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Im November 2020 bekam ich eine E-Mail von Dr. Folckert Lüken-Isberner aus Kassel, der mir zwei PDFs mit Noten von zehn Hebelgedichten zusandte. In mir bekannter Hebelliteratur konnte ich diese Kompositionen nirgends finden. Eine große Entdeckung? Der Komponist Johann Benjamin Gross hat diese Hebelgedichte wahrscheinlich vor 1833 vertont. Er wurde am 12. September 1809 in Ostpreußen geboren. In Berlin studierte er Cello, war Musiker im Gewandhausorchester in Leipzig, wo er auch die Schumanns und Mendelssohns kennen lernte, und nach 1833 lebte er in Tartu in Estland. Dort spielte er in der Quartettkapelle. Ab 1835 war er 1. Cellist in der Hofkapelle in St. Petersburg, und er starb 1. September 1848. Wie Gross zu den Hebel-Texten kommen konnte, ist nicht geklärt. Auf dem Titelblatt steht: Seinem Freunde Herrn Professor Loreye in Rastatt gewidmet. Josef Loreye (1767–1844) war Lyceumsdirektor in Rastatt, und als Kantianer und Josefiner fühlte er sich ganz der Aufklärung verpflichtet. In diesem Sinne führte er die Schule, nicht gerade zur Freude seiner konservativen Vorgesetzten. Wie kam der Kontakt von Loreye zu Hebel? Man kann nur spekulieren. Auf jeden Fall kannte man sich.
Am 17. Mai 1945, wenige Tage nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht (08.05.1945), forderte Erzbischof Gröber die Pfarrseelsorger der Erzdiözese auf, Ereignisse in der Pfarrei vor, während und nach der Besetzung sowie etwaige Schäden an kirchlichen Gebäuden zu schildern und über die allgemeine Lage zu berichten. Mit den Stichworten „Plünderungen, Vergewaltigungen, andere Schwierigkeiten“ war den in die Pflicht Genommenen große Freiheit eingeräumt; sogar zu einem Tabuthema durften, sollten sie sich äußern! Das Erzbischöfliche Ordinariat hat die Anordnung mehrfach wiederholt. Bis Ende 1947 sind mehr als tausend Berichte eingegangen, viele schon im Sommer 1945. Das ist bemerkenswert, weil der Briefverkehr nur langsam wieder in Gang kam – wegen kriegsbedingter Zerstörungen und Anordnungen der Besatzungsmächte (der Nordteil der Erzdiözese gehörte zur amerikanischen, der Südteil mit Hohenzollern zur französischen Besatzungszone). Man war erfinderisch bei der Übermittlung von Nachrichten.
Im Nachgang zu einem im Wiener Stadt- und Landesarchiv ergebnislos verlaufenen Rechercheauftrag, der den mutmaßlichen Wohnsitz des Komponisten, Musikpädagogen und Kapellmeisters Franz (Xaver?) Gebel (geb. um 1783/84 in Milin/Fürstenau bei Breslau, gest. 1843 in Moskau) betraf, erhielt ich im Dezember 2017 von Frau Oberarchivrätin Dr. Michaela Laichmann (Magistrat der Stadt Wien) einen irritierenden brieflichen Hinweis zu einer Nachlassakte, die im Zuge der besagten Nachforschungen im Bestand des sogenannten Magistratischen Zivilgerichts zum Vorschein gekommen war: Gemäß schriftlicher Auskunft der Magistratsabteilung 8 war man bei der routinemäßigen Konsultation der einschlägigen archivalischen Findmittel auf eine Verlassenschaftsabhandlung gestoßen, in deren Mittelpunkt das Ableben einer gewissen Barbara Gebel
stand, die in dem genannten Dossier explizit als Musikerswitwe bezeichnet wird.
Just im Jahr des 200sten Unionsjubiläums blicken die jüdischen Gemeinden hierzulande auf 1700 Jahre Präsenz nördlich der Alpen, beginnend im Köln des vierten Jahrhunderts. Eine zeitliche Koinzidenz, die neu nach der Beziehung der Kirche zum Judentum fragen lässt. Auch die badische Union hat sich in mühsamen Schritten erst befreien müssen von den alten überkommenen Mustern der Judenfeindschaft. Tiefgreifende Neuaufbrüche im christlich-jüdischen Verhältnis liegen in den 1980er Jahren. Es hat wohl die Spanne der 40 Jahre nach der Schoa gebraucht, bis es zu substanziell wirklich neuen Überzeugungen kam: Das wegweisende Synodalwort der badischen Landeskirche 1984 formulierte die nicht mehr zu hintergehende Einsicht in die Treue Gottes zu seinem Volk, die unverbrüchlich ist und in das Selbstverständnis
auch der christlichen Kirche eingezeichnet bleibt. Wurde in der christlichen Tradition die Kirche weithin als Nachfolgerin und Erbin eines abgetanen Judentums verstanden, so begegnet heute die Kirche – auch die badische – den jüdisch glaubenden Menschen als Partnerinnen und Partner unter dem weiten Bogen der Beziehung zu dem einen Gott.
In der Öffentlichkeit werden die beiden Begriffe »Badisch« und »Schwäbisch« oft gegenübergestellt, doch führt dies zu einem falschen Bild, da »Schwäbisch« ein sprachlicher, »Badisch« dagegen ein politischer Begriff ist. Es gibt keine einheitliche badische Mundart, sondern nur Mundarten in Baden. Und diese sind extrem unterschiedlich, denn das Unterostfränkische in der äußersten Nordostecke und das Hochalemannische in der Südwestecke Badens haben nur noch wenige sprachliche Gemeinsamkeiten.
Das alemannische Gedicht »Der Abendstern« wurde bislang nicht vollständig und fehlerfrei dem von Johann Peter Hebel vorgegebenen Text folgend veröffentlicht. Der Fund des Manuskripts ermöglicht die Wiedergabe. Ihr gegenüber gestellt ist Hebels eigene Übertragung des Gedichtes ins Hochdeutsche. – Dem folgen Proben aus einem bisher unbekannten in nur zwei
ausgerissenen Blättern überlieferten Notizheft Hebels.
Die Familiengeschichte von Johann Gottfried Tulla umfasst einen Zeitraum vom Dreißigjährigen Krieg bis ins erste Drittel des 19. Jahrhundert und geht über sieben Generationen. Die Auswertung der Kirchenbücher zeigt nicht nur genealogische Daten, sondern auch das Leben der Menschen. Dies in Verbindung mit der Zeitgeschichte bringt uns die Familie Tulla näher – und
im zweiten Teil vor allem die Karlsruher Familie um den Ingenieur Johann Gottfried Tulla.
Mehrwert für die Region
(2021)
Jens-Arne Buttkereit, Geschäftsführer des staatlich anerkannten Internats & Gymnasium Birklehof, hat sich freundlicherweise bereit erklärt, mit Kathleen Mönicke ein Interview zu führen. Darin kommen sowohl die pädagogische Arbeit der schulischen Einrichtung als auch der historische Altbirklehof, der sich ebenfalls auf dem Schulgelände befindet, zur Sprache. Letzterer steht nach einer aufwändigen Sanierung für die Region als Ort vielfältiger kultureller Veranstaltungen zur Verfügung. Die Finanzierung der notwendigen Maßnahmen stützte sich neben öffentlichen Fördergeldern auch auf zahlreiche Spenden von Privatpersonen. Das Interview wird im Folgenden wortwörtlich wiedergegeben. Die Fragepassagen sind kursiv, die
Antworten im normalen Schriftgrad abgedruckt.
Ein schönes Beispiel bürgerschaftlichen Engagements bildet die Restaurierung der so genannten »Alten Säge« in Zarten, Ortsteil von Kirchzarten. Nach jahrelangem Stillstand der Säge und zwischenzeitlicher Zweckentfremdung des großen Sägeplatzes als Lagerplatz, auch für privaten Bauschutt und Abfall, haben der Bürgerverein Zarten e. V. sowie die Gemeinde
Kirchzarten als Eigentümer und Finanzier der Maßnahme die Säge und die angrenzende Freifläche zu neuem Leben erweckt. Daran maßgeblich beteiligt waren der damalige Bürgervereinsvorsitzende Bernd Scherer und Bürgermeister Andreas Hall mit seinem Gemeinderat.
