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Freiheit und Prädestination
(2000)
Seit die neuzeitliche „Freiheit“ die Bühne der Weltgeschichte betrat, scheint dem Katholizismus ein reaktionärer Zug anzuhaften — reaktionär vor allem im Sinne von reagierend auf neue Paradigmen des Denkens und Lebens. Der Streit um Freiheit und Gnade hatte nicht nur zur Reformation geführt, sondern auch innerkatholisch eine Spaltung bewirkt. Die Jesuiten waren die Träger der katholischen Reaktion auf die neuzeitliche Herausforderung. Nach der Vollendung des neuzeitlichen Freiheitsdenkens im System Hegels war es die antimetaphysische Moderne, mit der ihr eigenen Weltlichkeit, welche die katholische Theologie in die Defensive drängte. Die Spannungen spitzten sich auch innerkatholisch zu, als im neunzehnten Jahrhundert die Neuscholastik als das Modell katholischen Denkens instauriert wurde. Die Kirche reagierte mit der Rückbesinnung auf die Metaphysik ihrer mittelalterlichen „Hoch-Zeit“. Nur um den Preis der anachronistischen Selbstghettoisierung gelang es ihr, der Neuzeit und der Moderne die Stirn bieten zu können. Was zunächst nur als ein theoretisches Problem erscheint, zog auch eine Reihe von persönlichen, existenziellen Tragödien nach sich. Die persönlichen Schicksale blieben nicht beschränkt auf die hohe Theologie, auch auf der lokalen Ebene gerieten Theologen zwischen die Fronten. Es sei dabei an ungezählte Christen erinnert, Priester und Laien, Theologen und Ordensleute, die an den Spannungen der Zeit litten und vielleicht auch daran zerbrachen. Hier ist nun eines weitestgehend unbekannten Priesters der Diözese Freiburg zu gedenken, in dessen Leben und Werk sich die Zerklüftungen der Moderne spiegeln und der versuchte, sie nach bestem Wissen und Gewissen zu überbrücken. Zuerst soll sein Lebenslauf vorgestellt werden, sodann wird ein Überblick über sein Werk gegeben, um schließlich zwei Kernpunkte seines Denkens systematisch darzustellen und abschließend Person und Werk zu würdigen.
Vom Benediktiner zum Täufer
(2000)
In den vergangenen Jahren kamen mehrmals amerikanische Täufergemeinden nach St. Peter im Schwarzwald, um an der ihnen überlieferten frühen Wirkungsstätte nach Spuren und Erinnerungen ihres Glaubensbruders Michael Sattler zu suchen. Dort freilich war der Name nicht bekannt. Die ältere Literatur zur vormaligen Benediktinerabtei vermittelte den Eindruck, dass Reformation und Bauernkrieg fast spurlos an St. Peter vorbeigegangen seien. Dies war kein Zufall. Gehört doch die „damnatio memoriae“, die Vernichtung, besser noch die Verhinderung der Erinnerung zu den Mitteln der Verdrängung, deren sich gesellschaftliche und politische Gruppierungen im Umgang mit unliebsam gewordenen Personen, Häretikern oder Dissidenten, immer bedient haben. Eben dies gilt wohl auch für jenen Michael Sattler, der es nach alten Überlieferungen im Benediktinerkloster St. Peter auf dem Schwarzwald bis zum Prior gebracht hatte, um 1524 die Abtei verließ und wenige Jahre danach als Mitbegründer der Täuferbewegung in Rottenburg a. N. hingerichtet wurde.
Vor gut 650 Jahren
(2000)
„Gegen eine Welt von Feinden kann sich keiner wehren.“ Galt dies im April 1944 für Hannah Arendt als Erklärung, warum die jüdische Untergrundarbeit erst dann einsetzte, als die nicht-jüdische Zivilbevölkerung mehrheitlich ihre feindliche Haltung aufgab, so kann diese nüchterne Erkenntnis auch das Fazit für die Verfolgungen der Jahre 1348/49 bilden. Die sog. Pestpogrome überstand im gesamten westlichen Teil des Deutschen Reiches nur die jüdische Gemeinde von Regensburg. Für Berthold Rosenthal waren sie 1927 der „Höhepunkt der Leiden Israels“. Nach den Pogromen bildeten sich nur noch in einem Teil der früheren Städte die Gemeinden neu, ihre vormalige Größe wurde nirgendwo erreicht. Hatte man vor 1349 den Juden und Jüdinnen gelegentlich Bürgerrechte und bleibendes Wohnrecht zugestanden, so konnten sie danach nur noch zeitlich befristete „Schutzbriefe“ erhalten. „Judenpolitik“ wurde Sache der Städte, was die Vertreibungen aus ihnen hundert Jahre später möglich machte. Wie war es zu „der Welt ihrer Feinde“ gekommen?
