47.2005
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"Die Kunst des 20. Jahrhunderts ist die Werbung!" Noch immer sorgt diese programmatische Äußerung Andy Warhols vielfach für Kopfschütteln und Ablehnung. Angewandte, sprich "Auftrags" - Kunst und "echte", aus innerem Auftrag hervorgegangene Kunst, das erscheint selbst noch im 21. Jahrhundert so manchem Zeitgenossen ein unvereinbarer Gegensatz zu sein. Ihm sei gesagt, dass unzählige von der Kunstgeschichte längst anerkannte Meisterwerke des Renaissance-Zeitalters auch nichts anderes waren als Auftrags-Kunst mit vorwiegend einer Funktion: ihre Auftraggeber zu rühmen und ihnen ein bleibendes Denkmal zu setzen! Gleichwohl würde heute kaum einer derjenigen, die der "reinen" Kunst das Wort reden, auf den Gedanken verfallen, einem Henry de Toulouse-Lautrec, dessen Werk ja zu erheblichen Teilen aus Werbeaufträgen besteht, zu unterstellen, er habe Zweitrangiges geschaffen. Dennoch hält sich bis heute das Vorurteil hartnäckig, Werbegraphik sei - da Auftragsarbeit - allenfalls Kunst zweiter Wahl. Offenbar handelt es sich hier eher um ein Problem des Sozialprestiges der Rezipienten als jener Künstler, die sich über die angewandte Kunst ausgedrückt haben. Henry de Toulouse-Lautrec jedenfalls, den man mit Fug und Recht als den Vater der modernen Gebrauchsgraphik bezeichnen kann, hätte über derart bornierte Ansichten nur den Kopf geschüttelt.
Wenn man heute vom Ende der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts redet, dann mag sich das für junge Leute fast schon so anhören, als spräche man von der Steinzeit. Und in der Tat mutet es bisweilen auch befremdlich an, was die Menschen unseres schönen Heimattales so alles bewegte und beschäftigte zu der Zeit, in der unsere Geschichte angesiedelt ist. Damals hat irgendein Spötter aus unserer überwiegend protestantischen Kreisstadt das für katholische Ohren nicht eben schmeichelhafte Wort vom "Vaterunser-Loch" in die Welt gesetzt, bei seinesgleichen vermutlich Beifall gefunden, bei der Gegenseite sicher Ärgernis hervorgerufen. Gemeint hat er mit seiner Bemerkung die Dörfer in der hinteren Region des Tales, deren Bewohner - abgesehen von ein paar versprengten Lutheranern - bis hinauf zum letzten Waldbauern vor den abgrenzenden Höhenzügen tiefschwarz gefärbt waren in der Wolle und unbeirrbar fest in ihrem Blick gen Himmel und gen Rom. Die gegenseitig abgesteckten Positionen in Sachen Religion muss man sich aber nun nicht so vorstellen, als hätten sich die Kontrahenten ständig in den Haaren gelegen und sich ihre divergierenden Ansichten lautstark um die Ohren gehauen, das nicht. Es war vielmehr so, als ob dieses "Anders-sein-als-die-andern" sein Wesen oder besser Unwesen hinter den Fassaden trieb, es war existent und doch nicht greifbar, es hatte kein Gesicht und doch wurde man seiner gelegentlich ansichtig, es war ohne Stimme, als ein Raunen aber stets vernehmlich, es war das, was die einen (im Stillen) über die anderen dachten und was sie, hätten sie es ohne Scheu und missliebige Folgen äußern können, in Wahrheit voneinander hielten - nämlich nichts oder zumindest nicht viel.
Die Brudertalkapelle
(2005)
Viele alte Wallfahrtsorte in der Ortenau künden von der großen Religiosität der hiesigen katholischen Bevölkerung. Die Gläubigen suchen diese Stätten auf, um abzuschalten und an den heiligen Orten ihre irdischen Sorgen besser bewältigen zu können. Einer dieser Wallfahrtsorte im Geroldsecker Land liegt oberhalb der Ortschaft Kuhbach, im Wald der Gemeinde Friesenheim. In seinen Volkssagen erläutert uns Bernhard Baader den Wallfahrtsort im Brudertal: "Eine halbe Stunde von dem Orte Kuhbach entfernt stand ehemals, im abgelegenen Bergwald, eine Kapelle und darin ein Gnadenbild von der schmerzhaften Mutter Maria mit dem Leichnam des Heilands auf dem Schoß. Bei dieser Kapelle erhob sich die Hütte eines Einsiedlers, der mit den Wallfahrern zu beten pflegte, unweit davon sprudelte eine klare Quelle. Dieser Ort, das Brudertal genannt, gehörte dem Kloster Schuttern, zu dem ein anderthalbstündiger Weg führte, der Bruderpfad. Auf diesem Pfad ging der Einsiedler jeden Sonn- und Feiertag nach Schuttern zur Messe".
