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Die Altstadtkirche
(2001)
Der Beitrag, den die Arbeitsgemeinschaft (AG)
Geschichte am Gymnasium Romäusring zum Tag
des offenen Denkmals 2000 präsentierte, ist nicht
nur eine enorme Fleißarbeit, sondern eine echte
Meisterleistung. Unter dem Titel „Die Altstadtkirche“ haben Thomas Kirchner, Eva Spira, Stefanie Spira, Marc Weber und ihr Geschichtslehrer
Bernd Schenkel eine Dokumentation vorgelegt,
die weit über den Tag des Anlasses hinaus beachtlichen historischen Wert hat.
Villingen baut ein Gymnasium
(2009)
Höhere Schulen in Villingen sind keine Entwicklung des 20. Jahrhunderts. Höhere Bildung gab es hier schon im späten Mittelalter. Im 18. Jahrhundert existierten in Villingen zwei Gymnasien. Eines wurde von den Franziskanern unterhalten, das andere von den Benediktinern – eines zu viel für die kleine Stadt Villingen. Die vorderösterreichische Regierung in Freiburg entschied 1774, nur die Benediktiner sollten weiterhin ein Gymnasium betreiben. Den Franziskanern wurde die Normalschule, damals meist ‚Hauptschule’ genannt, übertragen. Die Schülerzahl im Gymnasium schwankte zwischen 50 und 70 Schülern. Mit dem Ende der Zugehörigkeit Villingens
zu Österreich wurden die letzten Klöster – 1806 auch das Benediktinerkloster – aufgelöst. Nur das Ursulinenkloster überlebte, da es die Mädchenbildung in der Stadt übernommen hatte. Das Ende des Benediktinerklosters bedeutete auch das Ende des Gymnasiums in Villingen. Es folgte ein letztlich erfolgloses Bemühen des Rats der Stadt und des Bürgermeisters, das Gymnasium doch noch zu erhalten.
Wenn wir von Baden und Württemberg sprechen,
so haben wir meist die beiden Länder vor Augen,
wie sie sich im 19. und 20. Jahrhundert darstellten:
Das schlanke Baden, das sich den Rhein entlang
vom Bodensee bis an den Main erstreckte und
das etwas massigere Württemberg, das von Oberschwaben bis zum Taubergrund reichte. Diese beiden Länder haben denselben Vater: Napoleon.
Nach seinen Siegen über das habsburgisch geführte
Deutsche Reich ging er daran, Deutschland nach
seinen Bedürfnissen umzugestalten. Die Beseitigung des territorialen Flickenteppichs im deutschen Südwesten erwies sich als sehr dauerhaft. Die
Markgrafschaft Baden vervierfachte ihr Territorium und wurde zum Großherzogtum Baden. Das
Herzogtum Württemberg verdoppelte seine Fläche
und wurde zum Königreich. Die von den beiden Fürstenhäusern neu dazu erworbenen Gebiete
waren oft keineswegs glücklich über ihre neue
Zugehörigkeit.
Das gotische Kreuz aus dem Benediktinerkloster St. Trudpert und das Benediktinerkloster Mariastein
(2004)
Vom 18. Oktober bis 9. November 2003 wurden im Augustiner-Museum zu Freiburg im Breisgau die zwei mittelalterlichen Kreuze, beides hochwertige Goldschmiedearbeiten, die einst der breisgauischen Benediktinerabtei St. Trudpert in Münstertal Schwarzwald gehört hatten, ausgestellt. Das ältere, das so genannte Niello-Kreuz aus dem 12. Jahrhundert, befindet sich noch heute am ursprünglichen Ort als Eigentum der Pfarrgemeinde von St. Trudpert in Münstertal. Das andere, — es stammt aus dem 13. Jahrhundert, — kam über Umwege in die staatliche Ermitage St. Petersburg. Von diesem Kreuz ist aber auch bekannt, dass es eine Zeitlang im Besitze des Benediktinerklosters Mariastein war. Allerdings sind die Umstände des Erwerbs unklar. Über den Verkauf dieses gotischen Kreuzes blieb jedoch im Kloster Mariastein die Überlieferung erhalten, dass es in der Zeit des Aufenthaltes der aus Mariastein vertriebenen Mönche in Delle (1875-1901) verkauft wurde. Im Folgenden soll diesen verwickelten Spuren etwas nachgegangen werden, um etwas Klarheit zu schaffen, auch wenn einige Fragen offen bleiben müssen.
