zur Zeit bekanntlich heftig diskutiert wird.
Mannheim war während des Zweiten Weltkriegs (was die Zahl der Luftangriffe und der über ihr abgeworfenen Bomben angeht) wie keine andere südwestdeutsche Stadt heimgesucht worden. Das Schwerste aber schien ihr erst noch bevorzustehen, als der Oberbefehlshaber der alliierten Streitkräfte General Dwight D. Eisenhower in einem Flugblatt vom 17. März 1945 den Kriegsindustrien Frankfurts und Mannheim-Ludwigshafen „ein erbarmungsloses Bombardement“ ankündigte und die Bewohner aufforderte, sich selbst und ihre Familien „unverzüglich außerhalb der Kampfzone in
Sicherheit zu bringen“, „weil weder Bunker noch Unterstände Sicherheit gewähren“ könnten. Nachdem die ersten alliierten Einheiten in der Nacht vom 22./23. März bei Oppenheim den Rhein überschritten hatten, stießen sie von Norden her auf Mannheim vor. Am Morgen des 28. März nahm das 933. US-Feldartilleriebataillon, das der 44. US-Infanteriedivision vorübergehend bei der Operation zugeordnet worden war, das Wasserwerk im Käfertaler Wald und richtete dort seine Kommandozentrale und den Feuerleitstand ein. Bei der Besetzung stellten die Amerikaner überrascht fest, daß vom Wasserwerk trotz der Zerstörung der Brücken über den Rhein und Neckar noch eine direkte Telefonleitung zum Verwaltungsgebäude der Stadtwerke in K 5 bestand. Über diese Leitung versuchten die Amerikaner - freilich vergeblich -
die Stadtverwaltung zu einer kampflosen Übergabe zu bewegen.
Im Sommer 1944 näherten sich amerikanische und französische Truppen vom Westen her dem Elsaß, das damals als Reichsgebiet galt und zusammen mit Baden einen Gau bildete. Am 28. August ließ daher das Badische Innenministerium einen Runderlaß an die Landräte über den Bau einer „Schutzstellung West". Es sollten Hitlerjungen im Alter von 14 bis 18 Jahren eingesetzt werden, nicht länger als zwei bis drei Wochen. Zur Beaufsichtigung, Unterstützung und Betreuung der Jugendlichen werden HJ-Führer, politische Leiter, Lehrer und Gesundheitspersonal zum Einsatz gebracht ... Die Errichtung der Schutzstellung West wird zunächst öffentlich nicht erörtert; eine propagandistische Auswertung ähnlich wie in Ostpreußen ist zunächst nicht vorgesehen. In der Umgebung der Baustellen konnte die gesamte Bevölkerung herangezogen werden. Trotz der Geheimhaltungsvorschrift wurde wenige Tage später ein öffentlicher Aufruf publiziert. In ihm ist der Kreis der Betroffenen stark erweitert. Es werden nun alle männlichen Personen von 14 und 65 Jahren und alle weiblichen Personen von 16 bis 50 zur Herstellung einer Vogesenstellung und der Verteidigungsbereitschaft des Westwaldes einberufen. Dieser Aufruf stammt von der Gauleitung. Das Kompetenzgerangel beginnt also schon im Vorfeld, ein Rundbrief des Innenministers und ein Aufruf des Gauleiters stehen sich gegenüber.
