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Bei den Großdeportationen der südwestdeutschen jüdischen Bevölkerung durch die NS-Gauleiter Adolf Wagner und Josef Bürckel vom 22. Oktober 1940 handelte es sich um terminlich koordinierte, aber separate Abschiebungs-Aktionen. Dies zeigt sich deutlich auch an der unterschiedlichen Durchführung der Transporte. Gemeinsam hatten sie das Ziel Südfrankreich, worüber in Mannheim sogar offiziell und schon am frühen Morgen durch den Gestapo-Chef informiert wurde. Auch der Gestapo-Referent „für Judensachen“ Philipp Haas gab in Karlsruhe diese Auskunft und fügte, vielleicht zur eigenen Beruhigung, hinzu, „die Fahrt gehe nach dem Süden, in ein warmes Land“. Dass die Massenvertreibung rücksichtslos und zynisch auf das jüdische Fest „Sukkot“ gelegt wurde, könnte Anlass geben, dahinter eine besonders bösartige Schikane des Antisemitismus
zu vermuten. Als Erklärung bietet sich aber auch der Umstand an, dass die Kinder schulfrei hatten und nicht aufsehenerregend aus den Schulen abgeholt zu werden brauchten.
Otto Ehrlich (1909–1971) schloss sein Medizinstudium in Heidelberg im Dezember 1936 mit dem Staatsexamen ab. Bald darauf reichte er seine Dissertation ein und bestand die Doktorprüfung, doch der Erhalt des „Diploms“ war zu diesem Zeitpunkt keine Selbstverständlichkeit mehr. Ehrlich musste vielfältige Anstrengungen unternehmen und bürokratische Hürden überwinden, „um das Doktordiplom zu erhalten, da dies für mich für meine Auswanderung von lebenswichtiger Bedeutung ist“. Seine Bemühungen spiegeln sich in umfangreicher Korrespondenz und führten letztlich zum Ziel. Exemplarisch zeigen die von uns bearbeiteten Dokumente die sich verstärkenden Einschränkungen für jüdische Promovierende, die detaillierte bürokratische Regulierung und die verschiedenen Stellen, die mit dem Anliegen zu befassen waren – diese reichten von der Ebene der Universität mit Dekanat und Rektorat über das Badische Ministerium für Kultus und Unterricht in Karlsruhe bis zum Reichserziehungsministerium. Bürokratische Spielräume auf lokaler Ebene scheint es aufgrund
der direkten Kontrolle durch das Reichsministerium im Einzelfall kaum gegeben zu haben. Dennoch stellt sich die Frage nach der Umsetzung der Vorgaben an der Heidelberger Medizinischen Fakultät. Welchen Einfluss hatten die beteiligten Ministerien und die verschiedenen Ebenen der Universitätsverwaltung? Handelten sie streng nach Vorschrift? Versuchten sie, eigene Handlungsimpulse umzusetzen, entweder
um den Betroffenen zu helfen oder um die Aushändigung des Doktordiploms zu verhindern? Wir gehen den genannten Fragen an zwei Beispielen nach. Zunächst stellen wir kurz die Entwicklung der Gesetzeslage dar, um dann die „Fallgeschichten“ von Otto Ehrlich und Lore Hirsch einordnen zu können.
Im Juni 1940 geht bei dem „Herrn Obmann der Rechtswissenschaftlichen Fakultät Heidelberg“ das vom 11. Juni 1940 datierende Schreiben des Oberbürgermeisters Dr. Otto Gönnenwein in Schwenningen am Neckar ein, mit dem dieser um „Zulassung zur Habilitation an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät“ nachsucht. Dem Gesuch sind beigefügt ein ausführlicher Lebenslauf, ein vorläufiges Zeugnis der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen über die Erlangung der juristischen Doktorwürde, der wissenschaftliche Aufsatz „Das Normenprüfungsrecht der Verwaltungsbeamten und die Grenzen der Gehorsamspflicht“ sowie als Habilitationsschrift das Buch „Das Stapel- und Niederlagsrecht“.