Wolterdingen - Breg-Brücke
(2021)
Wenn alle Genehmigungen beisammen, wenn alle Argumente ausgetauscht, wenn alle Diskussionen geführt sind, bleibt als ein letzter Versuch die Darstellung des bevorstehenden Verlustes – und die Hoffnung auf eine späte Korrektur getroffener Entscheidungen. »Technische Kulturdenkmale« haben es ohnehin nicht leicht, von der Öffentlichkeit wahrgenommen oder gar geschätzt zu werden. Zu sehr ist man in der Welt des Alltags mit dem steten Dies und Das beschäftigt und setzt das Funktionieren der Technik einfach voraus. Schlösser und Burgen werden in der Freizeit besucht, die Technik bleibt im Hintergrund – und wird auch an Sonn- und Feiertagen als Selbstverständlichkeit hingenommen. Dabei ist eine Maschine oder ein Bauwerk als Beispiel für eine Epoche der Technik aus der Sicht der Technikhistoriker oft ebenso interessant, wie es ein Schloss oder eine Burg für eine Epoche der Kunst- oder Landesgeschichte ist.
Am 28. Januar 2020 wird in Deutschland der erste Erkrankte aus dem bayerischen Landkreis Starnberg gemeldet: Die neuartige Infektionskrankheit, die ihn befallen hat, bezeichnet die World Health Organization (WHO) am 11. Februar als Covid-19; das dazugehörige Virus erhält den Namen Sars-CoV-2. Im März sterben erstmals Deutsche daran, drei Wochen später gibt es in Italien und Spanien jeweils bereits fast 3500 Tote. Am 22. März einigen sich Bundesregierung und Länderchefs deshalb auf weitreichende Ausgangs-, Reise- und Kontaktbeschränkungen - den sogenannten Lockdown. Gegen diese staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie finden bald darauf in zahlreichen deutschen Städten Protestkundgebungen statt, am 25. April erstmals auch in der Ortenau.
April 2020. Das Jahr fühlt sich alt an. Ob es am ausgefallenen Winter liegt? An dem seit Wochen anhaltenden T-Shirt-Wetter? Oder an der ungewohnten kulturellen Ereignislosigkeit, wie ansonsten nicht einmal im Hochsommer? Viele Menschen haben viel Zeit, über solche Fragen nachzudenken, und sich selbst dabei zu beobachten, wie sie damit klarkommen, dass alles anders ist als sonst. Mit unabsehbaren Folgen anders. Während die sogenannten systemrelevanten Berufsgruppen wie Krankenpflegerinnen oder Verkäuferinnen zahlreiche Überstunden anhäufen, steht für den gesamten Bereich der Kultur die Welt still. Kein Konzert, kein Theater, keine Lesung, kein Museum, nicht einmal ein Heckenfest vom Musikverein, und sogar die Buchhandlungen und die Bibliotheken sind wochenlang geschlossen. „Stay home“ - kein Problem. Wohin sollte man auch gehen, außer in den Wald? Die einen beugen sich demütig der erzwungenen Ruhe, gehen in sich und in den Keller zum Aufräumen. Die anderen entwickeln symbolische Gemeinschaftsaktivitäten, die zuweilen in Stress ausarten. In der Anfangszeit gibt es Terminkollisionen zwischen Beethovens „Ode an die Freude" und dem Klatschen für Pflegekräfte vom Balkon. Dann wird per WhatsApp aufgefordert, eine Kerze ins Fenster zu stellen als Zeichen der Verbundenheit, Bekannte und Freunde animieren zum Liken und Weiterleiten von mehr oder weniger gelungenen Aufrufen, Bekenntnissen, Statements und Videobotschaften.
Coronajahr 2020, ein Virus erobert die Welt, Ansichten aus Lahr und Umgebung, Zurück zur Normalität?
(2021)
Angeblich bedeutet das chinesische Schriftzeichen für Krise auch gleichzeitig Chance. Ob das so ist, habe ich nicht überprüft, Richard von Weizäcker hat das in einer Rede einmal gesagt. Es ist auf jeden Fall ein schönes Bild, das mir gefällt. Anfang des Jahres hat niemand geahnt, was in diesem Jahr auf uns zukommen wird. Alles lief normal. Also so, wie wir glauben, dass es „normal" ist oder sein sollte. Eine Krise in Form einer Pandemie erschütterte dann unseren Planeten. Und die meisten nahmen und nehmen es dankenswerterweise ernst. Längst haben wir das Verständnis und den Glauben an das verloren, was in den USA geschieht oder in Brasilien. Nebenbei brennt der Urwald wieder mehr denn je. Stoff für mindestens eine Verschwörungstheorie. Die sind ja gerade schwer in Mode. Ich denke an die Bilder von Bergamo, das Bild von dem Massengrab, das sie in New York mit Baggern aushoben, um Sarg an Sarg darin zu stapeln. Ich denke an den Bericht eines Arztes in einer Straßburger Klinik, verzweifelt, erschöpft. Ich höre das erste Mal das Wort „Triage“. Ich denke an den Hollywood-Streifen „Pearl Harbour“, als die Krankenschwester den verletzten Soldaten mit dem Lippenstift Zeichen auf die Stirn malt, über Leben und Tot entscheiden muss, weil man nicht mehr allen helfen kann. Straßburg, ein paar Kilometer
von uns weg, nicht Hollywood!
Wer geglaubt hat, das Virus trifft nur alte Menschen, hat sich geirrt. Wer geglaubt hat, eine hochgebildete, zivilisierte Gesellschaft brächte genug Geduld, Disziplin und Vernunft auf, um mit erfolgversprechenden Gegenmaßnahmen die Pandemie rasch und nachhaltig zu stoppen, hat sich geirrt. Die Folge dieser und weiterer Irrtümer ist noch nicht absehbar. Das Virus grassiert und an Schuldfiguren fehlt es nicht: Bill Gates, Hillary Clinton, die Bundesregierung, die jüdische Weltverschwörung oder die geheime Herrschaft versteckter Reptilien. Masken werden als Maulkörbe verhöhnt, Billigflugtourismus und Saufpartys gelten als Menschenrechte. Auf Straßen und Plätzen wird ohne Masken und Abstand nach Rechtsaussen demonstriert, weil angeblich das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit abgeschafft sei.
Nie ist mir Stille so laut vorgekommen, wie in den ersten Frühlingsmonaten des Jahres 2020. Konnte man im Januar und Februar noch von einem laut summenden Getöse sprechen, verstummt die Welt im März nach einem lauten Paukenschlag vollends. Wörter wie „Lockdown“, „Risikogebiet“, „Maskenpflicht“, „Homeoffice“ und „Pandemie“ finden ihren Weg in die deutsche Alltagssprache, später auch in den Duden. Geschäfte und Restaurants schließen, offen hat nur noch was „systemrelevant“ ist. Zuhause bleiben lautet das gängige Credo, Straßen und Bahnen sind wie leer gefegt. Bis wir wieder aus dem Dornröschenschlaf erwachen, werden einige Monate vergehen. Dinge, die stets selbstverständlich schienen, sind plötzlich nicht mehr möglich. An diesem Punkt möchte ich ansetzen und mich mit der Frage beschäftigen: Trotz aller Entbehrungen - was hat uns die Pandemie gelehrt?
Andreas Walter
(2021)
Andreas Walter wurde am 6. Mai 1818 in Mahlberg geboren. Er war das jüngste von insgesamt neun Kindern der Eheleute Andreas Walter, Bürger und Bäckermeister aus Lahr, und Salome, geb. Roesch, die ebenfalls Lahrerin war. Die Eltern bewirtschafteten bis 1808 ohne Erfolg das Gasthaus „Salmen“ in Lahr, das unterhalb des heutigen alten AOK-Gebäudes in der Obertorstraße stand und im Zuge des Baues der Nordtangente um die Jahrtausendwende weichen musste. Nachdem das Ehepaar zunächst ein weiteres Gasthaus bei Altenheim führte, betrieb der Vater im Anschluss als Hintersasse eine Ölmühle
in Mahlberg. Andreas jun. erlernte wie sein Vater das Bäckerhandwerk. Nach dessen Tod im Jahre 1844, die Mutter war schon zehn Jahre früher verstorben, entschloss sich der 26-Jährige, mittellos wie er war, nach Nordamerika auszuwandern.
