Drittes Reich
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Ghetto ohne Ghetto
(2009)
Als man die Menschen aus ihren Wohnungen vertrieb, als man sie nach Gesetzen, die Willkür legitimierten, ihres Umfelds beraubte, sie mit ihren Habseligkeiten durch die Stadt ziehen ließ, vor aller Augen demütigte und in Behausungen drängte, die schon übervoll mit Menschen waren, sie dort warten ließ auf den Abtransport, sie erleben ließ, wie es dem einen Mitbewohner gerade noch gelingt, das rettende Visum zu erhalten, wie andere nach und nach „abgeholt“ werden, dann wird sichtbar, dass der Weg in den Holocaust viele Stationen hatte, an denen Entwürdigung, Entrechtung und Zerstörung stattfanden. Stationen, an denen aber auch Solidarität, Courage und Überlebenskraft sichtbar wurden. Davon zeugen die Vorgänge um die „Zusammenfassung“ jüdischer Einwohner in so genannte „Judenhäuser“, ein Vorgang, der in größeren Orten und in Großstädten seit 1939 von staatlichen, städtischen und Parteibehörden vorangetrieben wurde.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin, im Namen des Verbands Deutscher Sinti und Roma, Landesverband Baden-Württemberg, möchte ich Sie begrüßen. Aus Anlass des 50. Jahrestages der Befreiung von der NS-Gewaltherrschaft möchte ich Ihnen einige vorläufige Anmerkungen zur Verfolgungsgeschichte der Heidelberger Sinti und Roma vortragen. Für mich als gebürtige Heidelbergerin ist das zugleich ein Stück unserer allgemeinen deutschen Geschichte, ein Stück Stadtgeschichte und auch ein Stück meiner Familiengeschichte. Unter uns gibt es keine Familie, die nicht einen großen Teil ihrer engsten Angehörigen in den Konzentrations- und Vernichtungslagern verloren hat. Allein aus meiner Familie wurden 24 Menschen von den Nazis ermordet. Die Überlebenden waren die Ausnahme. Die Völkermordverbrechen an Sinti, Roma und Juden waren nur möglich in einem System, dessen beherrschende Ideologie ein menschenverachtender Rassismus war.
Am 9. November 2004 übergab Beate Weber, die Oberbürgermeisterin der Stadt Heidelberg, im Rahmen einer Feier auf dem Synagogenplatz die an der Nordwand des ehemaligen Rabbinerhauses in der Großen Mantelgasse angebrachten Gedenktafeln an die jüdischen Opfer von Deportation und Ausweisung der Öffentlichkeit. Ein Zitat aus Jesaia 56,5 und ein schlichter Text verweisen darauf, dass die Tafeln die Namen jüdischer Bürger und Bürgerinnen enthalten, die in der NS-Zeit von 1933 bis 1945 ausgewiesen, deportiert und ermordet wurden oder als Reaktion auf Terrormaßnamen des Regimes „in den Tod getrieben“ wurden, d. h. sich selbst das Leben nahmen. Zusammen mit einer Informationstafel zur jüdischen Geschichte Heidelbergs, der farblich abgesetzte Pflastermarkierung des Grundrisses der Synagoge und dem lange Zeit auf dem neuen jüdischen Friedhof aufgestellten Gedenkstein ist ein Gedenkort gestaltet worden, der auf über 200 Jahre religiöses jüdischen Lebens in Heidelberg verweist.
„Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir das ganz offen schreiben würden. Ich garantiere dann für eine schonende Weitergabe“. Hermann Maas, Pfarrer der evangelischen Heilig-Geist-Kirchengemeinde in Heidelberg, bemühte sich im Mai 1946 mit dieser Bitte um Auskunft über den Verbleib eines früheren jüdischen Mitbürgers einmal mehr zu helfen. Er zählte bereits während des Nationalsozialismus zu den wenigen, die tatkräftig versucht hatten, Juden vor der Vernichtung durch das NS-Regime zu bewahren oder ihnen zumindest Unterstützung zu gewähren. So war es sicher nicht zufällig, dass der nach New York emigrierte frühere Direktor der Heidelberger „Herrenmühle“, Moritz Oppenheimer, sein Anliegen nach dem Krieg gerade an Hermann Maas richtete. Ein „besorgter Vater“, so schrieb dieser daraufhin an den Leiter der Anstalt Kork bei Kehl, Pfarrer Adolf Meerwein, habe sich an ihn gewandt. Dem Vater, Moritz Oppenheimer, sei es gelungen, im Anschluss an seine Deportation nach Südfrankreich in die Vereinigten Staaten zu flüchten. Nun gehe es um seinen Sohn B., der jahrelang in Kork untergebracht gewesen sei. Moritz Oppenheimer habe ihn gebeten, in Erfahrung zu bringen, „ob er noch lebt und wenn nicht, wie er gestorben ist“.
1936 war das Jahr, in dem der entscheidende Vierjahresplan mit den Zielen verstärkter Aufrüstung und weitgehend autarker Rohstoffversorgung erlassen wurde, das Jahr der Olympischen Spiele, die im August stattfanden, und das Jahr, in dem in Heidelberg vom 1. bis 16. Juli ein Lager des Kultur- und Rundfunkamtes der Reichsjugendführung, ein „kulturpolitische[s] Arbeitslager“, abgehalten wurde.
