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Die folgenden Beiträge gehen auf den Workshop „Johann Schilter (1632–1705) im Kontext seiner Zeit. Forschungsperspektiven interdisziplinär“ zurück, den Almut Mikeleitis-Winter (Leipzig) und Kai H. Schwahn (Hamburg) im März 2019 in Hamburg durchgeführt haben. Die Idee, Johann Schilter in den Mittelpunkt einer interdisziplinär angelegten Untersuchung zu stellen, gründet in dem intensiven Austausch der beiden Veranstalter im Rahmen ihrer Schilter-bezogenen Projekte. Ausschlaggebend war die Erkenntnis, wie sehr die Beschäftigung mit einem (zeittypisch) vielseitig interessierten Gelehrten wie Johann Schilter von unterschiedlichen Perspektiven und Herangehensweisen profitieren kann. Das gilt insbesondere angesichts der Bedeutung, die Schilter von Zeitgenossen in den Bereichen der Rechtsgeschichte, Sprachforschung, Lexikographie und Kirchengeschichte beigemessen wurde, die in der Forschung bislang aber kaum
Beachtung fand. Von dieser Hochschätzung zeugen zum einen Schilters umfangreiche Korrespondenzen, die er mit bedeutenden Gelehrten seiner Zeit über konfessionelle und territoriale Grenzen hinweg führte, zum anderen die intensive
Rezeption seiner Werke. Mit seinen Arbeiten gehört Schilter zu den Vertretern einer integrativ und überdisziplinär ausgerichteten gelehrten Beschäftigung mit dem Mittelalter, die zum Ende des 17. Jahrhunderts einsetzte.
Bis heute ist der Name Johann Schilters (1632–1705) für die Germanistik eng mit dem Werk des Thesaurus antiquitatum Teutonicarum und mit dem ersten großen Wörterbuch des Alt- und Mittelhochdeutschen, dem Glossarium ad scriptores linguae Francicae et Alemannicae veteris, verbunden. Dem Sammeln, Dokumentieren und Präsentieren des alten und ältesten deutschen Sprachgutes hat Schilter, von Hause aus Jurist und (Rechts-)Historiker, einen beträchtlichen Teil seines Arbeitslebens gewidmet. Erst posthum jedoch mit einem Abstand von zwei Jahrzehnten war sein Werk durch ein Bearbeiter- und Herausgeberkollegium zum Druck gebracht worden. Die Bestimmung des tatsächlichen Anteils Schilters an dem Gesamtwerk und insbesondere an dem Wörterbuch war daher später von einigen Unklarheiten geprägt. Auf der Basis des gedruckten Werkes selbst wie auch bislang unbeachteter Quellenbestände aus dem Nachlass Schilters konnten seine Rolle und seine Leistung nun genauer definiert werden.
Der folgende Aufsatz beschäftigt sich mit der Frage, welche Faktoren eigentlich bei der „Erklärung“ eines historischen Phänomens beachtet werden müssen. Genauer gesagt geht es um die Frage, wie der Aufstieg des Nationalsozialismus in den heutigen Stadtteilen von Lahr - damals noch selbständigen Dörfern - „erklärt“ oder beschrieben werden kann. Was war eigentlich ausschlaggebend? Die politische oder soziale „Großwetterlage“? Oder das politische Personal vor Ort? Strukturen oder Menschen?
Das Bürgerbuch von 1356
(2016)
Das Lahrer Bürgerbuch von 1356 gilt seit langem in der Ortsgeschichtsschreibung als eine der wertvollsten Quellen zur Stadtgeschichte. Das im Lahrer Stadtarchiv verwahrte Original zog deshalb schon häufig das Interesse der Historikerinnen und Historiker auf sich. Franz Josef Mone machte 1857 den Anfang und stellte das Bürgerbuch ausführlich vor. Auch Philipp Ruppert widmete ihm 1882 einen Abschnitt in seiner „Geschichte des Hauses und der Herrschaft Geroldseck“. 1912 beschäftigte sich der Pfarrer und Heimatforscher Heinrich Neu mit der Quelle. 1928 erschien die Dissertation von Marta Paulus, die sich des Bürgerbuchs unter namenskundlichen Gesichtspunkten annahm. Eine neue Stufe erklomm die Bürgerbuchforschung dann nach dem Zweiten Weltkrieg durch die intensive Beschäftigung von Winfried Knausenberger mit der Quelle. Knausenberger stellte in über zehnjähriger Arbeit besonders familienkundliche und topographische Aspekte in den Mittelpunkt. Seine Arbeiten förderten eine große Zahl von Details ans Tageslicht, litten aber unter methodischen Mängeln. Oft fehlten eine systematische Herangehensweise und eine leitende Fragestellung. Obgleich niemand, der sich mit dem Lahrer Bürgerbuch beschäftigt, an Knausenbergers umfangreichem Werk vorbeikommt, hat es aus diesen Gründen in der Stadtgeschichtsschreibung kaum Spuren hinterlassen.
