85.2005
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Nachdem die Markgrafschaft Baden nach dem 30-jährigen Krieg im Jahre 1648 Grenzland zu Frankreich geworden war, begann für die rechtsrheinische Bevölkerung eine Jahrzehnte dauernde schwere Leidenszeit. Die Expansionspolitik Ludwig XIV. von Frankreich löste eine Folge von zerstörerischen Kriegszügen aus. Nach dem Eroberungskrieg gegen Holland von 1672 bis 1679 und dem Bau der großen Festung Fort Louis gegenüber von Stollhofen ab 1687 wurde unser Gebiet jahrzehntelang mit Versorgungsforderungen und brutalen Plünderungen ausgehungert. Unsere Vorfahren waren in diesen Notzeiten hilflos und ohnmächtig. In solchen Tagen und Stunden, in denen der Mensch eines Trostes und des Glaubens an eine bessere Welt, an das Jenseits und an eine ausgleichende Gerechtigkeit bedarf, hält ihn allein die Hoffnung und der religiöse Glaube aufrecht. Es verwundert daher nicht, dass die damalige Kapelle in der Ortsmitte von Neuweier, gestiftet im Jahr 1329, ein vielbesuchter und trostspendender Ort geworden war.
1938: die Neumühler Frauen
(2005)
Widerstand gegen das Regime der Nationalsozialisten im Hanauerland? Diese Bewertung geht Zeitzeugen zu weit. Aber Auflehnung gegen das so genannte Dritte Reich hat es gegeben. Neumühl, 1938: Die Kinderschwester Gertrud Hammann wird mitten aus dem Spiel mit den Kindergartenkindern gerissen. Auf Geheiß des Bezirksamtes muss der Bürgermeister der damals 28-Jährigen vor den Kindern eröffnen, dass er sie wegen ihrer jüdischen Abstammung sofort entlassen müsse und der Kindergarten zu schließen sei. Fünf Jahre hatte sie davor zur Zufriedenheit der Neumühler Frauen, insbesondere des Evangelischen Frauenvereins, und in guter und vertrauensvoller Zusammenarbeit mit dem damaligen Bürgermeister in
dieser Einrichtung gearbeitet. Die Diakonisse und ihr Mutterhaus in Mannheim hatten Stillschweigen bewahrt über den Vater Gertrud Hammanns, ein Jude, der zum evangelischen Glauben übergetreten war. ,,Irgendein Menschenkind vom Ort hat meine halb(!)-jüdische Abstammung entdeckt und an entsprechender Stelle bekannt gegeben", schrieb Hammann in ihren Erinnerungen. Und sie berichtete weiter: ,,So wie damals, als ich in den Ort kam, von den Frauen im geschmückten Landauer abgeholt, so begleiteten sie mich jetzt an die Bahn, wo ich zurück in mein Mutterhaus fuhr."
Die Dörfer im Ried nehmen innerhalb der zersplitterten reichsritterschaftlichen Gebiete am Oberrhein eine Sonderstellung ein. Sie waren über zweihundert Jahre lang, vom späten Mittelalter bis nach dem Dreißigjährigen Krieg, unter der Herrschaft der Freien Reichsstadt Straßburg, gehörten zum Straßburger Landgebiet als „überrheinische Dörfer" wie die Amtsbezeichnung lautete. Doch die Beziehungen zu Straßburg, diesfalls zum Bistum Straßburg, sind weit älter. Um 1300 war Nonnenweier ein Kondominat, an dem das Bistum einen Anteil hatte, das Heilige Römische Reich Deutscher Nation einen anderen. Bei allem Wechsel der Besitzverhältnisse und Anrechte - die Herren von Windeck und die von Geroldseck erwarben Rechte - setzten doch die Bischöfe von Straßburg ihre Ansprüche durch, bis 1401 das Bistum seinen Anteil an Nonnenweier an die mächtiger gewordene Freie Reichsstadt Straßburg verpfändete. Von da an waren die Dörfer Teil der „Landpflegerei" unter der Herrschaft des Magistrats Straßburgs. Erst 1663 sah sich der Magistrat, durch die Verschuldung der Stadt im Dreißigjährigen Krieg, genötigt, die Dörfer rechts des Rheins zu verkaufen. Einer der militärischen Führer der protestantischen Partei im Dreißigjährigen Krieg, Johann Christoph von der Grün, Oberst und früher Adjudant Bernhards von Weimar, kaufte alle Rechte an Nomnenweier, Niederhausen, Allmannsweier und Wittenweier für 24.000 Reichsgulden.