Covid-19 und die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus haben im Frühjahr 2020 vieles zum Stillstand gebracht. Nach und nach wurden erst Großveranstaltungen abgesagt und die Größe der erlaubten Zusammenkünfte immer stärker reduziert, bis selbst Familienmitglieder aus verschiedenen Haushalten sich nicht mehr persönlich treffen sollten. Was im Rückblick nach einem langsamen Abbremsen und „Herunterfahren" des öffentlichen Lebens aussieht, fühlte sich im Frühling an, als überschlügen sich die Ereignisse. Hamsterkäufe, immer neue Maßnahmen und neue Worte: Infektionsgeschehen, Betretungsverbot, Social Distancing. Dazu anfangs noch die Unsicherheit, wie lange diese Krise unser Leben bestimmen würde. Noch Anfang März ist unklar, ob es nicht Mitte April wieder möglich sein würde , die städtische Gedenkveranstaltung zu 75 Jahren Kriegsende wie geplant stattfinden zu lassen.
Das Jahr 2020 neigt sich langsam dem Ende zu; es sind zwar nur noch wenige Wochen, aber trotzdem entscheiden sich in dieser kurzen Zeit noch maßgebende Dinge, die den Kurs unserer globalen Zukunft vorerst lenken werden. In Anbetracht all der Nachrichten und Ereignisse, die es in den letzten Monaten zu erfahren gab, scheint die Erinnerung an den Jahresbeginn schon fast surreal - ich war zu Jahresbeginn noch auf einem Konzert: mit ganz vielen Menschen, die dicht an dicht standen, alle in einer Halle waren und dazu auch noch die gleiche Luft geatmet haben! Eine Erinnerung, die aktuell nicht vorstellbar und auch gedanklich kaum auszuhalten ist. Die Erfahrung der Corona-Pandemie hat sich beispielsweise in der Wahrnehmung von Menschenansammlungen und allgemein Körperkontakt niedergeschlagen: Schaut man sich heute einen Film an, in dem eine größere Menge an Menschen zu sehen ist, kann man seit der ersten Lockclown-Erfahrung gedanklich schon beinahe eine
Stimme „Corona!“ rufen hören.
Les Chevaliers du ciel
(2021)
Die Himmelsritter - „Les Chevaliers du ciel. Aus einem Donnerschlag, nur einen Steinwurf von der Sonne entfernt.“ Der französische Popstar Jean-Philippe Smet alias Johnny Hallyday, einst als Soldat in Offenburg stationiert, besang mit diesen Worten die französischen Luftwaffenpiloten. Im benachbarten Lahr prägten sie seit Ende 1946 das Straßenbild . Piloten, Bodenpersonal und Befehlsstab der „ler Division Aerienne" (1 DIVAR) ließen sich in der Kleinstadt nieder. Auf engem Raum lebten Sieger und Verlierer des vorangegangenen Weltkrieges zusammen, die sich hasserfüllt als Erbfeinde betrachteten. Es schien unwahrscheinlich, dass sie als Verbündete, viele sagen als Freunde, auseinandergehen. 1967 verabschiedeten sich
die „Chevaliers du ciel" aus Lahr, und nach zwei Dekaden brannte sich der Abschied von Freunden ins Gedächtnis der Stadt ein. Das wirft die Frage auf, wie sich die Garnison der „Chevaliers du ciel" auf das Verhältnis zwischen Deutschen und Franzosen auswirkte. Welche Rolle spielten sie, als die deutsch-französische Freundschaft abseits der großen Politik geknüpft wurde?
Die Geschichte der Kunstmühle in Seelbach, Teil 2, Die Gründung des Elektrizitätswerks Seelbach
(2021)
Im Jahrbuch 62 wurde in Teil I die Geschichte der Kunstmühle in Seelbach beschrieben, wie sie sich bis zum Tode des letzten Müllers der Kunstmühle im Jahre 1900 darstellte. Carl Franz Joseph Bertinet kam in der Nacht zum 5. Dezember 1900 tragisch ums Leben. In einem Zeitungsartikel vom 5. Dezember 1900 wurde berichtet, dass um ½ 6 Uhr im Dinglinger Bahnhofe außerhalb des für die Reisenden bestimmten Bahnsteiges auf dem Geleise Herr Müller B. aus Seelbach tot aufgefunden wurde. Carl Franz Joseph Bertinet hatte das Anwesen, die ehemalige herrschaftliche Obere Mühle in Seelbach, im Jahre 1887 gekauft. Unmittelbar nach dem Kauf stellte er den Antrag auf Abbruch, um ein neues Wohn- und Mühlgebäude sowie ein Ökonomiegebäude mit Wasch- und Backhaus zu errichten. Bereits 1892 wurde die Mühle in Betrieb genommen, im Januar 1893 brannte das Mühlengebäude jedoch vollständig nieder. Die Ursache könnte wegen Hochwasser in der rascheren Bewegung der Fruchtputzmaschine gelegen haben. Eine andere Entstehungsursache könnte auch die Selbstentzündung der Champagner-Gänge (Mahlsteine aus der Champagne) gewesen sein, die laut einem Gutachter „bei Leerlauf gerne Feuer geben“.
Dr. med. vet. Heinz Krüger
(2021)
„Tiere haben oft Schmerzen, die sie uns nicht mitteilen können. Deshalb habe ich als Tierarzt eine Grundsatzbereitschaft, gleich an welchem Tier.“ Dieser Satz war für den am 19. September 2019 verstorbenen Ottenheimer Tierarzt Dr. Heinz Krüger sein ganzes, über 35 Jahre dauerndes Berufsleben die selbstauferlegte Verpflichtung gegenüber der Kreatur. Kranken Tieren zu helfen, sie wieder gesund zu machen, das war seine Berufung. Deshalb fühlte er sich bei seiner Arbeit mit allen Tieren ganz besonders verbunden. Die Freude war immer dann besonders groß, wenn er seinen großen und kleinen Freunden mit seiner medizinischen Kunst helfen konnte. Über viele Jahre hinweg war der Veterinär aus Leidenschaft ein mobiler „Viehdoktor“ und als einziger im gesamten Ried unterwegs. Sein Kombi-Pkw war fahrende Praxis, Apotheke und Büro in einem.
Ein Ortshistoriker ist natürlich immer sehr dankbar, wenn es zu einem Geschichtsthema Zeitzeugen gibt, die bereit sind, aus
vergangenen Tagen zu berichten. Bürger, Landwirt, Gemeinderat und Ortschaftsrat Wolfgang Kopp (1929 - 2017) war eine solche Person, die einverstanden war, sein Wissen an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben. Von 1965 bis 1995 war er für die Ortschaft Heiligenzell kommunalpolitisch tätig und gehörte ab dem 1. Januar 1972 dem Gemeinderat der neu gebildeten Gemeinde Friesenheim an. Wolfgang Kopp war es dann auch, der mir eines Tages ein altes Foto auf den Tisch legte und die Frage stellte, ob ich die sehr alte historische Heiligenzeller Rathausglocke kennen würde. Auf dem Foto konnte man eine kleine Glocke erkennen und einen Teil einer Umschrift ablesen: „Edel zu Strasburg“. Weiter meinte er, dass man auch die Jahreszahl 1742 ablesen könne. Eine Fotokopie des Bildes mit einer kleinen Notiz nahm ich glücklicherweise zu meinen
Geschichtsunterlagen, die dort jedoch eine längere Zeit ruhen sollte.
