71.2017
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"Was für ein Schweinswal"
(2017)
Erste nachweislich nach lebenden Modellen geschaffene Karikaturen der Neuzeit finden sich im zeichnerischen Werk der Brüder Annibale und Agostino
Carracci, die damit als Begründer der Kunstform der Karikatur und ihrer Theorie gelten. Das Verb »caricare« meint übertreiben. Die »übertriebenen Bildnisse«
(»ritrattini carichi«) des Annibale Carracci (1557–1602) waren Porträts, »in denen
der Künstler vorhandene Missbildungen, Missproportionen, auffällige Züge
eines Gesichts oder auch die Formen eines Körpers übertreibend wiedergibt«.
Die Künstler zeichneten diese Bilder, um ihre Freunde zu amüsieren oder zu
hänseln und griffen dabei vermutlich auf die vermeintliche Wissenschaft der
Physiognomie zurück, die sich mit der Ähnlichkeit menschlicher Typen mit
Tiergestalten befasste.
Die Karikatur findet sich allerdings schon in der Antike und es ist gut
möglich, dass bereits frühere groteske Köpfe der Renaissance lebende Vorbilder
hatten, also eigentlich Karikaturen waren. Gombrich verweist zudem auf
die Tradition der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Schandbilder,
die zwar eher rohe Beschimpfung als ein witziger Vergleich sind, aber durchaus
als Vorstufen der Karikatur betrachtet werden können.
Insofern sind die Brüder
Carracci nicht die eigentlichen Erfinder der Karikatur, aber deren Wiederentdecker, Verbreiter und Begründer des Karikaturbegriffs, der im 18. Jahrhundert
fortgeführt wird.
Wenn man schnell einige zuverlässige und aussagekräftige Informationen über
die örtlichen Verhältnisse eines württembergischen Dorfes im 19. Jahrhundert
haben möchte, sind bekanntlich die vom einstigen Königlichen statistisch-topographischen Büro herausgegebenen alten Oberamtsbeschreibungen eine
unverzichtbare Quelle und Hilfe. Dies gilt auch für Aldingen.
In der im Jahre 1859 veröffentlichten »Beschreibung des Oberamts Ludwigsburg« sind der Gemeinde Aldingen neun Seiten gewidmet. Sie begegnet uns
darin als ein Ort, dessen Verhältnisse wohl geordnet sind und im Wesentlichen
jenen in den anderen Dörfern des Oberamtsbezirks entsprechen. Von den Nachbarorten unterschied sich Aldingen freilich dadurch, dass es hier damals noch
eine blühende israelitische Gemeinde gab – ein Erbe der einstigen Ortsherrschaft der Herren von Kaltental, die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts
einige jüdische Familien aufgenommen hatten. Von den 1250 Einwohnern,
die man 1856 zählte, waren 112 Juden. Die israelitische Gemeinde löste sich
allerdings in der Folgezeit, namentlich infolge von Abwanderungen nach
Ludwigsburg, rasch auf; bereits 1882 gab es in Aldingen keine jüdischen Einwohner mehr.
Ein anderes Erbe der Herren von Kaltental hat sich hingegen bis heute erhalten:
Das 1580 von Heinrich von Kaltental im Stil der Renaissance erbaute Schloss.
Es war nach dem Aussterben der Kaltentaler 1746 in bürgerliche Hände gekommen. In seiner östlichen Hälfte waren dann ab 1836 Rathaus, Schule und die
Wohnung des Schulmeisters untergebracht.
Seimeny
(2017)
Zwischen dem ehemals bessarabiendeutschen Dorf Seimeny und der Stadt Ludwigsburg gibt es seit über sechzig Jahren einen regen Austausch. 1955 übernahm
Ludwigsburg eine Patenschaft für die ehemaligen Bewohner Seimenys. Das
60-jährige Jubiläum dieser Patenschaft im Jahr 2015 war Anlass für die Veranstaltungsreihe »Migration und Integration«. Teil der Veranstaltungsreihe war eine
Ausstellung über Seimeny, die im Stadtarchiv Ludwigsburg vom 18. Juli bis zum
15. Oktober 2015 zu sehen war und deren wichtigsten Ergebnisse im Folgenden
vorgestellt werden.