Hitlers Umbauprogramme für Berlin, Nürnberg oder München zu nationalsozialistischen Vorzeigemetropolen gerieten in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr in den Fokus detaillierter
kunsthistorischer und geschichtswissenschaftlicher Forschung. Die größenwahnsinnige Bauwut beschränkte sich jedoch keineswegs auf einige ausgesuchte Großstädte: Eine neuere Studie belegt etwa am Beispiel Posen (heute Poznan), da Hitler selbst während des Krieges eine
führenden Architekten noch mit ehrgeizigen Projekten auf gerade erobertem Terrain beauftragte. In mancherlei Hinsicht kann Straßburg dabei als westliches Gegenstück zu Posen betrachtet werden: Kaum zufällig sollte in beiden Städten eine Reichsuniversität eröffnet werden
und kaum zufällig sollten die jeweiligen Gauleiter auf Geheiß des „Führers" innerhalb von zehn
Jahren die umliegenden Gebiete germanisieren bzw. entwelschen.
Im Sommer 1940 entwarf Hitler die Grundlinien eines gewaltigen Bauprojektes für die elsässische Metropole, des en Ausführung er seinem ,.Leibarchitekten" Alben Speer anvertraute.
Al Gegenstück zum mittelalterlichen, vom Münster dominierten „Alten Straßburg" würde
fortan das „Neue Straßburg" von der Gigantomanie des „Tausendjährigen Reiches" zeugen.
Als am Morgen des 6. März 1933 am Freiburger Rathaus die Hakenkreuzflagge gehisst wurde,
bedeutete dies ein Fanal: Von jetzt an hatte die NSDAP mit ihren braunen Helfershelfern in der
SA und anderen Organisationen das Sagen, und zwar nicht nur in Berlin, wo tags zuvor die
Reichstagswahl zwar nicht ganz so überzeugend wie erwartet, so doch reichlich „braun" ausgefallen war, sondern auch in Freiburg, wo die NSDAP mit 35,8% zur stärksten Partei avancierte. Obwohl hier noch nicht wirklich installiert, hissten die Nazis trotz des durch den noch
amtierenden demokratisch gewählten Zentrums-Oberbürgermeister Karl Bender ausgesprochenen Verbots die Hakenkreuzfahne auf dem Balkon des Rathauses, also am zentralen Ort
kommunaler Machtausübung.
Für die Zeitenwende 1918/1919, den Zusammenbruch des Kaiserreichs, die Revolution und die Einführung einer neuen
Staatsverfassung, hat sich in Kehl eine einzigartige Quelle erhalten, die es ermöglicht, die Geschehnisse vor Ort aus einer ganz persönlichen Perspektive zu rekonstruieren: das Tagebuch von Mathias Nückles V.
Déjà vu?