In den Kriegen der Amerikaner unter Georg Washington nach der Unabhängigkeitserklärung von 1776 gab es zunächst Rückschläge bis zu ihrem entscheidenden Sieg gegen die Engländer bei Yorktown im Jahr 1781. Frankreich unterstützte aufgrund eines Hilfsvertrages die amerikanischen Rebellen. Die französischen Truppen kämpften unter dem Befehl ihres Generals Rochambeau gemeinsam mit dem amerikanischen Heer unter Washington. Dabei setzten die Franzosen auch das vom Herzogtum Pfalz-Zweibrücken im Jahr 1757 errichtete Fremdenregiment „Royal Deux-Ponts" ein. Nach einem Geheimvertrag hatte das Herzogtum gegen die Zahlung von 80 000 Gulden ein Infanterieregiment aufzustellen, das in das französische Heer eingegliedert werden sollte. Die geworbenen Männer stammten vor allem aus dem Herzogtum selbst, aus dem Elsaß und aus Lothringen.
Leopold(o) Richter
(2021)
In den Jahrbüchern 1973 und 1974 im „Geroldsecker Land" berichtet der in Lahr aufgewachsene Naturforscher und Künstler Leopold Richter über Flora, Fauna und Menschen im Amazonaswald. Diese bis heute gut lesbaren und im Bezug auf Naturschutz und das Zusammentreffen von indigenen Ureinwohnern und Europäern immer noch interessanten Texte dienten als eine wichtige Informationsquelle für die erste Ausstellung über Leben und Werk des 1896 in Großauheim (heute Stadtteil von Hanau) geborenen Richter, der 1932 nach Brasilien, später nach Kolumbien auswanderte. Noch bis Mitte 2021 ist die Ausstellung „Der Wald des Leopoldo Richter" im insgesamt sehenswerten kunst- und industriegeschichtlichen Museum Großauheim zu sehen. In einer der Vitrinen dort liegt: Eine Ausgabe des Geroldsecker Land. Es ist dies die erste Ausstellung in Deutschland mit Werken von Leopold Richter, der vom Heimat- und Geschichtsverein Großauheim herausgegebene Begleitband 1 ist die erste deutschsprachige Publikation über ihn. Erstmals werden in der Ausstellung Werke aus dem Nachlass von Heidi Stocker gezeigt, die eine weitere Facette zum künstlerischen Profil und zur abenteuerlichen Lebensgeschichte des 1984 in Bogota gestorbenen Auswanderers hinzufügen. Geboren in der Anfang des 19. Jahrhunderts noch selbständigen Gemeinde Großauheim kann man Richter wohl als Sohn der Stadt Hanau bezeichnen, doch bis vor kurzem wusste das nicht einmal der Geschichtsverein. Seine Jugend- und frühen Erwachsenenjahre hat Leopold Richter allerdings in Lahr verbracht, sein 2015 verstorbener Sohn lebte hier, immer wieder tauchte der Name Leopold Richter auf. In Kolumbien wird Richter als bedeutender Künstler in einem Atemzug mit Fernando Botero genannt und vielfach gewürdigt und ausgestellt. Doch in Lahr hat es nie eine Ausstellung mit seinen Werken gegeben. Warum eigentlich nicht?
Coronajahr 2020, ein Virus erobert die Welt, Ansichten aus Lahr und Umgebung, Kurvendiskussionen
(2021)
Am 15. März 2020 waren meine Frau und ich trotz Bedenken auf der Feier zum 80. Geburtstag meines Cousins in Durbach. Wir hatten Glück, uns ist nichts passiert. Ein uns bekanntes Ehepaar, beide 71, saßen am 14. März bei einer 70. Geburtstagsfeier auf Burg Windeck mit einem Superspreader im Raum. Die Eheleute, die Jahrzehnte ihres Lebens gemeinsam verbracht hatten, starben beide am 6. April. Im April verstarb auch die Mutter meines ältesten Freundes. Alle drei Covid-19-Opfer starben nicht mit, sondern am Coronavirus - der letzte Satz ist leicht genervt gesprochen sich vorzustellen, da
Corona-Skeptiker diese persönliche Leiderfahrung oft für Betroffene schmerzlich relativieren.
Eigentlich ist er gar kein richtiger Friedhof, der Waldfriedhof. Die Anwohner der umliegenden Gehöfte im Geisberg-Gebiet nennen den Ort „`s Friedhöfli“. Fünf behauene Steine mit zum Teil kaum lesbaren Inschriften gruppieren sich auf einer geebneten kleinen Anhöhe oberhalb des Wegs, im Halbkreis von einem Altfichtenbestand eingefasst. Auf der gegenüberliegenden Wegseite laden ein Tisch mit Bänken unter einer Eiche und ein plätschernder Brunnen zum Rasten und zum Genießen der Aussicht ins Kinzigtal.
Mina Becker
(2021)
Wieder einmal mache ich Halt am Fuß des Schutterlindenbergs, in Lahr, wo ich in den 40er und 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts meine Schulzeit verbrachte. Der Rosenbrunnen in der Lahrer Altstadt ist das letzte Zeugnis der Anwesenheit von Mina Becker, die von 1912 bis 1956 mit ihrem Geist und ihren Impulsen das Leben in Lahr inspirierte und prägte. Sie war meine Großmutter. Die im Brunnentrog eingemeißelte Jahreszahl 1917 bedeutet mehr als das Jahr der Errichtung des Brunnens, das war 1919. Im September 1917 war Minas Mann Karl im Weltkrieg in Belgien gefallen, und sie veranlasste anstelle des alten, wohl baufälligen Brunnens die Neuerrichtung nach dem Entwurf des Karlsruher Architekturprofessors Gisbert von Teuffel. Dies entsprach einem Versprechen, welches sich die Eheleute für den Fall von Karls Tod im Krieg gegeben hatten. Auch in späteren Jahren war dieser Brunnen ein generationenübergreifendes Symbol. Ein Foto zeigt einen Teil der Familie im Sommer 1942 beim Holen des Taufwassers für die beiden neugeborenen Enkel.
Beschribung der Gärten bey dem Schloße Balthasarburg zu Rust, ohnweit dem Rhein, in der Reichsritterschaftlich ortenauischen, Reichefreyherrlichen von Boecklinischen Herrschaft. 1789. Unter diesem etwas sperrigen Titel ruht seit mehr als zwei Jahrhunderten im Familienarchiv der Boecklin, das im Staatsarchiv Freiburg deponiert ist, ein 24-seitiges Manuskript. Es sollte augenscheinlich von der Ausdrucksweise, vom Satzbau und von der Lesbarkeit der Handschrift her als Vorlage für eine Veröffentlichung dienen. Diese erschien dann tatsächlich 1790 in Hirsdifelds Kleiner Gartenbibliothek. Ein Autor ist dort leider nicht angegeben, sondern lediglich der Hinweis: Aus Ettenheim eingeschickt. Dieser Text wurde gestrafft, aber auch sprachlich flüssig und gut lesbar gestaltet. Insgesamt aber ist das Manuskript ausführlicher. Der damalige Besitzer von Schloss und Park Franz Friedrich Siegmund August Boecklin (1745-1813), im Familienkreis nur „Friedrich" genannt, hat an der Universität Straßburg Staatsrecht und Geschichte studiert . Daneben besuchte er philosophische, aber auch naturwissenschaftliche Vorlesungen und legte ein Examen in Botanik ab. Infolge seiner Heirat 1765 brach er sein Studium ab und übersiedelte bald darauf von Straßburg nach Rust.
Im Mittelalter wurden üblicherweise die Gräber um die Kirche herum angelegt. Lahr stellte insofern einen Sonderfall dar, weil es mehr als 200 Jahre lang keine Pfarrkirche in der Stadt gab. Innerhalb der Mauern befand sich nur die Schlosskapelle, die von solchen Gläubigen besucht wurde, die den langen Weg zur Burgheimer Kirche scheuten. Die Stiftskirche war eine außerhalb der Stadtmauern liegende Klosterkirche. Erst um etwa 1492 wurde sie die Pfarrkirche der Lahrer. Der Friedhof (Kirchhof) als Begräbnisstätte der Lahrer Bevölkerung entstand also am Ende des 15. Jahrhunderts. Zuvor war auf dem Burgheimer Friedhof bestattet worden.