Es waren hauptsächlich drei Gründe, die mich bewogen, neben der Fülle bislang publizierter Bild- und Textdokumente zum französischen Deportations- und Internierungslager Gurs nach weiteren Belegen zu suchen: Zum einen die Vorbereitung auf eine fünftägige Gedenkstätten-Gruppenreise im Herbst 2000, die mich über Orleans und Oradour-sur-Glane (b. Limoges) nach Gurs, ca. 13 km nordwestlich von Oloron-Ste. Marie an der Route D 936, ins Departement Pyrenees-Atlantiques und von dort via Noe (b. Toulouse) in das gleichermaßen berüchtigte ehemalige Lager Les Milles östlich von Aix-en-Provence und schließlich nach Carpentras geführt hat. Zusammengenommen anläßlich des sechzigsten Jahrestages der Deportation von sechseinhalbtausend badischen und saarpfälzischen Juden am 22. Oktober 1940. Zum anderen war es meine Vermutung oder eher Zuversicht, aufgrund positiver Erfahrungen bei der Beschaffung von westalliierten Aufklärerfotos zur Totalbombardierung meiner Heimatstadt Halberstadt im nordöstlichen Harzvorland am 8. April 1945 sowie zum fünf Kilometer weiter südlich gelegenen, am 11. April von US-Truppen befreiten KZ Langenstein-Zwieberge, daß solche Senkrechtluftaufnahmen aus zumeist 6 bis 9 Kilometer Höhe auch für Orte außerhalb der reichsdeutschen Grenzen, also für die von der Wehrmacht besetzten Gebiete existieren müßten. Fotodokumente jedenfalls, die das von den ehemals
Internierten so intensiv erinnerte kilometerweite Ausmaß des hier interessierenden südwest-französischen Lagers Gurs besonders deutlich werden ließen. Drittens lag mir daran, mit Hilfe der mutmaßlich zu beschaffenden Luftbilder die bislang publizierten lediglichen Lagerskizzen bzw. -pläne nebst zugehörigen Erläuterungen zu verifizieren, sie authentisch belegt zu
ergänzen und die Fotodokumente anhand eigener Erkenntnisse während der Gedenkstättenbesichtigung - soweit es die Zeit unserer Gruppe dort zuließ -, sachlich weitgehend korrekt zu beschriften.
Mit „Der Krieg erreicht Villingen“ endet die Reihe mit Tagebuchauszügen. Während der dritte Teil unter anderem die Berichte von der Front zum Inhalt hatte, geht es in diesem Aufsatz um die Auswirkungen des Krieges auf Villingen und Umgebung. Den Schwerpunkt bilden die Anmerkungen zu den Tagen ab dem 12. April 1945. Mit ihnen haben wir einen Zeitzeugenbericht über die Ereignisse zum unmittelbaren Kriegsende in Villingen. Mit der Abfahrt aus Villingen und der Fahrt über Frankreich nach Amsterdam, die Thijs Jonker mit vielen Fotos dokumentiert, klingt die Artikelserie aus.
Vier Fotos aus Lörrach
(2002)
Es könnte ein Bühnenbild sein, zum Beispiel eine Opernschlussszene, in der noch einmal alle Personen auftreten und sich dorthin gestellt haben, wo der Regisseur sie haben will. Vom in der Mitte die Hauptdarsteller, in ihrem Rücken, teils direkt hinter ihnen stehend, das mitspielende Volk, teils, um die Bildchoreografie zu steigern, von zwei Fenstern im ersten Stock eines die Szene abschließenden Hauses aus zuschauend. Eine grandiose Finalmusik ist zu hören, denn die Vernunft und das Gute haben gesiegt, und alle Beteiligten singen sich in den Triumph der Menschlichkeit hinein, ehe der Vorhang fällt und begeisterter Applaus aufrauscht. Nichts von alledem. Das Foto zeigt vier ältere Frauen und drei Männer in Wintermänteln, Hüten und Handgepäck, deren Blicke ins Leere fallen. Am linken Bildrand ist ein Uniformierter zu sehen, er hat den Mund geöffnet und erhebt den Zeigefinger der rechten Hand.
Vorbemerkung: Aus Anlass des 60. Jahrestages der Deportation Bruchsaler Juden in das südfranzösische Lager Gurs 1940
haben sich in den Monaten September bis November 2000 an der Bruchsaler Balthasar-Neumann-Schule II 22 Schüler des Berufskollegs Fachhochschulreife (JBKFH) im Alter von 22 bis 28 Jahren mit diesem Thema auseinandergesetzt. Im Generallandesarchiv Karlsruhe und im Stadtarchiv Bruchsal wurden Akten und Dokumente zu diesem Thema eingesehen. Im Rahmen der vorliegenden Sozialstudie sollten die Fragen herausgearbeitet werden: wer waren diese Menschen,
die man deportierte, welcher Schicht entstanden sie, lassen sich Veränderungen der Sozialstruktur im Bruchsal der 1930er Jahre erkennen?
