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- Evangelische Landeskirche in Baden (60) (entfernen)
Im Jahr 2021 feiert die Evangelische Landeskirche in Baden nicht nur das Jubiläum ihrer Union, sondern auch 50 Jahre rechtlicher Gleichstellung im Pfarramt. Denn am 27. April 1971 wurde mit einem simplen, heute fast banal erscheinendem Satz Geschichte geschrieben: Pfarrer im Sinne der Grundordnung ist auch die Pfarrerin. Damit beendete die Landessynode 55 Jahre rechtlich legitimierter Diskriminierung von Theologinnen in der Evangelischen Landeskirche in Baden. Ein langer und steiniger Weg von der erstmaligen Zulassung einer Frau zu den theologischen Examina im Jahr 1916 bis zur ersten offiziellen badischen Gemeindepfarrerin im Dezember 1971. Der vorliegende Beitrag erläutert zunächst die grundlegenden Voraussetzungen zur Entstehung eines Theologinnenamtes, bevor die ersten Entwicklungsschritte dieses Amtes in Baden in Anlehnung an die Biographien von drei frühen badischen Theologinnen in den Blick genommen werden. Die Diskussion zwischen Landesbischof Julius Bender und Doris Faulhaber als Vertreterin des badischen Theologinnenkonvents im Zuge der Neuordnung der Landeskirche nach dem Zweiten Weltkrieg wird in einem eigenen Abschnitt vertiefend betrachtet. Im weiteren Verlauf werden
die wichtigsten gesetzlichen Regelungen bis 1971 vorgestellt.
Ich möchte im Folgenden drei ausgewählte Ergebnisse meines Buches „Möge Gott unserer Kirche helfen!“ Theologiepolitik, ,Kirchenkampf’ und Auseinandersetzung mit dem NS-Regime: Die Evang. Landeskirche Badens, 1933–45 (Stuttgart 2015)
zur Diskussion stellen: Erstens, die Intaktheitsthese, zweitens die Neubewertung der Wiederausgliederung der Landeskirche aus der Reichskirche, drittens die Bedeutung der Stärke des aus der kirchlich-positiven Vereinigung hervorgegangenen Bekenntnismilieus im Kirchenkampf vor und nach Einrichtung der Finanzabteilung 1938. Lassen Sie mich wie schon in meinem Vortrag aus Anlass der Buchvorstellung in der Christuskirche am 18. Oktober letzten Jahres nochmals ausdrücklich zweierlei feststellen: Zum einen etwas zur Motivation. Ich habe mit der Studie keinerlei geschichts- oder erinnerungspolitische Agenda verfolgt, vielmehr ein rein zeitgeschichtliches Interesse. Es handelt sich um Ergebnisse eines DFG-Projekts, das der Kollege Jochen-Christoph Kaiser, Fachbereich Ev. Theologie/Kirchengeschichte der Philipps-
Universität Marburg, und ich als Neuzeit- und Allgemeinhistoriker der Universität Karlsruhe im sogenannten KIT eingeworben und durchgeführt haben. Um hier kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Unser Anliegen und Interesse ist es, die kritische Aneignung der NS-Geschichte zu befördern, und zwar durch eine Differenzierung der Bewertung an einem konkreten Beispiel. Dies wird für die Glaubwürdigkeit zeitgeschichtlicher Vermittlung immer wichtiger, weil wir Zeithistoriker mit einiger Sorge beobachten, dass mit wachsendem Abstand zur NS-Zeit eine oft kenntnisarme, rein moralische Ex-post-Betrachtung einem kontextualisierenden Verständnis des nationalsozialistischen Zivilisationsbruchs vor allem bei Jüngeren zunehmend im Weg steht, die darauf mit Indifferenz und Ablehnung reagieren. Der Historiker ist weder ein anklagender Staatsanwalt noch ein verteidigender Advokat oder gar spruchfällender Richter, sondern ein rückwärts gewandter Prophet vorletzter Dinge, der versucht, Menschen in ihrer Zeit zu verstehen.