„Heidelbergs Verbundenheit mit der Saar“ – so titelte das Heidelberger Volksblatt am 7. Januar 1935. Anlass war die feierliche Enthüllung eines „Saarmahnmals“ an der Südwestecke des Rathauses am Vortag durch Oberbürgermeister Carl Neinhaus. Das „Saar-Bekenntnis“ der Stadt Heidelberg erfolgte nur wenige Tage vor dem 13. Januar, an dem die Saarländer in einer Volksabstimmung für die Eingliederung des 1920 geschaffenen Saargebiets in das „Dritte Reich“ stimmten. Das Saargebiet und sein zukünftiges Schicksal waren zu diesem Zeitpunkt in der deutschen Öffentlichkeit gleichsam allgegenwärtig. Dies war nicht zuletzt auf eine intensive prodeutsche Propaganda verschiedener Protagonisten zurückzuführen. Versuche, durch Kommunikation und diverse Methoden der Öffentlichkeitsarbeit das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen dem Saargebiet und dem Deutschen Reich zu fördern, wurden aber nicht nur im direkten Vorfeld der Abstimmung von 1935, sondern bereits unmittelbar seit Schaffung des Saargebiets durch den Versailler Friedensvertrag unternommen. Zielgruppe dieser Propaganda waren dabei nicht nur die Saarländer selbst, sondern auch die Bevölkerung im unbesetzten Deutschland, die
über die Verhältnisse an der Saar „aufgeklärt“ und zum Einsatz für die Rückgliederung des Saargebiets mobilisiert werden sollte.
Eine der drängenden Fragen, mit denen sich Karl Siegfried Bader unmittelbar nach
Kriegsende auseinandersetzte, war die einer Nachbildung und Nacherziehung, ja
überhaupt einer Wiedererziehung der im nationalsozialistischen Ungeist herangebildeten Juristen. Wie konnte hier eine "Abkehr vom juristischen Banausentum ",
wie eine Wiedergewinnung rechtlichen Denkens gelingen? Den angehenden Richtern, Staat - und Rechtsanwälten müsse klar gemacht werden, so Baders Folgerung,
" dass mit der formalen Handhabung juristischer Technik, mit dem gedächtnismäßigen Einprägen von Rechtssätzen und mit einer gewissen Fertigkeit in der rechtlichen Subsumption nichts getan ist. ( ... ) Es handelt sich nicht darum, dass der Jungjurist neben seinen Gesetzeskenntnissen auch Daten aus der deutschen Geschichte
kennt und eine halbwegs brauchbare Vorstellung von den politischen Verhältnissen
hat. Entscheidend ist vielmehr, dass der junge Jurist durch die juristischen Denkformen hindurch möglichst rasch und möglichst tief zu den Grundwahrheiten der
Humanität, der Caritas und der inneren, nicht nur der formalen Legalität durchdringt." Der gute Jurist sei eben mehr als ein Jurist mit gutem Fachwissen und
gewissen Fertigkeiten.
Welche Auswirkungen hat die große Politik auf das Alltagsleben? Das zeigen am besten die Tageszeitungen mit ihrem Nebeneinander von lokalen und nationalen Ereignissen. Alltagsgeschichte gehört inzwischen längst zu den anerkannten Forschungsrichtungen der Historiker, und auch in Offenburg spiegeln die Zeitungsberichte die Geschichte einer turbulenten Zeit. Als am 18. November 1918 rückkehrende Soldaten der 301. Felddivision in das beflaggte Offenburg einmarschieren, werden sie als „moralische Sieger" des Ersten Weltkriegs begrüßt. ,,Leider nicht als physische Sieger", spiegelt ein Pressebericht im „Offenburger Tageblatt" die Stimmung der Bevölkerung wider. Wenn auch im vierten Kriegsjahr die Sehnsucht nach Frieden vorherrscht, legt sich das völlig unerwartete Waffenstillstandsgesuch von deutscher Seite wie ein drückender Alp auf die Gemüter. Ein solches Ende des „furchtbarsten aller Kriege" hatte keiner erwartet, und in die Freude über die heimkehrenden Soldaten mischt sich die Enttäuschung über die Niederlage. Gleichwohl bemüht sich die Stadt um einen „liebevollen Empfang" ist am 19. November im „Offenburger Tageblatt" nachzulesen.
"Umschulung"
(2013)
Dieser Text ist in einer französischen Original-Version 2010 unter dem Titel "Umschulung. Témoignages d’instituteurs alsaciens déplacés en pays de Bade (1940–1945)" erschienen. Der Verfasser widmet diese deutsche, gekürzte Version seinen deutschen Freunden und bedankt sich bei seinem Kollegen und Freund Herrn Anton Burkard aus Merzhausen für seine Hilfe bei der Übertragung dieser Fassung ins Deutsche.
Während der deutschen Besatzung Frankreichs wurden elsässische Lehrerinnen und Lehrer in Deutschland einer sogenannten Umschlung unterzogen. Sie müssen nun nach dem deutschen Lehrplan unterrichten, der ihnen in mehrmonatigen Lehrgängen "beigebracht" wird. Deutsch ist nun Schulsprache und bis 1941 wird auch noch in Sütterlinschrift geschrieben. Es finden auch Lehrgänge für nationalsozialistisches Geschichtsdenken statt. Die mehrmonatigen Aufenthalte bei der Besatzungsmacht sind für viele der jungen Lehrerinnen und Lehrer eine schwere psychische Belastung. Zeitzeugenberichte sind die Grundlage dieses Beitrags.
