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Heinrich Eberhard Gottlob Paulus, rationalistischer Bibelexeget und Theologe, der in Heidelberg den Vortrag zum Reformationsjubiläum am 31.10.1817 zu M. Luthers „Heidelberger Disputation“ (26.4.1518) hielt, zeichnete in sein Verständnis von „Denkgläubigkeit“ Luthers Disputationsthesen und sein Bild von Luther und der Reformation ein.
Nach (1.) einem Überblick über Paulus’ Leben und Werk, wird (2.) sein Säkularvortrag „Auch zu Heidelberg war Doktor Martin Luther“ dargestellt mit (2.1.) dem Blick auf Luthers „Heidelberger Disputation“ und (2.2.) Paulus’ Bild von Luther und
der Reformation. Es folgt (3.) eine Einordnung in den geistesgeschichtlichen Zusammenhang und eine kritische Wertung von Paulus’ denkgläubiger Interpretation von Luthers reformatorischem Rechtfertigungsglauben.
Die theologischen Thesen, die Martin Luther 1518 in Heidelberg vortrug und mit Theologieprofessoren der Universität diskutierte, fanden seit 1520 durch den Druck weite Verbreitung im gesamten Reich und werden bis heute vielfältig als ein Schlüsseltext für seine frühe Theologie rezipiert. Auch der genaue Ablauf der Heidelberger Disputation ist ereignisgeschichtlich in der Forschung bereits mehrfach detailliert untersucht worden. Weniger im Blickpunkt stand dagegen bisher die persönliche Interaktion Luthers mit seinem Heidelberger Publikum und die Wirkung, die er, vermittelt durch diese Zuhörer, im südwestdeutschen Raum entfalten sollte. Luthers Charisma ist vielfältig belegt. Es ist daher anzunehmen, dass er im persönlichen Kontakt stärkere Überzeugungskraft entfalten konnte, als dies durch eine rein schriftliche Vermittlung seiner Theologie möglich gewesen wäre. Diese Möglichkeit zur persönlichen Überzeugung eines südwestdeutschen Publikums sollte sich – abgesehen von dem Verhör Luthers in Worms 1521, bei dem auch zahlreiche Adlige aus dem Südwesten anwesend waren, das aber eine vollkommen andersartige Ausrichtung hatte – später nicht noch einmal bieten: Das Wormser Edikt beschränkte ab 1521 Luthers persönlichen Wirkungskreis auf Kursachsen. Die Heidelberger Disputation war insofern eine einmalige Gelegenheit, um Personen, die später zu Schlüsselfiguren der südwestdeutschen Reformation avancierten, persönlich zu beeindrucken und für seine Ideen zu gewinnen. Neben der Disputation bot der Aufenthalt in Heidelberg zudem Gelegenheit, bei persönlichen Treffen und Abendessen Bekanntschaften zu schließen und Sympathien zu gewinnen: ein Netzwerk, das vermutlich dazu beitrug, Luther eine verlässliche Basis für künftige Kooperationen zu schaffen, die dann über schriftlichen Austausch und durch die Vermittlung Dritter fortgeführt werden konnten.
Es ist in erster Linie dem Jubiläum geschuldet, dass wir uns heute an Luthers Heidelberger Disputation erinnern lassen. Dass wir dies als badischer Verein tun, bedeutet zugleich einen Anachronismus der Betrachtung einer im Jahre 1518 gar nicht badischen Stadt – der Übergang an Baden vollzog sich erst 1802/03 –, sondern eben der kurpfälzischen Residenz Heidelberg. Aber auch hier droht eine irrige Annahme. Denn Luthers Weg nach Heidelberg ist ja gar nicht dem kurpfälzischen Hof geschuldet gewesen, sondern Angelegenheiten seines Ordens. Dennoch – die Ausstrahlung der Disputation auf den Südwesten ist ja kein Zufall – können wir als erstes zur Kenntnis nehmen: Soweit südwestlich ist Luther in seinem ganzen Leben nur noch einmal drei Jahre später zum Reichstag nach Worms nicht gekommen, wenn man so will: „badischer“ wurde er nie. Die sachliche Bedeutung der Heidelberger Disputation ist freilich eine, die uns weder badisch noch kleinräumig denken lassen kann. Blenden wir ins Jahr 1518, so blicken wir nicht nur innerhalb der Biographie Luthers auf eines der wichtigsten Jahre des frühen Reformation, und zwar auf ein Jahr mit zwei Eckpunkten, nämlich im Oktober das Augsburger Gespräch mit Thomas de Vio aus Gaeta (Cajetan, 1469–1534) – und im Frühjahr eben die Heidelberger Disputation. Und sich an sie zu erinnern liegt vor allem daran, dass Luthers Disputation eine im Vorfeld nicht zu ahnende oder gar zu erwartende Wirkungsgeschichte entfalten sollte.
Fides Heidelbergensis
(2015)
Ob Luther tatsächlich die 95 Ablassthesen an der Schlosskirche zu Wittenberg angeschlagen hat, wie Melanchthon 1546 in seiner Historia Lutheri beschreibt, oder ob man aus der Tatsache, dass Luther diese Thesen auch an Erzbischof Albrecht von
Mainz und Magdeburg als für Wittenberg zuständigen Ortsbischof gesandt hat, schließen kann, der „Thesenanschlag“ sei eine spätere Legendenbildung, kann hier auf sich beruhen bleiben. Ich würde aus der Aufforderung an diejenigen, die nicht
anwesend sein und mündlich mit uns debattieren können, dieses in Abwesenheit schriftlich zu tun, schließen, dass Luther von Anfang an zweigleisig fuhr, um eine möglichst breite Diskussionslage zu schaffen; denn die Angelegenheit war ihm offensichtlich so wichtig, dass er um der Kirche willen, amore et studio elucidande veritatis, die strittigen Fragen nicht auf sich beruhen lassen konnte, sie aber auch nicht im Alleingang beantworten wollte.
Zwischen der Durchsetzung der Reformation unter Ottheinrich 1556 und der Veröffentlichung des Heidelberger Katechismus 1563 liegt für die Kurpfalz ein etwa siebenjähriges Ringen um die konfessionelle Identität des neuen evangelischen Kirchwesens. Das Land wandelt sich in dieser Zeit von einer Schaubühne der großen innerreformatorischen Lehrstreitigkeiten zu einem eigenständigen Akteur im konfessionspolitischen Kräftespiel der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Besonders
fassbar wird diese Wandlung anhand einer Momentaufnahme aus dem Sommer 1560. Zeitzeugenberichte verschaffen zuerst einen Eindruck von den Protagonisten und Frontstellungen dieser Zeit. Das entstandene Bild soll dann zweitens in den Kontext
der politischen und der kirchlichen Entwicklungen in der Kurpfalz seit 1556 eingebunden werden. Drittens wird nach der Bedeutung der Momentaufnahme für den Weg zum Heidelberger Katechismus zu Fragen sein.