Im Jahr 2020 ist das Evangelische Gesangbuch (EG) der Badischen Landeskirche seit 25 Jahren in Gebrauch – es wurde am Ersten Advent 1995 (3. Dezember 1995) in den evangelischen Gemeinden eingeführt. Der gesamte Prozess der Einführung des neuen EG innerhalb der Evangelischen Kirche Deutschlands dauerte insgesamt drei Jahre: er begann am Reformationstag 1993 mit Berlin-Brandenburg und war mit der Einführung in der württembergischen Landeskirche zum Ersten Advent 1996 beendet. 2018 kam in Baden der Ergänzungsband Wo wir dich loben, wachsen neue Lieder heraus, der – ähnlich wie die Anhänge ’71 und ’77 in den 1970er Jahren als Ergänzungen zum damaligen Evangelischen Kirchengesangbuch EKG – modernes und zeitgemäßes Liedgut den Gemeinden nahebringen möchte. Im Vorfeld des 200jährigen Jubiläums der Badischen Union 2021 sollen hier die vier badischen Gesangbücher aus den Jahren 1836, 1882, 1951 und 1995 mit einem Vergleich ihrer Vorworte in den Blick genommen werden. Innerhalb der neueren badischen Kirchengeschichtsforschung spielten Untersuchungen der Gesangbücher schon immer eine wichtige Rolle. Heinrich Riehm hat in seinem 2011 erschienenen Sammelband Auf dem Weg zum Evangelischen Gesangbuch 1993 zahlreiche Aspekte der neueren badischen Gesangbuchgeschichte zusammengestellt.
Trotz des zeitlichen Abstandes von 100 Jahren ist die Geschichte der badischen Landeskirche während des Ersten Weltkrieges noch ein weithin unerforschtes Gebiet. Allein die Darstellungen von Udo Wennemuth zu Mannheim und jüngst zu Karlsruhe, Gerhard Schwinges in alten richtungspolitischen Mustern verhafteter Aufsatz zu badischen Pfarrern im Krieg und ein Ausstellungskatalog bilden die Ausnahme. Ich werde daher im Folgenden Vieles eher als Anregung für weitere Forschungen
denn als fertiges Ergebnis vorstellen und mich nach einigen Informationen zur Situation der Landeskirche im Jahr 1914 mit den Folgen des Krieges für die Institution Landeskirche befassen und dann einen Blick auf die Ebene der Gemeinden richten.
Einzig bedingt durch die Forschungslage werden hier die Städte und nicht die Dörfer in den Blick geraten.
Bereits im September 1945, nur rund vier Monate nach Kriegsende, erschien das Gesetzes- und Verordnungsblatt (GVBL.) der Badischen Landeskirche wieder – die erste Ausgabe vom 13. September 1945 umfasste lediglich drei Seiten: einziger Inhalt war der erste Brief des badischen Landesbischofs Julius Kühlewein an alle evangelischen Gemeinden, den er schon am 26. Juni 1945 verfasst hatte. Die letzte Ausgabe des Gesetzes und Verordnungsblattes vor dem Kriegsende war am 11. November 1944 in Karlsruhe veröffentlicht worden. Nach den schweren Bombenangriffen auf Karlsruhe am 27. September und am 4. Dezember 1944, bei denen auch das Dienstgebäude des Oberkirchenrates in der Blumenstraße schwer beschädigt worden war, konnte das Gesetzesblatt nicht mehr hergestellt werden. Das Gesetzes- und Verordnungsblatt gehörte zu den ersten Publikationen, die die US-Amerikaner in ihrer Besatzungszone genehmigten. Auf der letzten Seite trug das GVBl. in den ersten Nachkriegsjahren den Lizenzvermerk der US-Besatzungsbehörde Mit Genehmigung der Publications Control 7.8.45 beziehungsweise später Mit Genehmigung der Publications Control Nr. 4785. Die ersten Ausgaben des Gesetzes- und Verordnungsblattes der Evangelischen Landeskirche in Baden sind ein beeindruckendes atmosphärisches Zeugnis über die Sorgen und Nöte jener ersten Nachkriegsjahre.
