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- Evangelische Landeskirche in Baden (61) (entfernen)
»Aus der Trennung heraus!«
(2021)
1818 Badische Verfassung und 1821 Badische Kirchenunion sind zwei Daten des gleichen modernitätsgeschichtlichen Integrationsprozesses im Zusammenhang mit der Konstituierung und Konsolidierung des Großherzogtums. Damit ist die evangelische Landeskirche von vornherein in die gesellschaftliche Transformation eingebunden. Aus dieser »Gründungszene«, so wurde 2021 wieder bewusst gemacht, hat »die Evangelische Landeskirche in Baden ihre Gestalt und ihr Profil als öffentliche Kirche« entwickelt (J. C. Bundschuh). Weil Verfassung und Kirchenunion am gleichen »gesellschaftlichen Transformationsprozess« teilnehmen, ist 1821 ein Thema der ganzen badischen Geschichte. Über das Gründungsdatum hinaus gilt die Union heute als »Ausgangspunkt für ein fruchtbares interreligiöses Gespräch« und als eine Perspektive für ein ökumenisches Miteinander im 21. Jahrhundert. Das Jubiläum wird publizistisch in Erinnerung gebracht durch einen »Bildatlas zur Kirchengeschichte«, einer Vorlesungsreihe der Pädagogische Hochschule und einer Ausstellung im Generallandesarchiv Karlsruhe.
Abgesehen von kirchenmusikalischen Beiträgen im Umfeld des Hofes oder in bürgerlichen Kreisen der größeren Städte wies die kirchenmusikalische Praxis zur Zeit der Union 1821 mit Blick auf das Orgelspiel und den Gemeindegesang große Defizite auf, die auch das neue Unionsgesangbuch von 1836 nicht auffangen konnte. Das änderte sich erst, als 1880 im Zusammenhang mit der Herausgabe eines neuen Gesangbuchs (1883) ein Kirchenchorverband gegründet wurde, der nicht nur den Gemeindegesang befördern sollte, sondern eine Vielzahl von Kirchenchören überall im Lande hervorbrachte und mit geeigneter Chorliteratur versorgte. Zur gleichen Zeit entstanden auch die Posaunenchöre, die zu einem besonderen Markenzeichen der Kirchenmusik in Baden avancierten. Zur Verbesserung des Orgelspiels wurden Fortbildungsveranstaltungen organisiert, die zur Keimzelle einer Professionalisierung im Bereich der Kirchenmusik wurden. 1919 wurde mit Hermann Meinrad Poppen der erste Landeskirchenmusikdirektor in Baden bestellt, dessen Bemühungen es u. a. zu verdanken ist, dass 1931 in Heidelberg das Kirchenmusikalische Institut (heute Hochschule für Kirchenmusik) gegründet werden konnte. Seit den 1950er Jahren hatte Baden durch bekannte Vertreter des Neuen Geustlichen Liedes wie Martin Gotthard Schneider und Rolf Schweizer maßgeblichen Anteil an der Etablierung des neuen Liedguts in den Gottesdiensten der Gemeinde und im Evangelischen Gesangbuch von 1993.
Zeitgenossen und Historiker bezeichneten die Geschichte der evangelischen Kirche im Nationalsozialismus als Kirchenkampf, als Kampf widerchristlicher Kreise in Staat und Partei gegen die Kirche. Diese eindeutige Frontstellung entsprach dem früh gepflegten kirchlichen Selbstbild, aber nicht der historischen Realität. Stattdessen dominierten Widersprüche, die sich theologisch mit Defiziten in der politischen bzw. der Staatsethik erklären lassen, das Bild: weitgehende Zustimmung zur Politik des Regimes und Einspruch gegen die staatliche Religionspolitik, um die Institution Kirche zu erhalten; amtliches Schweigen und individueller Protest gegen staatliches Unrecht; unermüdliches Einfordern von Rechtstiteln durch die Kirche trotz früher eigener Unterdrückungserfahrung und der Tatsache, dass Zusagen von Partei und Staat nur von taktischer Natur und Rechtsbrüche an der Tagesordnung waren.