In der Stuttgarter Zeitung vom 27. Juli 2016 schrieb Ingmar Volkmann: »Eine
Flüchtlingskrise hat Europa fest im Griff. Eine riesige Zahl von Wirtschaftsflüchtlingen macht sich auf eine äußerst ungewisse Reise in der Hoffnung auf
eine bessere Zukunft. Die einen wagen die beschwerliche Etappe zu Fuß, andere
mit dem Schiff. Auf den Booten brechen Krankheiten aus und fordern viele
Opfer. Im Flüchtlingslager von Ismajil an der Donau angekommen, müssen sich
die Auswanderer direkt in Quarantäne begeben. Im Lager herrschen erschreckende
hygienische Zustände, zahlreiche Epidemien wüten. Ein Teil der Flüchtlinge
wird ihr gelobtes Land nie erreichen. Die, die es aber schaffen, schicken denen,
die diesen Schritt noch nicht gewagt haben, beinahe enthusiastische Nachrichten
aus der neuen Heimat.«
Diese Schilderung könnte eine Zustandsbeschreibung der aktuellen Flüchtlingslage sein. Es ist jedoch ein Bericht über die Situation vor 200 Jahren. 1816 und 1817
führte der Fluchtweg jedoch im Gegensatz zu heute in andere Richtungen,
nämlich vor allem nach Osten. Zentraleuropa steckte damals mitten in einer
dramatischen Wirtschaftskrise. Württemberg war besonders schlimm betroffen
und wurde zeitweilig als das Armenhaus Europas bezeichnet. Schuld daran waren
die jahrelangen Kriege der napoleonischen Zeit sowie mehrere Missernten.
Seit 1812 waren die Sommer nass und kalt. Am schlimmsten war das Jahr
1816, das bekanntermaßen als »Jahr ohne Sommer« in die Geschichte einging.
Man spricht heute sogar von einer sogenannten Kleinen Eiszeit, wie sie zuvor
um 1400 stattgefunden hatte. Dies hatte zur Folge, dass ganze Bevölkerungsschichten verarmten und ein Massenexodus einsetzte. In den ersten vier Monaten
des Jahres 1817 sollen, so der Historiker Daniel Krämer, 17 000 Menschen legal
aus dem Königreich Württemberg ausgewandert sein.
Von den württembergischen Königinnen ist die erste, Königin Charlotte Auguste
Mathilde, die unbekannteste geblieben. Dabei war sie als geborene Prinzessin
von Großbritannien und Irland nach der Rangordnung des europäischen Adels
durchaus mit den späteren Königinnen Katharina und Olga, beide geborene
Großfürstinnen von Russland, zu vergleichen. Ihr Heimatland stieg während
ihrer Lebenszeit zur Weltmacht auf. Sie selbst heiratete 1797 Herzog Friedrich II.
von Württemberg, der 1803 zum Kurfürsten erhoben wurde und 1806 die Königswürde annahm. So war Charlotte Mathilde zwar schließlich Königin in einem
relativ kleinen Land, aber sie war immerhin Königin.
Die geringere Popularität der Monarchin gegenüber ihren Nachfolgerinnen
dürfte zwei Gründe haben. Zum einen war sie mit König Friedrich verheiratet,
der als schwierige Persönlichkeit galt.
In seine Zeit fiel die Säkularisation und
Mediatisierung, aber seine Regierungsjahre waren auch von schweren Krisen,
ausgelöst durch Kriege und eine Reihe von Missernten, bestimmt. Neben dem
willensstarken, autoritären König verblasste die Gemahlin etwas, weil sie sich nicht
direkt in die Politik ihres Ehemannes einmischte. Dabei nahm sie interessiert
Anteil an den politischen Entwicklungen, denn sie war an einem bedeutenden
europäischen Hof aufgewachsen. Als das Herzogtum Württemberg im Zweiten
Koalitionskrieg zwischen Frankreich und Österreich massiv von französischen
Truppen bedroht wurde, bat Charlotte Mathilde ihren Vater König Georg III.,
für Württemberg Partei zu ergreifen und ihren Gemahl zu unterstützen. Außerdem spielte der Umstand eine Rolle, dass König Friedrich bereits aus seiner
ersten Ehe drei Kinder hatte, der Erbprinz bei der zweiten Eheschließung also
bereits geboren war.
Das Verlangen nach einer Reform der Kirche war schon vor 1517 zu verspüren.
Luthers 95 Thesen bildeten dann den Auslöser der nun folgenden Reformationsbewegung.