"Geschichte ist das, was ein Zeitalter am anderen interessiert". Dieser Satz wird Jacob Burckhardt (1818-1897), dem bekannten Schweizer Historiker, zugeschrieben. Er ist in mehrfacher Weise Kern- und Angelpunkt der Geschichtsdidaktik: zum einen ist klar, dass es dort, wo kein Interesse (im ursprünglichen lateinischen Sinn von inter esse), keine Fragestellung auf Schülerseite besteht, um den Lernerfolg schlecht bestellt ist. Zum anderen muss in einem propädeutischen, wissenschaftlich ausgerichteten Geschichtsunterricht deutlich werden, dass Geschichte nichts Vorgegebenes, sondern Rekonstruktion der Vergangenheit mit Hilfe von Quellen und wissenschaftlicher Quellenkritik ist. Geschieht dies nicht, so werden die Aufträge von Schulgesetz, Bildungs- und Lehrplänen nicht erfüllt. Zum Idealbild des mündigen Bürgers kann die Beschäftigung mit Geschichte beitragen, indem sie dazu verhilft, die gegenwärtige Welt besser zu verstehen, in der gegenwärtigen Welt reflektiert handeln zu können, an den Quellen und durch Quellenkritik bestimmte Fähigkeiten wie z. B. Kritikfähigkeit und analytisches Denken zu erwerben sowie die persönliche und gesellschaftliche Identitätsbestimmung und die Werte, die ihr zugrunde liegen, besser zu verstehen.
Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 war ein außerordentliches Interesse des Staates an den Kirchenbüchern entstanden. Deren Auswertung hatte das fatale Ziel, die „Rassezugehörigkeit der Volksgenossen“ über Abstammungsnachweise festzustellen, damit „sich die Volksgemeinschaft im nationalsozialistischen Staat konstituieren konnte.“ Kein Vierteljahr nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde am 7. April 1933 das so genannte Berufsbeamtengesetz erlassen, das von den Staatsbediensteten den Nachweis der „arischen“ Herkunft verlangte. Mit
diesem Gesetz wurde es ermöglicht, jüdische und politische unliebsame Beamte in den Ruhestand zu versetzen oder zu entlassen. In den Folgejahren wurden zahlreiche Durchführungsbestimmungen erlassen, die auch Richter, Lehrer, Hochschullehrer und Notare als Beamte im Sinne dieses Gesetzes benannten und schließlich auch Angestellte und Arbeiter des Öffentlichen Dienstes, aber auch der Reichsbank und Reichsbahn einbezogen. Der Nachweis der „arischen“ Herkunft wurde durch beglaubigte Abschriften christlicher Taufen und Trauungen von Eltern und Großeltern aus den Kirchenbüchern erbracht und in einem „Ahnenpass“ eingetragen (s. Abb. 1 bis 3). War ein solcher Nachweis nicht zu erbringen oder belegte der Kirchenbuchauszug Informationen über die Taufe eines Juden, so war die „Nichtdeutschblütigkeit“ ermittelt. Die
„Rassezugehörigkeit“ wurde also durch die Konfession der Vorfahren nachgewiesen – ausschlaggebend war demnach nicht, ob es sich um „bekennende“ Juden handelt, sondern ob sich unter den Vorfahren auch Konvertiten befinden.
Auf einer Tagung im März 2010 in Bad Herrenalb, bei der der „Fall“ des „nichtarischen“ Pfarrers Kurt Lehmann (er zählte nach den Gesetzen des NS-Staates als „Halbjude“) eine besondere Rolle spielte, kam es immer wieder zur Frage der Kontinuität im Verhalten der Badischen Landeskirche in ihrer Haltung zum NS-Staat bis 1945 und, damit in unmittelbarem Zusammenhang stehend, der anschließenden Auseinandersetzung der Landeskirche mit ihrem Verhalten (und ggf. einem etwaigen Versagen) gegenüber den Übergriffen des NS-Staates. Symptomatisch für das Verhältnis der Kirche zu einer etwaigen Schuld schien dabei ihre Handlungsweise gegenüber den „nichtarischen“ Pfarrern Ernst (Vater) und Kurt Lehmann (Sohn) zu sein.