Die Mühlen in Willstätt
(2005)
Die Entwicklungsgeschichte der Mühlen begann mit dem Anbau von Getreide durch sesshaft gewordene Nomaden. Die Zerkleinerung des Getreides geschah mit Hilfe von Reibsteinen. In der nächsten Entwicklungsstufe wurden der Dreh- und Läuferstein mit einer Deichsel ausgerüstet und in immerwährendem Kreislauf durch Tierkraft angetrieben. Das Getreide wurde zwischen den Steinen zermahlen. Auch Menschen wurden für diese Arbeit eingesetzt. Die Erfindung des Wasserrades bedeutete in der Mühlentechnik einen weiteren Fortschritt. Die erste Wassermühle in Deutschland soll an der Mosel gelegen haben. Durch die günstige Lage der Kinzig konnte die Wasserkraft in Willstätt sehr früh ausgenutzt werden. Durch die geographisch-zentrale Lage gewann Willstätt als Marktflecken früh an Bedeutung. Die umliegenden Dörfer waren von Landwirtschaft geprägt, während Willstätt ein Handwerkerdorf war und seit dem frühen 17. Jahrhundert das Marktrecht besaß.
Die Ortenau. - 85 (2005)
(2005)
Das Forschungsprojekt „Das Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts" bietet eine bequeme Bestandsaufnahme zur Barockliteratur in zahlreichen einschlägigen Bibliotheken. Bei diesem Projekt wurden schon viele Druckwerke erfasst, die bisher unbekannt geblieben und allenfalls über eine langwierige Suche in wenig erschlossenen Bibliotheken zu finden waren. Auf diesem Wege ließen sich jetzt auch einige neue Arbeiten von Quirin Moscherosch zu Tage fördern. Sie bestätigen in vielen Punkten das Gesamtbild des Autors, so wie es zuletzt W.E. Schäfer gezeichnet hat, teilweise korrigieren und ergänzen sie dieses Bild. Zudem liefern diese Funde weitere Bausteine für eine bisher noch ausstehende umfassende Bibliographie des Autors, der als jüngerer Bruder des Satirikers Johann Michael Moscherosch in dessen Werken -
unter dem Pseudonym Reiner von Sittewald - mit seinen ersten Gelegenheitsgedichten bekannt wurde.
Das Großherzoglich-badische provisorische Regierungs-und Kammerprotokoll vom 6. Juni 1807 hielt folgenden Sachverhalt fest: ,, ... dass nach der Verordnung des höchstseligen Kaisers Joseph alle überflüssigen Kapellen in Breisgau und Ortenau aufgehoben und ihr Vermögen zum Religionsfond gezogen werden, daher die Zahl, Besonderheit und Vermögensstand aller
überflüssigen Kapellen zu erheben und bei jeder die Bemerkung beizufügen sei, zu was für einen Gebrauch die Gebäude derselben bestimmt werden könnten."
Bitterkeit empfindet Johanna F., geb. Santo, wenn sie an die vielen rhetorisch ausgefeilten Reden denkt, die am 27. Januar 2005 von Politikern zum 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz gehalten wurden. Keiner der Volksvertreter vergaß, an die Opfer von Nazi-Deutschland zu erinnern. Die KZ-Opfer nicht zu vergessen,
nie mehr Unrecht auf deutschem Boden zu dulden, war Inhalt aller Gedenkansprachen. Doch war die moralische Entrüstung, die Einforderung von Toleranz und Humanität im gesellschaftlichen Zusammenleben immer auch ein ernst zu nehmendes Anliegen der Redner? Entsprangen die lautstark vorgetragenen Anklagen stets auch einer edlen Gesinnung? Die Mutter von Johanna F., Elsa Santo, war vom 24. November 1944 bis zum 28. April 1945 als politisch Verfolgte im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück inhaftiert. Eine Wiedergutmachung hat sie als Opfer des Faschismus trotz ihrer Anträge und Eingaben an die zuständigen Behörden im Land Baden-Württemberg nie erfahren. Aktenunterdrückung und
Rechtsbeugung haben jegliche Wiedergutmachung verhindert. Dieter Wiefelspütz (MdB), Innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, fasst sein Unverständnis und seine Empörung über die Vorgehensweise der Behörden gegenüber Johanna F. in einem Schreiben vom 8. September 2000 in folgenden Worten zusammen: „Ihr Schicksal und das Ihrer Mutter haben mich tief berührt und Ihr Leidensweg durch die bundesdeutsche Gerichtsbarkeit erfüllt mich mit Zorn und gleichzeitig mit Ohnmacht." Nachfolgend eine Dokumentation zu dem Schicksal von Frau Elsa Santo und ihrer Tochter Johanna.