»… und ruht in Gottes Hand«
(2021)
Die Union der lutherischen und reformierten Kirche in Baden ist von der Geschichte des entstehenden Großherzogtums nicht zu trennen. Möglich wurde die Union durch die Auflösung des konfessionellen Kirchentums. Sinnvoll wurde sie als Bündelung der protestantischen Kräfte in einer mehrheitlich katholischen Bevölkerung und zur Konsolidierung der als Staatsanstalt begriffenen Kirche. In kirchlicher Sicht ging es um zwei Errungenschaften: die Bildung einer vereinigten Kirche aus dem Geist der freien Schriftforschung und einer für die Kirchengemeinschaft tragfähigen konsensualen Lehre im Abendmahl. Nicht vollendet war die Union für die, denen zur freien Kirche auch die Freiheit einer selbständigen Kirche gehörte, die in der verfassungsmäßigen Gestalt der Generalsynode als Repräsentativorgan zur Geltung kommen sollte. Darin liegt die geschichtliche Dynamik der der Unionskirche im 19. Jahrhundert.
Ein Grundlagenvertrag zwischen Kirche und Staat ist, wenn nicht ein Jahrhundertwerk, so doch ein Meilenstein in der Beziehungsgestaltung zwischen beiden Institutionen. Aufgrund ihrer Kultushoheit sind es grundsätzlich die Bundesländer, die mit den auf ihrem Gebiet liegenden Kirchen Verträge abschließen. Sie gelten als Staatsverträge, auch wenn sie sich selbst nicht
so nennen, sondern Kirchenvertrag oder Staatskirchenvertrag. Der baden-württembergische Vertrag von 2007 spiegelt das gewachsene Staat-Kirche-Verhältnis wider. Die Vorgeschichte dieses Vertrags führt zu den Anfängen der badischen Landeskirche zurück. Der Inhalt des Vertrags gestaltet die Gegenwart und weist in die Zukunft.
Just im Jahr des 200sten Unionsjubiläums blicken die jüdischen Gemeinden hierzulande auf 1700 Jahre Präsenz nördlich der Alpen, beginnend im Köln des vierten Jahrhunderts. Eine zeitliche Koinzidenz, die neu nach der Beziehung der Kirche zum Judentum fragen lässt. Auch die badische Union hat sich in mühsamen Schritten erst befreien müssen von den alten überkommenen Mustern der Judenfeindschaft. Tiefgreifende Neuaufbrüche im christlich-jüdischen Verhältnis liegen in den 1980er Jahren. Es hat wohl die Spanne der 40 Jahre nach der Schoa gebraucht, bis es zu substanziell wirklich neuen Überzeugungen kam: Das wegweisende Synodalwort der badischen Landeskirche 1984 formulierte die nicht mehr zu hintergehende Einsicht in die Treue Gottes zu seinem Volk, die unverbrüchlich ist und in das Selbstverständnis
auch der christlichen Kirche eingezeichnet bleibt. Wurde in der christlichen Tradition die Kirche weithin als Nachfolgerin und Erbin eines abgetanen Judentums verstanden, so begegnet heute die Kirche – auch die badische – den jüdisch glaubenden Menschen als Partnerinnen und Partner unter dem weiten Bogen der Beziehung zu dem einen Gott.
Die Arbeit befasst sich mit der Neuordnung der „Vereinigten Evangelisch-protestantischen Landeskirche Badens“ nach Kriegsende. Sie basiert darauf, dass sich zwischen 1933 und 1945 in Freiburg Widerstand gegen das totalitäre Regime früh organisierte, und will zeigen, wie sich der Freiburger Widerstand auf den Wieder- und Neuaufbau der badischen Landeskirche ausgewirkt hat. 1945 waren einzig der Landesbischof und zwei Oberkirchenräte noch verfassungsgemäß besetzt, Bischof D. Julius Kühlewein und die Oberkirchenräte Dr. Otto Friedrich und Gustav Rost. Um nach dem Krieg die Ordnung wiederherzustellen beschloss der Evangelische Oberkirchenrat (EOK) im Juli 1945, die Zuständigkeit des Erweiterten Oberkirchenrates (ErwOKR), die 1934 im Verlauf der Eingliederung der Landeskirche in die Reichskirche an den EOK übertragen worden waren, wieder herzustellen. Verfassungsgemäß musste der ErwOKR dafür zunächst mit Hilfe der Landessynode neu gebildet werden. Da nach 1934 jedoch keine verfassungsgemäße Landessynode mehr bestand, wurde dem Landesbischof die Ernennung aller sechs (zuvor waren es vier) Mitglieder des ErwOKR übertragen.
