14.2010
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„Max Weber und Stefan George galten für manche als die geistigen Titanen ihrer Zeit, nicht nur für Heidelberg, sondern für Deutschland überhaupt. Das Verhältnis beider war, wie von Soziologie und George überhaupt, zunächst eher ein Nicht-Verhältnis. Ende der 1890er Jahre versuchte der Philosoph Heinrich Rickert dem Freund Max Weber den Dichter nahe zubringen, aber der frischgebackene Professor der Nationalökonomie verschmähte die Poesie. Doch das änderte sich einige Jahre später. Durch eine langjährige Lebenskrise geläutert, entdeckte der Rekonvaleszent seine poetische Ader (...); er las George und trug Gedichte selbst vor.“ Was Rickert in Freiburg noch nicht gelungen war, kam dann im Jahr 1910 in Heidelberg zustande. Diesmal war es eine Studentin, Dora Jellinek, die den folgenreichen Kontakt zustande brachte. Sie hatte für eine germanistische Seminarveranstaltung einen Vortrag (s.u. Quellenanhang) ausgearbeitet, der wohl durch Vermittlung ihres Vaters Georg Jellinek an das Ehepaar Weber kam und sowohl Marianne Weber („die Arbeit einer begabten Frau“) als auch Max Weber beeindruckte. Max Weber würdigte das Referat in einem ausführlichen Brief an die Studentin und setzte sich dabei auch mit Stefan George, mit seiner Dichtung und mit seinem Freundeskreis auseinander.
Der Philosoph Karl Löwith (1897-1973) war eine der großen akademischen Persönlichkeiten, die den Heidelberger Geisteswissenschaften in der Zeit zwischen der universitären Restituierung nach dem Krieg und der Hochschulkrise um 1968 weite Resonanz verschafften. Wie kaum ein anderer seiner Zeit verkörperte der deutsch-jüdische Gelehrte an der Ruperto Carola den mittlerweile weitgehend verschwundenen Typus des Geistesaristokraten, wobei er - darin seiner Wirkungsstätte am Neckar nicht unähnlich - auf eigentümliche Weise über die Zeitläufte erhaben wirkte.
Wer war der "Kümmelspalter"?
(2009)
An dem Haus Hauptstraße 117 findet sich am zweiten Obergeschoss ein Wirtshausemblem: Ein gnomartiger Mann schwingt ein Beil, um ein Kümmelkorn zu spalten, und eine Inschrift in stilisierter Fraktur lässt keinen Zweifel: „Kümmel-Spalterei“ (Abb. 1). Wer sich auf die Suche nach dem Ursprung dieses Namens macht, findet nicht eben viel. Karl Christ streift in seiner sonst so elementaren Schrift „Alt-Heidelberger Wirtschaften“ eine Weinschenke Müller, die den Spitznamen „Kümmelspalterei“ habe. Konrad Winkler erzählt 1967/68 von einem Bäcker und Weinwirt namens Müller, der ein Geizkragen war und die Körner für seine Kümmelbrötchen zuvor spaltete. Sowohl Christ als auch Winkler versetzen diese Geschichte an den Anfang des 19. Jahrhunderts. Christ beruft sich auf Wundt, der 1805 für die Vorstadt eine Weinschenke Müller nennt, Winkler beruft sich - ohne Quellenangabe - auf Achim von Arnim, der von seiner Wohnung auf eine Weinwirtschaft Müller geblickt habe.
Der vergessene Dichter Johann Georg Deeg (1814-1846) und die Heidelberger Zeitschrift "Braga"
(2009)
Über den Schriftsteller Johann Georg Deeg ist wohl zum letzten Mal etwas nach seinem frühen Tod in Heidelberg geschrieben worden: Ein erstaunlicher Nekrolog erschien in der Mannheimer Abendzeitung, dem Sprachrohr der radikalen und demokratischen badischen Opposition. Es scheint reizvoll, diesen vergessenen Autor zunächst mit dem eindrucksvollen Text vorzustellen. Der Artikel wurde wie üblich anonym veröffentlicht unter einem Verfasserzeichen. Es war nicht möglich, die Identität dieses wohl in Heidelberg wohnenden Korrespondenten aufzudecken.
Wenn heute in Heidelberg heftig über die „Jahrhundertchance ,Stadt an den Fluss‘“ und „Stadt am Fluss light“ debattiert wird, wenn sich eine Bürgerinitiative aus Gegnern des geplanten Neckarufertunnels bildet, so gewinnt der Kampf einer der frühesten Heidelberger Bürgerinitiativen, des „Ausschusses zum Schutze des Neckartals und der Alten Brücke zu Heidelberg“ neue Aktualität. Und wenn sich auch seit der Mitte der 1920er Jahre vieles in der politischen Kultur verändert hat, sind doch Parallelen zwischen der damaligen und der heutigen Auseinandersetzung und den in ihnen angewandten Argumentations- und Handlungsstrategien unverkennbar.