Der vorliegende Aufsatz soll das Wirken des Kirchenbaumeisters Karl Hörth in der Umgebung von Bühl thematisieren. Hörth war als Kirchenbaumeister maßgeblich am Bau der Kirchen in Vimbuch und Greffern sowie am Bau der Friedhofskapelle von Bühl, der Alban-Stolz-Kapelle, beteiligt. Im Zusammenhang mit dem Bau der Kirche in Vimbuch ist der so genannte „Vimbucher Kirchenstreit" ein wichtiges Kapitel. Er hat die Auseinandersetzung zwischen den Kirchenbaumeistern Hörth und Williard im Band 29 des Freiburger katholischen Kirchenblatts zum Thema und wird auch in der Erörterung berücksichtigt. Folglich ist das Thema auch über Bühl hinaus von Interesse. Intention des Beitrags ist es demnach, auf die Bedeutung Karl Hörths für die Kunst- und Kulturgeschichte der vorderen Ortenau hinzuweisen. Dies geschieht aufgrund der Quellenlage nicht in einem gleichmäßigen Umfang. Vielmehr wird das Hauptgewicht des Aufsatzes auf die Kirche in Vimbuch und der daraus resultierenden Auseinandersetzung zwischen Williard und Hörth um die Kirche in Vimbuch liegen, während die beiden anderen sakralen Bauwerke kürzer geschildert werden. Auch deshalb möge dieser Aufsatz Anlass dafür sein, dass sich weitere Interessenten der Kunst- und Kulturgeschichte der vorderen Ortenau mit Hörth, Williard oder anderen Kirchenbaumeistern beschäftigen. Den Anfang der thematischen Schilderung wird ein kurzer biographischer Abriss zu Hörth und zu Williard bilden.
Es ist eine Beerdigung, wie sie Unzhurst noch nie zuvor gesehen hat. In der Pfarrkirche St. Cyriak haben sich 45 Geistliche versammelt; in den harten Holzbänken sitzen nicht nur zahlreiche Gläubige aus dem Ort, Größen der Wissenschaft sind da, Professoren, Doktoren, und alle sind sie an diesem Apriltag 1949 hier, um Abschied zu nehmen von einem der Ihren. Das
gilt für den einfachen Mann aus dem Dorf wie den gelehrten Professor aus der Universitätsstadt. Denn Josef Sauer, der in der Nacht zum 13. April gestorben ist, hat Zeit seines Lebens scheinbar mühelos den Spagat zwischen bäuerlicher Herkunft und ruhmüberhäufter Laufbahn vollbracht. Der Unzhurster Bauernsohn ist zum Freiburger Universitätsrektor und Päpstlichen Hausprälat aufgestiegen, und doch zeigte seine innere Kompassnadel immer in die Heimat, der er zur Lichtgestalt wurde. 1948, am Cyriaksfest, hat die Gemeinde ihren großen Sohn zum Ehrenbürger ernannt. Wissenschaftler, Professoren, Freunde - sie fassen in Worte, was Sauer im Leben geleistet hat. Die Beerdigung selbst zelebriert Dekan Prälat Josef Fischer aus Bühl, der „dem geistig großen Sohn unserer mittelbadischen Heimat ein Wort der Pietät widmete für all seine Leistungen und besonders für die Liebe und Treue seiner Heimat gegenüber."
Wo liegen die historischen Ursprünge der vierten Gewalt, der Medien? Schwer zu sagen, wo es mit der Buschtrommel angefangen hat. Doch zumindest für eines der Medien und nicht das geringste, für die Zeitung, lässt sich genau sagen, wo in Deutschland es seinen Anfang genommen hat. Die erste gedruckte Zeitung, noch ein Wochenblatt, ist im Jahr 1605 in Straßburg erschienen. Somit ist an vierhundert Jahre Zeitungsgeschichte zu erinnern. Das sollte ein Gedenken wert sein. Bedeutet doch der Druck und die Verbreitung von Nachrichten für eine breitere Öffentlichkeit ein Durchbrechen eng gezogener Grenzen. Das Wissen um politische Vorgänge war bisdahin streng gewahrtes Vorrecht der Fürsten und höfischen Beamten. Sie bezogen ihre Nachrichten durch ihre Diplomaten und Agenten. Zum ersten Mal war einem virtuell nicht eingeschränkten Leserkreis der Zugang zu solchem Wissen möglich.