French Connection
(2005)
Kirchen sind Immobilien. Kaum zu glauben, aber es gibt Ausnahmen von dieser Regel. Zum Beispiel die 1158 bis 1161 errichtete Kirche des ehemaligen Zisterzienserklosters Tennenbach in Freiamt, die 1829 Stein für Stein abgetragen und in Freiburg als evangelische Ludwigskirche wieder aufgebaut wurde. In einem ganz anderen Sinne ist die Prioratskirche Sainte Foy de Selestat, die Kirche der Heiligen Fides in Schlettstatt, eine Mobilie. Sie steht zwar immer noch am selben Platze, an dem sie und ihr Vorgängerbau von 1160 an, resp. 1094 erbaut worden sind. Doch ihre Formensprache charakterisiert sie als Fremde unter den Kirchen des Elsass, als Einwanderin. Genau gesagt sind es im Wesentlichen ihre Schmuckformen, der innere Wandaufbau und ihre Gewölbeform, die aus Lothringen ins Elsass eingewandert sind. Ihre Architektursprache ist also nicht das vertraute Elsässisch des 12. Jahrhunderts, sondern Lothringisch mit elsässischen und Ile-de-France-Akzenten. Dabei ist ihre Einwanderung keine ausgesprochene Erfolgsgeschichte. Unter den romanischen Kirchen des Elsass ist sie, um im Bild zu bleiben, eine einsame Fremde mit nur geringer Nachkommenschaft geblieben. Schuld daran ist wahrscheinlich die Politik.
Der Abzug der kanadischen Streitkräfte und ihrer Angehörigen ab dem Jahr 1992 und der darauf folgende verstärkte Zuzug von Spätaussiedlern aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion hatten für Lahr gravierende Auswirkungen in ökonomischer und gesellschaftlicher Hinsicht. Innerhalb von zehn Jahren stieg ihr Anteil auf glatte 20 Prozent der Einwohnerschaft. Von den 43.000 Einwohnern der Stadt sind heute fast 9.000 Spätaussiedler. Dass dieser Umbruch nicht reibungslos und ohne Probleme vonstatten ging, versteht sich von selbst. Doch nach anfänglichen Schwierigkeiten und nachdem akzeptiert wird, dass der Integrationsprozess über Generationen geht, kommen mehr und mehr die Stärken und Qualitäten der Neubürger zum Vorschein.
Einer jener Spanier, die sehr früh nach Deutschland kamen, schon Anfang 1960, also noch vor dem Anwerbeabkommen der Bundesregierung mit Spanien (vgl. Exkurs) war der Bahnhofsvorsteher Miguel Llombart aus Nules in der Region Valencia. Der damals 38-Jährige mag in mancher Hinsicht ein typischer Gastarbeiter gewesen sein. In vielem war er es jedoch ganz und gar nicht. Denn er hatte eine gesicherte Stelle, die er aufgab. Aber er hatte auch ein konkretes Ziel vor Augen und eine Aufgabe, die er mit großem Einsatz anging: Er hatte sich bereit erklärt, für die Früchte einer landwirtschaftlichen Genossenschaft seiner Region in Deutschland einen Vertrieb aufzubauen. Das waren vor allem Orangen und Clementinen, nach denen sich die Menschen im Wirtschaftswunderland sehnten. Miguel Llombart ließ seine Frau und die Kinder zurück und fand schnell in der Zement- und Betonfabrik Johner in Nürtingen eine Arbeitsstelle. Er lernte fleißig deutsch und stieg in der Firma, in der viele Gastarbeiter beschäftigt waren, zum Vorarbeiter auf. Auch dies mag bezeichnend sein für seine Zielstrebigkeit und seinen Elan. Jeden Samstag aber fuhr er nach Stuttgart zum Großmarkt, nahm die Ware in Empfang und suchte Abnehmer. Das Geschäft lief so gut, dass er 1961 nach Kehl zog, die Familie nachkommen ließ und seine eigene kleine Importfirma gründete. Kehl war mit Bedacht gewählt. Mit seinem Zollhof, dem Schiffshafen, einem Knotenpunkt der Bahn und der Grenzstation nach Frankreich war Kehl schon damals ein wichtiger Umschlagplatz für Waren aller Art und dient noch heute vielen Speditionen als Niederlassung.