Im Staatsarchiv Freiburg findet sich ein bisher in der Forschung eher wenig beachteter Aktenbestand „Entnazifizierung evangelischer Pfarrer 1945-49“. Das Freiburger Staatsarchiv verwaltet als Teil des Landesarchivs Baden-Württemberg vor allem Bestände der Ministerien und Behörden des 1952 erloschenen Landes (Süd-) Baden sowie Verwaltungsunterlagen staatlicher Behörden im Bereich Süd-Baden seit 1806, des weiteren wichtige Dokumente aus der französischen Besatzungszeit. Zudem enthält das Staatsarchiv auch den – teilweise lückenhaften – Bestand sämtlicher Entnazifizierungsakten aus dem südbadischen Teil der französischen Besatzungszone. Die Entnazifizierungsakten von stärker NS-belasteten Personen, die deswegen interniert wurden, befinden sich im Archiv des französischen Außenministeriums „Centre des archives diplomatiques“ in La Courneuve bei Paris. Einen ersten Überblick zur Kirchenpolitik der französischen Besatzungsmacht lieferte Jörg Thierfelder bereits 1989. Zu diesem Zeitpunkt gab es zu diesem Thema noch überhaupt keine Publikation. Dabei wies Thierfelder darauf hin, dass die Franzosen im Gegensatz zu US-Amerikanern und Briten keine eigenständige Planung für die Kirchenpolitik in ihrer Besatzungszone hatten. Die Zeitspanne zwischen der Konferenz von Jalta im Februar 1945, auf der Frankreich eine eigene Besatzungszone zugesprochen worden war, und dem Einmarsch der französischen Armee nach Südwestdeutschland ab Ende März 1945 war hierzu viel zu kurz gewesen. Insgesamt stellte Thierfelder eine ausgesprochen freundliche Behandlung der beiden Kirchen durch die französische Besatzungsmacht fest, die sich positiv von der allgemeinen Behandlung der deutschen Zivilbevölkerung abhob. Für den Bereich der württembergischen Landeskirche gab es so gut wie keine Berichte über Hausdurchsuchungen von
Gottesdiensträumen oder Pfarrhäusern und von Beschlagnahmungen.
„Die Kanzel ist das Thermopylä der Christenheit, da wird die Schlacht verloren oder gewonnen.“
(2019)
In den frühen 1960er Jahren standen Kirche und Gesellschaft am Beginn einer Ära der Reformen und der Aufbrüche. Mit dem Rücktritt Konrad Adenauers als Bundeskanzler und dem Beginn der Regierungszeit Ludwig Erhards im Oktober 1963 endete in der Bundesrepublik endgültig die Nachkriegszeit. In der katholischen Kirche hatte kurz zuvor im Oktober 1962 unter Führung des reformorientierten Papstes Johannes XXIII. das Zweite Vatikanische Konzil begonnen mit seinem Versuch, die katholische Kirche für die Moderne zu öffnen. In der bisher gesamtdeutschen EKD hatte der Mauerbau vom August 1961 die Teilung des Protestantismus in Ost und West verschärft, in den DDR-Landeskirchen begann eine eigenständige Entwicklung, die am Ende des Jahrzehnts 1969 zur Gründung des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR führte. Auch in der Badischen Landeskirche endete 1964 mit dem Dienstbeginn von Hans-Wolfgang Heidland als Landesbischof eine Ära: die 18jährige Bischofszeit von Julius Bender, der sein Amt kurz nach Kriegsende Anfang 1946 angetreten hatte.