Mit dem Erscheinen des sechsten und zugleich Registerbandes der Quellenedition „Die Evangelische Landeskirche in Baden im ,Dritten Reich‘“ im Jahr 2005 wurde eines der großen editorischen Langzeitprojekte der deutschen kirchlichen Zeitgeschichte abgeschlossen. Anders als bei der Dokumentation des württembergischen Kirchenkampfes durch Gerhard Schäfer – für sich genommen eine geradezu singuläre Dokumentationsleistung – steht bei dem im Auftrag des Evangelischen Oberkirchenrats Karlsruhe in Kooperation mit dem Verein für Kirchengeschichte in der Evang. Landeskirche in Baden zustande gekommenen Editionsprojekt nicht die „Kirchenkampf“-Geschichte im engeren Sinn im Vordergrund. Das Karlsruher Projekt hat sich, wie bereits das Geleitwort von Landesbischof Dr. Klaus Engelhardt zum ersten, 1991 erschienenen Band zeigt, die Kontextualisierung der Auseinandersetzung zwischen Landeskirche und NS-Regime in der Kirchen- und Allgemeingeschichte des 20. Jahrhunderts zum Ziel gesetzt.
Die reichsweit stattgefundenen Versteigerungen jüdischen Hausrates, organisiert
durch die staatlichen Finanz- und Zollämter, waren Teil der sogenannten „Arisierung“ jüdischen Besitzes. Deren Ziel war, die jüdische Bevölkerung aus dem
Wirtschaftsleben zu verdrängen und die Zwangsenteignung jüdischen Besitzes
zugunsten des Staates und der „Arier“ zu organisieren.
Betroffene dieser fiskalischen und materiellen Enteignung durch staatliche
Organe waren auch Mitglieder der Villinger Familien Haberer, Schwarz und
Schwab. Zusammen mit insgesamt 6.500 badischen und Saarpfälzer Juden wurden sie am 22. Oktober 1940 in das Lager Gurs in den Pyrenäen deportiert. Der
beschlagnahmte Hausrat wurde schon einige Wochen später im Auftrag des
örtlichen Finanzamtes öffentlich versteigert.
Eine weitere Versteigerung fand im April 1942 statt. Zum Verkauf kamen
die Wohnungseinrichtungen von Michael Bloch und der Familie Gideon. Sie
konnten noch wenige Tage vor Beginn des Krieges in die Schweiz emigrieren. Der
zum Abtransport verpackte Hausrat wurde jedoch von Gestapo- und Zollbeamten beschlagnahmt und bis zur Versteigerung – 2 1/2 Jahre später – eingelagert.
Im Folgenden soll aufgezeigt werden, wie die jüdische Bevölkerung seit der
Machtübernahme durch die Nationalsozialisten mit Hilfe erlassener Gesetze und
Verordnungen systematisch ihres Besitzes und Vermögens beraubt wurde,
wobei die öffentlichen Versteigerungen der Wohnungseinrichtungen und des
Hausrates einen Schlusspunkt der Ausplünderung darstellten. Es stellt sich die
Frage, wer – neben dem Staat – an der Enteignung des jüdischen Besitzes beteiligt war und zu den örtlichen Profiteuren der Versteigerungen gehörte
Die Adresse ist im heutigen Mannheim nicht zu finden. Die Menschen, das Haus, sogar die Straße sind verschwunden. Die Hausbewohner fehlen im Adressbuch der Stadt seit 1940. In Archiven dagegen geben schriftliche Dokumente Auskunft. Auch in den Erinnerungen ehemaliger Mannheimer in den USA und in Israel leben das Mietshaus und seine Bewohner in schmerzlicher Erinnerung fort. Einige wenige der früheren Bewohner oder Besucher haben überlebt. Sie, die hier als Kinder oder junge Menschen ein und aus gingen, erinnern sich durchaus. Juden lebten hier bis zum 22. Oktober 1940, dem Tag, an
dem die Reise in die Todeslager begann. Wie konnten über 2000 unschuldige Menschen einer Stadt mit Wissen der
Bevölkerung aus ihren Wohnungen abgeführt, deportiert und später getötet werden? Was war da vorausgegangen, wie sah die psychologische und technische Vorbereitung aus, wie konnte alles mit Wissen, vielleicht sogar mit Billigung der Nachbarn geschehen? Eine gültige Antwort wird es wohl nie geben. Dieser Beitrag ist der Versuch einer Rekonstruktion der Ereignisse in einem Wohnhaus.