1854 wanderte Bernhard Himmelsbach, gebürtig vom Schwabenbauernhof in Schuttertal, nach Nordamerika aus. Der Schuttertäler Bauernsohn siedelte als Farmer im Staat Minnesota, zuerst in Reads Landing (Wabasha County) und 1878 dann in Crookston. Der Urenkel von Bernhard Himmelsbach (1831-1880), Harold James Himmelsbach, geboren am 21. August 1925 in Yakima im US-Bundesstaat Washington, war einer der 34.250 Soldaten von der 1. und 29. Amerikanischen Infanterie-Division, die am 6. Juni 1944 den Atlantikwall im Küstenbereich "Omaha Beach" erstürmt haben. Operation "Overlord", so der Deckname für die Landung der Alliierten in der Normandie, war die größte kombinierte See-, Luft- und Landeoperation in der Geschichte des Zweiten Weltkriegs. 155.000 Männer ausgerüstet mit 16.000 Panzern, Jeeps und Lastwagen kämpften sich seit dem Morgen des 6. Juni 1944 an fünf Landungsstellen entlang des 70 Kilometer langen Atlantikwalls landeinwärts. Nachfolgend der gekürzte und aus dem Englischen übersetzte Bericht von Harold J. Himmelsbach, der in den USA zu den 1.400 D-Day-Veteranen gehört, die von Historikern des Eisenhower-Center in New Orleans nach ihren Erlebnissen bei der Landung an der Normandie-Küste befragt wurden.
Von Ostpreußen ins Ried
(2005)
Die gewaltsame Vertreibung von Menschen aus einer vertrauten Lebenswelt, die ihnen Identität gibt und die sie über Generationen hinweg als Heimat betrachten, ist ein Verbrechen und wird stets ein Verbrechen bleiben - egal wie die Gründe und Beweggründe dafür auch immer sein mögen. Die Massenvertreibung als systematisch angewandtes Instrument zur Durchsetzung kriegerischer und politischer Ziele ist jedoch eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Hierbei hatte Hitlerdeutschland einen großen Anteil. Denn als mit dem Einbruch sowjetischer Armeen in die deutschen Ostgebiete die Geißel des Zweiten Weltkrieges auf Deutschland zurückschwang, traf sie das Volk, in dessen Namen der Krieg entfesselt worden war. 14 Millionen Frauen, Kinder und alte Mensehen wurden Opfer von Flucht, Verschleppung und Vertreibung. Für sie ging es im Winter 1944/45 ums nackte überleben. Wer in Ostpreußen und Pommern brennende Heimat hinter sich ließ, hoffte, die Hafenstädte Swinemünde, Danzig oder Pillau lebend zu erreichen. Wer das Glück hatte, auf eines der übervollen Schiffe zu gelangen, glaubte sich gerettet. Doch der Leidensweg war damit noch lange nicht zu Ende.
Während des "Dritten Reiches" wurden mehr als 300 Jüdinnen und Juden aus den einstigen jüdischen Gemeinden in den Dörfern und Städten der südlichen Ortenau umgebracht. Sehr viele weitere wurden verschleppt, vertrieben oder in die Emigration gezwungen. Annähernd die Hälfte der Opfer stammte aus den jüdischen Landgemeinden Altdorf, Diersburg, Durbach, Friesenheim, Kippenheim, Nonnenweier, Rust und Schmieheim, die bis zu ihrer Zerschlagung eine fast 250-jährige Geschichte aufzuweisen hatten. Die vollständige Zerstörung der jüdischen Gemeinden der Region hatte unter anderem zur Folge, dass sich nur noch wenige Dokumente privaten Charakters aus jüdischem Besitz erhalten haben, die für die Forschung zur Geschichte des Landjudentums als historische Quellen herangezogen werden können. Die plötzlich erfolgte Deportation der meisten jüdischen Einwohner/innen im Oktober 1940 brachte mit sich, dass viele Familiendokumente zurückgelassen werden mussten, die danach zerstört oder in alle Winde verstreut wurden. Auf diesem Hintergrund wird man insbesondere die Überlieferung fotografischer Quellen zum Ortenauer Landjudentum in jedem Einzelfall als Besonderheit bezeichnen können, handelt es sich bei Fotografien doch um das Erinnerungsmedium schlechthin. Eine diesbezügliche Bestandsaufnahme fällt hier für jedes der früheren Ortenauer "Judendörfer" verschieden aus. Einen außergewöhnlichen Quellenfund konnte man in Diersburg vermelden, wo unlängst zwei erhalten geliehene Fotoalben der Familie Bruchsaler bekannt wurden.