Im Jahr 2021 feiert die Evangelische Landeskirche in Baden nicht nur das Jubiläum ihrer Union, sondern auch 50 Jahre rechtlicher Gleichstellung im Pfarramt. Denn am 27. April 1971 wurde mit einem simplen, heute fast banal erscheinendem Satz Geschichte geschrieben: Pfarrer im Sinne der Grundordnung ist auch die Pfarrerin. Damit beendete die Landessynode 55 Jahre rechtlich legitimierter Diskriminierung von Theologinnen in der Evangelischen Landeskirche in Baden. Ein langer und steiniger Weg von der erstmaligen Zulassung einer Frau zu den theologischen Examina im Jahr 1916 bis zur ersten offiziellen badischen Gemeindepfarrerin im Dezember 1971. Der vorliegende Beitrag erläutert zunächst die grundlegenden Voraussetzungen zur Entstehung eines Theologinnenamtes, bevor die ersten Entwicklungsschritte dieses Amtes in Baden in Anlehnung an die Biographien von drei frühen badischen Theologinnen in den Blick genommen werden. Die Diskussion zwischen Landesbischof Julius Bender und Doris Faulhaber als Vertreterin des badischen Theologinnenkonvents im Zuge der Neuordnung der Landeskirche nach dem Zweiten Weltkrieg wird in einem eigenen Abschnitt vertiefend betrachtet. Im weiteren Verlauf werden
die wichtigsten gesetzlichen Regelungen bis 1971 vorgestellt.
Bereits im September 1945, nur rund vier Monate nach Kriegsende, erschien das Gesetzes- und Verordnungsblatt (GVBL.) der Badischen Landeskirche wieder – die erste Ausgabe vom 13. September 1945 umfasste lediglich drei Seiten: einziger Inhalt war der erste Brief des badischen Landesbischofs Julius Kühlewein an alle evangelischen Gemeinden, den er schon am 26. Juni 1945 verfasst hatte. Die letzte Ausgabe des Gesetzes und Verordnungsblattes vor dem Kriegsende war am 11. November 1944 in Karlsruhe veröffentlicht worden. Nach den schweren Bombenangriffen auf Karlsruhe am 27. September und am 4. Dezember 1944, bei denen auch das Dienstgebäude des Oberkirchenrates in der Blumenstraße schwer beschädigt worden war, konnte das Gesetzesblatt nicht mehr hergestellt werden. Das Gesetzes- und Verordnungsblatt gehörte zu den ersten Publikationen, die die US-Amerikaner in ihrer Besatzungszone genehmigten. Auf der letzten Seite trug das GVBl. in den ersten Nachkriegsjahren den Lizenzvermerk der US-Besatzungsbehörde Mit Genehmigung der Publications Control 7.8.45 beziehungsweise später Mit Genehmigung der Publications Control Nr. 4785. Die ersten Ausgaben des Gesetzes- und Verordnungsblattes der Evangelischen Landeskirche in Baden sind ein beeindruckendes atmosphärisches Zeugnis über die Sorgen und Nöte jener ersten Nachkriegsjahre.
