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Im Sommer 1999 stieß ich im Verlauf von Archivrecherchen, die im Zusammenhang mit Nachforschungen zur Literatur des südwestdeutschen Frühhumanismus standen, in der Colmarer Stadtbibliothek auf ein schmales Konvolut deutschsprachiger
Briefe bzw. Brieffragmente. Dabei weckte vor allem das erste der insgesamt zehn Stücke umfassenden 'Sammlung' mein Interesse, lieferte dieses nahezu vollständig erhalten gebliebene Schreiben doch nicht nur wertvolle Hinweise zur Identität
sowohl der Absenderin als auch der Empfängerin, sondern auch zum familiären Hintergrund und zu weiter reichenden verwandtschaftlichen Beziehungen der Adressantin wie auch der Adressatin. Und da ergänzende Sondierungen zum sozialgeschichtlichen Umfeld des Briefzeugnisses darüber hinaus einige auch in literaturgeschichtlicher Hinsicht interessante Einblicke gewährten, liegt es nahe, die wichtigsten Resultate, die im Zusammenhang mit der Erschließung dieses bis zum
gegenwärtigen Zeitpunkt kaum beachteten Briefes gewonnen werden konnten, im Rahmen übergeordneter Zusammenhänge ins Blickfeld zu rücken.
Im Jahr 1957 erschien im 37. Band der 'Ortenau' ein Beitrag von Joseph Ludolph Wohleb (1892-1960), der sich mit einer Reihe von Quellenzeugnissen zur historischen Persönlichkeit des 1873 verstorbenen 'Bauernfürsten' Andreas Harter aus Kaltbrunn (Dorf nordwestlich von Haslach im Kinzigtal), dem Protagonisten der 1899 erstmals im Druck erschienenen Erzählung 'Der Vogtsbur' des aus Haslach stammenden Volksschriftstellers Heinrich Hansjakob (1837-1916), auseinandersetzte. Darin wurde der Versuch unternommen, auf der Basis einschlägiger Akten aus dem Fürstlich Fürstenbergischen Archiv in Donaueschingen hinter dem von Hansjakob angeblich verzeichneten Bild eines Kinzigtäler Großbauern des 19. Jahrhunderts, den die dichterische Phantasie zu einer geradezu tragischen Heldengestalt emporstilisiert hatte, den wirtschaftsgeschichtlichen Hintergrund auszuleuchten, vor dem sich der steile Aufstieg und tiefe Fall Harters abgespielt hatte, um sodann, im Rahmen eines vergleichenden Zugriffs nicht nur auf die aktenkundig gewordenen Fakten, sondern auch auf deren poetische Ausgestaltung im Kontext des Literarischen die grundlegenden Einflussfaktoren zu bestimmen, die auf Hansjakobs tendenziöse Wiedergabe der historischen Realität zumindest punktuell eingewirkt zu haben scheinen. Das vorläufige Resultat dieses interpretatorischen Zugriffs fällt einigermaßen ernüchternd aus, resümiert Wohleb doch die von ihm vorgenommene Aufdeckung der geschichtlichen Sachverhalte einerseits und die dem Dichter quasi zur Last gelegte Überformung der historischen Ereignisse andererseits mit der lapidaren Feststellung: Bei seiner Darstellung des Harterschen Konkurses ließ sich Hansjakob vermutlich von der Familientradition beraten, keinesfalls von Akten.
Johannes Glotter
(2008)
Im Jahr 1989 erschien anlässlich eines dreifachen Jubiläums der Tuniberggemeinde
Merdingen (westlich von Freiburg) eine Festschrift, die unter anderem einen Abriss
der Lokalgeschichte des unweit der deutsch-französischen Grenze gelegenen Weinbaudorfes bot. Dabei nahm im Rahmen eines „Streifzugs“ durch die bewegte Ortshistorie der in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten sowohl diesseits als auch
jenseits des Rheins durch eine Vielzahl kunstgeschichtlicher Veröffentlichungen bekannt gewordene Autor, Professor Hermann Brommer,2 auch die Gelegenheit wahr,
auf eine, wie es scheint, heute nahezu vergessene Persönlichkeit der Reformationszeit aufmerksam zu machen, deren biographische Spuren nicht nur nach Basel, sondern auch in den elsässischen Raum führen: Johannes Glotter.