(2017)
Seit April 2017 fährt die Straßburger Straßenbahn wieder nach Kehl und die beiden sich am Rhein gegenüberliegenden Städte sind verkehrstechnisch so eng aneinander gebunden, dass Fahrgäste aus beiden Nationen beinahe unbemerkt und selbstverständlich die Landesgrenze überschreiten können. Vor knapp 120 Jahren gab es diesen Moment schon einmal, als die erste Trambahn der Straßburger Straßenbahn-Gesellschaft über den Rhein dampft und Marktfrauen wie Arbeiter aus Kehl und dem Hanauerland nach Straßburg beförderte. Besonders an Feiertagen und Wochenenden waren die Bahnen überfüllt, weil Touristen aus Straßburg im benachbarten Kehl Erholung suchten. Geradezu schwärmerisch pries am Vorabend des Ersten Weltkrieges das Adressbuch der Gesamtgemeinde Kehl von 1914 den öffentlichen Nahverkehr: »Die Verkehrsverbindungen mit dem nahen Straßburg sind vorzügliche«. Tatsächlich herrschten seinerzeit beinahe paradiesische Verhältnisse: Im Zehn-Minutentakt passierte die von Kehl kommende Straßenbahn die Rheinbrücke, von morgens 6 Uhr bis 12 Uhr nachts. Tatsächlich war die damalige Publikumserwartung an die Dienstleistung des öffentlichen Nahverkehrs deutlich höher als heute: Keineswegs zufrieden mit der bereits erreichten Zugtaktung, wollte die betreibende Straßburger Straßenbahn-Gesellschaft die Rheinüberfahrt im Fünf-Minutentakt bewältigen, scheiterte jedoch an bürokratischen Hemmnissen. Im Gegensatz zu heute erwies sich das Betreiben dieser Straßenbahnlinie keineswegs als Zuschussgeschäft , sondern als lukrative Angelegenheit. Wie auch heute musste damals eigens für die Tram eine neue Brücke gebaut werden, und es war für die Straßburger Aktiengesellschaft keine Frage, dass sie sich mit einem nicht unerheblichen Beitrag an den Baukosten beteiligte – eine Investition, die sich schon bald amortisieren sollte.
Mit der Publikation von Briefen der Redakteurin Käthe Vordtriede eröffnete sich im Jahr 1998 ein ganz neuer und sehr persönlicher Zugang zum Alltag im nationalsozialistischen Freiburg der Jahre 1933 bis 1939. Es handelte sich um einen Zufallsfund, welchen wir letztlich ihrem Sohn Werner Vordtriede verdanken. Der 1985 gestorbene Literaturwissenschaftler hatte seinen schriftlichen Nachlass dem Deutschen Literaturarchiv in Marbach vermacht. Neben vielen anderen Unterlagen fanden sich bei der Sichtung 150 Briefe seiner Mutter, die der bereits mit 18 Jahren zuerst in die Schweiz, später in die USA emigrierte Werner Vordtriede sein ganzes Leben lang verwahrt hatte. Die Briefe stellen eine unschätzbare Quelle dar, denn sie bilden in ihrer zeitlichen Unmittelbarkeit ein einzigartiges Dokument über die Ereignisse, besonders über das Verhalten der Bürgerinnen und Bürger einer mittelgroßen deutschen Stadt in den Jahren nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten. Der Herausgeber Manfred Bosch charakterisiert diese Schriftstücke als „Akte der Abwehr, um sich den täglichen Dreck von der Seele zu waschen".
Zweimal verbrachte sie eine wichtige Zeit ihres Lebens in Freiburg. Das erste Mal kam Olga Fajans im Frühjahr 1897 als wissbegierige junge Frau am Freiburger Hauptbahnhof an, um für einige Semester Medizin zu studieren, das zweite Mal gut zwei Jahrzehnte später als Olga Hempel, um nach einer gescheiterten Ehe mit ihren drei Kindern an der Dreisam ein neues
Leben aufzubauen. Wie so oft bei der geschichtswissenschaftlichen Arbeit ist auch hier dem Zufall zu danken, der es ermöglichte, einem außergewöhnlichen Leben auf die Spur zu kommen. Im Rahmen meiner Suche nach Informationen über Freiburger Studentinnen erfuhr ich, dass am Institut der Geschichte der Medizin der Freien Universität Berlin ein Forschungsprojekt über Ärztinnen im Kaiserreich durchgeführt wurde. Unter den 792 deutschen Ärztinnen, die dort in fast
15-jähriger mühsamer Recherche erfasst werden konnten, befand sich auch Olga Hempel. Frau Jutta Buchin, die an dem Projekt maßgeblich beteiligt war, stellte mir die entsprechenden Ergebnisse freundlicherweise zur Verfügung. Sie vermittelte mir auch den Kontakt zu Olga Hempels Enkelin Irene Gill im englischen Oxford, die neben zahlreichen Briefen die Lebenserinnerungen ihrer Großmutter verwahrt, welche diese von 1948 an für ihre Familie in drei umfangreichen Notizbüchern niedergelegt hat. Unlängst konnte das Freiburger Stadtarchiv ein Exemplar dieser Aufzeichnungen in seine Sammlung aufnehmen.
Die Grenze als Schicksal
(2020)
Am 19. Juli 1870 erklärte Frankreich Preußen den Krieg. Dadurch wurde der Bündnisfall ausgelöst, d. h. das »geheime Schutz- und Trutzbündnis«, das Baden im August 1866 ebenso wie die anderen süddeutschen Staaten mit Preußen abgeschlossen hatte, trat in Kraft. Dies war auch in Kehl bekannt, und so flohen unmittelbar nach der Kriegserklärung die ersten Bewohner aus der Stadt. Ihnen steckte vor allem die Erfahrung in den Knochen, dass sie bei Auseinandersetzungen zwischen Franzosen und Deutschen stets die ersten Leidtragenden waren.
Adelheid Steinmann
(2011)
Adelheid Steinmann wurde am 26. April 1866 in Heidelberg in ein großbürgerliches Elternhaus hineingeboren. Ihr Vater Heinrich Holtzmann war Professor für Theologie zunächst in
Heidelberg, später in Straßburg. Auch den Kindern wurde selbstredend die höchstmögliche Bildung zuteil. Bruder Robert studierte Geschichte, Bruder Friedrich Medizin, beide schlugen
ebenfalls die akademische Laufbahn ein, beide brachten es wie der Vater zu einer Professur. So
war es nur natürlich, dass auch Adelheid 1886 mit 20 Jahren standesgemäß ins Bildungsbürgertum einheiratete. Ihr Ehemann war der hoch gebildete und zehn Jahre ältere Gustav Steinmann,
Geologieprofessor zuerst in Jena, später in Freiburg. Adelheid Steinmann war eine Politikerin, welcher die Stadt Freiburg ebenso wie die Universität viel zu verdanken hat, die aber im kollektiven Gedächtnis der Stadt nur wenige Spuren hinterlassen hat. Ein erster Schritt, dies zu ändern, war die Benennung einer Straße im Rieselfeld.
Straßenschilder sind kleine Denkmäler, und sie bergen ebenso wie diese eine Gefahr, nämlich
die, dass man zwar den Namen kennt, vielleicht auch täglich an ihnen vorbeigeht, sie aber
eigentlich gar nicht richtig wahrnimmt. Kaum jemand verspürt den Wunsch, mehr dahinter entdecken zu wollen als eben die Kennzeichnung einer Straße, was im Alltag ja in erster Linie dazu
dient, dass sie vom Briefträger oder von der Paketzustellerin gefunden wird.[1]
Der Frauenbeauftragten Frau Ursula Knöpfte ist dafür zu danken, dass sie die vermeintlich
zwingende Logik von kurzer Denkmalehrung und schnellem Vergessen aufgebrochen hat -
zunächst 2006 mit dem Frauengeschichtsplan der Stadt Freiburg, dann mit einer Vortragsreihe,
bei der im Januar 2007 Adelheid Steinmann genauer vorgestellt werden konnte (Abb. 1)[2]
Bildung und Erziehung auf dem Hintergrund des biblischen Menschenbildes hat eine lange Tradition, vor allem in den Klosterschulen. Vor dem Hintergrund des fehlenden Nachwuchses für die Orden und die geistlichen Gemeinschaft en stellte es eine enorme Herausforderung dar, für diese Schulen eine zukunftssichere Trägerstruktur zu finden um ihre geschätzte und anerkannte Arbeit auch in Zukunft fortführen zu können. Die aus dieser Fragestellung heraus mit Sitz in Freiburg gegründete Schulstiftung der Erzdiözese Freiburg garantiert seit 25 Jahren, dass Bildung und Erziehung junger Menschen in der Tradition der Klosterschulen und diözesaner kirchlicher Schulen mit einem ablesbaren inhaltlichen Schulprofil auf dem Hintergrund
christlicher Werterziehung gesichert ist.
Unter den vielen Künsten, welcher sich die Kirche zur Verherrlichung Gottes bedient, nimmt die Musica Sacra eine Sonderstellung ein. Schon im Schlüsselerlebnis des auserwählten Volkes, der Errettung aus der Knechtschaft in Ägypten, ist von ihr die Rede: „Damals sang Mose mit den Israeliten dem Herrn dieses Lied; sie sagten: Ich singe dem Herrn ein Lied, denn er ist hoch und erhaben“ (Ex 15,1). Die Beschreibung des Gottesdienstes im Heiligen Zelt und die Psalmen bieten zahlreiche Belegstellen für den begleitenden Einsatz von Instrumenten beim Gesang zum Lobe Gottes. Die Liturgie des neuen Gottesvolkes ist ohne Musik nicht vorstellbar. „Jesus und die frühen Gemeinden verstehen sich in allererster Linie als Beter und lobsingende Gemeinde“ (Klaus Berger). Ihre missionarische Kraft schöpft die Kirche nicht zuletzt aus jenen Harmonien, die imstande sind, Herz und Sinne der Menschen zu Gott hin zu bewegen. Kirchenmusikpflege einer Gemeinde ist darum so alt wie die Gemeinde selbst. Sie beginnt in Offenburg spätestens 1182 mit der Ersterwähnung eines Geistlichen, des „Fridericus sacerdos“, in jenem Kirchenbau, der 1221 als „ecclesie in Offenburc“ wohl an der Stelle der heutigen Pfarrkirche Heilig Kreuz bezeugt ist.
Konrad Schmider (1859-1898)
(2006)
Die Stadt Wolfach gedenkt in diesen Tagen ihres Sohnes Konrad Schmider, der am 6. Juli 1898 beim Ausmalen de Schlosses in Mannheim auf tragische Weise ums Leben kam. Schmider, der nur 39 Jahre alt war, wurde 1859 geboren. Im gleichen Jahr starb in Haslach der unter dem Namen „Der närrische Maler von Haslach" bekannte Künstler Carl Sandhaas. Diese rein zufällige, fast nahtlose Aneinanderfügung zweier Künstlerlebensläufe wäre interessant genug, um Vergleiche anzustellen. Ich möchte nur auf einen einzigen Punkt aufmerksam machen. In der Biographie von Carl Sandhaas ist davon die Rede, er habe in seiner Münchener Zeit die Nähe des Malers Peter Cornelius gesucht. Damit sind wir auf den vielleicht bekanntesten Namen gestoßen, den man zuerst nennt, wenn man von den so genannten ,,Nazarenern" spricht. Wer waren diese Nazarener? Und
weil nun unser Konrad Schmider der jüngsten Gruppe dieser Kunstrichtung angehört, müssen wir zunächst den Begriff „Nazarener" erklären. Dann will ich versuchen, Ihnen in mehreren Schritten meine „Gedanken zum Umgang mit dem Lebenswerk eines Nazareners" vorzutragen.
Innerhalb der deutschen dialektologischen Forschung dieses Jahrhunderts ist es
unzweifelhaft der alemannische Raum, dem die Vorreiterrolle zukommt. Das
betrifft natürlich ganz besonders die hier im Mittelpunkt stehende dialektologische
Feldforschung zur Erarbeitung von Sprachatlanten. Daß dies nicht nur gleichsam
aus dem besonderen alemannischen Stammescharakter resultiert, sondern ebenso
vor dem Hintergrund der spezifischen politischen und Kulturgeschichte, vor allem
der Schweiz, in einem für sie ohne die Rückschläge zweier Weltkriege verlaufenen
Jahrhundert zu sehen ist, ist offensichtlich. Die deutsche Schweiz als Hort der
Stabilität in der südwestlichen Ecke des deutschen Sprachraums konnte so der
Impetusgeber sein für die sie umgebenden alemannischen Regionen Frankreichs,
Deutschlands, Liechtensteins und Österreichs und in weiterer Folge auch für die
bairischen und fränkischen Nachbarn.
Vier Generationen lang stellte ausschließlich die Familie Müller die Lehrer in
Truchtelfingen. Vor dieser Zeit liegt das örtliche Schulwesen völlig im Dunkeln. Selbst die weit zurückreichenden Kirchenbücher helfen nicht weiter.
Mitte des 16. Jahrhunderts ist der früheste planmäßige Unterrichtsbetrieb im
Orte anzunehmen analog der allgemeinen Schulentwicklung im Lande. Durch
den nachmaligen Dekan in Herrenberg wissen wir, dass eine Schule in Truchtelfingen jedenfalls im Jahr 1653 bereits bestanden hatte [1]
. Weitere Aufhellung
bringt ein Brief aus dem Jahre 1718. Der damalige Schreiber, M. Julius Nördlinger, Pfarrer in Tailfingen, berichtet über äußerst ungute Truchtelfinger
Schulverhältnisse. Die Kinder seien durch die beiden Lehrer äußerst unbefriedigend unterrichtet worden [2].
Marbach im Sommer 1914
(2014)
Erst im Abstand von hundert Jahren gelangt die Bedeutung des Jahres 1914 richtig
ins allgemeine Bewusstsein. Erst jetzt wird deutlich, wie alle die großen Umwälzungen
des 20. Jahrhunderts in den Geschehnissen jenes Jahres ihren Ausgang nahmen. Im
Folgenden soll gezeigt werden, wie sich das große Weltgeschehen in der kleinen Stadt
Marbach ausgewirkt hat, was die Bürger zu spüren bekamen, wie sich ihr Leben verändert hat, womit sie fertig werden mussten.
Dazu ist erforderlich, dass die Stadt von 1914 zunächst vorgestellt wird. Marbach
wies damals zwei Wachstumsspitzen auf: im Osten den schon 1879 eröffneten Bahnhof und im Süden das 1903 eröffnete Schillermuseum. Entlang den strahlenförmig
vom mittelalterlichen Stadtkern ausgehenden Straßen entstanden mehr und mehr
landwirtschaftliche Anwesen, deren Besitzer aus der Enge der Altstadt aussiedelten.
An der Straße zum Bahnhof wurden in sicherer Entfernung zur Kernstadt auch mehrere
ländliche Villen gebaut, die heute im Verlauf von Güntterstraße und Goethestraße
noch erhalten sind. Was es in Marbach im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts nicht
gab, war ein weiträumiger Stadtentwicklungsplan, der eine klare Trennung zwischen
Wohn- und Gewerbe- bzw. Industriegebiet vorgesehen hätte. Es gab fabrikähnliche
Anwesen im Westen an der Ludwigsburger Straße, eine Schuhfabrik beim Schillermuseum, Möbelfabriken beim Bahnhof und an der Schillerstraße, und die Ludwigsburger Firma Franck betrieb eine Zichorienfabrik an der Straße nach Rielingshausen.
Aber nicht nur Aussiedlerhöfe und Fabriken wurden gebaut. Es war ein Jahrzehnt,
in dem auch eine ganze Reihe öffentlicher Bauten errichtet wurde. Ein Jahr nach dem
Schillermuseum konnte die städtische Turnhalle an der Haffnerstraße eingeweiht
werden, die lange Zeit auch als städtische Festhalle diente. Zwei Jahre später erstrahlte
in Marbach elektrisches Licht.