Berichte aus den Kirchenbezirken sind für die kirchliche Zeitgeschichtsforschung auch in Baden von großer Bedeutung, geben sie doch oft ein sehr ausführliches, durchaus selbstkritisches und beinahe flächendeckendes Bild der Landeskirche in
einer bestimmten Epoche ab. Der hier vorliegende Bescheid des Oberkirchenrates vom Juli 1982 behandelt die Hauptberichte der Bezirkssynoden, die 1981 zum Thema „Amtshandlungen der Kirche als Herausforderung zu missionarischem Handeln“ getagt hatten. Es ist der erste Bescheid in der Ära von Landesbischof Klaus Engelhardt (1980–1998) und gleichzeitig für lange Zeit der letzte Bescheid des Oberkirchenrates auf die Berichte aus den Bezirkssynoden. Das nächste Mal gab es einen solchen Bescheid erst wieder 1995 zum Sonderthema der Synoden „‚… Als Mann und als Frau‘ – in Kirche und Gesellschaft“. Bis 1963 waren diese Bescheide und die Themen der Bezirkssynoden allgemein-kirchlich gehalten, später gab es dann spezifische Fragestellungen. Aufgrund der Thematik bieten die Berichte von 1981 ein interessantes Bild der volkskirchlichen Situation in Baden zu Beginn der 1980er, das zwischen scheinbarer Stabilität („Beim Sterben ist die Welt noch in Ordnung“) und deutlichen
Krisensymptomen oszillierte.
Pfarrer gefeuert! Er taufte keine Babys, so die Schlagzeile der Bildzeitung am 11. Februar 1969 über die Vorgänge um den Kieselbronner Pfarrer Johannes Weygand, die ganz im Stil der Zeitung natürlich vereinfachte und verkürzte, jedoch zielgenau die Problemstellung formulierte: Pfarrer gefeuert! – Es geht zum einen um das kirchliche Dienstrecht. Er taufte keine Babys. – Zum anderen geht es um die kirchliche Lehre und Praxis der Taufe. Sündiger Seelenhirte oder Möbelschreiner? – Ein Pfarrer, der sein eigenes Kind nicht tauft, so überschrieb die Zeit bereits zwei Monate zuvor, am Nikolaustag 1968, ihren etwas differenzierteren Artikel über die Geschehnisse in Kieselbronn und bezog sich auf eine Aussage Weygands, lieber wieder in seinem erlernten Handwerk weiterzumachen als wider seinen Glauben zu handeln: lieber rechtschaffener Möbelschreiner als sündiger Pfarrer. Damit soll Weygands Gewissensbindung gezeigt werden, die mit den Worten „Hier stehe ich und kann nicht anders“ mit derjenigen Martin Luthers auf dem Reichstag zu Worms verglichen wird – und mit der Beschreibung der
Stimmungsänderung von Kirchenleitung und Gemeinde in der Beurteilung Weygands durch die Ausrufe „Hosianna“ zu „Kreuziget ihn“ gar mit dem Schicksal Christi.
Die Evangelische Landekirche in Baden hat seit 1821 den Bekenntnistand einer sog. Bekenntnisunion. Vor allem von lutherischer Seite hat es seit jeher starke Vorbehalte gegen die Unionsbildungen gegeben. Bereits im 19. Jahrhundert hat das zur Separation der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Baden von der Landeskirche geführt. Aber auch innerhalb der Landeskirche gab es heftige Auseinandersetzungen über das Verhältnis von Lehr- und Kircheneinheit in der Union und die Frage, welche Bedeutung der Anerkennung bestimmter Bekenntnisschriften in der Kirchenverfassung theologisch und rechtlich zukommt. Dieser Streit wurde zuletzt mit Vehemenz im Zusammenhang mit der Neuordnung der kirchlichen Verhältnisse nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in öffentlicher Synodaldebatte ausgetragen. In der Diskussion
über den Vorspruch zur neuen Grundordnung der Landeskirche von 1958 war vor allem der Wortlaut von Abs. 4 hoch kontrovers, der damals in der heute noch gültigen Fassung wie folgt festgelegt worden ist: Sie anerkennt, gebunden an die Unionsurkunde von 1821 und ihre gesetzliche Erläuterung von 1855, namentlich und ausdrücklich das Augsburger Bekenntnis als das gemeinsame Grundbekenntnis der Kirchen der Reformation, sowie den kleinen Katechismus Luthers und den Heidelberger Katechismus nebeneinander, abgesehen von denjenigen Katechismusstücken, die zur Sakramentsauffassung der Unionsurkunde in Widerspruch stehen.