Am 23. Januar 1846 greift im südrussischen Nowotscherkassk (Stadt nordöstlich von Rostow
am Don, Donkosakengebiet) ein erboster Johannes Wittwer zu Feder und Papier, um sich sowohl
mit Nachdruck beim in Sankt Petersburg residierenden Schweizer Honorargeneralkonsul Johann
Bohnenblust (1785–1859, Konsul 1837–1847) über seinen früheren Arbeitgeber, Generalleutnant
Vasilij Dmitrievič Ilovajskij (1785–1860), zu beschweren als auch – und zwar in der gleichen
Angelegenheit – bei der diplomatischen Vertretung der Schweiz um tatkräftige Unterstützung
nachzusuchen. Im Rahmen eines mehrere Seiten umfassenden, ausführlich gehaltenen Briefes
an seinen aus Aarburg (südlich von Olten, Kanton Aargau) stammenden, in der einschlägigen
Literatur wohl zu Unrecht als einstigen Zögling des Erziehers und Sozialreformers Johann Heinrich Pestalozzi (1746–1827) erwogenen Landsmann bringt der sich selbst als unterthänigster
Diener bezeichnende Verfasser des Schreibens in dezidierter Form seinen tiefen Unmut über die
– zumindest aus seiner persönlichen Perspektive – geradezu betrügerischen Machenschaften und
das lügenhafte Gebaren seines früheren Dienstherrn zum Ausdruck. Allerdings: Im Mittelpunkt
des kurze Zeit später (am 13./1. Februar 1846) in der damaligen Hauptstadt des Zarenreiches
eingetroffenen Briefes stehen nicht etwa Vorwürfe, die einen Arbeitskonflikt zwischen Johannes
Wittwer und Ilovajskij betreffen, sondern das angebliche Unrecht, das Wittwers Gattin Maria
vonseiten des hohen russischen Offiziers widerfahren zu sein scheint.
Im Januar 2004 gewährte mir das Ehepaar Cäcilia und Walter Müller (Merdingen) Einsicht in
eine verhältnismäßig gut erhaltene, auf den ersten Blick allerdings eher unscheinbare Archivalie, die sich gemäß Auskunft der aktuellen Eigentümer von alters her in Familienbesitz befunden hat und sich aufgrund zahlreicher handschriftlicher Einträge, die von verschiedenen
Händen herrührten, zwanglos in die Geschichte der erstmals vor rund einem halben Jahrhundert durch Hermann Brommer erforschten Merdinger Familie(n) Selinger einordnen lässt. Wie
eine vor Ort vorgenommene Autopsie des kleinformatigen Notizbuchs - denn um ein solches
handelt es sich im vorliegenden Fall - alsbald ergab, stammen die frühesten Einträge, also quasi
der ,Grundstock' der Notizen, von einem nicht mit letzter Sicherheit identifizierbaren Herrn
Seefinger, der als Voyageur (Handelsreisender) im Auftrag einer in der französischen Stadt
Reims (Dep. Marne) ansässigen Firma unterwegs war und die im Verlauf einer ausgedehnten
Reise aufgenommenen Bestellungen, die, soweit erkennbar, Spirituosen umfasste, sukzessive
in sein als Livre de Commission betiteltes Auftragsbuch aufnahm ( oder - etwa von einem der französischen Sprache kundigen Bediensteten - aufnehmen ließ).
Zu Beginn der Siebzigerjahre des vorigen Jahrhunderts, im Zuge einer massiven Migrationsbewegung aus Italien in die Schweiz, gründete die italienische Gewerkschaft CGIL (‚Confederazione Generale Italiana del Lavoro‘) in Basel und Zürich eine Schule für italienische Migrantinnen und Migranten. Nach einer ausgedehnten Phase des Wachstums auf dem Bildungs- und
Ausbildungssektor wurde dieses Institut im Jahr 1984 in eine Stiftung schweizerischen Rechts
umgewandelt, die in der Folgezeit nicht nur Kooperationsvereinbarungen mit dem ‚Schweizerischen Gewerkschaftsbund‘ (SGB), sondern auch mit der spanischen Gewerkschaft ‚Comisiones
Obreras‘ (CCOO) (1994) sowie mit der portugiesischen ‚Confederação Geral dos Trabalhadores
Portugueses‘ (CGTP) (1996) einging. Als gemeinnützige Non-Profit-Organisation verfolgt die
heute unter der Kurzbezeichnung ECAP firmierende Einrichtung inzwischen das erklärte
Hauptziel, die Bildung jüngerer wie auch älterer Erwachsener (insbesondere der Migrantinnen
und Migranten) sowie der wenig qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der
Schweiz zu unterstützen, um die private und berufliche Integration zugewanderter Personen tatkräftig zu fördern und so einen aktiven Beitrag für den Erwerb wie auch für die Festigung der
kognitiven Mittel und Kenntnisse zu leisten, die für ein autonomes und verantwortungsvolles
Leben in unserer sich rasch wandelnden modernen Gesellschaft unverzichtbar sind.