Am 20. Juni 1939 erhielt die 81-jährige Professorenwitwe Anna Samuely eine Mitteilung der Heidelberger Stadtverwaltung, in der sie aufgefordert wurde, unverzüglich alle Gegenstände aus Gold und Silber sowie Brillantschmuck, Uhren, Bestecke, Vasen und Münzen von erkennbarem Wert beim städtischen Leihamt abzuliefern. Ihre Wertsachen würden dort amtlich geschätzt werden. Sie erhalte den Taxpreis abzüglich einer Bearbeitungsgebühr. Frau Samuely wusste, was das bedeutete. Die Aktion hatte im Februar begonnen, ein Großteil ihrer jüdischen Bekannten war schon zur Ablieferung vorgeladen worden. Sie wusste auch, dass mittlerweile die taxierten Beträge nicht mehr ausgezahlt, sondern auf ein Sperrkonto gelegt wurden. Sie hatte erfahren, dass Heidelberger Schmuck- und Uhrenhändler, zu deren Kundschaft sie auch gehört hatte, sich im Rathaus zu Auktionen versammelten, um die abgelieferten Wertsachen günstig zu ersteigern. Frau Samuely wurde Opfer einer dreisten staatlichen Raubaktion.
Camilla Jellinek
(2021)
Vier Straßen in einer der schönsten Wohngegenden Heidelbergs tragen die Namen preußischer Generäle aus dem Deutsch-Französischen Krieg: Leonhard Blumenthal, August Werder, Albrecht von Roon und Helmuth von Moltke. Seit den zwanziger Jahren lebten in diesen Straßen mit den martialischen Namen aber auch Heidelberger Bürgerinnen, deren Andenken gewahrt werden sollte: In der Moltkestraße praktizierte die beliebte Kinderärztin Johanna Geißmar, unter dem Druck des nationalsozialistischen Boykotts zog sie 1935 nach Saig im
Schwarzwald, von dort wurde sie im Oktober 1940 nach Gurs deportiert – 1942 wurde Johanna Geißmar in Auschwitz ermordet. Die Psychoanalytikerin Frieda Fromm-Reichmann eröffnete 1923 Ecke Werderstraße ihr „Therapeuticum“, 1933 floh sie nach Palästina, später emigrierte sie in die USA. In der Werderstraße wohnten Paula und Salomon Deutsch mit ihren Kindern. Es gelang ihnen, die Kinder ins Ausland zu retten, sie selbst wurden 1940 nach Ungarn abgeschoben; 1944/45 wurden Paula Deutsch und ihr Mann Salomon in Auschwitz ermordet. In der Roonstraße fand die Modedirectrice Frieda Mayer kurzfristig Zuflucht im Haus von Ida Rothschild bis diese 1939 zur Ausreise gezwungen wurde. Auch Frieda Mayer wurde 1940 nach Gurs deportiert. Im „Judenhaus“ in der Moltkestraße lebten seit 1939 die Schwestern Clara und Anna Hamburger. Beide gehörten zu den ersten Doktorandinnen der Ruperto Carola, in den zwanziger Jahren finanzierten sie mit ihrem geringen Gehalt studentische Freitische und Stipendien. Am 22. Oktober 1940 wurden Anna und Clara Hamburger nach Gurs deportiert, gemeinsam mit der pazifistischen Literaturwissenschaftlerin Elise Dosenheimer aus der Blumenthalstraße. In der Moltkestraße wurde am 10. April 1942 Violetta von Waldberg von der Gestapo in den Tod getrieben. Das Ehepaar Waldberg hatte
seine wertvolle Bibliothek in den dreißiger Jahren der Universität geschenkt – die Bücher gehören noch heute zu den wertvollsten der Universitätsbibliothek. Im Nachbarhaus starb am 5. Oktober 1940 Camilla Jellinek, die fünfzig Jahre lang in Heidelberg lebte und mit ihrer ehrenamtlichen Arbeit das rechtliche und soziale Leben über die Grenzen Heidelbergs hinaus prägte.
In der Woche nach dem dritten Advent des Jahres 1931 dominierte ein Thema die Schlagzeilen der badischen Regionalpresse: Eine größere Abordnung der Landespolizei hatte in den Nachmittagsstunden des 13. Dezember das Schloss Rotenberg durchsucht, wo sich etwa 40 Personen auf Einladung des Schlossherrn, des kaiserlichen Gesandten a. D. Franz von Reichenau zusammengefunden hatten.
Friedrich III. als Bauherr
(2021)
Der Theologieprofessor Viktorin Strigel (1524−1569) wurde in der Nacht auf den 9. April 1569 Zeuge eines Brands auf dem Heidelberger Schloss. Es war die Nacht vor Karfreitag. Eine Woche darauf schildert er in einem Brief die Bedrohlichkeit des Ereignisses: „Neulich brach am 8. April auf der Burg des vornehmsten pfälzischen Kurfürsten [Friedrich III., 1515−1576, reg. 1559−1576] ein gewaltiges Feuer aus. Weil es von der ersten Nachtstunde bis zum Sonnenaufgang gedauert hatte, vernichtete es das hervorragende Gebäude, das zwischen zwei Gemächern liegt, von denen in einem der beste und würdigste Kurfürst zu wohnen pflegt, das andre der frisch verheiratete Landgraf von Hessen Philipp [II., 1541−1583] mit der Tochter des Kurfürsten [Anna Elisabeth, 1549−1609] bewohnt. Aber wenn der gegenwärtige Gott uns nicht seine Hilfe gewährt hätte, wäre es nicht nur um die Burg, sondern um die ganze Stadt geschehen gewesen. Denn schon flogen die Funken über die Dächer der Bürger, und die Kraft der Flammen war in den höchsten Turm vorgedrungen, in dem die Verwaltung des Fürsten oder die Kanzlei, wie sie sagen, untergebracht ist. Aber auch wenn dieser Brand den Zuschauern mehr Schrecken einjagte als tatsächlichen Schaden verursachte, ängstigt mich das Vorzeichen sehr und beunruhigt mich.“ 2020 erreichte den Geschichtsverein von der Forschungsstelle „Theologenbriefwechsel im Südwesten des Reichs in der Frühen Neuzeit (1550−1620)“ an der Heidelberger Akademie der Wissenschaften die Anfrage, was über dieses Brandereignis bekannt sei; Strigels Brief werde dort bearbeitet und zur Veröffentlichung vorbereitet. Bei der Recherche fand sich ein Schreiben des Kurfürsten an Johann Wilhelm von Sachsen [1530−1573] vom Mai 1569, das diesen Brand ebenfalls beschreibt und bereits 1905 veröffentlicht wurde. Beim Abgleich der neu gefundenen mit der vor einem Jahrhundert publizierten Quelle ergaben sich weitere Fragen: 1. Lässt sich der Brand vom Karfreitag 1569 verorten? Welches Gebäude war betroffen? 2. In welchem Verhältnis steht der Brand zur Hochzeit Friedrichs zwei Wochen darauf? 3. Wie ist der angekündigte Neubau zu verstehen? War Friedrich doch Schlossbauherr?