Berichte aus den Kirchenbezirken sind für die kirchliche Zeitgeschichtsforschung auch in Baden von großer Bedeutung, geben sie doch oft ein sehr ausführliches, durchaus selbstkritisches und beinahe flächendeckendes Bild der Landeskirche in
einer bestimmten Epoche ab. Der hier vorliegende Bescheid des Oberkirchenrates vom Juli 1982 behandelt die Hauptberichte der Bezirkssynoden, die 1981 zum Thema „Amtshandlungen der Kirche als Herausforderung zu missionarischem Handeln“ getagt hatten. Es ist der erste Bescheid in der Ära von Landesbischof Klaus Engelhardt (1980–1998) und gleichzeitig für lange Zeit der letzte Bescheid des Oberkirchenrates auf die Berichte aus den Bezirkssynoden. Das nächste Mal gab es einen solchen Bescheid erst wieder 1995 zum Sonderthema der Synoden „‚… Als Mann und als Frau‘ – in Kirche und Gesellschaft“. Bis 1963 waren diese Bescheide und die Themen der Bezirkssynoden allgemein-kirchlich gehalten, später gab es dann spezifische Fragestellungen. Aufgrund der Thematik bieten die Berichte von 1981 ein interessantes Bild der volkskirchlichen Situation in Baden zu Beginn der 1980er, das zwischen scheinbarer Stabilität („Beim Sterben ist die Welt noch in Ordnung“) und deutlichen
Krisensymptomen oszillierte.
Das erste Tagebuch von 1957 benötigte gerade einmal einen Zentimeter im Bücherregal. Dann aber ging es in die Breite, mit der Nummer 57 auf 0,8 Meter. Was verbirgt sich hinter diesen Zahlen? Eine geschichtsträchtige Zeit, die unser Leben im geteilten Deutschland und das Sich-Wiederfinden ohne Mauer und Stacheldraht. Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges schlossen sich die evangelischen Landeskirchen der vier Besatzungszonen zur ‚Evang. Kirche in Deutschland‘ (EKD) zusammen. ‚Zonengrenzen sind keine Kirchengrenzen‘ hieß ihr Motto. Damit war die EKD die einzige deutsche Großorganisation, deren Stimme auch im Ausland gehört wurde.“
Am 22. Juni 1914 schreibt der 77jährige Albert Helbing, Exzellenz und wirklicher Geheimrat und seit 1903 Präsident des
Evangelischen Oberkirchenrats der badischen Landeskirche, an seinen Schwager Heinrich Spengler: Ob für mich auch noch einmal eine kurze Zeit der Ruhe hienieden anbrechen wird? Ich sehne mich oft unaussprechlich danach. Aber es scheint fast, als ob mir dieses Glück nicht sollte beschieden werden. Vom 8.-16. d.M. war ich wieder in Eisenach, fand bei meiner Rückkehr viel Arbeit und Sorgen und stehe nun vor der Generalsynode, die voraussichtlich kein sonderliches Vergnügen aber jedenfalls eine große Anstrengung sein wird. Das ist nun die achte, die ich erlebe, die dritte als Präsident und diese zum
größten Teil [mit] neuen erstmals gewählten Mitgliedern. Indes – Deus providebit. Schon drei Jahre zuvor zeigte der damals 74jährige Amtsmüdigkeit und wollte zurücktreten. Aber seine Tochter schreibt ihm: Deinen Rücktritt würde ich in erster
Linie für Dich bedauern. Die Tätigkeit würde Dir doch sehr fehlen. Doch darüber werden wir jedoch miteinander reden. Offenbar hast Du wieder Unannehmlichkeiten haben müssen. Und so bleibt der greise Kirchenpräsident weiter im Amt in der Blumenstraße in Karlsruhe, dem sogenannten Roten Haus. Im Jahr 1907 hatte er den unter seiner Regie erbauten Dienst- und Wohnsitz der badischen Kirchenleitung bezogen. Seit 1906 verwitwet lebte er dort in unermüdlicher Tätigkeit, stets aufs äußerste bedacht, alle Fäden in der Hand zu behalten und die Zügel nicht zu verlieren. Einer seiner Gegner auf der Linken, der Mannheimer Pfarrer Ernst Lehmann, hat seine Amtszeit nach seinem Tod und nach dem Ende des Ersten Weltkrieges mit dem ambivalenten Begriff der „Ära Helbing“ gekennzeichnet, die an ihm hängen geblieben ist.
»… und ruht in Gottes Hand«
(2021)
Die Union der lutherischen und reformierten Kirche in Baden ist von der Geschichte des entstehenden Großherzogtums nicht zu trennen. Möglich wurde die Union durch die Auflösung des konfessionellen Kirchentums. Sinnvoll wurde sie als Bündelung der protestantischen Kräfte in einer mehrheitlich katholischen Bevölkerung und zur Konsolidierung der als Staatsanstalt begriffenen Kirche. In kirchlicher Sicht ging es um zwei Errungenschaften: die Bildung einer vereinigten Kirche aus dem Geist der freien Schriftforschung und einer für die Kirchengemeinschaft tragfähigen konsensualen Lehre im Abendmahl. Nicht vollendet war die Union für die, denen zur freien Kirche auch die Freiheit einer selbständigen Kirche gehörte, die in der verfassungsmäßigen Gestalt der Generalsynode als Repräsentativorgan zur Geltung kommen sollte. Darin liegt die geschichtliche Dynamik der der Unionskirche im 19. Jahrhundert.
»Aus der Trennung heraus!«
(2021)
1818 Badische Verfassung und 1821 Badische Kirchenunion sind zwei Daten des gleichen modernitätsgeschichtlichen Integrationsprozesses im Zusammenhang mit der Konstituierung und Konsolidierung des Großherzogtums. Damit ist die evangelische Landeskirche von vornherein in die gesellschaftliche Transformation eingebunden. Aus dieser »Gründungszene«, so wurde 2021 wieder bewusst gemacht, hat »die Evangelische Landeskirche in Baden ihre Gestalt und ihr Profil als öffentliche Kirche« entwickelt (J. C. Bundschuh). Weil Verfassung und Kirchenunion am gleichen »gesellschaftlichen Transformationsprozess« teilnehmen, ist 1821 ein Thema der ganzen badischen Geschichte. Über das Gründungsdatum hinaus gilt die Union heute als »Ausgangspunkt für ein fruchtbares interreligiöses Gespräch« und als eine Perspektive für ein ökumenisches Miteinander im 21. Jahrhundert. Das Jubiläum wird publizistisch in Erinnerung gebracht durch einen »Bildatlas zur Kirchengeschichte«, einer Vorlesungsreihe der Pädagogische Hochschule und einer Ausstellung im Generallandesarchiv Karlsruhe.
Nie hätten wir es für möglich gehalten, daß diese Rechtfertigung der deutschchristlichen gewalttätigen und verfassungswidrigen Kirchenpolitik Ihre Antwort wäre auf die Bitten treuster und bibelgläubiger Glieder unserer Kirche, die sie aus heißer Besorgnis und innerster Gewissensnot vorzutragen gewagt haben! […] Wir sind fassungslos verwundert, daß Sie an den `Geist brüderlicher Gemeinschaft unter Geistlichen und Gemeindemitgliedern‘ appellieren, als handele es sich bei dem gegenwärtigen kirchlichen Kampf um einen Streit, den man mit christlichen Ermahnungen beenden könne, […]. Wir bezeugen Ihnen hiermit, daß für unsere Erkenntnis schweigen und mit dem DC-Geist Frieden machen gleichbedeutend wäre mit Verleugnen unseres Herrn und seiner ewigen Wahrheit. Kurz nach dem Beitritt der badischen Landeskirche zur
deutsch-christlichen Reichskirche, am 27. Juli 1934, richtete Karl Dürr, der Vorsitzende der Bekennenden Kirche Badens, an seinen Landesbischof Julius Kühlewein diese Zeilen. Der badische Kirchenkampf steuerte damit auf seinen ersten, aber keineswegs letzten Höhepunkt zu, an dessen Ende 1945 eine Landeskirche stehen sollte in der Macht- und Richtungskämpfe sowie persönliche Animositäten tiefe Spuren hinterlassen hatten; beherrscht von den untereinander verfeindeten kirchenpolitischen Gruppierungen der Bekennenden Kirche und der Deutschen Christen, aber auch einer
von nahezu allen Seiten in Ihrer Legitimität angefochten Kirchenleitung geriet sie vor dem Hintergrund der Konflikte, die tief in ihre Identität und ihr Selbstverständnis eingriffen, an den Rand der Spaltung.
Wer von oben auf den neu gestalteten Parkhof schaut, kann erahnen, was darunter liegt. Die Fläche des 465m² großen unterirdischen Magazins für Archiv und Bibliothek wird durch die künstlerische Gestaltung der Pflastersteine hervorgehoben. Nach einem Jahr Bauzeit sind das neue Magazin und der Parkhof nun (fast) fertig. In einem Festakt am 30. Juni wurden die Anlagen bereits symbolisch ihrer Bestimmung übergeben. Der Künstler Axel Philipp hat als Motiv für den Parkhof typische Buch- und Aktenrücken in einer in die Horizontale gekippten Regalanlage dargestellt. Im darunter liegenden Magazin, das 650 Kubikmeter Beton und 80 Tonnen Stahl „verschlang“, sind nun 940 Regalmeter frei für Bücher, fast 4.500 Regalmeter, die mit 33.152 Archivschachteln, gefüllt mit Akten, bestückt werden können, sowie 320 Schubladen im Format A1 für Pläne und Karten. Dieser unterirdische Neubau soll zum einen die Magazine der Bibliothek von ihren historischen Buchbeständen entlasten. Zum anderen soll er den Raumbedarf des Archivs langfristig abdecken.
Seit den Veröffentlichungen von Caroline Klausing (Die Bekennende Kirche in Baden. Machtverhältnisse und innerkirchliche Führungskonflikte 1933–1945, Stuttgart 2014) und Rolf-Ulrich Kunze („Möge Gott unserer Kirche helfen!“ Theologiepolitik, Kirchenkampf und Auseinandersetzung mit dem NS-Regime. Die Evangelische Landeskirche Badens 1933–1945, Stuttgart 2015) reißt die Diskussion um die Geschichtsschreibung der Evangelischen Kirche in Baden in der Zeit des Nationalsozialismus nicht ab. Beide Beiträge können als quellenbasierte Ausführung der von Klaus Scholder 1973 aufgestellten These eines „badischen Sonderwegs“ zwischen „intakter“ und „zerstörter“ Landeskirche verstanden werden.
Klausing und Kunze argumentieren, in der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur seien Badische Bekenntnisgemeinschaft und Kirchenleitung trotz vieler Konflikte nicht zu trennen; es könne nicht von einer oppositionellen im Gegensatz zu
einer regierenden Kirchenleitung gesprochen werden. Auch die Stellung innerhalb der Reichskirche (mit Ein- und Austritt im Sommer bzw. Herbst 1934) zeige, dass Baden eher zu den intakten als zu den zerstörten Landeskirchen gerechnet werden müsse. In der sich anschließenden lebhaften Forschungsdebatte wurde die Notwendigkeit erkannt, die badischen Entwicklungen mit anderen (evangelischen) Kirchen im Südwesten zu vergleichen. Einen ersten länderübergreifenden Vergleich versuchte die Oberrheinische Sozietät unter der Leitung von Johannes Ehmann am 18. Oktober 2018 in Heidelberg. Neben Rolf-Ulrich Kunze und Caroline Klausing konnte Christoph Picker für einen länderübergreifenden Blick gewonnen werden: er stellte die Entwicklung der Pfälzischen Landeskirche im Nationalsozialismus vor. Die Diskussion
in der sehr gut besuchten Sozietät zeigte Konsens, Diskussionen und Forschungsanliegen der Kirchengeschichtsschreibung auf.
Blickt man in die Literatur, so ist die Frage „War Hebel der Vater der badischen Kirchenunion“ [*] eindeutig und positiv beantwortet. Ein Beispiel (unter etlichen), wie verfahren wird, zeigt Joachim Storck, der in einem Beitrag über Hebels Stellung zur Judenemanzipation über Hebel in einem Nebensatz zu sagen weiß, dass „der später in seinem Kirchenamt auch noch die Union der beiden protestantischen Kirchen zustandebrachte.“ Blickt man nun auf den von Storck bemühten Nachweis, so muss dafür eine Äußerung W. Zentners herhalten, Hebel sei „Mitschöpfer der Kirchenunion“ gewesen.
Es liegt in der Natur einer religiösen Gemeinschaft, daß sie nicht blos von Behörden regiert werden will, sondern daß sie durch das Zusammenwirken aller ihrer religiös belebten Glieder auch ihre äußern Ordnungen geregelt haben will, und daß sie darnach strebt, alle ihre Mitglieder auch zu religiös belebten zu machen, und sie als solche ansehen und behandeln zu dürfen. Daß die reine Konsistorialverfassung auf die Dauer für die Kirche nicht ausreicht, liegt eben so sehr in dem Wesen einer religiösen Gemeinschaft, als es durch die geschichtlichen Ereignisse herbeigeführt wurde. Diese für die damalige Zeit bemerkenswerten Sätze finden sich in der Begründung zum Entwurf des Evangelischen Oberkirchenrates für eine neue Kirchenverfassung, der vor seiner Vorlage an die Generalsynode am 15. April 1861 sämtlichen Pfarrämtern und Kirchengemeinderäten in Baden zur Kenntnisnahme und zur Stellungnahme zugeleitet worden ist. Die darin erwähnten geschichtlichen Ereignisse nehmen Bezug auf das zähe Ringen um eine Reform der Kirchenverfassung von 1821, das in den Revolutionsjahren von 1848/49 einen seiner Höhepunkte erreicht hatte. Das damals gegen den beträchtlichen Widerstand konservativer Kreise von den liberalen Kräften verfolgte Anliegen, die Kirche aus den Fesseln des Staatskirchentums zu befreien und eine Volkskirche zu etablieren, in der die Kirchenglieder maßgeblich an der Leitung der Kirche beteiligt sein sollten, konnte sich nicht durchsetzen.
Am 1. Advent 1930 trat die neue Agende, das „Kirchenbuch für die Vereinigte evangelisch-protestantische Landeskirche Badens“, in Kraft. Bis dahin war offiziell die Agende von 1877 gültig. Dieser lange Zeitraum ihrer Verwendung war keineswegs vorgesehen und tatsächlich wurde die Benutzung der 1877er Agende schon lange nicht mehr praktiziert. Schon 1909 hatte die Generalsynode den Wunsch ausgesprochen, es möge die Agende [vom Jahre 1877] einer Revision in der Weise unterzogen werden, daß sie in ihrem Inhalt nach den jetzt vorhandenen kultischen Bedürfnissen erweitert und ergänzt und in ihrer Form dem liturgischen Geschmack und Takt unserer Zeit entsprechend überarbeitet werde. Vorgesehen war eine grundlegende Überarbeitung der Agende, ein Ergebnis wurde wegen des Arbeitsaufwandes nicht vor der nächsten Generalsynode, die erst für 1914 einberufen wurde, erwartet. Anstelle des verstorbenen Heinrich Bassermann übernahm Johannes Bauer, Universitätsprofessor und Direktor des praktisch-theologischen Seminars in Heidelberg, der dem kirchlichen Liberalismus zuzuordnen ist, schließlich diese Aufgabe, die er im Einvernehmen mit dem Oberkirchenrat ausführte.
Im Jahre 1834 meldete ein Anonymus in der liberalen „Allgemeinen Kirchenzeitung“ aus Baden I. Kirchenverfassung betreffend. Die evangelisch-protestantische Kirche im Großherzogthume Baden hat durch die Union vom Jahre 1821 unstreitig mehrere bedeutende Vorzüge in ihrer Organisation erhalten. Das Luthertum hat […] in der Kirchenverfassung mehr Monarchisches, Dogmatisches, Stabiles, die reformirte Kirche, besonders nach Zwingli, ist als mehr republikanisch,
dem Praktischen und Fortschreiten durch subjective Vervollkommnung geneigter zu charakterisiren. Die badische Unionsurkunde hat aus den beiderlei Eigenthümlichkeiten, mit Vermeidung der hierodespotischen Tendenz des Calvinismus, vieles Gute vereinigt, und besonders der Kirche, als einer vom Staate beschützten und daher inspicirten, aber sich doch selbst nach ihren inneren Zwecken regulirenden Gesellschaft, ihre statuarische Autonomie durch repräsentative liberale, aber auch gegen Uebertreibungen bewahrte Institutionen gesichert. Eine kurze Analyse dieses Textes aus der Feder eines zweifellos freisinnigen Korrespondenten mag in das Thema einführen. Das Luthertum – so der Anonymus – vertrat ein monarchisches, man kann wohl interpretieren: tendenziell hierarchisches Prinzip, das freilich Stabilität verbürgte. Das Reformiertentum war zweifach vertreten, zunächst durch die historisch-städtisch, d. h. kommunalistische Prägung der Zürcher Reformation Zwinglis (der Korrespondent sprach von Republik!), in der er das liberale Prinzip glücklich wieder fand: nämlich praktisches Fortschreiten in subjektiver Vervollkommnung; also ein Moment der Dynamik. Schlecht kam freilich der Calvinismus weg. Mit der Apostrophierung als „Priesterherrschaft“ (Hierodespotie) war er erledigt.
Eine der wesentlichen Erkenntnisse der Kirchenkampfforschung von vor bereits 30 Jahren ist gewesen, dass eine Darstellung des Kirchenkampfes nicht 1932 oder 1933 einsetzen kann, sondern schon und insbesondere die Vorgeschichte: die Geschichte der Weimarer Republik, zu betrachten ist. Hier, in einer vor allem theologiegeschichtlichen Betrachtung, bedeutet das die Frage der allgemeinen Umbrüche 1918/19 zu konzentrieren auf die spezielle Frage nach theologischen Einstellungen, Prägungen und Mentalitäten. Genauer betrachtet stellt sich hier umgehend ein Problem: nämlich ob die Prägung der Akteure als genus subjectivus oder objectivus zu verstehen sei. Will sagen: Geht es um die Frage, wer in der Weimarer Republik die Theologie geprägt hat, vor allem im Umkreis der Universität Heidelberg, oder geht es um die Frage, wer im kirchlichen Dienst der badischen Landeskirche mit welcher theologischen Prägung agierte? Oder geht es um die Frage, ob und wieweit bei den nun strukturell transformierten Akteuren, nämlich den Kirchenparteien, theologische Strömungen zu erkennen sind, die explizit oder implizit auf theologischen Prägungen beruhen? Mit den Fragen sind erste und vorläufige Antworten schon vorbereitet. In aller Vorläufigkeit – auch hier machen sich schmerzlich Forschungsdesiderate bemerkbar – sind heute alle drei Aspekte zu würdigen. Ich betone die Vorläufigkeit der hier vorgetragenen Beobachtungen.