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Ostfränkische Sammlungen von Dichtung im 9. Jahrhundert

  • Wenn ein kultivierter Mensch des 9. Jh. den Blick zurück auf seine Bildungslaufbahn warf, wird er sich kaum einer Zeit erinnert haben können, in der ihn nicht Dichtung in irgendeiner Form beschäftigte. Die Dichtung des Alten Testaments, die Psalmen, waren die ersten lateinischen Texte, mit denen die Schüler die gelehrte Sprache lesen und schreiben lernten. Fabelschreiber wie Avian und Moralschriftsteller wie Ps.-Cato waren die ersten Begleiter der Schüler in die Welt des klassischen Lateins. Die großen christlichen Dichter der Spätantike, die biblische Themen in klassische Formen gebracht hatten, waren unverzichtbare Studienbücher der lernenden Jugend. Schon früh wurde darauf Wert gelegt, dass die Schüler das Latein nicht nur lesen, sondern schreiben und sprechen konnten. Ekkehard IV. hat uns in seiner Fortsetzung der Casus St. Galli eine Anekdote aufbewahrt, mit der er aus einer hundertjährigen Distanz die »gute alte Zeit« in der St. Galler Klosterschule zurückruft: Salomo III., Bischof von Konstanz und Abt von St. Gallen und selbst einst dort Schüler unter Notker Balbulus, ist zu Beginn des 10. Jh. zu Besuch im Kloster und visitiert die Schule. Die Schüler setzen ihn aus Spaß als ihren Lehrer ein, woraufhin er sie mit einer scherzhaften Strafe belegt, aus der sie sich befreien müssen: »[Und als er dagegen fragte]: ›Wie das?‹, redeten ihn die ganz Kleinen nach ihrem Wissen lateinisch an, die Mittleren rhythmisch, die übrigen aber metrisch, ja gar rhetorisch wie für die Rednerbühne.« Daraufhin freut Salomo sich, dass die Studien immer noch so gedeihen, wie sie es in seiner Jugend getan haben; er fühlt sich offenbar an die eigene Schulzeit erinnert. Die erzählende Quelle stimmt mit den Befunden der Handschriften überein, wie im Kapitel zu St. Gallen gezeigt werden wird: Nach dem Elementarunterricht lernten die Schüler zuerst rhythmische, dann klassisch-quantitative Dichtung und zwar bis zur aktiven Kompetenz in beiden Formen. Nicht nur Dichtung, sondern das Dichten selbst wurde gelehrt, wie man an den extemporierten Versen der Schüler sieht. Auch von solchen Schülergedichten sind eine Handvoll erhalten geblieben. Die Verwendung von Rhythmik und Metrik in der Schule ist kein Phänomen vom Ende des Jahrhunderts, die Kontinuität des Curriculums reicht viel weiter zurück: Schon in einer schulnahen Handschrift vomBeginn des 9. Jh. findet sich diese charakteristische Kombination. Salomos Schulerfahrung und die der chüler zu Beginn des 10. Jh. ist also Teil einer alten St. Galler Tradition.

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Verfasserangaben:Till HenningsGND
DOI:https://doi.org/10.57962/regionalia-21498
Titel des übergeordneten Werkes (Deutsch):Nova Mediaevalia : Quellen und Studien zum europäischen Mittelalter
Verlag:V&R unipress
Verlagsort:Göttingen
Dokumentart:Buch (Monographie)
Sprache:Deutsch
Jahr der Erstveröffentlichung:2021
GND-Schlagwort:Ostfränkisches Reich; Karolingische Renaissance; Lyrik; Handschrift
Ausgabe / Heft:19
Seitenzahl:439
DDC-Sachgruppen:800 Literatur / 870 Lateinische Literatur / 870 Italische Literaturen; Lateinische Literatur
Publikationen der BLB:Publikationen der BLB
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