Das Bild der Madonna im Rosenhag, 116 x 76 cm, in neugotischem Goldrahmen, Freiburger Privatbesitz, blieb bisher ebenso unveröffentlicht wie die anderen Kopien des 19. Jahrhunderts. Auf Leinwand gemalt, hat es auf der Rückseite „J. Schultis / nach M. Schongauer“ signiert (Abb. 1). Von diesem Freiburger Maler wissen wir nur, dass er als Bruder Simeon mit der Beuroner Malerschule um 1878 in Monte Cassino arbeitete. Später wandte er sich nach Stil und Form der Neugotik zu und erhielt um 1893 den Auftrag, drei Fresken mit der Legende des hl. Bernhard in der Kirche des Cistercienserinnenklosters Lichtenthal bei Baden-Baden zu malen. In der Folge des II. Vatikanischen Konzils wurden sie 1965 zerstört. Eine kurze Beschreibung soll zur Einordnung des Freiburger Bildes verhelfen, obgleich der Zustand beschädigt und die Qualität mäßig ist. Maria sitzt frontal auf einer Rasenbank, die von Akelei, Erdbeerstauden und Lilien gerahmt wird. Auf ihrem linken Arm trägt sie das göttliche Kind, dessen rechtes Ärmchen ihren Hals unter den lang herabfallenden Haaren umschlingt. Sie hat ihm über den Zipfel ihres karminroten, grünlich gefütterten Mantels, den sie über einem zinnoberroten Gewand trägt, ein weißes Tuch ausgelegt. Die eng anliegenden Ärmel eines blauen Unterkleides werden sichtbar.
„Nur jener erfaßt wirklich ein Kunstwerk in seiner Aussagekraft, der darob entzückt und hingerissen wird.“ Gewiß wollte der überragende Theologe Hans Urs von Balthasar das Staunen ungezählter Münster-Turm-Besichtiger nicht abwerten durch dieses Weisheitswort. Schaut jemand, selber einsachtzig klein, erstaunt auf zu dem steil aufragenden Turm-Gebirge — Stein auf Stein, Stein auf Stein aufgetürmt —, kann nachdenkliches Fragen sich regen: Warum haben jene fernen Geschlechter so etwas gemacht, und für wen? Bewundernd erblicken viele von allen Seiten dieses Wunderwerk gotischer Baukunst; sie preisen die vollendet-schöne Gestalt — und manche fangen wohl an, den darin aufscheinenden Sinn-Gehalt zu entdecken. Andere jedoch finden an dem, was sie in bloßer Ästhetik trunkenen Auges sehen, ihr Genügen: diesen einzigartigen Körper betrachten sie, verborgen aber bleibt ihnen der darin einwohnende Geist. Wieder andere, Experten, meinen, das ganze Bauobjekt weit erforscht zu haben: alles, bis zu den Einzelheiten, ist exakt vermessen, die Maßverhältnisse sind verstanden, Vergleiche über Vergleiche mit anderen Kunstwerken werden gezogen, Geschichtliches wird wissenschaftlich noch und noch aufgehäuft. Solchem Analysieren und auch additiven Syntheseversuchen hat schon Goethe entgegengehalten: „Ihr habt die Teile in der Hand; fehlt leider das geistige Band.“
Am 30. August 2001 wäre der langjährige Freiburger Pastoraltheologe Josef Müller (1931-1998) 70 Jahre alt geworden. Viele haben in Josef Müller, der als Seelsorger und Professor gleichermaßen anerkannt war, einen stets gesprächsbereiten Partner und Lehrer gefunden. Es zeichnete ihn aus, dass er zur Treue im Kleinen stets neu bereit war — ohne dabei die Durchblicke und Perspektiven für den größeren Zusammenhang zu verlieren. Pastoraltheologen und Religionspädagogen im wissenschaftlichen Diskurs, besorgte Eltern, geplagte Pfarrer und Dekane, in den Medien und der Öffentlichkeitsarbeit Tätige, bischöfliche Kommissionen und Ordinariate — sie alle haben in Josef Müller einen kundigen und verbindlichen Gesprächspartner gefunden.
