610 Medizin und Gesundheit
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"IN SCIENTIA SALUS"
(2013)
Im Jahre 1877 nahm der Billroth-Schüler Vinzenz Czerny (1842-1916) den Ruf auf den Lehrstuhl für Chirurgie in Heidelberg an. Aufgrund seines überragenden Könnens erwarb er sich großes Ansehen als kühner Operateur, der sich „gerne an der Grenze des Erreichbaren bewegt" hat, und als charismatischer Lehrer. In dieser Zeit begegneten ihm viele Patienten mit schwersten, oft inoperablen Krebsleiden. Nach Besuchen des Morosovschen Krebsspitals in Moskau und des Krebsforschungsinstituts in Buffalo, plante er die Gründung einer ähnlichen Einrichtung in Heidelberg.
Wie im Jahr 1951 der Kinderarzt Ernst Mora (1874-1951), so wurde nur drei Jahre später auch sein Kollege Johann Duken (1889-1954) auf dem Handschuhsheimer Friedhof beerdigt, beide nach Bericht der Rhein-Neckar-Zeitung unter lebhafter Anteilnahme der Bevölkerung. Beide hatten die Heidelberger Kinderklinik geleitet, beide zuletzt in der Mozartstraße gelebt. Doch Ansprachen von Vertretern der Universität wurden nur an Moros Grab gehalten. Das lag in einem wesentlichen Unterschied begründet: Moro, der erste Heidelberger Ordinarius für Kinderheilkunde, hatte sich im Dritten
Reich zurückgezogen. Duken dagegen war als überzeugter Nationalsozialist auf den vakanten Lehrstuhl berufen worden. Aufgrund seiner Verstrickungen durfte er nach dem Krieg nicht in sein Amt zurückkehren.
Ernst Kürz in Heidelberg
(2021)
Sein Name ist weitestgehend vergessen. Und doch ist er erst kürzlich in einer englischsprachigen Gesamtdarstellung der Spanischen Grippe erwähnt worden. Um diesen Zusammenhang einordnen zu können, muss man sich ein Bild der gravierendsten Pandemie des 20. Jahrhunderts und deren Rezeption machen. Dieses Bild ähnelte sich 1918 –1920 in ganz Deutschland. Zu berücksichtigen ist, dass die Geschichte der Grippe insgesamt dadurch gekennzeichnet ist, dass Influenza alltäglich sein kann, aber auch desaströs – für einzelne, aber auch für große Gruppen von Menschen. Die erste Welle der Spanischen Grippe im Deutschen Reich, die sich im Frühjahr 1918 ereignete, stand für die Grippe als eher harmlose Erkrankung, die viele befiel, aber relativ wenige tötete. Die zweite Welle, diejenige des Herbstes 1918, entpuppte sich als die eigentliche tödliche Welle. Die dritte Welle, im Frühjahr 1920, wurde von vielen gar nicht mehr als solche wahrgenommen, oder man datierte sie, wie es heute noch viele tun, fälschlicherweise bereits in das Jahr 1919.
Am 1. Dezember 2011 wurde das Deutsche Tuberkulose-Museum im Rohrbacher Schlösschen feierlich eröffnet, an einem Ort, der für dieses Projekt prädestiniert ist. Das Schlösschen war die Keimzelle des Tuberkulosekrankenhauses Rohrbach und der jetzigen Thoraxklinik Heidelberg. In seinen Räumen wurden seit 1920 tuberkulosekranke Kriegsheimkehrer betreut, sodass das Tuberkulosemuseum gleichsam als Fortsetzung einer Tradition verstanden werden kann. Die Materialien des Museums stammen vorwiegend aus dem 2010 von Fulda nach Heidelberg verlegten Deutschen Tuberkulose-Archiv, ergänzt durch Objekte der Thoraxklinik Heidelberg. Ausschlaggebend für diesen Ortswechsel waren zwei Gründe: Zum einen waren die Bestände des Archivs, das 1996 von dem Fuldaer Pneumologen Dr. Robert Kropp gegründet wurde, so weit angewachsen, dass die dortigen beengten Räumlichkeiten eine ansprechende Präsentation nicht mehr zuließen. Zum anderen wurde die Anbindung an eine Universität angestrebt, um eine wechselseitige wissenschaftliche Nutzung zu ermöglichen, von der bisher nur eingeschränkt Gebrauch gemacht wurde.
