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- Kaschnitz, Marie Luise 〈1901-1974〉 (3) (entfernen)
Im Grunde war alles nach Hause geschrieben, in das Nebelland, las ich, Satz am Ende eines Buches wie eines Lebens, und wußte nun auch, daß dies mein Satz war. Er stand bei der Kaschnitz. „Die Kaschnitz“, das hörte sich wie ein schönnamiger südsteirischer Alpengipfel an - oder wie ein Gewässer jenseits der Elbe. Die Kaschnitz: das hätte auch nur eine Anhöhe sein
können oder ein Fluß. Ein Ort. Wahrscheinlich ist Kaschnitz selbst ein Ort. Er stand in meinem Lesebuch. Auch die Gedichte, die unter diesem Namen standen, waren Orte: „Genazzano“ und „Herbst im Breisgau“. Eine ortskundige, ortserfahrene Person muß diese Dichterin gewesen sein. Viel herumgekommen, geboren in Karlsruhe, wenig später schon Potsdam, Berlin, Weimar, Wien, München, Rom, Frankfurt, Rom. Davon konnte ich nur träumen! Dazu schrieb sie auch noch: Gedichte, die Orte waren,
Bücher, die „Orte“ hießen. Und noch genauer: „Engelsbrücke“, zum Beispiel.
Keine Spur?
(2001)
Das letzte Wort in dem letzten Buch, das Marie Luise Kaschnitz schrieb, war: Spur. „Ich gehe immer weiter, weiter nach Osten, und meine Füße hinterlassen keine Spur.“ Was sie beschrieb, war, wie so oft, ein Traum - in Wirklichkeit hat sie sehr wohl eine Spur hinterlassen, nämlich ein Werk, und zwar gar kein kleines, schmales: Gedichte, Erzählungen, Romane,
Hörspiele und die tagebuchartige Prosa, die sie am Ende am liebsten schrieb; insgesamt rund 30 Bücher. Ein großes Werk also, aber auch ein einheitliches, d. h. eines, das durch thematische Klammern zusammengehalten wird; und eine von ihnen, ja sogar eine von den stärksten, ist die autobiographische. Schon 1961 hat Horst Bienek in einem seiner sogenannten Werkstattgespräche gefragt, ob „das Werk eines Schriftstellers [...] ohne autobiographische Elemente denkbar“ sei; und Marie Luise Kaschnitz hat geantwortet: „Ich glaube, dass niemand ohne eigene Erfahrungen zu verwenden schreiben kann. Es müssen aber nicht immer ausgewachsene Erlebnisse sein. Es können Keime von Erlebnissen sein, auch Keime von Anlagen und Ansichten, die man in sich trägt und die man dann literarisch entwickelt, Möglichkeiten also, die im eigenen Leben vielleicht niemals zur Entfaltung kommen. Je reicher ein Schriftsteller ist, desto größer sind seine eigenen derartige
Möglichkeiten, also das, was man seine Phantasie nennt. Ich bin in dieser Beziehung nicht besonders begabt.“
Ein Baum und eine Schaukel
(2008)
Dass die Eindrücke, die man als Kind empfing,
nicht verlöschen, selbst „in ihren kleinsten
Teilen“ nicht, hat schon Goethe behauptet
(und in seinen autobiographischen Schriften
auch bewiesen). „Man denkt doch am längsten
dran, was einem in der Jugend begegnet ist“2,
heißt es auch bei Johann Peter Hebel; was der
sogenannte Hausfreund freilich ganz natürlich
findet, denn „man hat am längsten Zeit, daran
zu denken“3. Und woran denkt man dann? An
Ereignisse, Erlebnisse, an Menschen und an
Dinge; ja, auch an Dinge, die etwas bedeuteten,
auch wenn man oft nicht wusste, was es war;
vielleicht war es ja das Leben, das eigene,
selbst.