Die Häß ist ein ausgesprochen schwatzhaftes, vorlautes Weib, die über alles zu meckern und zu kritisieren hat und vom Nationalsozialismus nicht das Geringste wissen will. Genau so steht es im Original des Ermittlungsberichts der Geheimen Staatspolizei vom 1. Juli 1942 an den Oberstaatsanwalt beim Sondergericht in Freiburg. Wenige Tage zuvor, am 16. Juni 1942, hatte die damals 49-jährige Gast- und Landwirtin Lina Häß aus Ottenheim in einer Gastwirtschaft im elsässischen Erstein bei der Ankündigung einer Sondermeldung des Oberkommandos der Wehrmacht mit einer abweisenden Handbewegung folgende Äußerung gemacht: Ach was, es ist ja doch nicht wahr, was gesagt wird. Johann Klumpp, ein Oberwächter der Festungsdienststelle Karlsruhe und vermutlich ein überzeugter Nationalsozialist, hatte den Ersteiner
Gendarmerieposten über den Vorfall unverzüglich fernmündlich informiert. Lina Häß wird festgenommen und am 26. August 1942 vor dem Sondergericht Freiburg wegen eines Vergehens nach dem „Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz von Polizeiuniformen“ angeklagt. Nicht einmal drei Monate nach „der Tat“, am 10. September 1942, wird sie vom Sondergericht Freiburg zu einer Gefängnisstrafe von neun Monaten ohne Bewährung verurteilt.
„Warum erinnern? Wäre es nicht viel leichter einfach zu vergessen? Warum Vergangenes in unserer Gegenwart und Zukunft weiter ,erleben‘, wenn wir es zeitlich schon längst überlebt haben?“ So leitet eine Schülerin aus dem Philosophiekurs des Hölderlin Gymnasiums ihren Essay ein, in dem sie sich mit der Frage auseinandersetzt, wie ihre Generation mit der NS-Zeit siebzig Jahre nach Kriegsende umgehen soll. Die hier aufgeworfenen Fragen
beschreiben sehr gut die Herausforderungen einer heutigen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der Schule. Für einen Großteil der heutigen Jugendlichen ist die faschistische Diktatur Geschichte aus dem Schulbuch geworden, es fehlen mittlerweile familiäre Bezüge. Daher muss die Schule andere Zugänge liefern, die den Schülern nach wie vor die Wichtigkeit einer intensiven Aufarbeitung dieser Zeit vor Augen führt. Ein Beispiel für eine schülerorientierte Annäherung an dieses zentrale Thema der deutschen Geschichte ist ein umfassendes Projekt mit sehr unterschiedlichen schulischen und außerschulischen Heidelberger Akteuren, das im Folgenden vorgestellt werden soll.
Es war im Februar 1945. Mein Mann war schon im Dezember 44 zu den nach Hinterzarten
ausquartierten beiden Töchtern gegangen, weil die Gestapo ihn zum Schippen einziehen wollte.
Ich ging nicht mit, ich hätte ihn gefährden können. Außerdem musste jemand in der Wohnung
bleiben, um die Post auf Umwegen nachzuschicken und etwaige Recherchen abzufangen. Auch
musste ich den Kanarienvogel, der etwas krank war, versorgen. In Hinterzarten waren die Zimmer nur mit einem elektr. Öfchen notdürftig heizbar (zu kalt für den Vogel) [...]. So beginnt der Bericht über ein persönlich erlebtes, dramatisches Ereignis gegen Ende
des Krieges. Der Verfasserin Gertrud Gurlitt, in der Freiburger Burgunderstr. 30 wohnhaft,
ist offenbar bewusst, dass sie sich augenblicklich in einer bedrohlichen Lage befindet. Soll sie,
ohne zu zögern, dem Willen der Gestapo nachkommen und sich als Jüdin einem unbestimmten
Schicksal ausliefern - oder kann sie es wagen, unter Umgehung dieses Befehls die in Hinterzarten ausquartierte Familie zu besuchen und sie über ihre eigene Bedrohung zu informieren?
In beiden Fällen würde sie ein großes Risiko eingehen und mit Maßnahmen gegen ihre Freiheit
rechnen müssen. Und um beide Optionen in Ruhe gegeneinander abzuwägen, bleibt ihr keine
Zeit.