Die Psychiatriereform in der Bundesrepublik Deutschland wird gewöhnlich mit den 1970er Jahren, besonders mit dem Bericht der Enquête-Kommission von 1975 in Zusammenhang gebracht, der die Grundlage für entscheidende Veränderungen darstellte. Damit befand sich die BRD, mitbedingt durch die NS-Vergangenheit der deutschen Psychiatrie, im Rückstand gegenüber dem westlichen Ausland. Noch 1973 – im Zwischenbericht der Enquête-Kommission – wurde die Situation der Psychiatrie als „brutale Realität“ gebrandmarkt: Fast ausschließlich große, geschlossene, fern von den bewohnten Zentren gelegene Landeskrankenhäuser waren für die Aufnahmen der psychisch Kranken zuständig. Einige erreichten Bettenzahlen von über 1000. 59% der Patienten lebten hier bereits länger als zwei, 31% länger als 10 Jahre. In den heruntergekommenen Anstalten führten die Patientinnen und Patienten ein von der Gesellschaft kaum beachtetes, wenn nicht vergessenes, zumindest fast vollkommen ausgegrenztes Leben, und dies unter gänzlich unzumutbaren Umständen: 39% von ihnen waren in Räumen mit 11 oder mehr Betten untergebracht.
Liebesgaben und Transport
(2014)
An der Front verletzte Soldaten wurden entweder im Feldlazarett behandelt, oder aber zu Krankensammelstellen gebracht, die hinter der Front eingerichtet wurden, wobei die Sammelstellen an einem provisorischen Bahnhof liegen sollten. Nach einer ersten und oft flüchtigen ärztlichen Untersuchung wurde entschieden, wo die Soldaten weiter behandelt werden sollten. Die Verwundeten, die in die heimatlichen Lazarette verbracht wurden, wurden von den Bahnhöfen mit z.T. für den Krankentransport umgebauten Zügen in die Heimat transportiert. Die Züge fuhren mit Versorgungsmaterial und neuen Truppen in die Nähe der Front, wurden entladen und dann mit den Verwundeten beladen. Die Transportabteilung musste gelegentlich sehr vehement auftreten, damit man ihr die benötigten Züge und Hilfsgüter zu Verfügung stellte. In Heidelberg existierte ein Straßenbahnnetz, mit dem viele Lazarette erreichbar waren. Die Lazarettzüge kamen am Heidelberger Güterbahnhof an. Dort wurden sie vom Roten Kreuz erwartet, das am Bahnhof eine Verbands- und Erfrischungsstelle eingerichtet hatte. Zunächst wurden die verletzten Soldaten in Fuhrwerken zu den Lazaretten transportiert, was problematisch und für die Soldaten schmerzhaft war. Daher wurde vom Güterbahnhof über die Czernybrücke und Bergheimer Straße ein provisorisches Gleis gelegt, über das die Soldaten dann direkt vom Bahnhof mit der elektrischen Straßenbahn zu den für sie vorgesehenen Lazaretten gebracht wurden.
Einhundert Jahre nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs ist die Auseinandersetzung über seine Verursacher mit Vehemenz neu entbrannt. Vor fünfzig Jahren wurde kontrovers über die These des Hamburger Historikers Fritz Fischer diskutiert, der von einer Hauptkriegsschuld der deutschen Staats- und Militärführung ausging. Seine Sicht setzte sich in den folgenden Jahren der deutschsen Zweistaatlichkeit durch, bis zu diesem aktuellen 100jährigen Jubiläum Darstellungen bekannter Historiker populär wurden, welche die Rolle der deutschen Außenpolitik relativieren. Die europäischen
Staaten seien nach der Ermordung des österreichischen Thronfolgers in Sarajewo wie Schlafwandler aus der Dynamik der Julikrise in das Inferno getaumelt. Historiker, die auf die aggressiven Kriegsvorbereitungen in Deutschland verweisen, werden zunehmend schroff kritisiert; sie würden die Quellen der ‚Kriegsgegner‘ nicht kennen. Dem Deutschen Reich habe, eingezwängt zwischen den Bündnissen der Entente, nur der Weg in die Konfrontation offen gestanden. Es ist der Stand der Geschichtsschreibung der 1950er Jahre, der die öffentliche Meinung über den Kriegsausbruch 1914 allmählich zurückerobert. Vor allem sozialhistorische Aspekte treten in der aktuellen Debatte in den Hintergrund. Dieser Beitrag stützt sich auf ausgewählte Archivalien aus dem Heidelberger Stadtarchiv und aus dem Universitätsarchiv sowie auf zeitgenössische Zeitungsberichte. Aus gedruckten Quellen ergibt sich ein nur lückenhaftes Bild vom Heidelberger Alltag in der Zeit des Krieges.