In Ergänzung und als Illustration der Übersetzung der lateinischen Beschreibung der Ortenau durch den Humanisten Ottelinus teile ich diesen Fund mit: Die Stiftsbibliothek St. Gallen besitzt viele Handschriften aus der Sammlung des Schweizer Humanisten Aegidius Tschudi, darunter auch etliche handschriftliche Karten von seiner Hand. Mit einem Teil seines Nachlasses wurden sie im Jahr 1768 vom St. Galler Abt Beda angekauft. In der Handschrift Nr. 664 dieser Bibliothek, auf den Seiten 192-193, befindet sich eine handgezeichnete Karte von Tschudi, mit brauner Tusche gezeichnet, in der er den südwestlichen Teil von Baden, das Elsass und das angrenzende Lothringen kartografisch exakt darstellt. Die rechte Kartenhälfte zeigt den Oberrhein, und dort ist deutlich zu lesen: ,,Ortnaw - Mortnaw". Scheinbar war zur Zeit Tschudis die Landschaftsbezeichnung Ortenau noch nicht fixiert, so dass er beide Namen anführte. Auch Sebastian Münster sprach in seiner „Cosmographia" (1544) ja bekanntlich von der Mortnaw und den früher dort lebenden Mördern, von der sie ihren Namen habe. Als eine der frühen Ortenau-Karten sei diese Handschrift hier vorgestellt. Eine sichere Datierung der Skizze gibt es nicht. Sie wird wohl im Zusammenhang der kartografischen Bemühungen Tschudis um seine Schweizerkarte, die 1538 veröffentlicht wurde, entstanden sein.
Ein beliebtes Wanderziel im mittleren Schwarzwald ist die Passhöhe Brandeck-Lindle zwischen Kinzig- und Durbachtal und weiter bergauf zum Brandeckkopf (690 m), wo nicht weit davon Ohlsbach, Offenburg und Durbach aneinander grenzen. Das bezeugt der „dreybännige Gränzstein N 48" von 1787, der das Wappen der Reichsstadt Gengenbach, Bann Ohlsbach, des markgräflich-badischen Amtes Staufenberg (Durbach) und der österreichischen Landvogtei Ortenau, Gericht Ortenberg, Stab Zell (Offenburg) trägt. Unter der Gerichtslinde auf dem Pass wurden Grenzstreitigkeiten zwischen den Anrainern verhandelt. Berg und Walddistrikt Brandeck waren namengebend für ein Landadelsgeschlecht vom klösterlichen Freihof in Ohlsbach, das zwei Gengenbacher Reichsschultheißen stellte: Balthasar von Brandeck (1499) und Junker von Brandeck (1593). Namen auf älteren Grenzplänen und Karten wie ,,Am langen Acker", ,,Hanns Fritschen Gut", ,,Joseph Schuler's Reuthfeld" oder „Bühlhof' erinnern daran, dass früher und noch vor hundert Jahren die Landschaft offen war und sich Äcker und Wiesen auf den Höhen und entlang den Hängen erstreckten. Auch zahlreiche Lesesteinhaufen, vor allem die zu einer imponierenden Pyramide aufgeschichteten Steinbrocken nördlich unter dem 1895 errichteten Brandeckturm - ,,Absaloms Grab" genannt-, sind ein weiteres Indiz für vormalige Landbewirtschaftung.
