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Konstanz am Bodensee
(2019)
»Ein paar KZ-Leute gingen heute an mir vorüber in ihren breit weiß-blau-gestreiften
Sträflingsanzügen. Sie bekommen alle die bei uns beschlagnahmten Anzüge. Überall sieht
man die nach dem ›Konstanzer Hof‹ weisenden Tafeln in Schablonenschrift: Centre
d’acceuil des prisonniers et déportés«, notierte der Konstanzer Lehrer Herbert Holzer am
15. Juni 1945 etwa zwei Monate, nachdem für Konstanz der Krieg zu Ende gegangen war. [1]
Dass Überlebende der nationalsozialistischen Verfolgung und Zwangsarbeiter aus allen
Herren Länder im Sommer 1945 im Konstanzer Stadtbild präsent waren, wundert angesichts der Tatsache nicht, dass die französische Besatzungsmacht rund 3 000 Verschleppte
oder Displaced Persons (DPs) in Konstanz und Umgebung sammelte, um sie zu repatriieren. Unter ihnen befanden sich auch jüdische DPs überwiegend aus Ost-und Südost-Europa. Aufgrund dieses Sachverhalts entwickelte sich Konstanz zu einem Zentrum jüdischen Lebens in der französischen Besatzungszone (FBZ), und zwar in dreifacher Hinsicht.
Erstens blieb Konstanz als Grenzstadt in den ersten Nachkriegsjahren Sammelpunkt für
ehemalige jüdische KZ-Häftlinge und Überlebende des Holocausts. Zweitens wurde es Sitz
der jüdischen Hilfsorganisation »American Joint Distribution Committee (AJDC)« in der
FBZ, die sich um die Versorgung dieses Personenkreises kümmerte. Schließlich wurde
Konstanz zum Sitz des einzigen jüdischen Zentralkomites (ZK) in der gesamten FBZ, das
sich vor allem für die Juden im Südteil der FBZ zuständig fühlte, wo schwerpunktmäßig
ähnliche Sammelpunkte für jüdische DPs in Konstanz-Egg, Gailingen, Biberach-Jordanbad, Saulgau, Lindau, Ravensburg und Freiburg eingerichtet wurden.
Der Jude Jakob vor Gericht
(2020)
Die jüdische Gemeinde in Konstanz erlebte im Spätmittelalter eine durchwachsene Geschichte. Neben dem friedlichen Miteinander in der Stadt wurde sie im Zuge der Pestpogrome vertrieben und siedelte sich erst Ende des 14. Jahrhunderts wieder an. Kurze Zeit später kam es im Rahmen der Ravensburger Ritualmordvorwürfe erneut zur Verfolgung und mehrfachen Einsperrung der Juden in Konstanz, bis diese 1448 die Stadt, vermutlich endgültig, verlassen mussten.
Jubiläen bieten willkommene Anlässe, sich auf die Historie zu besinnen. Während 2014 vielerorts der Erste Weltkrieg das beherrschende Thema war, stand das Jahr in
Konstanz überwiegend im Zeichen des Konziljubiläums. Noch bis 2018 wird man sich
verstärkt mit der größten Kirchenversammlung des Mittelalters auseinandersetzen – ein
Gedenk-Unterfangen, dem mehrjährige Planungen vorausgingen. Eine von vielen Ideen
war es, im Jahr 2017 ein »Belehnungsfest« zu feiern, 600 Jahre nachdem König Sigismund auf dem Obermarkt dem Hohenzollern Friedrich VI., Burggraf von Nürnberg,
förmlich die Herrschaft über Brandenburg übertragen hatte. Das am Platz gelegene Haus
Zum hohen Hafen erinnert noch heute mit seiner historistischen Fassadenmalerei an das
Ereignis. Streng genommen hatte Sigismund bereits im April 1415 Friedrich unter gewissen Einschränkungen zum Markgrafen und Kurfürsten erhoben, was also als Vorwand
für diesen Beitrag zum jetzigen Zeitpunkt dienen könnte. Es lohnt sich aber unabhängig
davon, das Thema Preußen und Konstanz einmal näher zu betrachten.