Die Entscheidung
(2020)
Über keinen Aspekt der neueren Lahrer Geschichte existieren mehr Legenden als über die „Flugplatzfrage“. Noch im April 2010 schrieb der Journalist Nicolas Scherger über die Lahrer Flugplatzpolitik, dass sich Lahr in den 1990er Jahren „selbst kastriert“ habe, da damals das „Potenzial für einen Verkehrsflughafen“ da gewesen sei, die Lahrer sich aber mit einem „Verkehrslandeplatz zufrieden gegeben“ hätten. Bereits mehr als zehn Jahre zuvor hatte IHK-Geschäftsführer und Flugplatz- Chef Wilhelm Peters in einem Brief an den neuen Lahrer Oberbürgermeister Dr. Wolfgang G. Müller geklagt, die Lahrer hätten die fliegerische Nutzung des Flugplatzes „total negiert“. Zitate wie diese ließen sich fast beliebig vermehren. Es ist in und um Lahr beinahe unumstößlicher Konsens, dass die Lahrer in den 90er Jahren entweder unfähig gewesen seien, eine kostendeckende und umfassende fliegerische Nutzung auf dem ehemaligen kanadischen Militärflugplatz zu installieren oder - dies die Alternativthese - von der „bösen“ Regierung, neiderfüllten Nachbarstädten und uneinsichtigen Fluggegnern daran gehindert worden wäre. An Mythen also ist in Lahr, wenn es um die Fragen des Flugplatzes geht, kein Mangel. Angesichts des Scheiterns des Verkehrslandeplatzes um 1995 herum wurden schnell Schuld- und auch Verschwörungstheorien geboren.
Eine Geschichte Lahrs im Ersten Weltkrieg liegt bislang nicht vor. Dieser Aufsatz versucht deshalb zunächst nur, einige grundsätzliche Entwicklungsstränge der Stadt in den Jahren zwischen 1914 und 1918 nachzuzeichnen . Dabei geht es vor allem um die Frage, wie die Stadt als „Leistungsverwaltung“ auf den Kriegsausbruch und die daraus resultierenden Anforderungen reagierte. Ob und wie die Leistungen der Stadt bei der Bevölkerung ankamen und wie sich die Lebensverhältnisse in Lahr tatsächlich entwickelten, ist nicht Thema dieses Aufsatzes. Politisch, sozial und wirtschaftlich jedenfalls war die Stadt des Jahres 1919 nicht mehr dieselbe wie die des Jahres 1914. In sehr kurzer Zeit durchlief sie eine sehr rasche Entwicklung, die hier zumindest in einigen Grundzügen nachgezeichnet werden soll.
Im vergangenen Jahr hatte Walter Caroli mit Beispielen zur Politik im Lahr des frühen 18. Jahrhunderts erstmals das Lahrer Gemeinderatsprotokoll der Jahre 1701 bis 1704 vorgestellt. In diesem Jahr sollen das Wirtschafts- und Finanzleben näher betrachtet werden, um einen weiteren Eindruck von der Vielfältigkeit und Faszination dieser Quelle zu vermitteln. Eine kleine Einleitung sei den Beispielen vorangeschickt.
„Militär und Industrie“ gilt gemeinhin als ein spannungsreiches Begriffspaar. Bis weit ins 19. Jahrhundert hinein pflegte das Bürgertum ebenso wie andere nichtadelige Gesellschaftsschichten und Klassen eine mal stärker, mal schwächer ausgeprägte Abneigung gegen alles Militärische. Thomas Nipperdey formulierte zusammenfassend: „[Zwischen] 1848 und den 60er Jahren [war] eher das Misstrauen gegenüber dem Militär dominant gewesen. Das Militär war teuer, es war privilegiert und exklusiv, anti-zivil und anti-bürgerlich, es war anti-parlamentarisch, innenpolitische Waffe der Gegenrevolution und des Staatsstreichs.“ Kurz: Militär galt als unproduktiv, parasitär, undemokratisch und zerstörerisch. Bekanntlich änderte sich das in den 1860er Jahren, doch das gleichzeitige Mit- und Nebeneinander von Industrie und Militär bemerkte noch sehr kritisch um 1900 der katholische Pfarrer und badische Abgeordnete Heinrich Hansjakob.
Im letztjährigen „Geroldsecker Land“ wurde versucht zu schildern, wie der Erste Weltkrieg die Stadt Lahr beeinflusst hat. Wie er die Stadtverwaltung modernisierte und die politischen Verhältnisse veränderte. 1919 war die Stadt nicht mehr dieselbe wie 1914. Eine solche „strukturelle“ Sicht auf die Stadt und ihre Geschichte ist nötig, denn in ihr werden die Veränderungen und der geschichtliche Verlauf oft deutlicher als im kleinen Detail. Doch geht dabei etwas anderes verloren. Nämlich die konkrete und alltägliche Erfahrung der Menschen jener Zeit. Was hilft es, wenn man weiß, wann die Stadt ein Lebensmittelamt einrichtete und wie es organisiert war, wenn man nicht gleichzeitig schaut, ob dessen Tätigkeiten im Leben der Menschen überhaupt etwas bewirkte? Gerade der Erste Weltkrieg war eine Zeit, in der die Menschen in kürzester Zeit Erfahrungen machten, die sich oft widersprachen und Veränderungen bewirkten, für die die Geschichte sonst Jahrzehnte braucht. Dieser Krieg war für die Menschen in aller Regel eine Zeit der Entbehrung, der Not und der tiefen Schicksalsschläge. Schon 1914 setzte deshalb der Kampf um den „Sinn“ dieses Krieges und dieser Zeit ein. Warum hatte man gelitten? Warum waren der Sohn, der Ehemann, der Vater gefallen?