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1988 legte der Historiker Clemens Vollnhals – inzwischen Leiter des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung in Dresden – eine umfangreiche Dokumentation „Die evangelische Kirche nach dem Zusammenbruch. Berichte ausländischer Beobachter aus dem Jahre 1945“ vor. Darin präsentierte er 72 bis dahin völlig unbekannte Dokumente US-amerikanischer, britischer und französischer Kirchenvertreter, die unmittelbar nach Kriegsende das zerstörte und besiegte Deutschland besucht und erste Kontakte zu deutschen Kirchenvertretern geknüpft hatten. Die Dokumente, die in der Zeit zwischen Mai und Dezember 1945 entstanden, hatte Vollnhals unter anderem in den „National Archives in Washington“, in den damals noch in Colmar lagernden Beständen der „Archives de l’Occupation française en Allemagne et en Autriche“ sowie im „Archiv des Lutherischen Weltbundes“ und des „Ökumenischen Rates der Kirchen in Genf“ entdeckt. Drei dieser ausländischen Beobachter hatten dabei auch die Badische Landeskirche und die Erzdiözese Freiburg besucht: Sylvester C. Michelfelder und Stewart W. Herman aus den USA sowie Marcel Sturm aus Frankreich. Ihre Berichte sind eine einmalige historische Quelle für die Situation der evangelischen und der katholischen Kirche in Baden in den ersten Nachkriegsmonaten 1945.
Bereits im September 1945, nur rund vier Monate nach Kriegsende, erschien das Gesetzes- und Verordnungsblatt (GVBL.) der Badischen Landeskirche wieder – die erste Ausgabe vom 13. September 1945 umfasste lediglich drei Seiten: einziger Inhalt war der erste Brief des badischen Landesbischofs Julius Kühlewein an alle evangelischen Gemeinden, den er schon am 26. Juni 1945 verfasst hatte. Die letzte Ausgabe des Gesetzes und Verordnungsblattes vor dem Kriegsende war am 11. November 1944 in Karlsruhe veröffentlicht worden. Nach den schweren Bombenangriffen auf Karlsruhe am 27. September und am 4. Dezember 1944, bei denen auch das Dienstgebäude des Oberkirchenrates in der Blumenstraße schwer beschädigt worden war, konnte das Gesetzesblatt nicht mehr hergestellt werden. Das Gesetzes- und Verordnungsblatt gehörte zu den ersten Publikationen, die die US-Amerikaner in ihrer Besatzungszone genehmigten. Auf der letzten Seite trug das GVBl. in den ersten Nachkriegsjahren den Lizenzvermerk der US-Besatzungsbehörde Mit Genehmigung der Publications Control 7.8.45 beziehungsweise später Mit Genehmigung der Publications Control Nr. 4785. Die ersten Ausgaben des Gesetzes- und Verordnungsblattes der Evangelischen Landeskirche in Baden sind ein beeindruckendes atmosphärisches Zeugnis über die Sorgen und Nöte jener ersten Nachkriegsjahre.
Berichte aus den Kirchenbezirken sind für die kirchliche Zeitgeschichtsforschung auch in Baden von großer Bedeutung, geben sie doch oft ein sehr ausführliches, durchaus selbstkritisches und beinahe flächendeckendes Bild der Landeskirche in
einer bestimmten Epoche ab. Der hier vorliegende Bescheid des Oberkirchenrates vom Juli 1982 behandelt die Hauptberichte der Bezirkssynoden, die 1981 zum Thema „Amtshandlungen der Kirche als Herausforderung zu missionarischem Handeln“ getagt hatten. Es ist der erste Bescheid in der Ära von Landesbischof Klaus Engelhardt (1980–1998) und gleichzeitig für lange Zeit der letzte Bescheid des Oberkirchenrates auf die Berichte aus den Bezirkssynoden. Das nächste Mal gab es einen solchen Bescheid erst wieder 1995 zum Sonderthema der Synoden „‚… Als Mann und als Frau‘ – in Kirche und Gesellschaft“. Bis 1963 waren diese Bescheide und die Themen der Bezirkssynoden allgemein-kirchlich gehalten, später gab es dann spezifische Fragestellungen. Aufgrund der Thematik bieten die Berichte von 1981 ein interessantes Bild der volkskirchlichen Situation in Baden zu Beginn der 1980er, das zwischen scheinbarer Stabilität („Beim Sterben ist die Welt noch in Ordnung“) und deutlichen
Krisensymptomen oszillierte.
Im Jahr 2020 ist das Evangelische Gesangbuch (EG) der Badischen Landeskirche seit 25 Jahren in Gebrauch – es wurde am Ersten Advent 1995 (3. Dezember 1995) in den evangelischen Gemeinden eingeführt. Der gesamte Prozess der Einführung des neuen EG innerhalb der Evangelischen Kirche Deutschlands dauerte insgesamt drei Jahre: er begann am Reformationstag 1993 mit Berlin-Brandenburg und war mit der Einführung in der württembergischen Landeskirche zum Ersten Advent 1996 beendet. 2018 kam in Baden der Ergänzungsband Wo wir dich loben, wachsen neue Lieder heraus, der – ähnlich wie die Anhänge ’71 und ’77 in den 1970er Jahren als Ergänzungen zum damaligen Evangelischen Kirchengesangbuch EKG – modernes und zeitgemäßes Liedgut den Gemeinden nahebringen möchte. Im Vorfeld des 200jährigen Jubiläums der Badischen Union 2021 sollen hier die vier badischen Gesangbücher aus den Jahren 1836, 1882, 1951 und 1995 mit einem Vergleich ihrer Vorworte in den Blick genommen werden. Innerhalb der neueren badischen Kirchengeschichtsforschung spielten Untersuchungen der Gesangbücher schon immer eine wichtige Rolle. Heinrich Riehm hat in seinem 2011 erschienenen Sammelband Auf dem Weg zum Evangelischen Gesangbuch 1993 zahlreiche Aspekte der neueren badischen Gesangbuchgeschichte zusammengestellt.
„Die Kanzel ist das Thermopylä der Christenheit, da wird die Schlacht verloren oder gewonnen.“
(2019)
In den frühen 1960er Jahren standen Kirche und Gesellschaft am Beginn einer Ära der Reformen und der Aufbrüche. Mit dem Rücktritt Konrad Adenauers als Bundeskanzler und dem Beginn der Regierungszeit Ludwig Erhards im Oktober 1963 endete in der Bundesrepublik endgültig die Nachkriegszeit. In der katholischen Kirche hatte kurz zuvor im Oktober 1962 unter Führung des reformorientierten Papstes Johannes XXIII. das Zweite Vatikanische Konzil begonnen mit seinem Versuch, die katholische Kirche für die Moderne zu öffnen. In der bisher gesamtdeutschen EKD hatte der Mauerbau vom August 1961 die Teilung des Protestantismus in Ost und West verschärft, in den DDR-Landeskirchen begann eine eigenständige Entwicklung, die am Ende des Jahrzehnts 1969 zur Gründung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR führte. Auch in der Badischen Landeskirche endete 1964 mit dem Dienstbeginn von Hans-Wolfgang Heidland als Landesbischof eine Ära: die 18jährige Bischofszeit von Julius Bender, der sein Amt kurz nach Kriegsende Anfang 1946 angetreten hatte.
Im Landeskirchlichen Archiv Karlsruhe befindet sich ein bisher nicht beachteter, hochinteressanter Aktenbestand mit Berichten von Pfarrern über das Kriegsende im Frühjahr 1945: Kirchl. Zustände im Kirchenbezirk Durlach […] während der Besatzungszeit inkl. Berichte über die Kampfhandlungen der letzten Kriegstage und Besetzung durch alliierte Truppen. Offensichtlich auf Anweisung der französischen Militärverwaltung bat der Durlacher Dekan Schühle alle Pfarrer in seinem Zuständigkeitsbereich unmittelbar nach Kriegsende, Berichte über die Zeit vor und während der Besetzung durch französische Truppen anzufertigen. Eine Zusammenfassung dieser Berichte unter dem Titel Die kirchl. Zustände im Kirchenbezirk Durlach betr. verfasste Schühle am 10. Mai 1945 und übergab sie wohl einige Tage später einem Offizier der Besatzungsbehörde. Die Berichte sind aufgrund des extremen Papiermangels in dieser Zeit zumeist auf dünnem Durchschlagpapier sehr engzeilig geschrieben, oft wurde die Rückseite eines bereits anderweitig verwendeten Schreibens benutzt. Da die Kampfhandlungen hier in der Karwoche und über die Ostertage des Jahres 1945 stattfanden, empfanden die Zeitgenossen den Zusammenfall von Karfreitag und Ostern mit Kriegsende und Eroberung, aber auch Befreiung von der NS-Diktatur, als besonders intensiv.
Heidelberg war nach West-Berlin und Frankfurt am Main eines der größten Zentren der Studentenbewegung Ende des 1960er Jahre. Dies ist umso überraschender, da die Stadt mit damals knapp über hunderttausend Einwohnern sich von ihrer Größe her
weder mit Frankfurt noch gar mit Berlin vergleichen ließ. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung bezeichnete Heidelberg 1968 gar als Brennpunkt der Studentenrevolte, die Neue Zürcher Zeitung sprach von einer Zitadelle des Aufruhrs. Dies hatte verschiedene Ursachen, eine davon war sicher die hohe US-amerikanische Militärpräsenz in Heidelberg und im nahe gelegenen Mannheim. Im Heidelberger Stadtteil Rohrbach befand sich über Jahrzehnte hinweg in der Campbell-Kaserne das US-amerikanische Hauptquartier für Europa USAREUR (United States Army Europe). Diese hohe militärische Präsenz von tausenden amerikanischer Soldaten auf dem Höhepunkt des Vietnam-Krieges inmitten einer Universitätsstadt führte zu einer enormen Politisierung der Heidelberger Studentenschaft.
Der Osnabrücker Kirchenhistoriker Martin H. Jung behandelt 2014 in seinem inzwischen zu einem Standardwerk avancierten Studienbuch „Kirchengeschichte“ auch die Bedeutung von Kirchengeschichte in der Region: „Geschichte hat immer regionale und lokale Bezüge […] häufig kann die große Geschichte gerade an der Lokal- und Regionalgeschichte anschaulich werden. […] Unsere unmittelbare Umgebung ist wie ein aufgeschlagenes Religionsbuch oder ein geöffnetes Archiv.“ Zur „unmittelbaren Umgebung“ von Menschen, die in unserer Landeskirche tätig sind, gehören häufig die Pfarrämter und Dekanate mit ihren teilweise ausführlichen Archiven. In vielen Pfarrämtern findet sich neben der Sammlung der Verhandlungen der Badischen Landessynode meist auch das Gesetzes- und Verordnungsblatt. Beide
Publikationen sind also gut greifbar und bilden über die Jahrzehnte hinweg einen interessanten Schatz zur regionalen Kirchengeschichte Badens.
Am 31. Januar 2016 ging die Geschichte der Freiburger Lutherkirche als Sakralgebäude im Rahmen eines feierlichen Entwidmungsgottesdienstes unter Teilnahme der südbadischen Prälatin Dagmar Zobel zu Ende. Damit verlor die Evangelische Kirche in Freiburg ihr größtes Kirchengebäude und gleichzeitig die einzige protestantische Kirche, die sich an einem der großen, belebten Plätze der Stadt, nämlich dem Friedrich-Ebert-Platz, befand. Damit endete die fast einhundertjährige Geschichte der Freiburger Lutherkirche, deren erster, 1919 eingeweihter Bau, beim Großangriff auf Freiburg am 27. November 1944 vollständig zerstört worden war. Der unter großen Opfern in den Nachkriegsjahren wiederrichtete Kirchenbau war am 14. Juni 1953 im Beisein des damaligen badischen Landesbischofs Julius Bender eingeweiht worden. Der Entwidmung vorausgegangen war eine fast fünfzehnjährige Diskussion, ob und wie das Areal der Lutherkirche zu verwenden sei. Schon lange war klar, dass die Lutherkirche mit mehr als 800 Plätzen für die stets rückläufige Zahl an Gottesdienstbesuchern und Gemeindegliedern viel zu groß war. Nach langen Verhandlungen ging die Lutherkirche dann 2016 auf Basis von Erbpachtzins an das Freiburger Universitätsklinikum, das im Innern des großen Kirchenraumes einen zentralen Hörsaal für Medizinstudierende einbaute. Der Korpus der Lutherkirche sowie der Glockenturm
mit dem Geläut blieben erhalten, so dass das äußere Erscheinungsbild der Lutherkirche bleiben wird, wenngleich nicht mehr in Funktion als Kirche.
„Baden trifft Rom“
(2015)
Einer der sicherlich spannendsten Abschnitte in den Amtszeiten badischer Landesbischöfe nach dem Zweiten Weltkrieg sind die Jahre 1991 bis 1997, als der badische Landesbischof Klaus Engelhardt gleichzeitig den Vorsitz des Rates der EKD innehatte. In der Zeit unmittelbar nach der staatlichen und kirchlichen Wiedervereinigung (3. Oktober 1990 beziehungsweise 28. Juni 1991) bedurfte die Tätigkeit des EKD-Ratsvorsitzenden besonderer Sensibilität, die Klaus Engelhardt nach Ansicht von Georg Gottfried Gerner-Wolfhard zu einer Art „pontifex, ein[em] Brückenbauer in der Zeit der schwierigen Wiederzusammenführung der östlichen und westlichen EKD-Gliedkirchen“ werden ließ. Als Brückenbauer verstand Landesbischof Engelhardt auch sein Engagement in und für die Ökumene, zu dessen Höhepunkten sicherlich die Begegnung mit Papst Johannes Paul II. bei dessen Deutschland-Besuch am 22. Juni 1996 in Paderborn gehörte. Klaus Engelhardt war der bisher einzige badische Landesbischof, der auch EKD-Ratsvorsitzender war. In der württembergischen Nachbarkirche hatten bereits zwei Bischöfe diese wichtigste repräsentative Aufgabe im deutschen Protestantismus innegehabt: Theophil Wurm in den unmittelbaren Nachkriegsjahren 1945 bis 1949 und Helmut Claß in der Zeit von 1973 bis 1979.