Als im September 2003 anlässlich der Neueröffnung der restaurierten ehemaligen Synagoge in Kippenheim als Gedenk-, Lern- und Begegnungsstätte zahlreiche frühere jüdische Bürgerinnen und Bürger Kippenheims eingeladen waren, war beim Blick auf die Namensliste der jüdischen Gäste eine Lücke feststellbar. Während bei diesem feierlichen Anlass eine Reihe von
Mitgliedern der jüdischen Familien Auerbacher, Maier, Wachenheimer und Wertheimer bzw. deren Verwandte oder Nachkommen anwesend sein konnten, suchte man den Namen der früheren Kippenheimer Kaufmannsfamilie Durlacher vergeblich. Zwei Gründe sind dafür verantwortlich: Zum einen fielen die letzten in Kippenheim verbliebenen Angehörigen der Familie der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik zum Opfer. Die Namen von fünf Familienmitgliedern befinden sich auf der Gedenktafel für die Kippenheimer Opfer des Nationalsozialismus, die 1998 in der Vorhalle der ehemaligen Synagoge angebracht wurde. Demzufolge sind heute keine Mitglieder aus der Familie Durlacher mehr am Leben, die das Leben in
Kippenheim noch aus eigener Anschauung kennen und darüber berichten könnten. Ein zweiter Aspekt ist die Abwanderung eines größeren Zweiges der Familie in die Großstadt Hamburg gegen Ende des 19. Jahrhunderts, wo es den Durlachers gelang, sich neue ökonomische Möglichkeiten im Weinhandel zu erschließen. Dieser Wegzug trug mit dazu bei, dass die Familie Durlacher im Vergleich zu den anderen genannten jüdischen Familien Kippenheims im 20. Jahrhundert weitaus weniger Mitglieder im Ort umfasste. Der folgende Beitrag versucht, die Entwicklungsgeschichte dieser „vergessenen" Kippenheimer Familie anhand schon bekannter sowie neu entdeckter Quellen in ihren Grundzügen zu rekonstruieren. Da der nach Hamburg umgesiedelte Familienzweig zudem exemplarisch für den seit langem als Desiderat angesprochenen, bislang aber noch immer nur ansatzweise erforschten Urbanisierungsprozess der oberrheinischen Landjuden steht, soll diesem Punkt ein besonderes Augenmerk verliehen werden. Hier werden Hinweise darauf gesucht, welche Bedeutung der ursprüngliche Heimatort für die Identitätsbildung der verbürgerlichten einstigen Landjuden hatte bzw. es wird der von Heiko Haumann eingebrachten Frage nachgegangen, welche diesbezüglichen Einschätzungen und Ansichten bei den Juden vorherrschten, die die Landgemeinden hinter sich gelassen und ihr Glück in den größeren Städten gesucht hatten.
,,Ich als geborener Badener"
(2005)
Der Anruf aus Bonn kam ungelegen. Denn jetzt, im März 1950, wollte Wilhelm Hausenstein endlich in Ruhe gelassen werden; wollte nur noch lesen, schreiben, auch reisen, kurz: sein eigenes Leben leben, das ohnehin zur Neige ging. Und dass er sich diese Ruhe redlich verdient hatte, konnte keiner bestreiten. Am 17. Juni 1882 war er in Hornberg im Schwarzwald geboren worden; hatte das Gymnasium in Karlsruhe und die Universitäten in Heidelberg, Tübingen und München besucht; und hatte, nach einer glanzvollen Promotion in mittlerer und neuerer Geschichte, Nationalökonomie und Paläographie, in Paris der ehemaligen Königin von Sizilien als Vorleser gedient und sich dann noch einmal in München in den Hörsaal gesetzt, um Kunstgeschichte zu studieren. Dann war er einer der bedeutendsten Kunsthistoriker, Kunstkritiker, Kunstschriftsteller, auch Reiseschriftsteller seiner Zeit geworden: mit zahllosen Artikeln und Aufsätzen und mit rund 40 Büchern etwa über barocke, expressionistische und exotische Kunst; über Fra Angelico, Giotto, Carpaccio, Rembrandt; über Paul Klee und andere zeitgenössische Künstler, mit denen er bekannt und befreundet war. Dann, nach 1933, hatte er keine Bücher mehr schreiben dürfen, aber als Redakteur der berühmten ,Frankfurter Zeitung' noch eine Weile überwintern können - aber ohne den Machthabern irgendeine Konzession zu machen; war schließlich doch entlassen worden und dadurch in große Not
geraten, auch weil Margot Hausenstein, die er 1919, mit Rilke und Preetorius als Trauzeugen, geheiratet hatte, eine belgische Jüdin war. Die einzige Tochter Renee-Marie hatte mit dem letzten Schiff noch nach Brasilien flüchten können.
Als im Jahre 1455 in Baden-Baden das neue, große Chor der Stiftskirche vollendet wurde, begann man auch in Steinbach die alte romanische Pfarrkirche St. Jakobus durch einen spätgotischen, größeren Neubau zu ersetzen. Die Jahrzahl 1455 war in Stein gemeißelt am ersten südlichen Chorstrebepfeiler angebracht, seit 1906/07 durch den Sakristeianbau verdeckt, aber durch ein gutes Foto belegt. Somit 550 Jahre Altarhaus. Hundert Jahre alt wird die neugotische Kirche bzw. Turm und Langhaus, deren Grundsteinlegung am 20. Mai 1906 stattfand. Doch zurück zu den Anfängen der „Ecclesia Matrix", der Mutterkirche, welche anfangs die nördlichste, rechtsrheinische Urpfarrei im Bistum Straßburg war. Hier helfen vor allem archäologische Erkenntnisse. Im Winter 1971/72 wurde zwecks Einbau einer Fußbodenheizung im Langhaus das Erdreich um 45 cm ausgehoben. In einer Tiefe von 30--40 cm legte der Bagger drei Mauerzüge frei, die zweifellos von früheren Gotteshäusern stammen und vom Verfasser mit Hilfe des Denkmalamtes vermessen wurden.
Die Restaurierung des Innenraumes der St. Martinskirche in Gengenbach bestand aus einer umfassenden Restaurierung der Raumschale, des Langhauses mit seiner Stuckdecke, des Chorraums und der Seitenkapelle St. Anna mit ihrer Stuckdecke. Gleichzeitig wurden bei dieser Gelegenheit Wartungs- und Instandsetzungsarbeiten an allen Ausstattungstücken, den Altären, der Kanzel, der Empore und weiteren im Kirchenraum befindlichen Kunstwerken durchgeführt. Zudem fanden im wiederhergestellten Kirchenraum sakrale Kunstwerke aus dem Besitz der Kirchengemeindeeine Aufstellung, die zuvor dem Betrachter nicht zugänglich waren. Nicht zuletzt bedeutete diese umfassende Restaurierung des Raumes und seiner
Ausstattung einen erheblichen Erkenntnisgewinn in Bezug auf die Baugeschichte der Kirche St. Martin.
Die Ettenheimer Glockengeschichte erweist sich infolge der zahlreichen Kriege und den damit verbundenen Zerstörungen (auch der Archive) als ziemlich verwickelt. Auch das Zerspringen mancher Glocken machte Neubeschaffungen oder Umgüsse erforderlich. Vieles geriet in Vergessenheit, und über die älteste Zeit ist so gut wie nichts mehr bekannt. Hilfreich sind vor allem die überlieferten Schriften des Paters Arbogast Arnold (17. Jahrh.)], zu dessen Zeit die im 30-jährigen Krieg zerstörte Pfarrkirche wieder aufgebaut wurde, und des Ettenheimer Chronisten J. C. Machleid (18. Jahrh.). Ohne auf alle Einzelheiten einzugehen, soll nachfolgend ein Überblick über die Ettenheimer Glocken und ihre Gießer gegeben werden.
Kippenheimer Jüdischdeutsch
(2005)
Die Sprache der bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts in Südwestdeutschland, dem Elsass und der Schweiz lebenden Juden wird in der wissenschaftlichen Literatur als „ Westjiddisch", in genauerer Differenzierung bisweilen auch als „Südwestjiddisch" bezeichnet. Dieses Jiddische wird im 20. Jahrhundert vom so genannten Jüdischdeutschen abgelöst, worunter wir hier in diesem Beitrag eine der deutschen Standardsprache angenähertere Sprachvariante auf der Basis des Westjiddischen verstehen. Das Westjiddische selbst unterschied sich vom Ostjiddischen, das heute gleichbedeutend mit Jiddisch ist, in bestimmten lautlichen und lexikalischen Eigenheiten, deren wichtigste in dem Westjiddischen Sprachatlas von Beranek und dem Language and Culture Atlas of Ashkenaszic Jewry festgehalten sind.
In Memoriam Charles Hermand
(2005)
Wo der Ort dieses schrecklichen Verbrechens vom 12. April 1945 war, ist merkwürdigerweise lange Zeit unklar gewesen. Merkwürdig deshalb, weil ein Zeitzeuge eindeutig die Artilleriekaserne in der Prinz-Eugen-Straße als Lager der Gefangenen benannt hatte. Auch der Historiker Uwe Schellinger schrieb 1998 in seiner Arbeit über die Ihlenfeld-Kaserne, das Massaker
sei „aller Wahrscheinlichkeit nach nicht in der Ihlenfeldkaserne, sondern in der 1939-1941 erbauten Artilleriekaserne verübt worden". Doch in der Öffentlichkeit standen zwei Kasernen zur Diskussion, die Ihlenfeld- und die Artilleriekaserne: 41 Kriegsgefangene, Juden, Katholiken, Orthodoxe, Protestanten aus Polen, Belgien, Frankreich und anderen Nationen sind damals, drei Tage vor dem Einmarsch der französischen Truppen in die Stadt, also kurz vor der endgültigen Befreiung, in einem Kasernenkeller bestialisch erschlagen worden.