Der folgende Beitrag beruht auf den Ergebnissen einer Studie, die eine Forschergruppe der „Forschungsstelle Widerstand gegen den Nationalsozialismus im deutschen Südwesten" des Instituts für Geschichte an der Universität Karlsruhe unter dem Titel „Offenburg 1919-1949. Zwischen Demokratie und Diktatur" erstellt hat und die im Frühjahr 2004 im
Universitätsverlag Konstanz veröffentlicht worden ist.
Die Kirchenbücher im Herzogtum Württemberg, dem größten Territorium
des nachmaligen Königreichs, dessen Gebiet bis zum heutigen Tag den größten
Teil der Landeskirche bildet, gehen auf das Jahr 1557/58 zurück. [1] In der Visi -
tationsordnung vom 2. Februar 1557 wurde von Herzog Christoph die Führung von Taufbüchern angeordnet. [2] Diese werden auch in der 1559 erschie -
nenen Großen Württembergischen Kirchenordnung erwähnt, denn hier wird
den Visitatoren aufgetragen, den »Catalogum mit den getaufften Kindern« zu
überprüfen. [3] Im Gegensatz zur Einführung der Taufbücher [4] ist ein Erlass für
die Anlegung von Registern der Eheschließungen und Beerdigungen, also der
Führung von Ehe- und Totenbüchern, die alsbald nach den Taufbüchern beginnen, nicht bekannt. [5] In den meisten Fällen wurden diese drei ursprünglichen
Sparten der kirchlichen Register in einem Band eingetragen, der in kleinen
Gemeinden oft hundert und mehr Jahre seinem Zweck diente. Später wurden
dann für jedes der drei Register eigene Bände angelegt.
Die Konstanzer Gruppe der Zeugen Jehovas, damals Ernste Bibelforscher genannt,
bildete sich 1921 mit etwa 15 Personen. In den unruhigen Zeiten der Weimarer Republik
hatten die Zeugen Jehovas zeitweise großen Zuspruch. Bei Werbeveranstaltungen in Konstanz ab 1920 waren die Säle des Konzilsgebäudes gut gefüllt. Eine Veranstaltung hieß:
Die Welt ist am Ende – Millionen jetzt Lebender werden nie sterben! Eine andere hieß: Die Zeit ist
herbeigekommen! [1] Reisende Bibelforscher betreuten die ersten Anhänger in der Region. Ihr
Auftreten war fromm erscheinend, würdevoll und ernst. Ihren Bartschnitt ahmten sie Christus nach.
Sie trugen einen schwarzen Rock, versehen mit einer Anstecknadel, die Kreuz und Krone darstellte. Die
einheimischen Anhänger missionierten wiederum sonntags mit dem Fahrrad bis in den
Hegau und in den Linzgau hinein, und sie hielten Kontakt zu Schweizer Zeugen Jehovas.
Die Versammlungen der 20er Jahre wurden von einem Erntewerkvorsteher und gewählten Ältesten geleitet. Ab 1932 sprach man von Dienstleitern und Brüdern, ab 1936 von
Gruppendienern, die nicht mehr gewählt, sondern ernannt wurden. Außer öffentlichen
Vorträgen wurden regelmäßige wöchentliche Zusammenkünfte abgehalten, sei es Gruppen-Wachtturm-Studium oder Lobpreisungs- und Gebetsversammlungen.