Das absolutistisch regierte Fürstentum Baden brauchte wegen des durch Napoleon beförderten Zusammenbruchs des alten deutschen Reichs und wegen des Zuwaches vieler Gebiete nach „Entschädigung“ für die Abtretung linksrheinischer Gebiete eine neue Verwaltungsstruktur und ein geändertes Staatsrecht. Dieses schuf der Geheimrat Friedrich Brauer (1754–1813) mit seinen 13 Organisations- und seinen Konstitutionsedikten. Die Konstitutionsedikte, eine Zusammenfassung von Grundgesetzen, sollten „unwandelbar sein, mithin auch nur solche allgemeinen Grundzüge enthalten, die nach höchstmöglicher Wahrscheinlichkeit unter allem äußeren Wechsel als unveränderliche Basis fortdauern können.“ Brauer stellte sich hier nicht als Vertreter eines Repräsentativsystems dar, sondern er verfolgte in vielerlei Hinsicht das alte Reichsrecht und übertrug „reichsrechtliche Befugnisse“ auf seinen Souverän, den späteren Großherzog Karl Friedrich.
Die Geschichte einer Kirchen- oder Pfarrgemeinde lässt sich zuverlässig nur mit Hilfe der schriftlichen Überlieferung schreiben, die im Wesentlichen auf den in einem Pfarrarchiv vorhandenen Akten, Amtsbüchern und Urkunden beruht. Pfarrchroniken, die in vielen Landeskirchen verpflichtend waren bzw. sind, oder persönliche Berichte der Pfarrer sind in Baden eher selten anzutreffen, können aber Teil der pfarramtlichen Überlieferung sein. Auch Printerzeugnisse der Gemeinde wie das Gemeindeblatt sind Teil der amtlichen Überlieferung. Zu den Pfarramtsakten können privatrechtliche Unterlagen von kirchlichen Vereinen, etwa dem Kirchenchor oder dem Diakonieverein, hinzutreten; auf sie hat das Pfarramt nur bedingt einen Zugriff, denn es bedarf der unmittelbaren Entscheidung der rechtlichen Vertreter der Vereine, ob diese Unterlagen zur Verwahrung an ein Pfarrarchiv übergeben werden. In den letzten Jahrzehnten wurden gern auch sog. Zeitzeugen zu Vorgängen in der Gemeinde befragt. So wertvoll Zeitzeugenberichte – wenn sie überhaupt schriftlich fixiert wurden – sein können, so bedürfen sie doch immer der Verifzierung anhand der „amtlichen“ Überlieferung. Für Nachlässe aus privater Hand ist ein Pfarrarchiv in der Regel nicht der geeignete Ort; diese oder auch Predigtsammlungen sollten an ein zentrales Archiv, für den Bereich der badischen Landeskirche ist dies das Landeskirchliche Archiv, gegeben werden.
Jubiläen geben Anlass sich zu erinnern. Der Erinnerung und Vergewisserung dienen
Veranstaltungen wie Feiern oder Tagungen und Seminare, mehr noch aber Veröffentlichungen. Das war ebenfalls bei den zurückliegenden Unionsjubiläen der Fall, insbesondere bei dem 100-Jahre-Jubiläum der Union 1921, doch auch bei den anderen
genannten.
Im Allgemeinen handelt es sich um historische Rückblicke, wobei die Vorgeschichte meist mit einbezogen wird, leider so gut wie nie die konkrete Nachgeschichte. Oft werden Bezüge zur Reformation 1517 und zum Reichstag zu Worms 1521
hergestellt. – Im Folgenden wird eine bibliographische Übersicht geboten, keine
tiefergehende inhaltliche Analyse.