Die folgenden drei Texte sind mit Bedacht so zusammengestellt. Wir begegnen im ersten Beitrag der Korrespondenz der Schwestern Etta und Ruth Veit Simon im Sommer 1940 mit den Eltern Heinrich und Irmgard Veit Simon. Nach Aufenthalten in Bad Neuenahr und Nordrach im Schwarzwald wurde die tuberkulosekranke Ruth im Juli 1940 in Heidelberg-Rohrbach operiert. Bei Recherchen zur Berliner Familie Veit Simon erhielten die Historikerinnen Anna Hájková und Maria von der Heydt Zugang zu dieser Korrespondenz. Unverblümt und lebendig schildern die Geschwister
die Klinik und das örtliche Umfeld in seinen dramatischen und komischen Aspekten. Der Name Veit Simon steht für eine seit 1872 bestehende Mentorenschaft der wohlhabenden Berliner Juristenfamilie für die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. Über drei Generationen sicherten die Veit Simons den Bestand dieser Hochschule als Mitglieder und Vorsitzende des Kuratoriums, bis sie 1942 ihre Tore schließen musste, kurz nachdem Ruths und Ettas Vater, Heinrich Veit Simon, in Gestapohaft ermordet worden war. Die in Heidelberg ansässige Hochschule für jüdische Studien steht in unmittelbarer Tradition zu dieser Lehranstalt. Im zweiten Beitrag stellt Maria von der Heydt den familiären und biografischen
Kontext von Ruth und Etta Veit Simon dar, gestützt auf Material aus dem Nachlass von Etta (Japha) und dem Archiv von Irene Japha in Seattle.
Michael Ehmann untersucht im dritten Beitrag die Kliniksituation in Rohrbach um 1940, stellt die Behandlungsverfahren dar und beschreibt den bemerkenswerten Umgang von Ärzten und Klinikpersonal mit der jungen, lebensfrohen jüdischen Patientin. Seine weiteren Recherchen gelten der nachfolgenden Krankheits- und Verfolgungsgeschichte der Veit Simons, die beide Schwestern in das Ghetto Theresienstadt führte, wo Ruth trotz kompetenter medizinischer Behandlung im Juli 1943 starb. Etta überlebt. Vielleicht ein Anlass, die Briefe noch einmal und mit anderen Augen zu lesen.
Das Lahrer Wochenblatt brachte am 29. August 1866 die folgende Meldung: „Vor 8 Tagen beging der Lammwirth Hechinger in Kuhbach den
frevelhaften Leichtsinn, eine kranke Kuh, welche er einige Tage vorher, bereits krank, um wenige Gulden gekauft hatte, mit Umgehung des Fleischbeschauers zu tödten und zu Schwartenmagen u. s. w. zu verarbeiten. Heute liegen etwa 20 Personen in Kuhbach, mehrere in Reichenbach und Lahr, welche davon genossen, schwer krank an Erbrechen und Abweichen. Hier starb auch bereits heute Morgen das zweijährige Kind des Milchhändlers Huber, das am Sonntag Abend mit der ganzen Familie Schwartenmagen von der kranken Kuh gegessen. Die übrigen Familienmitglieder liegen krank darnieder. - Es wird gut sein, auf die große Gefahr des Genusses von krankem Fleisch hinzuweisen.“
Coronajahr 2020, ein Virus erobert die Welt, Ansichten aus Lahr und Umgebung, Kurvendiskussionen
(2021)
Am 15. März 2020 waren meine Frau und ich trotz Bedenken auf der Feier zum 80. Geburtstag meines Cousins in Durbach. Wir hatten Glück, uns ist nichts passiert. Ein uns bekanntes Ehepaar, beide 71, saßen am 14. März bei einer 70. Geburtstagsfeier auf Burg Windeck mit einem Superspreader im Raum. Die Eheleute, die Jahrzehnte ihres Lebens gemeinsam verbracht hatten, starben beide am 6. April. Im April verstarb auch die Mutter meines ältesten Freundes. Alle drei Covid-19-Opfer starben nicht mit, sondern am Coronavirus - der letzte Satz ist leicht genervt gesprochen sich vorzustellen, da
Corona-Skeptiker diese persönliche Leiderfahrung oft für Betroffene schmerzlich relativieren.