Das nachfolgend abgedruckte, zeitgeschichtliche Gutachten wird zur Dokumentation der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen Folgen im Bodenseeraum veröffentlicht. Es wurde am 5. Februar 2014 im Rahmen einer Pressekonferenz auf der Insel Mainau der Öffentlichkeit übergeben.1 Das Gutachten unter dem
Titel »Lennart Bernadotte (1909–2004) während der Zeit des Nationalsozialismus und
in den unmittelbaren Nachkriegsjahren« wird hier in vollem Umfang abgedruckt. Zur
besseren Anschaulichkeit wurde es um Abbildungen aus dem Gräflich Bernadotte’schen
Familienarchiv und aus anderen Archiven ergänzt.
Nachdem die badisch-pfälzischen Juden am 22. Oktober 1940 durch die Nationalsozialisten in das südfranzösische Lager
Gurs deportiert worden waren, setzten vielfältige Bemühungen ein, den Menschen ihre Lage zu erleichtern, sie zu befreien
oder wenigstens in weniger unwürdige Verhältnisse außerhalb des Lagers zu bringen. Für einige gelang diese „Liberierung“, die Entlassung in eine südfranzösische Gemeinde, meist in der Umgebung von Gurs, wo eine private Wohnung oder eine Pension bezogen werden konnte. Von hier aus unternahm man dann alle denkbaren Versuche, endlich die Emigration erreichen zu können – bis ab Sommer 1942 die „Endlösung“ erneut die Deportation für Tausende und den Transport über Drancy bei Paris nach Auschwitz in den Tod bedeutete.
Bad Rippoldsau, das unter der Badeigentümer-Dynastie der Goeringer nicht nur zu einem der bedeutendsten Bäder des
Schwarzwaldes, sondern zu einem Heilbad von Weltruf geworden war, hatte nach dem ständigen und kontinuierlichen Aufschwung von 1777 bis zum Tode Otto Goeringers (Otto Goeringer sen. 1853–1920, zu Kaisers Zeiten Leutnant der Reserve mit früherem Standort in Colmar, zuerst Alleineigentümer des Bades Rippoldsau, später Direktor der Bad Rippoldsau AG) in den Zeiten der Weltwirtschaftskrise existenziell zu kämpfen. Selbst die hervorragenden Einrichtungen des Fürstenbaus (der bereits 1865 errichtete Fürstenbau war zu seiner Zeit eines der modernsten Hotels in Europa) und der Villa Sommerberg (nicht weniger luxuriös und modern) sowie die fachliche Leitung durch den Hotelier von Weltruf, Ferdinand Huse, vermochten den Niedergang nicht zu verhindern. Huse war an den Katarakten des Nils genauso zu Hause wie in den allerersten Hotels Europas. Er sollte später das Kurhaus Sand zu höchster Blüte bringen.
Es ist ein äußerst populäres und bekanntes „Volkslied“, das bis in die Gegenwart gesungen wird. Bekannte Schlagersänger
haben es auf ihre jeweils individuelle Weise interpretiert, so etwa Roy Black, Heino, Mireille Mathieu, Nana Mouskouri, Freddy Quinn und sogar Elvis Presley. Komponiert und publiziert hat das Lied Friedrich Silcher (1789–1860), wobei er wohl auf eine traditionelle Melodie zurückgegriffen hat. Erstmals erschienen ist es 1827 in Silchers zweitem Heft der „Volkslieder, gesammelt und für vier Männerstimmen gesetzt“.
Es gibt nur wenige Aufzeichnungen von ehemaligen Kriegsgefangenen, die während des II. Weltkriegs in Deutschland arbeiten mussten. André Thomas (1911–2008), geboren in der Nähe von Clermont-Ferrand, von Beruf Konditor, kam am 23. Juni 1940 in St. Dié (Lothringen) in deutsche Gefangenschaft. Mitte Juli brachte man ihn mit etwa hundert Gefangenen nach Offenburg ins Stammlager (Stalag) am Holderstock. Er wurde mit zwei Kameraden dem Gärtnermeister Franz Wiedemer zugeteilt. Dort arbeitete er bis zu seiner Flucht im Dezember 1941. Wie es ihm gelang, sich über die streng bewachte Rheinbrücke, Straßburg, das Breusch-Tal, den Donon, Lunéville und Belfort ins unbesetzte Inner-Frankreich durchzuschlagen, hat er auf Drängen seiner Kinder nach alten Tagebuchnotizen 1980 niedergeschrieben. Sein Enkel Eric hat 2018 bei Familienforschungen den Sohn jenes Gärtnermeisters – das ist der Verfasser – per Internet aufgespürt, um vielleicht noch mehr über die Zeit in Offenburg zu erfahren. Der Wissensgewinn lag dabei mehr auf meiner Seite und ich bringe Andrés Aufzeichnungen gern einem größeren Leserkreis zur Kenntnis, zunächst um weitere Zeitzeugen zu ermutigen, ihre Erinnerungen an die Zeit der „Erbfeindschaft“ festzuhalten. Zum Zweiten aber sollte man die deutsch-französische Aussöhnung und Freundschaft nicht für selbstverständlich nehmen, weil gerade heute populistische und nationalistische Stimmen wieder erschreckend laut werden.
Straßburg und Bad Rippoldsau
(2019)
Bad Rippoldsau lag und liegt idyllisch und recht abgeschieden, heute in einer Art Dornröschenschlaf – trotzdem dass der Ort
noch lange deutlich vom Nachruhm der großen „Goeringer-Zeit“ (vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts) zehren konnte. Und zwischenzeitlich durch die „Schwestern der Liebe vom kostbaren Blut“ und die zur Zeit
ihres Bestehens erfolgreiche Klinik Bad Rippoldsau das medizinische Bäderwesen bis zur Gesundheitsreform in den 90er
Jahren des vorigen Jahrhunderts in hoher Blüte stand. Für die Fürsten zu Fürstenberg waren in ihrer Zeit als Landesherren stets Zimmer bereitzuhalten gewesen. Hier waren seit der Erhebung zum Großherzogtum die Landesherren zu Gast, hier wurde durch Großherzog Ludwig 1821 der Grundstein für die Vereinigte Evangelisch-Protestantische Landeskirche in Baden gelegt. Obwohl Bad Rippoldsau traditionell ein bedeutender, katholischer Wallfahrtsort ist: Noch heute genießt das Gnadenbild der Gottesmutter in der Wallfahrtskirche Mater Dolorosa in Bad Rippoldsau nicht nur an den traditionellen Wallfahrtstagen höchste Verehrung. Baden und das Elsass verbindet traditionell mehr als nur der Rhein, und diese Verbindung der Landschaft zwischen Schwarzwald und Vogesen geht weiter zurück als bis zur Eheschließung des späteren Großherzogs Karl Friedrich Ludwig mit Stépanie de Beauharnais, Kaiserliche Hoheit, Fille de France und Adoptivtochter Napoleons.
Das Leben des Schauspielers Willy Schürmann-Horster (1900-1943) ist bis auf die
12 Monate seines Aufenthalts in Konstanz eigentlich ganz gut bekannt. Nach Schulzeit
und Besuch der Schauspielschule von Luise Dumont in Düsseldorf, an der auch Gustav
Gründgens Schüler war, spielte und inszenierte er ab 1920 im Rheinland politisch-revolutionäres Theater mit zeitgenössischen Autoren wie Maxim Gorki, Ernst Toller, Georg
Kaiser, Erich Mühsam, Bert Brecht und Friedrich Wolf, aber auch Georg Büchner. Daneben befasste er sich stets mit den Klassikern. Vorübergehend war er 1923 sogar Mitglied
der KPD, wurde aber nach seinen Aussagen im Prozess von 1943 wegen politischen Differenzen ausgeschlossen. Seine Theatergruppen trugen Namen wie »Jungaktivistenbund«
(1920), »Junge Aktion«, »Freie Volksbühne«, »Notgemeinschaft Düsseldorfer Schauspieler« und besonders erfolgreich die »Truppe im Westen«, ein 1930 entstandenes Schauspielerkollektiv. Die Witwe erinnerte sich später an ihn: Deutlich sehe ich Willy Schürmann
noch vor mir, den mitreißenden Regisseur bei der Gestaltung eines Aktschlusses: Die revolutionären Arbeitersehen dem Tode entgegen, schließen sich eng zusammen und singen: "Brüder in eins nun..."