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Im Dezember 1581 hatte der Schultheiß des Kurfürsten von Mainz zusammen mit einer bewaffneten Mannschaft im Ballenberger Wald, in der Gegend von Krautheim, einen gefangenen Hasen gepfändet und 20 Hasengarne zerstört. Die
Gebrüder von Aschhausen sahen diese Tat als die Verletzung ihres zum Schloss Aschhausen gehörigen Jagdrechtes an. Der Kurfürst von Mainz dagegen beanspruchte das Jagdrecht in der Ballenberger Markung für sich, mit dem Argument, dass er der Inhaber des Amtes Krautheim sei. Es kam zum Prozess vor dem Reichskammergericht, dem höchsten Gericht des Heiligen Römischen Reiches, in dessen Verlauf eine Kommission gebildet wurde, die eine Inaugenscheinnahme vornahm und diese in Form einer sogenannten „Augenscheinkarte“ durch den Maler Wilhelm Besserer visualisieren ließ. Die Augenscheinkarte hatte in diesem Prozess eine besondere Funktion. Sie bildete die Übersetzung der subjektiven Wahrnehmung der Prozessparteien in
ein visuelles Medium. Sie war ein wesentlicher Bestandteil der Prozessführung und diente als Entscheidungsgrundlage im Sinne eines Beweises.
Am 21. August 1843, also vor bald genau 175 Jahren, stimmte man sich in Mannheim auf die für den folgenden Tag geplante Feier zum 25. Jubiläum der badischen Verfassung ein: Am Abend verkündeten Kanonendonner und Glockengeläute das Fest; auf dem Paradeplatze war der große Brunnen erleuchtet, Feuerwerke wurden abgebrannt, bengalische Flammen stiegen aus den Marmorbassins hervor, zeigten die Büste des Großherzogs Karl in magischem Lichte. Die Militärmusik spielte in Uniform; eine zahllose Menschenmenge wogte auf dem Platze und in den Straßen, wie es in einem Festbericht heißt. Der eigentliche Festtag, der 22. August, begann mit erneutem Kanonendonner und Choralmusik vom Rathausturm. Gegen zehn Uhr begann der Zug, gewi[ss] der größte der noch je bei freudigen Anlässen aus frei eigenem Antriebe der Bürger unsere Straßen durchzog. Die Spitze bildeten die Schüler der oberen Klassen der Volksschulen mit ihren Lehrern, ihnen folgten die Mitglieder der Liedertafel mit einer prachtvollen, von einem Verein von Jungfrauen gestickten Fahne, dann der Träger der Verfassungsurkunde in Begleitung von vier Mitgliedern des Festkomitees und zwei Fahnenträgern.
In der Weimarer Republik, insbesondere in deren Endphase, wurde die politische Auseinandersetzung in Karlsruhe, wie in anderen deutschen Großstädten auch, durch den Gegensatz von Nationalsozialisten und den Vertretern der anderen
politischen Parteien beherrscht. Neben dem verbalen parlamentarischen Schlagabtausch war es dabei ab 1929 vermehrt auch im öffentlichen Raum zu Handgreiflichkeiten bzw. körperlichen Attacken zwischen beiden Seiten gekommen. Als erster Vorfall dieser „Politik der Straße“ (Ernst Otto Bräunche) ist die sogenannte Hoelz-Schlacht vom 23. April 1929 zu nennen. An diesem Tag sprach Max Hoelz, ein aus Sachsen stammender und 1921 führend an kommunistischen Aufständen in Mitteldeutschland beteiligter Kommunist, in der Karlsruher Festhalle, wobei es am Ende der Veranstaltung zu einer tätlichen Auseinandersetzung
zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten gekommen war, bei der Hoelz selbst verletzt wurde und erheblicher Sachschaden entstand. Ein weiterer Vorfall, der bisher nur wenig bekannt war, stellt die Prügelei zwischen Nationalsozialisten und einer Gruppe internationaler Konferenzteilnehmer im Gasthaus „Darmstädter Hof“ vom 19. Dezember 1929 dar.
Die Ortenau. – 99 (2019)
(2019)
Einmal Russland und zurück
(2019)
Vor wenigen Jahren wurde mir die Gelegenheit zuteil, im „Alemannischen Jahrbuch“ einen längeren Beitrag über Leben, Werk und verwandtschaftliches Umfeld des im Frühjahr 1843 in Moskau verstorbenen Komponisten und Musikpädagogen Franz Gebel zu veröffentlichen.
Dabei
hatten sich die im Vorfeld der Entstehung des besagten Artikels vorgenommenen Sondierungen
teilweise als äußerst diffizil erwiesen, zumal – nicht zuletzt aufgrund der wechselnden Wirkungskreise des genannten Künstlers und seiner nächsten Verwandten – nicht unerhebliche sprachliche
sowie administrative Barrieren zu überwinden gewesen waren. Dies war mit ein Grund dafür,
dass eine ganze Reihe von Resultaten nur mit enormer zeitlicher Verzögerung zutage gefördert
werden konnten, die nichtsdestotrotz unerwartet neue musik- und familiengeschichtliche Einblicke gewähren und daher durchaus eingehendere Berücksichtigung verdienen. Einige aus heutiger
Sicht interessante und weiterführende Aspekte sollen im Folgenden in Form einer „erweiterten
Nachlese“ gewürdigt werden.
„Um mich herum haben alle geweint, aber ich nicht, ich habe mich nur gefreut!“
Noch heute
lacht Agnes Hauser vor Freude, wenn sie von ihrer Abreise in die Schweiz erzählt. 1954 verließ sie ihr Elternhaus in Südbaden, um als Hausangestellte in Basel ihr Glück zu machen, wie
es zeitgenössisch hieß. Der sprichwörtliche Rat „Mädchen, geh in die Schweiz und mach dein
Glück!“ fand um 1900 Eingang in die Alltagssprache.
Er bezieht sich auf (süd-)deutsche Frauen
wie Agnes Hauser, die in die Schweiz gingen, um dort als ‚Dienstmädchen‘ zu arbeiten. Allein
die Tatsache, dass sich die Migration deutscher Frauen in schweizerische Haushalte in einer Redewendung verdichtet hat, lässt darauf schließen, dass es nicht nur einzelne Frauen waren, die an
dieser Migrationsbewegung teilnahmen. In der Tat stammte vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis
weit in die 1960er Jahre hinein ein Großteil der Hausangestellten in der Schweiz ursprünglich aus
Deutschland oder Österreich. 1930 kamen etwa 29 Prozent der insgesamt 110.600 Hausangestellten aus dem Ausland, 1960 waren von den 81.600 Hausangestellten sogar 36 Prozent Ausländerinnen. Der Anteil der Deutschen und Österreicherinnen an den ausländischen Hausangestellten
betrug 1930 über 80 Prozent. 1960 hatte sich ihr Anteil zwar verringert, lag jedoch immer noch
bei 56 Prozent.
Abgesehen von den Kriegsjahren kamen im Untersuchungszeitraum jährlich
etwa 30.000 Deutsche und Österreicherinnen als ‚Dienstmädchen‘ in die Schweiz.
Ungemütliche Nachbarn
(2019)
In den frühen Morgenstunden des 1. November 1986, um 3.43 Uhr, heulten in Muttenz, östlich
von Basel, die Sirenen.
Polizeiautos zirkulierten und forderten per Lautsprecher die Anwohner
auf, die Fenster geschlossen zu halten, das Haus nicht zu verlassen und weitere Informationen
über Radio abzuwarten. Eine widerwärtig nach faulen Eiern stinkende Rauchwolke zog, vom
Chemie-Areal der Firma Sandoz her kommend, langsam über die Region. In einer Lagerhalle
voller Chemikalien war kurz nach Mitternacht Feuer ausgebrochen. Der Brand drohte völlig außer Kontrolle zu geraten. Gewaltige Explosionen schleuderten die Behälter bis zu 25 Meter in
die Höhe, von wo sie ins Feuer zurückstürzten, in der Umgebung landeten oder bisweilen wie
Bomben die Dächer anderer Hallen durchschlugen. Hunderte von Feuerwehrleuten und ein Feuerlöschboot kämpften über Stunden gegen die Ausbreitung auf Nachbargebäude, wo zum Teil
hochgefährliche, mit Wasser nicht löschbare Substanzen lagerten. Löschwasser und Chemikalien
ergossen sich bald in den Rhein, das Auffangbecken war viel zu klein. Ab ein Uhr herrschte in
beiden Basel, Stadt und Land, Katastrophenalarm. Die Kantonschemiker befanden sich in alarmierender Ungewissheit über die Giftigkeit der Rauchschwaden; die Firma konnte nur ungefähre
Auskünfte geben über den Inhalt der Lagerhalle. Gegen vier Uhr morgens kursierten auch in Basel die Lautsprecherwagen. Viele Baslerinnen und Basler waren bereits durch Telefonanrufe von
Freunden oder Verwandten aus dem Schlaf gerissen worden. Dann brach das Telefonnetz wegen
Überlastung zusammen, Züge von und nach Basel und öffentlicher Verkehr stellten den Betrieb
ein. Am Morgen um sieben Uhr aber gab die Regierung Entwarnung – der Brand war gelöscht,
die Gefahr sei abgewendet, es stinke zwar, Gift sei aber nicht im Spiel. Zornige Eltern protestierten gegen die Zumutung, ihre Kinder nach dem Stress der vergangenen Stunden zur Schule zu
schicken, wozu sie sich amtlich aufgefordert sahen.
Kleider machen Leute
(2019)
Als der Maler Rudolf Gleichauf (1826–1896) vor nun 150 Jahren – genauer am 15. Dezember
1869 – für die Fertigstellung von fünf Aquarellen mit Kostümdarstellungen aus St. Georgen eine
letzte Abschlagszahlung des festgesetzten Honorars von 2.300 Gulden aus der badischen Staatskasse erhielt, endete ein Projekt besonderer Art.
Denn über neun Jahre hinweg hatte Gleichauf auf dem Gebiet des damaligen Großherzogtums Baden ‚Trachten‘
als spezifische Kleidungsformen des ländlichen Raums erforscht und dokumentiert. In mehreren Reisen durchstreifte er dazu in großherzoglichem Auftrag das Staatsgebiet und fertigte zwischen 1861 und 1869 insgesamt 39 Aquarelle sowie eine darauf bezogene
105-seitige handschriftliche Beschreibung des Aussehens und der Kosten von 13 unterschiedlichen Kostümen an, die „Beschreibung Badischer Landestrachten“. Entgegen der ursprünglichen
Planung wurden nur wenige Motive als Lithografie reproduziert und der zugehörige Text blieb
bis heute unveröffentlicht.
Aus Anlass seines eigenen 100-jährigen Jubiläums legt das Badische Landesmuseum Karlsruhe, in dessen Besitz sich Aquarelle und Autograf heute befinden, 2019 eine kommentierte Edition dieses Werkes vor, dessen Zugang im Jahr 1869 zugleich den Auftakt einer eigenständigen
volkskundlichen Sammlung bildete.
Im Rahmen der Vorbereitungen zur Ausstellung Strasbourg 1200–1230, la révolution gothique (Straßburg 1200–1230, die gotische Revolution) kam es zu einer außergewöhnlichen Entdeckung: es handelt sich um einen der Köpfe der Apostelskulpturen des Südportals des Straßburger Münsters, der 1793, im Zuge des revolutionären Terrors, zusammen mit 200 anderen Skulpturen des Münsters verloren ging (Abb. 1). Die Geschichte dieses Fragmentes ist besonders, denn es trat zum ersten Mal Anfang des 20. Jahrhunderts in Erscheinung und verschwand danach wieder für einen Zeitraum von etwa hundert Jahren. Der Kopf wurde, zusammen mit zwei anderen, vermutlich des gleichen Ursprungs, in einigen hundert Metern Entfernung im Süden des Münsters, bei Bauarbeiten in dem Hof eines Privathauses, 1904/05 entdeckt. Ein Gipsabguss des Stückes, der vor 1914 in den Werkstätten der Straßburger Münsterbauhütte entstand, ermöglicht es, seinen Werdegang nachzuvollziehen, da es im Inventar der Gipsabgüsse als „Büste Johannes gefunden bei einer Ausgrabung Krutenauer Straße 54. Originalbesitz H. Münsterbaumeister Knauth“ erscheint. Man weiß, dass die Verwendung von Fragmenten der in der Revolution zerstörten Statuen im Unterbau neuer städtischer Straßen eine gängige Praxis war. Die
Tatsache, dass dieser Kopf nach seiner Entdeckung in der privaten Sammlung des Münsterbaumeisters und Konservators der
denkmalgeschützten Gebäuden eingegliedert wurde, wird von Johann Knauth in einem Artikel bestätigt, in dem er angibt, ihn „per Zufall im Laufe der letzten Jahre“ erworben zu haben, zusammen mit zwei weiteren Stücken aus demselben Ensemble, die im gleichen Zusammenhang wieder aufgetaucht sind.
Alte Heimat - neue Heimat
(2019)
Die Tagung „Alte Heimat – Neue Heimat. Migrationen im alemannischen Raum“ vom 15. bis
zum 17. März 2017 war gemeinsam vom Alemannischen Institut, dem Institut für Volkskunde der
Deutschen des östlichen Europa Freiburg (IVDE) und der Stadt Lahr konzipiert und veranstaltet
worden.
Warum der Veranstaltungsort Lahr? Der Themenkomplex Migration – Integration –
neue Heimat spielt dort seit vielen Jahren eine zentrale Rolle – zunächst aufgrund der früheren
Stationierung kanadischer NATO-Soldaten, später jedoch vor allem im Zusammenhang mit der
Aufnahme und Ansiedlung von Russlanddeutschen aus der ehemaligen Sowjetunion. Oberbürgermeister Dr. Wolfgang G. Müller war 2017 für sein Engagement in dieser Hinsicht mit dem
World Mayor Prize ausgezeichnet worden.
In Vorarlberg - und nicht nur dort - gibt es Menschen, die sich auf eine gemeinsame Herkunft als
Folge einer viele Jahrhunderte zurückliegenden Wanderung berufen: die Walser.
Gemeinhin wird angenommen, dass seit dem ausgehenden 12. Jahrhundert alemannische
Bewohner des oberen Wallis, wohin sie etwa 250 Jahre zuvor gekommen waren, ihre Heimat
verlassen und sich zunächst in benachbarten Hochtälern angesiedelt hätten. Später seien sie nach
Süden in das Monte Rosa- und das Ossolagebiet, nach Westen in das französische Chablais, nach
Osten ins Bündner Oberland, in das Rheinwaldtal sowie nach Davos vorgestoßen und schließlich
nach Liechtenstein und ins nachmalige Vorarlberg gelangt. Nach ihrer Herkunft habe man sie
"Walliser" bzw. späterhin verkürzt "Walser" genannt.
Als Gründe für die Wanderungen wurden Überbevölkerung, Naturkatastrophen, Klimaveränderungen, Seuchen oder auch die Feudalisierung des Wallis vermutet. Viele seien von Herrschaftsträgern, meist adeligen Grundherren, gruppenweise angeworben und in ihrem Machtbereich an-
gesiedelt worden, wobei nicht nur kolonisatorische, sondern auch militärische Überlegungen eine
Rolle gespielt hätten.
Am 10. April 1943 übersandte der Psychiater Gustav Ehrismann dem Oberstaatsanwalt beim Landgericht Mannheim, der eine Anklage gegen den Sinto Friedrich Spindler vor dem Sondergericht Mannheim vertrat, ein amtsärztliches Gutachten. Dieses wurde dem Urteil des Sondergerichtes zu Grunde gelegt und sollte noch weitere Folgen haben. Es stellt die einzige Verbindung
zwischen Spindler und Ehrismann dar und dient als Scharnier, um die Biografien der beiden zu rekonstruieren. Exemplarisch werden damit Einblicke in Lebensverhältnisse, Verstrickungen und gesellschaftliche Bedingungen im nationalsozialistischen Herrschaftssystem möglich.
Ein Führer der Provinz
(2019)
Seinen Aufstieg vollzog Gustav Zirlewagen (Abb. 1), der am 7. April 1900 in Heitersheim geborene Sohn eines Weinhändlers, nach einer bei der Firma Mez in Freiburg absolvierten Kaufmannslehre sowie dem ‚vaterländischen‘ Hilfs- und dem Kriegsdienst schnell und zielstrebig: Neben dem Realgymnasium, das er mit dem Einjährigen abschloss, besuchte er Handelshochschulkurse an der Universität Freiburg. Als Kommissionär schuf er sich ein Startkapital. Interessehalber beschäftigte er sich nebenbei mit dem Feld der Elektrotechnik. Auf der Suche nach einem damit verbundenen Betätigungsfeld stieß er auf eine Zeitungsannonce, nach der ein Teilhaber für die geplante Firmengründung Franka – Frankfurter Akkumulatorenbau AG gesucht wurde. Zweck der 1923 in Frankfurt a. M. gegründeten Firma waren die Herstellung und der Handel mit Akkumulatoren. Aufgrund des Missmanagements der Direktoren waren die flüssigen Geldmittel bald aufgebraucht. Zirlewagen, der die kaufmännischen Aufgaben erledigte, beteiligte sich mit einer von seinem Vater Hugo Zirlewagen gedeckten Bürgschaft in Höhe von 20.000 Goldmark. Nach dem Konkurs ging die Firma 1924 daher im Rahmen eines Zwangsvergleichs an Zirlewagen über. Er verlegte den Firmensitz 1925 nach Heitersheim. Platz für die in Franka – Süddeutsche Akkumulatorenbau AG umbenannte Firma war durch Gelände in Familienbesitz vorhanden. Die Betriebsmittel streckte sein Vater vor. Zirlewagen fing auf dieser Basis klein an und nahm weitere Kredite auf, um die Firma langsam zu entwickeln. Er errichtete neue Gebäude und erwarb Maschinen und Rohstoffe. Eine firmeneigene Schreinerei fertigte Holzkisten zur Umhüllung der Akkumulatoren an, bis hierfür Hartgummikästen Verwendung fanden. Später wandelte sie sich zur Möbel- und Fensterschreinerei. Selbst in den Zeiten der Weltwirtschaftskrise machte die Franka recht gute Geschäfte. Nachdem diese in geregelten Bahnen liefen, engagierte sich Zirlewagen für die NSDAP.
Nachdem bereits 1927 unter Vorsitz des Nazivordenkers Alfred Rosenberg der „Kampfbund für Deutsche Kultur“ gegründet worden war, begann mit dem Aufstieg der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) Anfang der 1930er-Jahre, die Intoleranz gegenüber avantgardistischen Künstlern einen zunehmend repressiven Charakter anzunehmen. Gleich nach der sogenannten „Machtergreifung“ durch die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 wurde der gesamte Kulturbereich zentralisiert und im Interesse der neuen Machthaber durchstrukturiert. Dem im März 1933 eingerichteten Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda unter Leitung von Joseph Goebbels kam dabei eine zentrale Rolle zu. Durch das wenige Wochen später erlassene Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wurden zahlreiche jüdische und nicht systemkonforme Lehrende an den Akademien sowie Mitarbeiter von Museen in ganz Deutschland entlassen. Schließlich wurden im Juli auf Erlass des Reichsministeriums alle Künstlervereinigungen und Kunstvereine gleichgeschaltet und in das Reichskartell der bildenden Künste überführt. Wenige Wochen später erfolgte die Gründung der Reichskulturkammer. Sieben Einzelkammern erfassten sämtliche kulturellen Bereiche: Musik, Theater, Schrifttum, Presse, Rundfunk, Film und auch die bildenden Künste. Wer der Reichskulturkammer bis zum 15. Dezember 1933 nicht beitreten wollte oder konnte, hatte fortan keine Möglichkeit mehr, seinen Beruf auszuüben. Voraussetzung für die Aufnahme war die deutsche Staatsangehörigkeit und der Nachweis einer „arischen“ Abstammung, doch auch aus politischen oder anderen Gründen „unerwünschte“ Künstler konnten mit dieser perfiden Maßnahme auf Einfachste ausgegrenzt werden.
Die Johanneskapelle in Zarten wird liebevoll und nicht ganz zu Unrecht das „Zartener Münster“ genannt (Abb. 1). Sie ist nicht nur die ehemalige Mittelpunktskirche des Dreisamtals – in dieser Funktion wurde sie „erst“ im frühen 12. Jahrhundert durch die Galluskirche in Kirchzarten abgelöst – sondern birgt auch unter ihrem bescheidenen Äußeren durchaus bemerkenswerte
Kunstschätze: barocke Altäre, die teilweise Matthias Faller zugeschrieben werden, Skulpturen, eine bemalte Holzdecke des 17./frühen 18. Jahrhunderts und nicht zuletzt mittelalterliche Wandmalereien (Abb. 2).
Dieser Beitrag befasst sich mit der Person Richard Kuenzers, eines eher weniger bekannten Beteiligten des aktiven Widerstands gegen das nationalsozialistische Unrechtsregime. Ausgewertet wurde dabei seine umfangreiche Privatkorrespondenz aus den Jahren 1888 bis 1945, die die Familie dankenswerterweise zur Verfügung gestellt hat. Beim Lesen dieses schriftlichen Nachlasses ist ein Bild entstanden, das seine herausragende Persönlichkeit verdeutlicht. Nach einem unter verschiedenen thematischen Gesichtspunkten gewährten Einblick in die Briefe Kuenzers insbesondere aus der Haftzeit wird allgemein der Frage nachgegangen, wie der Widerstand gegen das NS-Regime aus christlicher Überzeugung zu verstehen ist, wie er sich in die Gesamtbetrachtung über den Widerstand einordnet, welche Beweggründe die Betreffenden zu ihrem Handeln motiviert haben, ja auch, welche Rolle das Verhalten dieser christlichen Männer und Frauen für die Beurteilung der Rolle der Kirche in der Zeit des NS spielt. Im Anschluss hieran soll in einem weiteren Abschnitt der christliche Widerstand unter juristischen Gesichtspunkten vertiefend betrachtet werden. Dabei wird der Anklageschrift gegen Richard Kuenzer in dem Verfahren vor dem Volksgerichtshof besondere Aufmerksamkeit gewidmet.
Der vorliegende Beitrag wurde angeregt durch die Begegnung mit historischen Klarinetten, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts gebaut worden waren und deren Signaturen eindeutig auf die Herkunft aus Werkstätten in Freiburg im Breisgau verwiesen. Im Einzelnen handelte es sich um eine achtklappige A-Klarinette aus Buchsbaum von Max Kenner (Abb. 1 a + b) sowie um das Fragment einer B-Klarinette und eine vollständig erhaltene Bassklarinette in B, beide von Joseph Ignaz Widmann 2 (Abb. 2). Lindesay G. Langwill listet in seinem speziell für Blasinstrumente verfassten Nachschlagewerk insgesamt sechs Werkstätten allein dieser Sparte in Freiburg auf: Albrecht, E. Geinoz, Johannes Hammig, M. Kenner, Laubé und Jos. Ignaz Widmann. Wie die Recherche ergab, liegt bei E. Geinoz allerdings eine falsche lokale Zuordnung vor, denn Geinoz gehört wohl in das schweizerische Freiburg/Fribourg im Üechtland. Ebenfalls zweifelhaft ist Laubé in der angegebenen Schreibweise. Johannes Hammig wiederum arbeitete erst im 20. Jahrhundert in Freiburg und entfällt für die Untersuchung, die sich auf das 19. Jahrhundert beschränkt. Um diese spärlichen Informationen noch etwas auszuweiten, wurde hauptsächlich in den verfügbaren Adressbüchern der Stadt Freiburg nach allgemeinen Hinweisen auf Instrumentenbauer gesucht. Die Ergebnisse sind in der vorliegenden Arbeit gesammelt. Leider besteht noch ein großer Mangel an Fakten und Daten zu den einzelnen Personen bzw. Werkstätten, wie sie beispielsweise aus Schriftwechseln, Preislisten oder Werbematerialien gewonnen werden könnten. Durch die vorliegende Recherche sind immerhin relativ sichere Rahmendaten über die einzelnen Wirkungszeiträume von Instrumentenbauern verfügbar, jedenfalls soweit sie in diesen öffentlichen Quellen verzeichnet wurden. Mit dieser Arbeit soll – ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit der Darstellung – ein erster Impuls für weitere Forschungen gegeben werden. Mögen künftige Beiträge auf der Basis
weiterer Quellen zu genaueren Kenntnissen über die Freiburger Instrumentenbauer des 19. Jahrhunderts führen.
Geld: auf seine drei klassischen Funktionen als Tauschmittel, Recheneinheit und Wertspeicher sind wir dringend angewiesen. Es garantiert uns die Erreichbarkeit von Gütern und Dienstleistungen aller Art und jederzeit. Es sorgt dafür, dass wir messen, abschätzen und (be)werten können. Es gibt uns, ob in Sparguthaben, Wertpapieren oder Immobilien angelegt, das Gefühl von Sicherheit. Geldwertstabilität ist der quantifizierte Ausdruck von Zukunftsfähigkeit. Das Geldgefühl der Deutschen verbindet sich ebenso mit Phasen nachhaltiger Prosperität wie tiefster Verunsicherung. Der „inflationserfahrene“ (Herbert Rittmann) deutsche Mensch will „gutes“ Geld in seinen Händen halten, dem er sein Vertrauen schenken kann und aus dem er seine Motivation zu sparen schöpft. Nichts sagt so deutlich, aus welchem Holz ein Volk geschnitzt ist, wie das, was es währungspolitisch tut, befand schon 1929 der Ökonom Joseph A. Schumpeter – und konstatierte im Hinblick auf die große Inflation die desorganisierende Wirkung der Währungszerrüttung auf den Volkscharakter, die Moral und auf alle Verästelungen
des Kulturlebens.
Glückliche Zukunft
(2019)
Alte Friedhöfe sind in vielfacher Hinsicht ein wertvolles Natur- und Kulturerbe. Da ist einmal die ihnen zugewachsene Eigenschaft als ‚grüne Lunge‘ innerhalb verdichteter Bebauung, besonders in Großstädten. Zugleich handelt es sich auch bei aufgelassenen Begräbnisstätten um sakrale, sogar geweihte Orte, die, wie der Name sagt, von ihrer profanen Umgebung durch Einfriedung abgegrenzt sind oder waren. Dies bedeutet für die heutige Benutzung als Freizeitgelände manche Einschränkung, wofür das Bewusstsein bzw. Verständnis einer säkularisierten Gesellschaft nicht immer gegeben ist. Sodann fesseln neben verbliebenen Sakralbauten vor allem die historischen Grabdenkmäler die Aufmerksamkeit der Besucher. Weil die Grabpoesie der Inschriften sowie das ikonografische Programm auf heutigen Friedhöfen nicht mehr in diesem Umfang anzutreffen ist, ist manches Wissen um die Aussage solcher Zeugnisse verlorengegangen. Deren Entschlüsselung ist
jedoch eine lohnende Aufgabe, wie im Folgenden an einem Beispiel gezeigt werden soll. Für Vorlagen bekannter Künstler liegen diese oft internationalen Einflüsse offen zu Tage; die Verbreitung erfolgte meist über grafische oder plastische Nachbildungen. Beides trifft für das bekannteste Grab auf dem Freiburger Alten Friedhof, Caroline Christine Walter, das „ruhende Mädchen“, zu. Hier diente das Königin-Luise-Denkmal von Christian Daniel Rauch im Mausoleum des Charlottenburger Schlossparks als Vorlage. Bemerkenswert ist stets, was spätere Künstler an Details ergänzt oder weggelassen haben: Walter z.B. hält zusätzlich ein aufgeschlagenes Buch mit Versen des Dichters Ernst von Feuchtersleben in der Hand. Das Medaillon des Grabmals Beck zitiert das Titelkupfer von Lessings Schrift „Wie die Alten den Tod
gebildet“, verzichtet jedoch auf den Leichnam, auf den der Todesjüngling ursprünglich seine Fackel herabgesenkt hatte.
Für das Medaillon des Grabmals Eschger, Mittelpunkt eines beeindruckenden schmiedeeisernen Kreuzes und Untersuchungsgegenstand dieser Abhandlung, war die Vorlage bislang nicht bekannt. Um sie und die Auswahl dieser Szene aus dem umfangreichen Bilderzyklus „Amor und Psyche“ für den Sepulkralbereich wird es im Folgenden gehen.
Wanderer und Mountainbiker erklimmen vor allem an Wochenenden die Anhöhe Kybfelsen (um 810-820 m ü.NN), weit oberhalb der Stadt Freiburg. Dort erreichen sie eine Felsplattform mit einem weiten Ausblick auf Günterstal, den Schönberg und weit hinaus in die Oberrheinebene. Nur den wenigsten dürfte bewusst sein, an der Stelle einer hochmittelalterlichen Burg zu stehen. Im Rahmen der neuen Beschäftigung mit den Zähringern anlässlich diverser Jubiläen (ihrem Aussterben 1218 und der Marktgründung von Freiburg 1120) bietet sich die Gelegenheit, die Ergebnisse der Geländeforschungen der letzten Jahrzehnte darzustellen und ihre mögliche historische Bedeutung zu diskutieren.
Ein streitbarer Professor
(2019)
Seit Gründung der Universität Freiburg im Jahr 1457 waren Abertausende von Studenten immatrikuliert, unzählige akademische Lehrer haben regelmäßig ihre Vorlesungen gehalten. Die Beschaulichkeit, die trotz dieser hektischen Betriebsamkeit den Universitätsalltag bestimmte, wurde aber gelegentlich durch unerwartete Zwischenfälle gestört. Augenfälliges Beispiel bietet das Verhalten eines Professors, der sich mit Obrigkeit und Episkopat anlegte, um zürnend an
eine andere Universität zu wechseln. Es geht um Alexander Reichlin von Meldegg (Abb. 1).
Carolinea. – 77 (2019)
(2019)
„Heidelbergs Verbundenheit mit der Saar“ – so titelte das Heidelberger Volksblatt am 7. Januar 1935. Anlass war die feierliche Enthüllung eines „Saarmahnmals“ an der Südwestecke des Rathauses am Vortag durch Oberbürgermeister Carl Neinhaus. Das „Saar-Bekenntnis“ der Stadt Heidelberg erfolgte nur wenige Tage vor dem 13. Januar, an dem die Saarländer in einer Volksabstimmung für die Eingliederung des 1920 geschaffenen Saargebiets in das „Dritte Reich“ stimmten. Das Saargebiet und sein zukünftiges Schicksal waren zu diesem Zeitpunkt in der deutschen Öffentlichkeit gleichsam allgegenwärtig. Dies war nicht zuletzt auf eine intensive prodeutsche Propaganda verschiedener Protagonisten zurückzuführen. Versuche, durch Kommunikation und diverse Methoden der Öffentlichkeitsarbeit das Zusammengehörigkeitsgefühl zwischen dem Saargebiet und dem Deutschen Reich zu fördern, wurden aber nicht nur im direkten Vorfeld der Abstimmung von 1935, sondern bereits unmittelbar seit Schaffung des Saargebiets durch den Versailler Friedensvertrag unternommen. Zielgruppe dieser Propaganda waren dabei nicht nur die Saarländer selbst, sondern auch die Bevölkerung im unbesetzten Deutschland, die
über die Verhältnisse an der Saar „aufgeklärt“ und zum Einsatz für die Rückgliederung des Saargebiets mobilisiert werden sollte.
Dass Heidelberg die Idealstadt und ein bedeutender Ursprung der deutschen Romantik gewesen ist, weiß man. Hölderlin und Eichendorff besangen die Schönheit der ehemaligen kurfürstlichen Residenz als harmonische Einheit von Stadt und Land oder von Geist und Natur und begriffen sie als Vorschein jener Synthese des Entgegengesetzten, die frühromantische Spekulation als Absolutidentisches zum Grund
alles Seienden erklärt hatte. Daneben sammelten Brentano und Arnim im Sinne einer nationalen Selbstvergewisserung Volkslieder – oder das, was sie dafür hielten, – und eine angehende historische Mythenforschung um Görres und Creuzer setzte nicht länger auf Griechenland, sondern auf die germanische Überlieferung, die bereits Herder in den Fokus gerückt hatte. Zweckfrei war jedoch der Zug ins Nationale
oder Vaterländische ebenso wenig wie die romantische Harmonietrunkenheit. In ihrer Wendung gegen die vermeintlich einseitige aufklärerische Rationalität suchte sie eine „Neue Mythologie“ aus Sinnlichkeit und Vernunft zu etablieren, die nicht nur die Dichtung, sondern auch die deutschen Lande aus unschöpferischer, mechanistischer Erstarrung herausführen und eine neue nationale Gemeinschaft stiften sollte.
Auf dem 3. Kreuzzug wurde 1190 im Heiligen Land vor Akkon die Bruderschaft vom „Hospital St. Mariens der Deutschen zu Jerusalem“ gegründet und bereits 1198 zum Ritterorden erhoben. Über Schenkungen, Stiftungen, Kauf und Tausch wuchs ihr Besitz nicht nur im Mittelmeerraum, sondern auch im römisch-deutschen Reich rasch an. Bereits im 13. Jahrhundert bildete sich eine Verwaltungsstruktur aus, die sich mit ihren Provinzen an der Administration der älteren Orden der Johanniter (um 1080) und der Templer (1120) orientierte. Für Ritter und Priester übernahm man die Templerregel, für die Armen- und Krankenpflege jene der Johanniter. Weltliche Personen konnten als Familiare oder Pfründner aufgenommen werden. Als unterste Verwaltungsebene richtete der Orden sogenannte Kommenden ein, regionale Ordenshäuser, die von einem Komtur geleitet wurden, dem ein Konvent von 12 Mitgliedern assistierte. Die Kommenden wurden in sogenannten Balleien, den Provinzen, räumlich zusammengefasst. Der Komtur hatte die Ordensdisziplin zu überwachen, er beaufsichtigte die Seelsorge, die Krankenpflege, den Waffendienst und nicht zuletzt die Vermögensverwaltung. Jährlich hatte er dem Provinzkapitel Rechenschaft abzulegen. Seine Amtszeit erstreckte sich auf ein Jahr, wurde aber in der Regel verlängert. Bei großen Ordenshäusern unterstützten ihn weitere Amtspersonen.
Ende 1918: Kriegsende, Revolution. Friedrich Ebert übernimmt die Regierungsgeschäfte und bildet den Rat der Volksbeauftragten, bestehend aus je drei Vertretern der SPD und der USPD. Der Rat konstituiert sich am 12. November 1918 und verkündet das aktive und passive Wahlrecht für Frauen. Mit der Einführung des Frauenstimmrechts „ist aber nicht der Vorhang über dem ‚Stück mit dem guten Schluß‘ gefallen, es hat vielmehr ein neuer Akt des Dramas begonnen. […] Klafft nicht zwischen Gesetz und Ausführung ein bedenklicher Abgrund?“, so kritisch urteilte Camilla Jellinek bereits 1919. Ihrer Einschätzung würden auch heute noch viele Frauen uneingeschränkt zustimmen.
Die Wiedereröffnung der Universitäten nach dem Zweiten Weltkrieg war ein zentraler Bestandteil des demokratischen Neubeginns in Deutschland. In Heidelberg bildete sich zeitnah nach dem Einmarsch der amerikanischen Truppen der sogenannte Dreizehnerausschuss aus „unbelasteten“ Professoren, der die Wiedereröffnung der Universität maßgeblich vorantrieb. Ihm gehörte auch der Historiker Fritz (Friedrich
Wilhelm) Ernst (1905–1963) an. In der Forschung wurde sein Einsatz für die Universität hervorgehoben. Auch die Nachrufe auf Ernst loben seine „Leistungen für das Wiedererstehen und Wiedererstarken unserer geliebten Ruperto-Carola nach dem Zweiten Weltkrieg, der er seine ganze Kraft und zum guten Teil die Substanz seiner zarten sensiblen Nerven geopfert hat“, so beispielsweise Karl Engisch in einer Gedenkrede. Bei der Wiedereröffnung des Historischen Seminars und bei der Besetzung der historischen Lehrstühle hatte Ernst als einzig verbliebener Ordinarius entscheidenden Einfluss. Im Folgenden soll untersucht werden, welche Institutionen und welche Kriterien auf die Personalentscheidungen nach 1945 einwirkten – so bei der Wiedereingliederung der Historiker Willy Andreas (1884–1967) sowie Walther
Peter Fuchs (1905–1997) in den Lehrkörper der Universität. Dabei sind die Rolle der betroffenen Wissenschaftler im NS-Regime und der Ablauf der Entnazifizierungsverfahren in den Blick zu nehmen. Welche Institutionen – US-Militärverwaltung, Universitätsorgane, Kultusbehörde – setzten jeweils ihre Vorstellungen durch? Waren die Personalentscheidungen durch sachlich fundierte Auswahlkriterien oder auch durch persönliche Sympathien bzw. Animositäten bestimmt?
Betrunkene Studenten schwärmen in der Nacht lautstark durch die Gassen der Heidelberger Altstadt und erregen so den Ärger, wenn nicht gar den heftigen Zorn manchen Einwohners, der sich schlaflos in seinem Bett von einer Seite zur anderen dreht und dabei stille Flüche gegen die Rücksichtslosigkeit der Jugend ausstößt. Während draußen auf der Straße ein neues Lied angestimmt wird, grübelt der um seine Nachtruhe betrogene Bürger, wie er sich wehren kann und ob nicht ein Brief an den Oberbürgermeister fällig ist, damit eine solche Ruhestörung zukünftig durch strengere Sperrzeiten gar nicht erst entsteht. Oder zumindest durch häufigere polizeiliche Patrouillen auf der Unteren Straße zügig unterbunden wird … Diese Situation benötigt keine Jahresangabe, denn das wiederkehrende Auftauchen von Konflikten um die Nachtruhe dürfte in Heidelberg als eine historische Konstante in der gemeinsamen Geschichte von Stadt und Universität gelten. Und doch ändern sich die Zeiten, so dass der Historiker an einem gleichbleibenden Thema zeigen kann, wie unterschiedlich die Menschen am selben Ort ihr Zusammenleben organisierten, und nach welchen geschriebenen und ungeschriebenen Regeln sie ihr
Verhalten ausrichteten – auch wenn es bei der nächtlichen Ruhestörung eher um ein amüsantes als um ein politisch bedeutsames Thema zu gehen scheint, zumindest aus der Perspektive des Nicht-Betroffenen. So widmet sich dieser Aufsatz dem Ziel, mehr über das Verhältnis von Universität und Stadt, von Studenten und Bürgern in der Zeitspanne zwischen 1775 und 1805 herauszufinden. Warum ausgerechnet diese Jahreszahlen? Nun, sie könnten auch etwas anders lauten, auf ein genaues Datum kommt es dabei nicht an, und doch findet in diesen dreißig Jahren ein schleichender Wandel statt, in dessen Folge sich die Stellung der Studenten im öffentlichen Raum Heidelbergs verändert. Stadt und Universität, die bekanntlich auch gerne miteinander stritten und streiten, kooperierten schließlich in erstaunlicher Eintracht, um für mehr Disziplin unter den jungen Männern zu sorgen, die damals am Neckar nicht lautstark feiern, sondern fleißig studieren sollten.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Mitglieder des Heidelberger Geschichtsvereins, gerne bin ich der Einladung gefolgt, als amtierender Vorsitzender des wohl ältesten bestehenden historischen Vereins der Kurpfalz über eben solche Vereine und ihre gegenwärtigen Aufgaben zu sprechen. Die historischen Vereine sind im Wesentlichen ein Kind des 19. Jahrhunderts. Die Romantik hatte stärker das Interesse an der Geschichte des eigenen Volkes geweckt und sich vor allem dem deutschen Mittelalter zugewandt, nachdem im 18. Jahrhundert – ausgelöst durch den Deutschen Johann Joachim Winckelmann – das Interesse an archäologischen Funden, freilich nicht so sehr der Heimat, neu belebt worden war.
Bewegte Zeiten
(2019)
„Vor 15 Jahren war das Bunsen-Gymnasium noch ein mehr geschlossenes Gebilde als heute. Das Wort ,geschlossen‘ trug damals noch einen positiven Akzent. Es bedeutete Einheit der Teile von einer Mitte her, die nicht nur gegeben, sondern auch aufzubauen war. Es bedeutete weiter Zugehörigkeit zu einem in seinem Grund nicht bezweifelten gemeinschaftlichen Unternehmen, ja, es bedeutete auch Loyalität, nicht nur der beamteten Lehrer, sondern auch der meisten Schüler.“ In seinen „Reflexionen“ nach dem freiwilligen Rückzug vom Amt des Schulleiters
beließ es Josef Schwarz (geb. 1914; Schulleiter 1. August 1956 bis 31. Juli 1970) aber nicht bei diesem eher verklärenden Rückblick. Er analysierte auch die Veränderungen des Schullebens seit Mitte der 1960er Jahre: „Schule in Verschiedenheit“, „Schule in Offenheit“, „Schule in Bewegung“ – Entwicklungen, in denen er eine Chance für die Zukunft sah.
Otto Ehrlich (1909–1971) schloss sein Medizinstudium in Heidelberg im Dezember 1936 mit dem Staatsexamen ab. Bald darauf reichte er seine Dissertation ein und bestand die Doktorprüfung, doch der Erhalt des „Diploms“ war zu diesem Zeitpunkt keine Selbstverständlichkeit mehr. Ehrlich musste vielfältige Anstrengungen unternehmen und bürokratische Hürden überwinden, „um das Doktordiplom zu erhalten, da dies für mich für meine Auswanderung von lebenswichtiger Bedeutung ist“. Seine Bemühungen spiegeln sich in umfangreicher Korrespondenz und führten letztlich zum Ziel. Exemplarisch zeigen die von uns bearbeiteten Dokumente die sich verstärkenden Einschränkungen für jüdische Promovierende, die detaillierte bürokratische Regulierung und die verschiedenen Stellen, die mit dem Anliegen zu befassen waren – diese reichten von der Ebene der Universität mit Dekanat und Rektorat über das Badische Ministerium für Kultus und Unterricht in Karlsruhe bis zum Reichserziehungsministerium. Bürokratische Spielräume auf lokaler Ebene scheint es aufgrund
der direkten Kontrolle durch das Reichsministerium im Einzelfall kaum gegeben zu haben. Dennoch stellt sich die Frage nach der Umsetzung der Vorgaben an der Heidelberger Medizinischen Fakultät. Welchen Einfluss hatten die beteiligten Ministerien und die verschiedenen Ebenen der Universitätsverwaltung? Handelten sie streng nach Vorschrift? Versuchten sie, eigene Handlungsimpulse umzusetzen, entweder
um den Betroffenen zu helfen oder um die Aushändigung des Doktordiploms zu verhindern? Wir gehen den genannten Fragen an zwei Beispielen nach. Zunächst stellen wir kurz die Entwicklung der Gesetzeslage dar, um dann die „Fallgeschichten“ von Otto Ehrlich und Lore Hirsch einordnen zu können.
Der nachfolgende Text basiert auf den Ergebnissen eines Seminars, das im Wintersemester 2017/18 im Fach Geschichte an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg durchgeführt wurde und das sich inhaltlich mit der Studienzeit von Ludwig Marum, in seinen Studienjahren in Heidelberg Mitglied der jüdischen Studentenverbindung Badenia, beschäftigte. Grundlage waren unveröffentlichte Akten des Universitätsarchivs Heidelberg, Ziel eine öffentliche Präsentation zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, an dem die in der PH gezeigte Ausstellung zum Lebensweg Marums „warum marum“ eröffnet wurde. Ein Besuch im Universitätsarchiv mit einer Einführung in die Bestände und die Archivarbeit sowie die Besichtigung des Studentenkarzers waren Teil des Seminars. Die Transkription der Quellen, ihre quellenkritische Auswertung und die historische Einordnung erfolgten in gemeinsamer Arbeit und in ausführlichen Diskussionen durch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Seminars. Diese Diskussionen, die Texte der Präsentation vom 29. Januar 2018 und die Überlegungen in den Hausarbeiten, die Studierende zu thematischen Einzelaspekten verfertigten, flossen in die nachfolgende Darstellung ein. Einzelne
Aspekte wurden durch die Seminarleiterin vertieft.
1902 wurden in der Heidelberger Peterskirche auf den östlichen Stirnwänden der beiden Seitenschiffe zwei monumentale Leinwandgemälde von Hans Thoma den neugotischen Spitzbögen eingepasst. Das rechte (südliche) zeigt die Begegnung des auferstandenen Jesus mit Maria Magdalena. Im nördlichen Seitenschiff ist eine Szene aus dem Leben des Kirchenpatrons Petrus dargestellt: Bei nächtlichem Sturm auf dem See Genezareth droht Petrus im Wasser zu versinken, da kommt ihm Jesus auf den Wellen entgegen.
Tatort Heidelberg
(2019)
Auf der Grundlage einer Verordnung der Reichsregierung vom 21. März 1933 wurden reichsweit Sondergerichte gebildet, deren Zuständigkeit sich zunächst auf Delikte erstreckte, die nach zwei Notverordnungen strafbar wurden, mit denen die Nationalsozialisten
zum Zwecke ihrer Machtübernahme den Rechtsstaat aushöhlten: die sogenannte Reichstagsbrandverordnung („zum Schutz von Volk und Staat“) vom 28. Februar und die Verordnung „zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung“ vom 21. März 1933. Letztere kriminalisierte unter anderem Aussagen, die „das Wohl des Reiches oder eines Landes oder der Reichsregierung
oder einer Landesregierung oder der hinter diesen Regierungen stehenden Parteien oder Verbänden“ schwer schädigten. Damit wurde den Justizbehörden quasi eine Generalvollmacht erteilt, dissentierende politische Meinungsäußerungen, auch wenn sie nicht öffentlich vorgebracht wurden, zu unterdrücken. Für die Sondergerichte, deren Zuständigkeiten später noch erheblich ausgedehnt wurden, zum Beispiel auf Vergehen nach der Verordnung „gegen Volksschädlinge“ vom 5. September 1939, wurde die Strafprozessordnung in mehreren Punkten aufgeweicht, um ihre Verfahren zu beschleunigen: Mündliche Verhandlungen über den Haftbefehl fanden ebenso wenig statt wie gerichtliche Voruntersuchungen, die Ladungsfristen konnten auf 24 Stunden herabgesetzt werden, Vernehmungsergebnisse mussten in die Hauptverhandlungsprotokolle nicht aufgenommen werden, und gegen Entscheidungen der Sondergerichte waren Rechtsmittel nicht zulässig.
Es ist den Entrechtungs- und Verfolgungsmaßnahmen des nationalsozialistischen Regimes geschuldet, dass die Leistungen des deutschen jüdischen Neurologen und Psychiaters Alfred Abraham Strauß (geboren am 29. Mai 1897 in Karlsruhe, gestorben am 27. Oktober 1957 in Chicago) in Deutschland weitestgehend unbekannt sind – und das, obwohl er als ein Pionier des Forschungsfelds Lernschwäche und
der daraus erwachsenen Diagnose ADHS angesehen werden kann. Als solcher wird er v.a. in den USA, aber auch in Spanien gewürdigt. Abgesehen von seinen spanischsprachigen Ausarbeitungen, deren Bekanntheit nicht den Raum der iberischen Halbinsel überschreitet, sind Strauß‘ Ausführungen vor seiner Migration in die USA 1937 in der gesamten aktuellen Fachliteratur gänzlich unbekannt. Doch selbst seine
Publikation mit Laura Lehtinen von 1947, die als Höhepunkt seines Wirkens betrachtet werden kann, wird regelmäßig zitiert, nicht aber inhaltlich erfasst. Strauß war zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen „Machtergreifung“ Privatdozent für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Heidelberg, Leiter der psychiatrisch-neurologischen Poliklinik, Berater des städtischen Jugend- und Wohlfahrtsamtes sowie niedergelassener praktizierender Arzt in Mannheim. Alle diese Stellungen verlor er im Zeitraum von 1933 bis 1935. Eine erste Analyse von Strauß‘ akademischem Wirken an den verschiedenen Stationen seines Lebens ermöglicht eine neue Sicht auf seine Verdienste. Dafür
werden auch bislang unberücksichtigt gebliebene Dokumente herangezogen.
Nur eine blassgraue Eintrittskarte vom 5. November 1948 ist erhalten, dazu ein Zettel mit dem Programm des ersten musica-viva-Studiokonzerts im Rathaussaal, zwei Kompositionen von Paul Hindemith. „Die junge Magd“ für Alt, Flöte, Klarinette und Streichquartett nach Gedichten von Georg Trakl sowie die Kammermusik Nr. 1 op. 24. Den Heidelberger Ohren werden allein schon mit der Instrumentierung bislang unerhörte Klänge präsentiert: ein Bläserquartett und ein Streichquartett kombiniert mit Klavier, dazu Akkordeon, eine Sirene, eine mit Sand gefüllte Blechbüchse sowie andere nicht ganz salonfähige Instrumente. In den zwölf Jahren nationalsozialistischer Rassen- und Kulturpolitik war dergleichen als „entartete Musik“ und undeutsch verpönt und verboten, jetzt in der jungen Demokratie merkt man, wie vieles man auf allen Feldern der Kultur versäumt hat. Man ist begierig nach dem Neuen.
Die Notwendigkeit zur Erweiterung der Heidelberger Innenstadt war schon in den Jahren um 1900 erwogen und diskutiert worden. So sollte u.a. der Standort des Hauptbahnhofs mehr als einen Kilometer nach Westen verlegt und der bestehende Kopfbahnhof (Areal des Menglerbaus, heute Carré) durch einen modernen Durchgangsbahnhof ersetzt werden. Anfangs nur zögerlich betrieben, wurden die Planungen während der nationalsozialistischen Herrschaft forciert und konkretisiert, man dachte an eine Prachtstraße zwischen dem neu konzipierten Bahnhofsgebäude und einem groß angelegten kulturellen Zentrum in der Stadt in direkter Achse zum Schloss, was einer ideologisch überhöhten Legitimation gleich kam.
1250 Jahre Kirchheim
(2019)
Neben Wieblingen reihte sich im Jahr 2017 Kirchheim als zweiter Heidelberger Stadtteil ein unter die vielen Ortschaften der Rhein-Neckar-Region, die in diesen Jahren das 1250. Jubiläum ihrer urkundlichen Ersterwähnung feiern. Diese Häufung geht zurück auf zahlreiche Schenkungen an das im Jahr 764 gegründete Kloster Lorsch. Ausführlich ist dies im Jahrbuch des Heidelberger Geschichtsvereins 2018 im Zusammenhang mit dem Wieblinger Jubiläum beschrieben. Im Falle von Kirchheim sind als Schenkende urkundlich die Eheleute Rupertus und Pietrad von Oftersheim genannt. Zudem verwendet die Schenkungsurkunde den Begriff der „Kirchheimer Mark“ im Sinne eines mehrere Ortschaften umfassenden Verwaltungs- oder Herrschaftsbezirkes. Die hier zu Tage tretende herausgehobene Bedeutung Kirchheims dürfte auch zur Entstehung des Gerichtsbezirkes der „Kirchheimer Zent“ geführt haben, der bis zum Ende der Kurpfalz 1803 bestand. Dass Kirchheim sehr früh Kirchort gewesen sein dürfte, ergibt sich aus dem Ortsnamen. Ein erster Kirchenbau am Standort der heutigen evangelischen Petruskirche wird für die Zeit um 600 vermutet.
Digitalisierung, Erschließung und Onlinestellung der Urkunden des Universitätsarchivs Heidelberg
(2019)
Das Universitätsarchiv Heidelberg verwahrt 1.760 Urkunden aus den Jahren 1234 bis 1816, die in einem direkten Bezug zur Geschichte der Universität Heidelberg stehen. Sie wurden in einem von der Stiftung Kulturgut Baden-Württemberg geförderten Projekt von November 2016 bis Dezember 2018 bestandserhalterisch geprüft, erschließungstechnisch ergänzt, digitalisiert und letztlich im ersten Quartal 2019 ins Internet gestellt.
Einer Reihe von Zufällen verdankt es sich, dass am 22. Juli 2019 im Heidelberger Universitätsarchiv eine Tagung zu Emil Julius Gumbel stattfinden konnte. Denn lange Zeit galt das Verdikt des Neuhistorikers Christian Jansen aus dem Jahr 1981, Gumbel habe „seinerzeit […]
im ganzen Reich Aufsehen“ erregt und „heute ist er unverständlicherweise so gut wie vergessen.“ Zehn Jahre später konstatiert der damalige Rektor Peter Ulmer anlässlich einer akademischen Gedenkfeier zu Gumbels 100. Geburtstag, es sei „bis heute nicht […] zur Würdigung seiner Person durch die Universität gekommen“. Umso erstaunlicher ist das Wiederaufleben der Erinnerung an den bis zu seiner Vertreibung 1932 in Heidelberg lehrenden Statistiker und Pazifisten, obwohl aktuell kein Geburts- oder Todestag Anlass dazu gibt. Der Filmemacher David Ruf hatte übrigens unabhängig davon einen Dokumentarfilm über Gumbel zwischen 2017 und 2019 gedreht, während die Initiative für die Tagung selbst von Sabrina Zinke kam, der stellvertretenden Leiterin des Universitätsarchivs, die nach einem Drehtag im Universitätsarchiv David Ruf überzeugen konnte, seinen Film im Anschluss an die Gumbel-Tagung im Karlstorkino in Heidelberg zu zeigen. Über Rufs Verbindungen zu einem Münchner Ausstellungsteam kam dann zusätzlich eine Ausstellung über Gumbel ins Universitätsmuseum, die vom 16. Juli bis zum 19. Oktober gezeigt wurde. Doch – wer war Emil Julius Gumbel und warum Heidelberg?
In der Zeit vom 15. Mai bis 15. Oktober 1919 zeigten die Städtischen Sammlungen in Heidelberg die Ausstellung „Heidelberger Maler der Romantik“. Sie war die erste umfassende museale Präsentation zu diesem Thema. Was verstehen wir unter Heidelberger Malerei der Romantik? Für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts und teilweise darüber hinaus häufen sich die Namen von Künstlern, die, oft nur wenige Jahre, in Heidelberg lebten oder zumindest Heidelberger Motive malten. Was diese Maler ästhetisch verbindet, sind verwandte Kunstauffassungen (zum Teil im Sinne des Biedermeiers); eine Schule im engeren Sinn hat sich jedoch nicht ausgebildet. Biografisch waren die Vernetzungen unter den Künstlern so lose, dass man von einer „Künstlerkolonie“ sprechen könnte. Damals gab es am Ort kaum Möglichkeiten, zum Künstler ausgebildet zu werden, vor allem keine Kunstakademie; gebürtige Heidelberger gingen an die Akademien in Karlsruhe oder München, seltener nach Düsseldorf. Bevorzugte Sujets waren Heidelberger Stadt- und vor allem Schlossansichten, Landschaften und Porträts. Die Landschaftsmalerei Heidelberger Künstler erreichte ihren Höhepunkt mit dem Übergang von der idealen zur stimmungsvoll-realistischen Wiedergabe. