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1862 beauftragte Großherzog Friedrich I. den Historiker an der Universität Heidelberg Georg Gottfried Gervinus, ein Gutachten für „die Neugestaltung des Gesamtunterrichtswesens im Großherzogtum Baden“ zu erstellen. Unter anderem findet man dort die Klage, daß unter den Erstsemestern viele den Anforderungen der Hochschulen nicht genügen. Der Übergang von Gymnasien zur Universität sei in Deutschland „durchgehend ein ganz unvermittelter; man geht von der Hauszucht zur Ungebundenheit, von der allgemein menschlichen Ausbildung zum besonderen Fachstudium in
plötzlichen Sprüngen über, zur Wahl des Berufs meist durch zufällige Einflüsse getrieben, am wenigsten durch eigene Einsichten in die verschiedenen Berufs- und Wissenszweige orientiert“, wobei dem Gutachter Gervinus angelsächsische Strukturen in vielem vorbildlich erschienen. Darüber hinaus gäbe es Spannungen zwischen dem bürgerlichen Bildungsideal des Humanismus und den „Utilitaristen“, die „dem technischen Fortschritt und finanziellen Gewinn anhingen“. Darum müsse man mit einer realistischen Abteilung an Gymnasien „dem staunenswerten Aufschwung der Naturwissenschaften“ Rechnung tragen. Diese Denkschrift, für Friedrichs Cabinetts-Chef ein „wahrer Hochgenuß“, berührte demnach Probleme, die über Jahrzehnte hinweg bis heute aktuell sind: mangelnde wissenschaftliche Vorbereitung der Abiturienten und unzureichender Umfang der Naturwissenschaften im Lehrplan.
In Schulen nichts Neues?
(2004)
Als einen „kommenden Mann" hatte Willy Hellpach, badischer Minister für Kultus und Unterricht 1922-24, den Leiter des Goethe-Gymnasiums Karlsruhe Karl Ott bezeichnet, „ein junger, zukunftsträchtiger, von reichen Gesichtern erfüllter Erzieher". In der Tat lohnt auch heute noch eine Begegnung mit Otts Schriften angesichts des neuen Bildungsplans des baden-württembergischen Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport, von dem es im Vorwort heißt, es sei „ein pädagogischer
Meilenstein in der Entwicklung unserer Schulen".
Der letzte Palatin
(2007)
Die heute Hundertjährigen – und das sind nicht wenige – könnten sich daran erinnern, dass für sie als Elfjährige die Monarchie ihrer Kinderzeit plötzlich verschwunden war und sie als Republikaner in einer grauen Nachkriegszeit aufwuchsen. In ihrem Geburtsjahr 1907 feierte man aber noch, oder wieder einmal die wilhelminische Monarchie in ihrer ganzen
Prachtentfaltung, und die Beerdigung des letzten Palatins diente für ein grandioses pompes funèbres. Als Palatin, als Quasipfalzgraf, so hatte man Moltke (1891 †) und Bismarck (1898 †) als die Getreuen das alten Kaisers empfunden, und nun war auch der letzte „Führer des heroischen Zeitalters“ dahingegangen, so tönte es in den Zeitungen, jener Proklamationsszene im Versailler Schloss Januar 1871, deren Bild in jedem Schulbuch an die Gründung des Deutschen Reiches erinnerte.
„Straßentumult in Karlsruhe“
(2007)
Liberales Baden? Da blickt man in erster Linie auf die Zeit Großherzog Friedrichs I. (1852–1907) zurück, als der Liberalismus
regierende Partei wurde. Historikern schien freilich schon die Zeit vor der Revolution 1848, der Vormärz in Baden anders akzentuiert zu sein als anderswo, durch bekannte Professoren und Journalisten, durch Abgeordnete der II. Kammer, durch eine qualifizierte Beamtenschaft, den sogenannten „Geheimratsliberalismus“ geprägt, ein „Testfeld für Fortschrittlichkeit“ trotz des bundesdeutschen Metternich-Systems, eine „Schule des vormärzlichen Liberalismus“ trotz Obrigkeitsstaat, so Franz Schnabel.
Historiker lieben die großen Linien, wie sich Staaten entwickeln, zwischen Hegenomie und Gleichgewicht taktieren. Kriege werden geführt und nach Friedensschlüssen sucht man wieder neue Wege, so lesen wir häufig in großen
Darstellungen. Das ist oft eine »glatte« Geschichtsschreibung, und man fragt, wer hat denn die Schlachten geschlagen?
Ein besonders krudes Beispiel jährt sich zum zweihundersten Male: der Marsch Napoleons Großer Armee nach Moskau und deren Untergang. Dabei waren auch Soldaten aus dem neuen Großherzogtum Baden. Man sollte sich ihrer erinnern.