Wir dokumentieren und kommentieren vier Briefe des Heidelberger Volksschullehrers Hermann Durlacher und seiner Frau Mart(h)a aus den Jahren 1939, 1941 und 1942, also aus den Jahren der Verfolgung und Deportation der jüdischen Einwohner. Das Ehepaar Durlacher hatte 1923 in Heidelberg geheiratet, wo Hermann Durlacher seit 1920 als Lehrer an der städtischen Volksschule Ecke Plöck/Sandgasse unterrichtete. Martha Durlacher, in Radovesnice geboren, stammte aus einer tschechischen Familie. Dies erklärt die Hinweise in den Briefen auf Verwandte in Jihlava (Iglau) an der böhmisch-mährischen Grenze und Kuthna Hora in Böhmen. Durlachers hatten zwei Söhne, Walter (geb. 1924) und Lutz (geb. 1927), die sie
am 26. Juli 1939 mit einem Kindertransport nach England schicken konnten. Familie Durlacher wohnte, wie zeitweilig auch Marthas Schwester Anni Arnold und ihr nichtjüdischer Mann Friedrich (Fritz) in der Hauptstraße 121. Fritz Arnold hatte 1939 seine Frau Anni davon überzeugt, dass sie sich in England in Sicherheit bringen müsse. Nicht zuletzt fürchtete er, keine Anstellung als Bankangestellter mehr zu erhalten. In den Kriegsjahren ließ er sich von seiner Frau scheiden, ohne diese darüber zu informieren, und gründete eine neue Familie. Vor vollendete Tatsachen gestellt, verließ Anni Arnold Deutschland, nach einem ersten und einzigen Besuch 1945, erneut und kehrte nach Großbritannien zurück, wo sie Kontakt zu Ludwig (Lutz), dem jüngeren Sohn der Durlachers hatte.
Auf den ersten Blick ist es ein kleiner, bescheidener Briefwechsel. Eine Mutter bedankt sich bei einer ihr unbekannten Familie, dass diese den Sohn aufgenommen hat. Sie freut sich über jede positive Nachricht. Ihre Wünsche und Hoffnungen sind größer als das wirkliche Wissen, das sie aus den kindlichen Erzählungen ihres nicht sonderlich schreibfreudigen Sohnes erfährt. Sie „promotet“ ihren Sohn und seine Schwester, in der inständigen Hoffnung, dass ihre Kinder gut aufgehoben sind. Betrachten wir die Umstände, gewinnen die scheinbar harmlosen Zeilen an dramatischem Gewicht.
100 Jahre Pfaffengrund
(2021)
Heidelbergs historisches Stadtbild, das von den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs weitgehend verschont wurde, lockt jedes Jahr Millionen Besucher*innen an. Die Stadt ist durch ihre historischen Gebäude nicht nur malerisch schön; anhand der Gebäude können Besucher*innen auch Einblicke in die wechselvolle und spannende Stadtgeschichte Heidelbergs nehmen. Diese Faszination für das historische Stadtbild und die Geschichte Heidelbergs zeigt sich nicht zuletzt an dem großen Interesse an geführten Stadttouren, die sich vor der Corona-Pandemie einer stetig größer werdenden Beliebtheit erfreuten. Umso erstaunlicher ist es, dass Heidelberg bis dato kaum digitale Angebote entwickelt hat, damit Besucher*innen die Stadt und ihre Geschichte auf eigene Faust erkunden können. Andere Städte haben den digitalen Raum längst als „Erweiterung“ des Stadtraums entdeckt, um darin ihre Geschichte zu erzählen. So hat beispielsweise das Landesamt für Denkmalpflege in Bremen bereits 2006 über 150 QR-Codes in der Stadt verteilt, die Interessierten per Smartphone auf Webseiten leitet, auf denen sie sich in kurzen Texten über die Bremer (Bau-)Geschichte informieren können. Wie ließe sich Heidelberger Stadtgeschichte mithilfe digitaler Technik so erzählen, dass Einwohner*innen und Besucher*innen sie in einem Stadtspaziergang selbst erkunden können? Dieser Frage wollten wir, drei Geschichtsstudierende an der Universität Heidelberg, nachgehen. Gefördert von der Stadt-Heidelberg-Stiftung arbeiteten wir im Frühjahr und Sommer 2020 an dem Projekt, einen digital
unterstützten „Spaziergang durch die Stadtgeschichte“ zu entwickeln. Mit diesem Werkstattbericht möchten wir über die Umsetzung dieses Projekts informieren.
„Mensch, höre meine Worte: kämpfe und vertraue!“ Blickt man auf die Geschichte der knapp ein halbes Jahrhundert in Heidelberg beheimateten und damals fest im kulturellen Erlebnisraum der Stadtgesellschaft verankerten Familie Romhányi, ist es dieser Schlussvers aus dem von Goethes „Faust“ beeinflussten und berühmten Werk „Die Tragödie des Menschen“ des ungarischen Dichters und Dramatikers Imre Madách (1823–1864), welches sich als mögliches Credo dieser Familie betrachten ließe. Es war die Liebe zu den Künsten, welche den Juden Jenő Reich und die Christin Erna Sauer, zwei Menschen ungleicher nationaler, ethnischer, sprachlicher sowie religiöser Zugehörigkeit, zusammenführte. Ihre Verbindung sollte durch die Vermählung 1910 und die damit verbundene Konversion Jenős bekräftigt werden. Es folgten Jahre der familiären Harmonie und des beruflichen Erfolgs an ihrem neugewählten Lebensmittelpunkt in der Universitätsstadt am Neckar. Über 23 Jahre hinweg konsolidierte die Familie in Heidelberg ihre auf viel Geschick und Fleiß beruhende Stellung als erfolgreiche Unternehmer – zunächst in der Möbelfabrikation, später in der Kino-Branche – bis sie schließlich 1933 nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten im Zuge der systematischen Zwangsenteignungen und Verdrängung jüdischer Bürger aus dem deutschen Wirtschaftsleben sowie des gezielten Boykotts ihrer Geschäfte („Arisierung“) schlagartig der gewohnten Lebenswelt entrissen wurden. Knapp ein ganzes Jahrzehnt war die kleine, zwischenzeitlich auseinandergerissene und sich erst 1935 in Romhányi umbenannte Familie den nicht enden wollenden Verfolgungen und Repressalien des NS-Regimes ausgesetzt. Diesem Druck konnte sie letzten Endes nicht mehr standhalten. Es folgte die unwiderrufliche Ausweisung nach Ungarn im Frühjahr 1943, welche im tragischen Höhepunkt jener verhängnisvollen Jahre endete, dem durch das Zwangsexil verursachten, gewaltsamen Verlust der beiden Söhne Rudolf und Ludo. Doch auch der Lebensabend des Ehepaares Romhányi, welches das Kriegsende in Budapest erlebte, sollte im Deutschland der Nachkriegszeit von abermaligen Schwierigkeiten und Konflikten nicht verschont bleiben.
"Ein wunderlicher Mann"
(2021)
„Spazierte früh … Es war ein herrlicher Herbstmorgen. Ein wunderlicher Mann redete mich an … Loos … Ich erfuhr allerley von ihm.“ Was Johann Wolfgang von Goethe am 30. September 1814, vom Karlstor her in Richtung Palais Boisserée schlendernd, von jenem „wunderlichen Mann“ erfuhr und wie das Gespräch mit diesem verlief, schreibt der Dichterfürst seiner Frau Christiane Vulpius leider nicht. Wirklich wichtig wird ihm beides nicht gewesen sein, im anderen Fall er sicherlich ins Detail gegangen wäre. Also bleibt Goethes Bemerkung vage, so vage wie die Person desjenigen, der ihn angesprochen hat: Universitätsprofessor Dr. med. Johann Jacob Loos. Wer war dieser Mann, der Goethe auf offener Straße ansprach und namhafte Dichter, Denker und Gelehrte seiner Zeit zu seinem Freundeskreis zählte? Diese Frage versucht der vorliegende Beitrag zu beantworten. Er befasst sich zunächst mit Loos‘ Herkunft, beschäftigt sich dann mit seinem akademischen Werdegang, bevor er seiner Einbindung in das gesellschaftliche Leben im Heidelberg des frühen 19. Jahrhunderts nachgeht. Schließlich erhellt er, warum Goethes Beschreibung „wunderlich“ – bewusst oder unbewusst – auch das besondere persönliche Schicksal des ihm fremden Professors berührt.