Seit den Veröffentlichungen von Caroline Klausing (Die Bekennende Kirche in Baden. Machtverhältnisse und innerkirchliche Führungskonflikte 1933–1945, Stuttgart 2014) und Rolf-Ulrich Kunze („Möge Gott unserer Kirche helfen!“ Theologiepolitik, Kirchenkampf und Auseinandersetzung mit dem NS-Regime. Die Evangelische Landeskirche Badens 1933–1945, Stuttgart 2015) reißt die Diskussion um die Geschichtsschreibung der Evangelischen Kirche in Baden in der Zeit des Nationalsozialismus nicht ab. Beide Beiträge können als quellenbasierte Ausführung der von Klaus Scholder 1973 aufgestellten These eines „badischen Sonderwegs“ zwischen „intakter“ und „zerstörter“ Landeskirche verstanden werden.
Klausing und Kunze argumentieren, in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur seien Badische Bekenntnisgemeinschaft und Kirchenleitung trotz vieler Konflikte nicht zu trennen; es könne nicht von einer oppositionellen im Gegensatz zu
einer regierenden Kirchenleitung gesprochen werden. Auch die Stellung innerhalb der Reichskirche (mit Ein- und Austritt im Sommer bzw. Herbst 1934) zeige, dass Baden eher zu den intakten als zu den zerstörten Landeskirchen gerechnet werden müsse. In der sich anschließenden lebhaften Forschungsdebatte wurde die Notwendigkeit erkannt, die badischen Entwicklungen mit anderen (evangelischen) Kirchen im Südwesten zu vergleichen. Einen ersten länderübergreifenden Vergleich versuchte die Oberrheinische Sozietät unter der Leitung von Johannes Ehmann am 18. Oktober 2018 in Heidelberg. Neben Rolf-Ulrich Kunze und Caroline Klausing konnte Christoph Picker für einen länderübergreifenden Blick gewonnen werden: er stellte die Entwicklung der Pfälzischen Landeskirche im Nationalsozialismus vor. Die Diskussion
in der sehr gut besuchten Sozietät zeigte Konsens, Diskussionen und Forschungsanliegen der Kirchengeschichtsschreibung auf.
Neuanfang nach 1945?
(2019)
In der deutschen Nachkriegsgeschichte spielte immer wieder die Frage eine Rolle: Wie konnte es dazu kommen, dass ehemalige überzeugte Nationalsozialisten nach dem Kriegsende 1945 in Politik und Regierung bald ihre Tätigkeit in herausgehobener Position fortsetzen konnten? Zwei der bekanntesten Beispiele waren Hans Globke und Hans Filbinger. Globke, Jurist und hoher Regierungsbeamter im Dritten Reich, war unter Bundeskanzler Adenauer ein einflussreicher Politiker; bei der Entnazifizierung 1947 aufgrund unwahrer persönlicher Angaben als „unbelastet“ eingestuft, wurden seine – auch judenfeindlichen ‒ Verstrickungen in das NS-Regime erst spät, zu spät, öffentlich bekannt. Filbinger, als NSDAP-Mitglied vielfach aktiver Marinerichter im Dritten Reich, einschließlich der Verhängung von politischen Todesurteilen, war nach 1945 dann CDU-Politiker und baden-württembergischer Ministerpräsident, der erst 1978 zurücktreten musste, als seine Vergangenheit bekannt geworden war („Filbinger-Affäre“). Zwei andere Beispiele: Das „Rosenberg-Projekt“ des Bundesjustizministeriums untersuchte personelle und sachliche Kontinuitäten nach der NS-Zeit. Daran schließt sich jetzt eine institutseigene Studie „Die Bundesanwaltschaft und die NS-Zeit“ an.