Wesentliche Voraussetzungen der Reformation sind in den Reformbewegungen des 15. Jahrhunderts zu suchen, die die Kirche ebenso betrafen, wie
das politische Leben und die Bildung. Überhaupt kann das 15. Jahrhundert als
Zeit der Reformen bezeichnet werden. Das heißt, dass der Reformbegriff bereits
geläufig war und es lediglich auf einer Übereinkunft der Historiker beruht, dass
wir einerseits von den Reformbewegungen des 15. Jahrhunderts reden, andererseits aber von der Reformation des 16. Jahrhunderts. Grundlegend für beide
Begriffe ist das lateinische Wort »reformatio«, das so viel wie Wiederherstellung
oder Erneuerung bedeutet.
Untrennbar mit der frühen Ludwigsburger Stadtgeschichte ist die Gestalt der
Christina Wilhelmina von Grävenitz (1685–1744) verbunden. Sie war 24 Jahre
die Mätresse des Ludwigsburger Stadtgründers Eberhard Ludwig und prägte
dessen Regierungszeit wie kein anderer Mensch.
Mätressen verdankten in der Frühen Neuzeit ihren Aufstieg vor allem ihrem
Aussehen. Und wer könnte das Aussehen der Grävenitz besser beurteilen als ein
Zeitzeuge. Heinrich August Krippendorf hatte als ihr Privatsekretär über viele
Jahre sehr engen Kontakt zu ihr. Er schreibt aus der Retrospektive:
»Es war ... an der Grävenitz
gar nichts Schönes, außer der Busen und Hände. Ihre
Augen, Haar und Taille von der allergemeinsten Sorte, die Zähne die heßlichsten
von der Welt, der Gang negligent. Ihr Angesicht, welches jederzeit mit Farde so
starck übergeschmiert war, als ob sie einem [G]ipser die Arbeit verdungen, gliche
ohne diesem Anstrich einem alten Epitaphio, woraus das Gold gekratzt worden, indem es die Blattern gar grob verderbt hatten. Nechst diesem ist es schier unmöglich
zu glauben, wie Eberhard Ludwig die Grävenitz die letzten 12 Jahre ihres Dominats
über lieben können, denn sie ward durch eine ausgestandene Kranckheit so unförmlich dick, daß es Kunst brauchete, sie einzuschnüren, welches auch sehr selten und
nur bey den vornemsten Hoffestins geschahe.
Herzog Eberhard Ludwig verlieh seiner »Ludwigsburg« am 3. September 1718 die
Stadtrechte und erhob die junge Stadt gleichzeitig in den Rang der 2. Residenz- und 3. Hauptstadt seines Landes. Der Herzog hatte es offensichtlich eilig, Stuttgart
zu verlassen, obwohl die jüngste Stadt Württembergs zu diesem Zeitpunkt weder
ein Rathaus noch einen Marktplatz, auch keine Stadtkirche besaß, von einem
Friedhof ganz zu schweigen. Der Friedhof war wohl das Allernötigste, was gebraucht wurde, denn bereits ein Jahr später wurde er angelegt, während das Abstecken des Marktplatzes, der Bau der Stadtkirche und vor allem die Einrichtung
eines eigenen Rathauses wesentlich länger auf sich warten ließen.
In der einschlägigen Ludwigsburg-Literatur wird die Geschichte des Marktplatzes,
der Stadtkirche und des Rathauses eingehend gewürdigt, während der Friedhof
nur mit knappen Notizen eher am Rande erwähnt wird. Eigentlich verwunderlich, verbergen sich hinter Friedhöfen doch nicht nur geheimnisvolle Geschichten,
die die Phantasie beflügeln oder dem abendlichen Besucher leise Schauer über
den Rücken jagen, sondern auch ganz reelle geschichtliche Ereignisse, die eng
mit der Geschichte der Stadt verbunden sind. Über allen historischen Fakten
sollte aber nicht vergessen werden, dass hinter der Geschichte eines Friedhofs,
mehr als hinter allen anderen Stadtgeschichten, vor allem schmerzvolle, unglückliche oder tragische Geschichten von Menschen stehen, die nicht dokumentiert
und archiviert wurden und deshalb unerwähnt bleiben müssen. Friedhöfe sind
ein Spiegelbild der Kultur und des Geistes einer Stadt. 300 Jahre Ludwigsburger
Friedhofsgeschichte sind es deshalb wert, genauer betrachtet und gewürdigt zu
werden.