Im Jahre 1795 sollte der französische Gesandte in Hamburg, der aus Schorndorf stammende Karl Friedrich Reinhard, für ein vom Konvent beschlossenes Nationalinstitut der Künste und Wissenschaften ausländische korrespondierende Mitglieder aus
Deutschland vorschlagen. Auf der Liste, die Reinhard daraufhin nach Paris sandte,
stand an erster Stelle der berühmteste Gelehrte der Zeit, der Königsberger Philosoph
Immanuel Kant. Darauf folgten Professoren aus Göttingen und sonstige norddeutsche Persönlichkeiten, aber auch noch Namen aus seinem heimatlichen Württemberg, darunter Friedrich Ferdinand Drück, der in Stuttgart Geschichte und Geographie lehrte. Durch den Platz auf der Liste ließ Reinhard zwar den Rangunterschied
deutlich werden, aber allein die Nennung der Schwaben war als Auszeichnung zu
werten.
Dieser Friedrich Ferdinand Drück wird in der Oberamtsbeschreibung von 1866
unter die ausgezeichneten Männer gezählt, deren Wiege in Marbach stand. Und er
gehört wie Friedrich Schiller, Tobias Mayer und Karl Georg von Wächter zu jenen,
die ihren Geburtsort schon in früher Jugend verlassen haben. Dass Drück von allen
am wenigsten im Gedächtnis geblieben ist, hängt damit zusammen, dass die Erinnerung an das unmittelbare Wirken eines Lehrers spätestens mit seinen Schülern erlischt.
Eine Sammlung der Briefe dieses Marbachers an verschiedene Empfänger konnte
vor einiger Zeit vom Stadtarchiv Marbach erworben werden. Dadurch wurde es möglich, einiges über diesen Mann zu erfahren, der zu seinen Lebzeiten zu den herausragenden Gelehrten in Deutschland gezählt wurde und den noch 1904 ein Landeskundler den »gediegensten Humanisten, den Württemberg seit den Tagen der
Renaissance hervorgebracht hat« genannt hat.
Man kann in Marbach eigentlich nicht von Revolutionsgeschehen reden, denn es hat hier keine Revolution stattgefunden. Aber die Revolution, die anderswo, etwa in Berlin, Kiel oder München, zum Umsturz geführt hat, hat sich auch in Marbach ausgewirkt und auch hier Spuren hinterlassen. Wenn wir aber das hiesige Geschehen als Fernwirkung von auswärtigen Ereignissen sehen, dann müssen wir zuerst untersuchen, auf welche Weise Nachrichten nach Marbach kamen und was die Marbacher Bürger vom auswärtigen Geschehen wissen konnten. Wichtigste Quelle vor hundert Jahren war zweifellos die örtliche Zeitung, der »Postillon«. Sie erschien viermal in der Woche, montags, mittwochs, freitags und als Wochenendausgabe etwas reicher an Umfang samstags. Sie bezog die Nachrichten von verschiedenen Presseagenturen und druckte sie gewöhnlich unkommentiert ab. Eine redaktionelle Bewertung der Wichtigkeit ist nicht erkennbar, und es gab zwar einzelne Überschriften, aber keine Schlagzeilen. Für das örtliche Geschehen sind wir zusätzlich über Anzeigen unterrichtet; allerdings erschien nicht über alles, was angekündigt wurde, dann auch ein Bericht. Die Erscheinungsweise und die damaligen Kommunikationsmöglichkeiten ließen die Zeitung dem aktuellen Geschehen immer ziemlich hinterherhinken. Mit der Aktualität war es nicht weit her. Man konnte die Zeitung nur im Abonnement beziehen, es gab keinen Einzelverkauf. Wir können daher auch davon ausgehen, dass die einzelnen Ausgaben von mehreren Personen gelesen und vielfach auch an Nachbarn weitergegeben wurden.