In Sachen Benedikt Gillmann
(2004)
Im 122. Jahresheft der Zeitschrift des Breisgau-Geschichtsvereins »Schau-ins-Land«
erschien kürzlich ein Aufsatz, in dessen Mittelpunkt Benedikt Gillmann (1823-1897), ein in
den Jahren 1871 bis 1874 als Verwalter (>Verweser<) der Schwarzwaldpfarrei Wittichen (nordöstlich von Haslach i.K.) nachweisbarer Priesterkollege des Kinzigtäler Volksschriftstellers
Heinrich Hansjakob (1837-1916), stand. Die im Rahmen dieses Beitrags referierten Forschungsergebnisse konfrontierten uns unter anderem mit dem Problem, ob ein Hinweis dieses über Jahre hinweg auch am Bodensee tätigen Heimatdichters, der sich in seiner im Todesjahr Gillmanns veröffentlichten Erzählung >Der Fürst vom Teufelstein< findet, unabhängig
von der schon seit geraumer Zeit kontrovers diskutierten Frage nach den illegitimen Nachkommen des Autors zu interpretieren ist oder aber Bezüge erahnen läßt, die, recht besehen,
neue Aspekte dieser berühmt-berüchtigten »wunden Stelle« im Leben Heinrich Hansjakobs
zu Tage fordern könnten. Vor allem die im Erzbischöflichen Archiv Freiburg lagernde Personalakte Benedikt Gillmanns erwies sich nun bei der fortgesetzten Spurensuche als außergewöhnlich ergiebig, so daß ich mich im Anschluß an die weitere Durchsicht dieses in jeder
Hinsicht als gewichtig zu bezeichnenden Konvoluts nun in die glückliche Lage versetzt sehe,
das bewegte - um nicht zu sagen: spektakuläre - >Vorleben< des Witticher Pfarrverwalters, den
Hansjakob in seiner Erzählung >Der Vogtsbur< an markanter Stelle in Erscheinung treten läßt,
eingehender würdigen zu können, als dies auf der Basis der bislang bekannt gewordenen
Quellenzeugnisse möglich war.
Helden unter Bauern
(2001)
Neueren literaturwissenschaftlichen Bemühungen zufolge will es scheinen, als sei
Heinrich Wittenwilers komisch-didaktisches Versepos >Der Ring< um 1408/10 in
Konstanz' entstanden und einem gleichnamigen adligen Advokaten und - wohl
späteren - Hofmeister am bischöflichen Hof zuzuweisen, der zwischen 1387 und
1395 in mehreren historischen Quellenzeugnissen namentlich aufgeführt wird.
Dabei lassen die von der jüngeren Forschung mit guten Gründen erwogene Autorzuweisung, der auf der Basis plausibler Argumente vorgeschlagene Datierungsspielraum sowie die Lokalisierung des Textes, aber auch seine produktions- und
rezeptionsgeschichtliche Einordnung in das Umfeld des Konstanzer Bischofshofes
zugleich die wichtigsten Determinanten der Entstehung und Primärrezeption des
>Ring< erkennen, nämlich ein anscheinend sehr spezifisches Eingebundensein dieses Werkes innerhalb eines Kreises von Klerikern, Adligen, Patriziern und ihnen
nahestehenden Bürgern, der wenige Jahre vor dem Beginn des Konstanzer Konzils
(1414-1418) Bischof Albrecht Blarer (Amtszeit: 1407 -1410 , gest. 1441)tS umgeben haben könnte.
Einmal Russland und zurück
(2019)
Vor wenigen Jahren wurde mir die Gelegenheit zuteil, im „Alemannischen Jahrbuch“ einen längeren Beitrag über Leben, Werk und verwandtschaftliches Umfeld des im Frühjahr 1843 in Moskau verstorbenen Komponisten und Musikpädagogen Franz Gebel zu veröffentlichen.
Dabei
hatten sich die im Vorfeld der Entstehung des besagten Artikels vorgenommenen Sondierungen
teilweise als äußerst diffizil erwiesen, zumal – nicht zuletzt aufgrund der wechselnden Wirkungskreise des genannten Künstlers und seiner nächsten Verwandten – nicht unerhebliche sprachliche
sowie administrative Barrieren zu überwinden gewesen waren. Dies war mit ein Grund dafür,
dass eine ganze Reihe von Resultaten nur mit enormer zeitlicher Verzögerung zutage gefördert
werden konnten, die nichtsdestotrotz unerwartet neue musik- und familiengeschichtliche Einblicke gewähren und daher durchaus eingehendere Berücksichtigung verdienen. Einige aus heutiger
Sicht interessante und weiterführende Aspekte sollen im Folgenden in Form einer „erweiterten
Nachlese“ gewürdigt werden.