Die Geschichte der evangelischen Kirche in der Weimarer Republik wird häufgi unter dem Blickwinkel der kirchenpolitischen Auseinandersetzungen wahrgenommen, in denen konservativen Kräfte sich zunehmend durchsetzten und liberale und sozialistische Pfarrer wie Hermann Maas oder Erwin Eckert in das Fadenkreuz der Kirchenleitung gerieten und mit disziplinarischen Maßnahmen gemaßregelt wurden. In der konservativ-nationalistischen Grundhaltung des Großteils der Pfarrerschaft sehen viele Forscher eine Ursache für ihre Anfälligkeit für Gedankengut, wie es von völkischen Gruppen und den Nationalsozialisten vertreten wurde. Schon 1932 traten die der NS-Ideologie oder eher -Propaganda nahe stehenden evangelische Christen mit einer eigenen Kirchenpartei auf, die 1933 in die „Glaubensgemeinschaft Deutsche Christen“ mündete. Doch die Geschichte der evangelischen Kirche in der Weimarer Zeit ist keineswegs eindimensional. Den rückwärtsgewandten Tendenzen und Träumen eines nationalen und völkischen Christentums und einer neu erwachenden umfassenden Volkskirche sowie der Trauer über die verlorene Monarchie stand ein verstärktes soziales Engagement der Kirche gegenüber, auch eine Öffnung für andere, bisher weitgehend marginalisierte Gruppen wie die Frauen und die Arbeiterbewegung.
Am 1. Advent 1930 trat die neue Agende, das „Kirchenbuch für die Vereinigte evangelisch-protestantische Landeskirche Badens“, in Kraft. Bis dahin war offiziell die Agende von 1877 gültig. Dieser lange Zeitraum ihrer Verwendung war keineswegs vorgesehen und tatsächlich wurde die Benutzung der 1877er Agende schon lange nicht mehr praktiziert. Schon 1909 hatte die Generalsynode den Wunsch ausgesprochen, es möge die Agende [vom Jahre 1877] einer Revision in der Weise unterzogen werden, daß sie in ihrem Inhalt nach den jetzt vorhandenen kultischen Bedürfnissen erweitert und ergänzt und in ihrer Form dem liturgischen Geschmack und Takt unserer Zeit entsprechend überarbeitet werde. Vorgesehen war eine grundlegende Überarbeitung der Agende, ein Ergebnis wurde wegen des Arbeitsaufwandes nicht vor der nächsten Generalsynode, die erst für 1914 einberufen wurde, erwartet. Anstelle des verstorbenen Heinrich Bassermann übernahm Johannes Bauer, Universitätsprofessor und Direktor des praktisch-theologischen Seminars in Heidelberg, der dem kirchlichen Liberalismus zuzuordnen ist, schließlich diese Aufgabe, die er im Einvernehmen mit dem Oberkirchenrat ausführte.
Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 war ein außerordentliches Interesse des Staates an den Kirchenbüchern entstanden. Deren Auswertung hatte das fatale Ziel, die „Rassezugehörigkeit der Volksgenossen“ über Abstammungsnachweise festzustellen, damit „sich die Volksgemeinschaft im nationalsozialistischen Staat konstituieren konnte.“ Kein Vierteljahr nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde am 7. April 1933 das so genannte Berufsbeamtengesetz erlassen, das von den Staatsbediensteten den Nachweis der „arischen“ Herkunft verlangte. Mit
diesem Gesetz wurde es ermöglicht, jüdische und politische unliebsame Beamte in den Ruhestand zu versetzen oder zu entlassen. In den Folgejahren wurden zahlreiche Durchführungsbestimmungen erlassen, die auch Richter, Lehrer, Hochschullehrer und Notare als Beamte im Sinne dieses Gesetzes benannten und schließlich auch Angestellte und Arbeiter des Öffentlichen Dienstes, aber auch der Reichsbank und Reichsbahn einbezogen. Der Nachweis der „arischen“ Herkunft wurde durch beglaubigte Abschriften christlicher Taufen und Trauungen von Eltern und Großeltern aus den Kirchenbüchern erbracht und in einem „Ahnenpass“ eingetragen (s. Abb. 1 bis 3). War ein solcher Nachweis nicht zu erbringen oder belegte der Kirchenbuchauszug Informationen über die Taufe eines Juden, so war die „Nichtdeutschblütigkeit“ ermittelt. Die
„Rassezugehörigkeit“ wurde also durch die Konfession der Vorfahren nachgewiesen – ausschlaggebend war demnach nicht, ob es sich um „bekennende“ Juden handelt, sondern ob sich unter den Vorfahren auch Konvertiten befinden.