Am 12. Juni 1935, dem Mittwoch nach Pfingsten, schreibt NS-Ortsgruppenleiter Riehl einen Brief „An den Oberbürgermeister Pg. Dr. Carl Neinhaus“: „Vor einigen Wochen ist im Hause Steingasse 18 eine zehn bis 12 köpfige Zigeunerfamilie eingezogen . Die Kinder dieser lumpigen Gesellschaft treiben sich täglich am Neckarstaden und besonders bei der alten Brücke herum, was der Unterzeichnete ganz besonders während der beiden Pfingstfeiertage beobachten konnte. Es gereicht einer Fremdenstadt wie Heidelberg nicht zur Zierde, wenn sich dieses Gesindel am Hauptfremdenverkehrspunkt der Stadt herumtre ibt und es wäre deshalb angebracht, wenn von Seiten der Stadtverwaltung umgehend Schritte unternommen würden, um diese Gesellschaft aus dem Stadtinnern zu entfernen. ... Abhilfe tut dringend Not."
Die Oktoberdeportation des Jahres 1940 verbuchten die Gauleiter von Baden und der Pfalz als Erfolg. Es war die erste Massendeportation von Juden aus dem Reich, also gleichsam ein Probelauf für die nachfolgenden Verschleppungen, unter strenger Geheimhaltung vorbereitet und überfallartig durchgeführt. In der Meldung nach Berlin wurde betont, die Abschiebung sei in allen Orten des Südwestens reibungslos abgewickelt worden und fast unbemerkt von der Bevölkerung. Im letzten Satz wurde angemerkt: ,„In Mischehe lebende Juden wurden von den Transporten ausgenommen.“ Es ist zu vermuten, dass diese Regelung - scheinbar eine Randfrage - das Vorgehen der Polizeikräfte vereinfacht hat und wesentlich dazu beitrug, dass bei dieser Aktion Zwischenfälle ausblieben. Das Thema der „deutsch-jüdischen Mischehen“ beschäftigte die Partei- und Staatsführung aber unausgesetzt bis hin zu den letzten Deportationen im Jahre 1945. Selbst als man im Januar 1942 auf der Wannsee-Konferenz zur „Endlösung der Judenfrage“ die bekannten radikalen Beschlüsse fasste, blieb der Text, auf den sich Heydrich und die anderen NS-Führer in dem Punkt „Ehen zwischen Volljuden und
Deutschblütigen“ einigten, charakteristischerweise zögerlich.
Nur zögernd nähere ich mich diesem Abschnitt meiner ,Lebensbeschreibung‘, hat doch die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus mein Leben seit dem 30. April 1945 ganz wesentlich bestimmt, als ich im Lazarett in Bad Langensalza als amerikanischer Kriegsgefangener vom Ende Adolf Hitlers erfuhr. Schon in meiner Dissertation habe ich versucht herauszufinden, wie es diesem Mann und seinen Gefolgsleuten gelingen konnte, die Deutschen für seine mörderischen Ideen und Taten zu gewinnen und die ganze Welt an den Rand des Untergangs zu bringen. Seitdem weiß man ziemlich lückenlos und von vielen Seiten her beleuchtet, was sich einschließlich der Vorgeschichte in der Weimarer Republik im Dritten Reich abgespielt hat. Erst jüngst haben die Affäre Günter Grass und im Kontrast dazu die Erinnerungen von Joachim Fest das Thema „Hitler und die Deutschen“ beziehungsweise
„die Hitlerjungen Grass und Fest im 3- Reich“ wieder in die Diskussion gebracht. Wie soll ich vor diesem Hintergrund mit der gebotenen Distanz und Aufrichtigkeit meine eigene Verstrickung in das Geschehen zwischen 1933 und 1945 darstellen? Kann es mir gelingen, die Mechanismen der Verdrängung und sogar der Verklärung zu überlisten, um der „Wahrheit“ des Erlebten möglichst nahe zu kommen?
Zwangsarbeit in Heidelberg
(2002)
Als Projektgruppe an der Integrierten Gesamtschule Mannheim-Herzogenried befassen wir uns seit über zwei Jahren mit einem Transport, in dem 1944 über 400 Männer aus der Vogesenstadt Raon l'Etape zur Zwangsarbeit nach Heidelberg verschleppt wurden. Im Stadtarchiv Heidelberg versuchten wir, die Liste dieses Transports zu rekonstruieren, der am 11. November 1944 in Heidelberg eintraf. Bisher konnten wir 429 Namen feststellen, teilweise auch die Firmen und die dazugehörigen Lager. Wir nehmen jedoch an, dass mit dem Zug über 500 Männer verschleppt wurden, so viele, wie zur gleichen Zeit jeweils in Deportationszügen aus Saint-Dié, Gérardmer oder La Bresse nach Mannheim, Karlsruhe und Pforzheim gebracht wurden. Eine solche Liste war in Raon bisher unbekannt; für die ehemaligen Deportierten wurde sie bei der Entscheidung wichtig, ob sie Entschädigungsanträge stellen sollten.
Vor zwei Jahren fand im Rahmen der jährlichen Kunstankäufe der Stadt Heidelberg ein Wettbewerb statt zur Neugestaltung der Gedenkstätte für die Opfer der nationalsozialistischen Justiz auf dem Bergfriedhof. Den 1. Preis erhielt der Bildhauer Günter Braun, Eppelheim, für den Entwurf einer Stele aus schwarzem Granit. Bei einer Feierstunde am 1. November 2001 wurden die Stele und eine ergänzende Namenstafel der Öffentlichkeit vorgestellt. Die neue Tafel nennt die Namen von zwei Frauen und 18 Männern, die in den Jahren 1942 bis 1944 in Stuttgart zum Tode verurteilt und hingerichtet, deren Leichen in die Heidelberger Anatomie überstellt und
am 22. Juli 1950 in einem Ehrengrab bestattet worden waren. Seit 1968 erinnert eine ältere Tafel an weitere sieben Männer, wegen Widerstandshandlungen hingerichtete Arbeiter und Lehrer aus dem besetzten Elsass.