Wien - Shanghai - Heidelberg
(2021)
Als auffälliger Außenseiter war er in den 1950er- bis in die 1970er-Jahre hinein Teil des Heidelberger Stadtbildes, sichtbar vor allem am Bismarckplatz vor den damaligen Arkaden: eine hagere Gestalt, nach vorne gebeugt, nach links gekrümmt, in einen langen schäbigen Mantel gehüllt, einen Packen Zeitungen oder Zeitschriften unter dem Arm. Wollte er diese wirklich verkaufen oder eher Almosen erbetteln? Aus seinem mühevollen langsamen Gang schreckte er nur dann auf, wenn ihn Jugendliche mit dem Wort „Stürmer“ verspotteten. Er drohte ihnen und versuchte vergeblich, sie zu verfolgen, ohne sie je zu erreichen. Ältere Heidelbergerinnen und Heidelberger erinnern sich wohl – wie ich – an diesen bedauernswerten Mann; manche haben durch Erzählungen von ihm gehört. Wenig wusste man von ihm, auch sein Name war nicht bekannt. Hieß er wirklich Jakob, oder war dies nur ein Spottname? Nur wenige schriftliche Zeugnisse erwähnen ihn.
Ernst Kürz in Heidelberg
(2021)
Sein Name ist weitestgehend vergessen. Und doch ist er erst kürzlich in einer englischsprachigen Gesamtdarstellung der Spanischen Grippe erwähnt worden. Um diesen Zusammenhang einordnen zu können, muss man sich ein Bild der gravierendsten Pandemie des 20. Jahrhunderts und deren Rezeption machen. Dieses Bild ähnelte sich 1918 –1920 in ganz Deutschland. Zu berücksichtigen ist, dass die Geschichte der Grippe insgesamt dadurch gekennzeichnet ist, dass Influenza alltäglich sein kann, aber auch desaströs – für einzelne, aber auch für große Gruppen von Menschen. Die erste Welle der Spanischen Grippe im Deutschen Reich, die sich im Frühjahr 1918 ereignete, stand für die Grippe als eher harmlose Erkrankung, die viele befiel, aber relativ wenige tötete. Die zweite Welle, diejenige des Herbstes 1918, entpuppte sich als die eigentliche tödliche Welle. Die dritte Welle, im Frühjahr 1920, wurde von vielen gar nicht mehr als solche wahrgenommen, oder man datierte sie, wie es heute noch viele tun, fälschlicherweise bereits in das Jahr 1919.
Julius Wilhelm Zincgref
(2021)
In allgemeinen Darstellungen zum Dreißigjährigen Krieg kommt der als Herausgeber der Werke von Martin Opitz bekannte Julius Wilhelm Zincgref (1591–1635) allenfalls als Dichter und Kommentator, nicht aber als Verteidiger Heidelbergs gegen Tillys Liga-Armee vor. Und auch in den allgemeinen Darstellungen zu Heidelberg im Dreißigjährigen Krieg wird Zincgref nur am Rande oder gar nicht erwähnt. Hier soll anlässlich der Wiederkehr der Eroberung und Verwüstung der Stadt vor 400 Jahren Zincgref vorgestellt werden – in seiner Doppelrolle als militanter Calvinist einerseits und als Dichter und damit auch Reflektant seiner Zeit andererseits. Sein „Kriegslied“ „Vermanung zur Dapfferkeit“ soll hier näher betrachtet und als Quelle zur Eroberung Heidelbergs gelesen werden, wenn auch der genaue Zeitpunkt der Entstehung des Textes nach wie vor diskutiert wird. Gleichzeitig versteht sich der Beitrag als ereignisgeschichtliche Synthese zur Belagerung und Einnahme Heidelbergs durch Tillys Liga-Armee im September 1622.
800 Jahre Ziegelhausen
(2021)
Die erste urkundliche Erwähnung eines Gemeinwesens ist ein wichtiges Datum, doch es sagt nicht viel über die Lebensgrundlagen der Menschen von damals aus. In einer Rückschau fragen wir, was die Natur in einer bergigen, waldbestandenen Landschaft, durch die sich ein Fluss hindurchgegraben hat, den Menschen zum Leben bietet. Bodengegebenheiten, Klima und Bewuchs sind gewiss die natürlichen Voraussetzungen für menschliche Existenz, doch darf die menschliche Kreativität bei der Ressourcenerschließung nicht unterschätzt werden. Die Ziegelhäuser Gegend war Teil der Urgemarkung Handschuhsheim. Diese umfasste das Gebiet an der Bergstraße südlich Dossenheims bis zum Neckar und ostwärts bis zu den Höhenzügen vor dem Steinachtal. Nach dem siebten Jahrhundert löste sich Neuenheim davon ab. Deren Gemarkung reichte den Neckar aufwärts bis zu dem noch nicht namentlich bekannten Ziegelhausen.
Für Heidelberg in vorstädtischer Zeit, d. h. als Fischer-, Winzer- und Handwerkerdorf im Tal zwischen Klingenteich und Neckarufer gelegen, gibt es einen ersten urkundlichen Beleg aus dem Jahr 1196. Dort ist anlässlich von Schenkungen an das Kloster Schönau ein „Cunradus, plebanus de Heidelberch“, ein Pfarrer aus Heidelberg, unter pfalzgräflichen Zeugen genannt. Die zum Priester gehörende Kirche ist die später außerhalb der städtischen Mauern liegende Pfarrkirche St. Peter.
„Herr Regierungsbaumeister Nathan hat die an ihn gestellte Aufgabe, einen modernen Bau mit allen praktischen, gesunden Einrichtungen versehen zu erstellen, glänzend gelöst.“ Nach der Einweihung der Zigarrenfabrik Hochherr am 9. September 1929 war die Süddeutsche Tabakzeitung voll des Lobes über das Gebäude, das in der Kaiserstraße 78 am damaligen Rand der Weststadt erstellt worden war. Es ersetzte den zehn Jahre zuvor bezogenen Firmensitz in der Brückenstraße 51 in Neuenheim. Auch der Heidelberger General-Anzeiger zeigte sich vom Neubau beeindruckt und hob in seinem Bericht hervor, dass „hier der Geschmack eines modern empfindenden Architekten und der künstlerische Wille einer Fabrikleitung Hand in Hand eine
gediegene Ausdrucksform für den Bau gefunden und gleichzeitig eine reizvolle städtebauliche Aufgabe gelöst haben“.
In der Ausgabe 2020 dieses Jahrbuchs erschien ein Bericht zur Eröffnung des Wieblinger Ortsmuseums. Dort hieß es: „Außerdem ist eine Erweiterung des Museums geplant, durch die die Landwirtschaft stärker berücksichtigt werden soll“. Diese Erweiterung ist nun abgeschlossen. Der Landwirtschaftsraum befindet sich außerhalb des Museums – hinter dem Alten Rathaus schräg gegenüber dem Helbinghaus im ehemaligen Mannschaftsraum der Freiwilligen Feuerwehr Wieblingen. (Ähnlich ist es in Kirchheim, wo dem Museumsgebäude genau gegenüber die Landwirtschaft in einer alten Scheune untergebracht ist.) Der Grund für die besondere Berücksichtigung der Landwirtschaft ist naheliegend: Wieblingen war wie alle hiesigen Dörfer früher stark landwirtschaftlich geprägt. Eine Besonderheit wie den Weinbau in Rohrbach oder die Steinbrüche in Dossenheim kann Wieblingen nicht aufweisen. Aus einer Wandtafel in der Ausstellung geht hervor, dass 1905 hier noch 76 % der Bevölkerung in der Landwirtschaft
tätig waren; heute sind es 0,25 %! Dieser Strukturwandel ist also noch wesentlich stärker als im gewerblichen Bereich.
Carl Gustav Jochmann hielt sich nach Beendigung seiner Anwaltstätigkeit in Riga in den Jahren 1819 bis 1829 mehrfach, auch für längere Zeit, in Heidelberg auf, wo er in den Jahren 1806/1808 Jurisprudenz studiert hatte. Außer seinem Verleger Christian Friedrich Winter werden nur wenige seiner Heidelberger Freunde und Bekannten gewusst haben, dass der privatisierende Jurist als Schriftsteller tätig war und bedeutende kulturphilosophische und zeitkritische Werke verfasste. Jochman legte größten Wert darauf, als Autor unbekannt zu bleiben; alle seine Schriften erschienen anonym. Sein Beharren auf „Verborgenheit“ mag der entscheidende Grund dafür sein, dass man über seine Kontakte in Heidelberg nicht sehr viel weiß, obwohl einige seiner Bekannten, so der schottische Kaufmann James Mitchell und der Bankier und Fabrikant Christian Adam Fries im gesellschaftlichen Leben der Stadt eine wichtige Rolle gespielt haben. Auch ob sein Freund Christian Friedrich Winter, in dessen Verlag drei der vier Bücher Jochmanns erschienen sind, das Geheimnis um seinen anonymen Autor wahren konnte, ist nicht bekannt.
Ein Name als Programm
(2021)
Wir feiern heute den 100. Namenstag des Kurpfälzischen Museums Heidelberg, eines Hauses, das heute zum Kunst- und Kulturleben der Stadt Heidelberg ganz selbstverständlich dazu gehört. Ganz selbstverständlich gehen wir heute ins „Kurpfälzische“ Museum. Dabei ist vermutlich nur den wenigsten der vielen tausend Touristen und Heidelberger Stammgästen, die das Palais Morass über den stimmungsvollen Innenhof oder gar den Neubau betreten, bewusst, dass diese Bezeichnung eigentlich keineswegs selbstverständlich ist und dass hinter dem Namen „Kurpfälzisches Museum“ ein museumspolitisches Gesamtkonzept steht, das auf den ersten hauptamtlichen Leiter der Einrichtung Karl Lohmeyer zurückgeht – einen Mann, der zu Unrecht heute in Heidelberg weitgehend in Vergessenheit geraten ist.
Die Ereignisse vom 9. und 10. November 1938 sind für Heidelberg grundsätzlich gut erforscht und wurden oft dargestellt: die Brandstiftungen in den Synagogen der Altstadt und in Rohrbach, die Verschleppung der erwachsenen Männer nach Dachau oder in andere Konzentrationslager und die marodierenden Aktionen der SA-Trupps gegen Geschäfte und Wohnungen in den Stadtteilen. Die hier vorgestellte Studie setzt sich damit auseinander, ob das Novemberpogrom über die massiven Angriffe auf die Unverletzlichkeit der Wohnungen hinaus auch Entmietungen einschloss und welche Rolle dabei die städtische Wohnungsbaugesellschaft für Grund- und Hausbesitz (GGH) einnahm. Ausgangspunkt dieser Fragestellung ist die Beobachtung, dass von den sechs 1938 noch in GGH-Häusern lebenden jüdischen Mietparteien im Folgejahr alle ihre Wohnung dort verloren hatten. Diese Beobachtung wirft die weitere Frage auf, ob die Stadtverwaltung unter Oberbürgermeister Carl Neinhaus nicht doch tiefer in das Novemberpogrom eingebunden war. Bisher war nur bekannt, dass Neinhaus am Morgen des 10. November vom Dienstwagen aus das Brandgeschehen in der Großen Mantelgasse in Augenschein nahm.
Tabakanbau und Tabakverarbeitung waren seit dem 19. Jahrhundert und bis in die 50er-Jahre des 20. Jahrhunderts gerade für die kleinbäuerliche Landwirtschaft in Baden und in der Südpfalz ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor. Heidelberg entwickelte sich dabei zu einem der wichtigsten Standorte der Tabakverarbeitung in Nordbaden und besaß mit den Firmen Landfried, Liebhold und Maier zu Beginn des 20. Jahrhunderts die drei größten Fabriken in Nordbaden. Sie waren alle drei originäre Heidelberger Betriebe, die um die Jahrhundertwende in Bergheim neue Produktionsstätten erbauten. In Zusammenhang mit dem Artikel von Andreas Schenk in diesem Jahrbuch über den Architekten Fritz Nathan behandelt dieser Beitrag die Geschichte der Firma Hochherr in der Kaiserstraße 78 und deren „Arisierung“ in Heidelberg.
Das Leben der Kamilla Knopf
(2021)
Kamilla Knopf (1911−1996) ist mutmaßlich die erste Frau aus Dielheim, einer Gemeinde im südlichen Rhein-Neckar-Kreis, die das Abitur machte. Sie studierte in England und unterrichtete nach dem 2. Weltkrieg an der Universität Heidelberg viele Generationen angehender Gymnasiallehrer in englischer Phonetik und Literatur, Übersetzung und Sprechtraining im Sprachlabor. Am 22. Januar 2021 wäre sie 110 Jahre alt geworden. Nach einem Aufruf in der Rhein-Neckar-Zeitung meldeten sich Dutzende von Zeitzeugen, die zur Vita dieser ungewöhnlichen Persönlichkeit etwas beizutragen hatten.
Die Vier ist eine halbe Acht
(2021)
Heute steht der Bildstock (347 × 47,5 × 29,5 cm) am westlichen Anfang der Kleingemünder Straße (früher: Hauptstraße). Mit großen, altertümlichen Zahlen gibt er das Jahr seiner Entstehung inschriftlich bekannt: 1478, wobei die zweite Zahl Vier in Form einer halben Acht zu lesen ist; die dritte Zahl in Form eines offenen Dreiecks ist eine damals übliche Sieben, nach links gekippt. Von den stilistischen Eigenheiten der spätgotischen Skulptur des 15. Jahrhunderts ist kaum etwas zu erahnen, was nicht nur durch die wechselhafte Geschichte des Objekts, sondern wohl auch der einfachen künstlerischen Qualität des Bildhauers geschuldet sein dürfte.
Ursprünglich sollte im Kurpfälzischen Museum Heidelberg (KMH) vom 25. März bis 12. Juli 2020 die Sonderausstellung über die Figur und den Mythos des Herkules zu sehen sein. Covid-19-Krise und erster Lockdown durchkreuzten unerwartet diesen Plan. Die Ausstellungseröffnung wurde verschoben, die Wartezeit mit Digitalem überbrückt. Online gestellte Kurzfilme zu den schönsten Exponaten und Interviews mit den beiden Kuratorinnen – der Kunsthistorikerin Karin Tebbe und der Archäologin Renate Ludwig – sowie mit dem Museumsdirektor Frieder Hepp vermittelten zwar interessante Einblicke in die Ausstellung, waren aber kein gleichwertiger Ersatz. Ab dem 6. Mai durfte man endlich, strengen Hygienerichtlinien folgend und mit Maske, die Ausstellung besuchen, die glücklicherweise bis zum 20. September verlängert werden konnte. Wegen der Virengefahr zwischenzeitlich geschlossene Grenzen hatten die Ankunft bedeutender Leihgaben aus italienischen Museen verhindert, die bei der großen Herkulesausstellung („Ercole e il suo mito“) in Turin 2018/19 zu sehen gewesen waren. Mittels Reproduktionen und Fotografien versuchten die Kuratorinnen diesem Manko entgegenzuwirken, auf einen Ausstellungskatalog musste jedoch verzichtet werden.
„Das ist nun Heidelberg, und es ist wirklich schön dort im Frühling“, schrieb der Schweizer Schriftsteller Christian Kracht in den neunziger Jahren in seinem Roman „Faserland“. Alles sei so schön grün, die Menschen säßen in der Sonne an den Neckarauen, erzählt Krachts Protagonist. Und er stellt fest: „So könnte Deutschland sein, wenn es keinen Krieg gegeben hätte.“ Es stimmt ja: Im Heidelberger Stadtbild hat der Zweite Weltkrieg kaum Spuren hinterlassen. Im Unterschied zu vielen anderen Städten wurde Heidelberg nicht in Schutt und Asche gelegt. Über die Gründe, warum das so ist, wird immer wieder diskutiert. Und besonders die Frage, ob die Amerikaner über der Stadt Flugblätter abwarfen mit der Aufschrift „Heidelberg wollen wir schonen, denn dort wollen wir wohnen“, polarisiert. Viele Zeitzeugen berichten davon, einen historisch-wissenschaftlichen Beleg aber gibt es (noch) nicht. Was aber sicher ist: Auch Heidelberg blieb von Luftangriffen nicht völlig verschont, wie der folgende Überblick über die Schäden, die der Krieg in
dieser Stadt angerichtet hat, zeigt.
Die Brücke. – 36 (2021)
(2021)