Friedrich Keim 1852–1923
(2012)
In einem Besichtigungsbericht des badischen Oberschulrats über das Karlsruher Mädchengymnasium und dessen Leiter vom Dezember
1907 heißt es: Direktor Keim, der daneben einer übergroßen Höheren Mädchenschule mit 743 Schülerinnen vorsteht, hat "ein väterlichfreundliches Herz, ohne patriarchalische und pastorale Allüren, echt männlich, wissenschaftlich, ernst. Lehrer und Lehrerinnen sehen in ihm das vollendete Muster und Vorbild. Seine Erziehungsgrundsätze bringt er mehr durch sein Beispiel, als durch Vorschriften zu allgemeiner Anerkennung. Jeder Individualität gönnt er ihre Rolle … Auch den Schülerinnen wird viel Freiheit gegönnt. Sie dürfen z. B. Wahlsprüche, in Holz gebrannt, in die Klassenzimmer hängen, wobei der Humor sein Recht bekommt. In einer Klasse hing z. B. der Spruch "Stelle dich nicht dümmer an als du bist".
Wilhelm Hausenstein
(2007)
„Baden – das ist nicht ein Staat. Baden – das ist eine zähe, vertrauliche und etwas verzwickte Familie.“ Und dieser Familie blieb er immer verbunden, auch in seiner zweiten Heimat München, auch als Diplomat in Paris. Der Schwarzwälder war ein Repräsentant deutscher Kultur, wie man ihn nach dem nicht nur staatlichen, sondern auch geistigen Zusammenbruch einer nationalistischen Diktatur Ende des II. Weltkriegs suchte. Seinen Lebensweg fünfzig Jahre nach seinem Tod zu verfolgen
heißt, sich der Markierungen zu erinnern, die er setzen konnte.
Habent sua fata scholae – nicht nur Bücher,
auch Schulen haben ihre Schicksale. Und sie
könnten in Zukunft entscheidende Einschnitte
erfahren, wenn man in der gegenwärtigen Bildungsdiskussion
an jene Vorstellungen denkt,
z. B. die Gymnasien, auf die beiden Oberklassen
beschränkt, in Einheitsschulen untergehen
zu lassen. Nicht vom Standpunkt der
Pädagogik oder in Sorge um wissenschaftlichen
Nachwuchs sei hier die Rede. Zu bedenken
ist, weiche kulturelle Tradition einer Bildungsinstitution
verloren ginge, die bis in
unsere Tage wirksam ist. Darum ein Blick ca.
250 Jahre zurück, wo in der Aufklärung das
Gymnasium und seine Lehrer exponierte
Kulturträger waren.
Wann und wo wir auch über die große
politische Geschichte informiert werden,
Fakten und Interpretationen uns wichtige
Zusammenhänge erkennen lassen – es drängt
uns, darüber hinaus von menschlichen
Schicksalen zu erfahren: wie erlebte der
Einzelne diese „großen Zeiten“, damals wie
erst gestern.
Darum sind persönliche Zeugnisse wichtig,
und so liest man mit Anteilnahme in einer
Briefsammlung von Georg Richter unter dem
Titel „Liebstes bestes Clärchen“, 1982 erschienen
und wohl kaum mehr greifbar, die Niederschriften
aus den Jahren 1792 bis 94, eine aufregende
Zeit für die Stadt Karlsruhe, in der
durch Badens Nachbarschau „ein Franzosenlärm
nach dem anderen“ verursacht wurde, „so
dass die Karlsruher vielfach flüchteten“. Denn
1792 hatten sich Österreich und Preußen
gegen die Revolution in Frankreich verbündet,
der I. Koalitionakrieg war ausgebrochen, und
da es sich um einen „Reichskrieg“ handelte,
nahm auch die Markgrafschaft Baden daran
teil. Nach der vergeblichen „Kanonade von
Valmy“ und dem Rückzug der Koalitionsarmeen
griffen nun die Franzosen über den
Rhein. Diese Kanonade wurde von „Kriegsberichterstatter“
J. W. Goethe ausführlich
beschrieben, dem Onkel unserer Briefschreiberin.
Die Frage ist rasch beantwortet. Am 17. Juli 1919 schrieb das Ministerium des Kultus und Unterrichts an die Direktion der ehem. großherzoglichen
Sammlungen, sie solle sich für einen Umzug in das Schloss vorbereiten, denn hier werde unter Vereinigung mit der Sammlung des Kunstgewerbemuseums und dem Münzkabinett ein neues badischen Landesmuseum entstehen. Doch was für eine Vorgeschichte!