Der folgende „kleine Beitrag“ fiel mir bei der Vorbereitung zur Ausstellung „Mit Spaten und Feder, Johann Metzger 1789-1852“, die 2008 im Universitätsmuseum in Heidelberg stattfand, in die Hände. Er ist 1852 in der Zeitschrift „Die Natur“ in Halle erschienen und möchte dem Leser einen Ausschnitt aus der wechselvollen Geschichte des heutigen Friedrich-Ebert-Platzes vor Augen führen, den Sachzwänge und Gleichgültigkeit, gepaart mit Ignoranz und Unwissenheit immer weiter zerstört haben: Ein prächtiger Garten ist verschwunden, der mit seinem alten und seltenen Baumbestand einst zu den touristischen Attraktionen Heidelbergs zählte.
Woran erinnern sich Menschen, als Individuen, als Gruppe, als Nation? In welcher Form äußern sie diese Erinnerung? In welchen Jahrestagen und Orten konkretisiert sich die Erinnerung? Wie benutzt das politische System die Erinnerung? Individuelles und kollektives Gedächtnis, Erinnerungskultur, Erinnerungsritual, Gedächtnisort, Geschichtskultur, Geschichtspolitik - diese Begriffe haben seit Mitte der 1990er Jahre Eingang in die Kultur-und Geschichtswissenschaften gefunden. Nicht das erinnerte Ereignis steht im Mittelpunkt der Betrachtung, sondern seine Interpretation und Bewertung, seine Bedeutung für das politisch-historische Bewusstsein. Dabei erweisen sich die Studien von Aleida Assmann, Ute Frevert, Peter Reichel und Edgar Wolfrum als besonders erhellend.
Ghetto ohne Ghetto
(2009)
Als man die Menschen aus ihren Wohnungen vertrieb, als man sie nach Gesetzen, die Willkür legitimierten, ihres Umfelds beraubte, sie mit ihren Habseligkeiten durch die Stadt ziehen ließ, vor aller Augen demütigte und in Behausungen drängte, die schon übervoll mit Menschen waren, sie dort warten ließ auf den Abtransport, sie erleben ließ, wie es dem einen Mitbewohner gerade noch gelingt, das rettende Visum zu erhalten, wie andere nach und nach „abgeholt“ werden, dann wird sichtbar, dass der Weg in den Holocaust viele Stationen hatte, an denen Entwürdigung, Entrechtung und Zerstörung stattfanden. Stationen, an denen aber auch Solidarität, Courage und Überlebenskraft sichtbar wurden. Davon zeugen die Vorgänge um die „Zusammenfassung“ jüdischer Einwohner in so genannte „Judenhäuser“, ein Vorgang, der in größeren Orten und in Großstädten seit 1939 von staatlichen, städtischen und Parteibehörden vorangetrieben wurde.
Die Enkelin des Philosophen
(2009)
Fragt man heute die Wenigen, die - meist als Kinder - die Heidelberger Ärztin Marie Clauss noch gekannt haben, so fördert ihre Erinnerung ungefähr folgendes Bild: Sie war eine eher kleine, unscheinbare Frau, freundlich und gütig; war immer da, wenn man sie brauchte. Sanft war sie, aber entschieden; still und unerschrocken; immer wieder wird diese Mischung von deutlicher Entschlossenheit und Milde hervorgehoben. Als Ärztin besaß sie eine starke Ausstrahlung, man fasste schnell Zutrauen zu ihr. Sie hatte einen riesigen Patientenkreis, sowohl als Hausärztin vieler Professorenfamilien als auch bei den Armen in den heruntergekommenen Hinterhöfen der Altstadt. „Sie und Dr. Thorspecken waren die Starärzte von Heidelberg“, urteilt eine jüngere Kollegin, die sie noch kannte. Mittellose behandelte Marie Clauss unentgeltlich. Sie lebte bescheiden. Was ihr am entschiedensten Profil gibt, ist, was sich sonst noch herumsprach, ohne dass man damals Genaueres wusste, weil Verschwiegenheit geboten war: Sie setzte sich für die verfemten Juden ein. „lm Grunde war sie eine Kämpfernatur. Dass sie nicht ins KZ kam, war ein Wunder.“