Im Jahre 1909 wurde Josef Sauer vom badischen Großherzog zum Konservator der kirchlichen Denkmäler ernannt. Damit trat er nach einer achtjährigen Vakanz das Amt an, das schon sein Lehrer Franz Xaver Kraus unter dem Titel „Konservator der kirchlichen Altertümer“ von 1882 bis zu seinem Tode 1901 bekleidet hatte. Wie bei Kraus war es ein Nebenamt neben der ab 1905 außerordentlichen, ab 1916 dann ordentlichen Professur in Freiburg. Es war ein staatliches Amt, kein kirchliches, nicht etwa eine Art Diözesankonservator, und es bezog sich auf die Kirchen beider christlichen Konfessionen. Es gab allerdings kein Denkmalamt im heutigen Sinne.
Es waren hauptsächlich drei Gründe, die mich bewogen, neben der Fülle bislang publizierter Bild- und Textdokumente zum französischen Deportations- und Internierungslager Gurs nach weiteren Belegen zu suchen: Zum einen die Vorbereitung auf eine fünftägige Gedenkstätten-Gruppenreise im Herbst 2000, die mich über Orleans und Oradour-sur-Glane (b. Limoges) nach Gurs, ca. 13 km nordwestlich von Oloron-Ste. Marie an der Route D 936, ins Departement Pyrenees-Atlantiques und von dort via Noe (b. Toulouse) in das gleichermaßen berüchtigte ehemalige Lager Les Milles östlich von Aix-en-Provence und schließlich nach Carpentras geführt hat. Zusammengenommen anläßlich des sechzigsten Jahrestages der Deportation von sechseinhalbtausend badischen und saarpfälzischen Juden am 22. Oktober 1940. Zum anderen war es meine Vermutung oder eher Zuversicht, aufgrund positiver Erfahrungen bei der Beschaffung von westalliierten Aufklärerfotos zur Totalbombardierung meiner Heimatstadt Halberstadt im nordöstlichen Harzvorland am 8. April 1945 sowie zum fünf Kilometer weiter südlich gelegenen, am 11. April von US-Truppen befreiten KZ Langenstein-Zwieberge, daß solche Senkrechtluftaufnahmen aus zumeist 6 bis 9 Kilometer Höhe auch für Orte außerhalb der reichsdeutschen Grenzen, also für die von der Wehrmacht besetzten Gebiete existieren müßten. Fotodokumente jedenfalls, die das von den ehemals
Internierten so intensiv erinnerte kilometerweite Ausmaß des hier interessierenden südwest-französischen Lagers Gurs besonders deutlich werden ließen. Drittens lag mir daran, mit Hilfe der mutmaßlich zu beschaffenden Luftbilder die bislang publizierten lediglichen Lagerskizzen bzw. -pläne nebst zugehörigen Erläuterungen zu verifizieren, sie authentisch belegt zu
ergänzen und die Fotodokumente anhand eigener Erkenntnisse während der Gedenkstättenbesichtigung - soweit es die Zeit unserer Gruppe dort zuließ -, sachlich weitgehend korrekt zu beschriften.
In der spätmittelalterlichen Geschichte von Stadt und Amt Marbach gibt es eine
eigentümliche, rund vierzigjährige Periode. In dieser Zeit, genauer zwischen 1463
und 1504, empfingen die württembergischen Herrscher die genannte Amtsstadt,
die ja bereits 1302 an Württemberg gelangt war, mit mehr als einem Dutzend zugehöriger Dörfer und Weiler [1] vom Pfalzgrafen bei Rhein zu Lehen. Dies ist ein
bemerkenswerter Vorgang, hatte doch zuvor noch kein württembergischer Graf in
einem Lehensverhältnis zur Kurpfalz gestanden. Die neuere Forschung sieht in
dieser »Lehensauftragung« folglich einen Vorgang, der für die württembergisch-pfälzischen Beziehungen von »enormem politischen Symbolwert« gewesen sei. [2]