Am 18. Juli 1548 [2]
baten der Bürgermeister und die Räte von Überlingen ihre Kollegen in St. Gallen in einem Brief um Hilfe. Sie schrieben, dass zur Zeit Mangel an Butter herrsche und baten die St. Galler darum, auf den eigenen und umliegenden Märkten
Butter für sie einzukaufen und ihnen zukommen zu lassen. Der Brief veranschaulicht
den schon damals und seit langer Zeit bestehenden Austausch von Gütern über den
Bodensee: Die Überlinger schrieben, das regelmässig von Überlingen nach Steinach [3]
fahrende Getreideschiff könnte als Gegenfuhre Butter nach Überlingen transportieren,
um sie in dieser Notzeit zu »beschmalzen«. Briefe wie dieser, in der Fachsprache »Missiven« genannt, veranschaulichen die engen sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen,
die die Anrainer des Bodensees miteinander verbanden. So trennend der See heute er So trennend der See heute erscheint – historisch betrachtet war er ein verbindendes Element, das einen regen Austausch von Gütern und damit entsprechend enge Beziehungen ermöglichte. [4] Einzelne
Bereiche und Zeitabschnitte des Austauschs über den See sind bereits gut untersucht, in
anderen fehlt es bislang noch an Grundlagenstudien.
Es war Ende Oktober 1414, als es auf dem Arlberg in der Nähe der heutigen Ortschaft Klösterle zu einem Aufsehen erregenden Unfall kam. Johannes XXIII. oder Baldassare Cossa (1410–1415), wie der damalige Papst mit bürgerlichem Namen hieß, war bei widrigen Witterungsverhältnissen aus seinem Reisewagen in den offenbar frisch gefallenen Schnee gestürzt. In einer einige Jahre nach dem Konstanzer Konzil verfassten Chronikversion, die noch heute im Rosgartenmuseum in Konstanz liegt, heißt es: „Und do er kam uf den Arlenberg, by dem mittel nach [nah] by dem clösterlin, do viel sin wagen umb und lag in dem schne, und lag er under dem wagen in dem schne, wann der schne dozemal gevallen was.“ Papst Johannes XXIII. war am 1. Oktober in Bologna aufgebrochen und hatte den Weg über Ferrara, Verona, Trient, Bozen, Brixen, Meran, den Reschenpass und über Landeck zum Arlberg genommen. Sein Ziel war die Reichs- und Bischofsstadt Konstanz am Bodensee, wo am 1. November 1414 ein Generalkonzil stattfinden sollte, zu dem er am 9. Dezember 1413 feierlich mit einer Bulle alle Glieder der Christenheit eingeladen hatte. Der Sturz war nicht ganz ungefährlich, aber derartige Reiseunfälle dürften für einen im Spätmittelalter Reisenden keineswegs unüblich gewesen sein, zumal in gebirgigem und unwegsamem Gelände.
Prekäre Erinnerungsorte
(2013)
In jüngerer Zeit sind Straßennamen in der Region wieder verstärkt ins Gerede
gekommen. 2010 diskutierte St.Gallen die Umbenennung der Jahnstraße, die auf den
so genannten Turnvater, Nationalist und Antisemit Friedrich Ludwig Jahn verwies. [1]
Zwei Jahre zuvor war bereits die dortige Paul Kruger-Straße umbenannt worden, weil
ihr Andenken an den auch als »Ohm« Kruger bekannten Apartheidpolitiker nicht mehr
statthaft schien. [2] Im März 2012 beschloss der Konstanzer Gemeinderat auf Vorschlag
der Straßenbenennungskommission die Umbenennung der Von-Emmich-Straße, die
auf den einstigen Konstanzer Standortkommandeur und späteren Weltkriegsgeneral
Otto von Emmich verweist. [3] In Radolfzell wurde im gleichen Jahr eine Umbenennung
der Lettow-Vorbeck-Straße diskutiert, und auch der Denkmalwert der an die Kriegsflieger Max Immelmann und Oswald Boelcke erinnernden Straßen wurde auf den Prüfstein gelegt. [4]
Am Abend des 7. Dezember 1815 erreichten mehrere Kutschen Konstanz und
zielten auf die Markstätte, genauer gesagt, auf das Hotel »Goldener Adler«. Daraus entstiegen eine ehemalige Königin und ein kaiserlicher Prinz sowie deren kleiner Hof. Sie
hieß Hortense Bonaparte (1783-1837), geborene de Beauharnais, Ehefrau von Louis
Bonaparte (1778-1846), Königin von Holland im Exil, mit dem Titel der Herzogin von
Saint-Leu versehen, Tochter aus erster Ehe der Kaiserin Josephine (1763-1814 ), Adoptivtochter und Schwägerin Kaiser Napoleons I. (1769-1821) und seine Erbin. Bei dem Prinzen
handelte es sich um ihren jüngsten Sohn, Charles Louis Napoleon Bonaparte (1808-1873),
den Neffen Napoleons I. Vom ehemaligen Ruhm schien an beiden nichts mehr zu haften. Die Königin war erschöpft und durchgefroren und ihre Begleiter fühlten sich auch
kaum wohler. Ferdinand Mayer, der Wirt des »Adler«, vermietete ihnen im zweiten Stock
seiner Herberge das einzige einigermassen annehmbare Appartement. Mit letzten Kräften stieg Hortense die Wendeltreppe empor; dort angekommen, konnte sie endlich aufatmen: Sie waren im Grossherzogtum Baden, dies war ihr endgültiges Asyl; hier durften
sie bleiben.
Wer, meine sehr verehrten Damen und Herrn, durch ein Kaleidoskop blickt, erblickt viele Bilder, genauer: ein Bild in vielfach gebrochenen Formen, freilich so, dass sich daraus eben ein Anblick von vielen, schönen und bunten Formen erschließt. Und eben dies ist mein Anliegen: Ihnen im gesprochenen Wort ein paar wenige historische Bilder vor Augen zu malen. Ob sich daraus ein Bild ergibt? Ich weiß es nicht. Aber der Bezugspunkt ist klar. Es ist der evangelische Gottesdienst in der Schlosskapelle bzw. -kirche und dessen 150. Jubiläum.
In der schwäbisch-alemannischen Fasnet ist man seit Jahrzehnten bestrebt, seine
Wurzeln zu finden. Wurden diese Wurzeln seit den 1930er Jahren durch die nationalsozialistische Ideologie in vorchristlicher Zeit definiert, in denen die angeblich germanischen Riten der Winteraustreibung eine zentrale Rolle spielten, so hat erst Dietz-Rüdiger
Moser1 1986 den christlichen Ursprung der Fastnacht au f wissenschaftlicher Grundlage
nachgewiesen. Bei dieser christlichen Auslegung der Fastnacht spielt der Dualismus der
lasterhaften Welt einerseits mit der tugendhaften christlichen Lebensweise in der vorösterlichen Fastenzeit andererseits eine zentrale Rolle. Nachdem Werner Mezger 1991
seine Studien zum Fortleben des mittelalterlichen Fastnachtsbrauchs in der europäischen
Festkultur vorgelegt hat, wird versucht, die überlieferten Figuren in der schwäbisch-alemannischen Fasnet au f das Mittelalter zurückzuführen. Das 18. und das 19. Jahrhundert werden dagegen kaum zur Kenntnis genommen, da man glaubt, die schwäbisch-alemannische Fasnet habe mit dem »Carneval« nichts gemein. Doch gerade im barocken
Karneval des 17. und 18. Jahrhunderts, wie er an den Fürstenhöfen, Adelsresidenzen,
beim städtischen Patriziat und an den Kloster- und Jesuitenschulen zusammen mit den
Zunftbürgern der Städte im Sinne einer Maskerade mit gezielten Anspielungen auf Sitten und
moderne Torheiten3 praktiziert wurde, liegen die gemeinsamen Wurzeln des so genannten
rheinischen Karnevals wie auch der schwäbisch-alemannischen Fasnet.
Oskar von Wolkenstein beschrieb Konstanz während des Konzils von 1414-1418 als „Paradies am Bodensee“: „Wer wär’ in dieser Stadt nicht froh! Ja, Lust und Freude findet man in Kostnitz viel und mannigfalt.“ Tatsächlich erlebte die Stadt in diesen Jahren eine beeindruckende Blütezeit. Konstanz lag damals im Schnittpunkt der Handelsstraßen nach Oberitalien, Frankreich und Osteuropa und avancierte zu einem wichtigen Handelsplatz für Pelze, Leinen und Gewürze. Die Bedeutung der Stadt
zeigt sich auch darin, daß sie als Austragungsort des Konzils ausgewählt wurde, in dem Kirchenvertreter aus allen europäischen Ländern hier tagten. Noch bis zum Jahre 1827 war Konstanz Bischofssitz des größten deutschen Bistums. Aus dieser Blütezeit der Stadt gibt es heute noch viele Zeugnisse. Konstanz hat eine schöne historische Altstadt mit vielen Erinnerungen an die Vergangenheit, die jährlich tausende Touristen aus Nah und Fern anlockt und viel zu ihrer Beliebtheit als internationaler Tagungsort beiträgt. Dies verdanken wir dem glücklichen Umstand, daß die Stadt in den Kriegen der Vergangenheit immer vor größeren Zerstörungen bewahrt wurde.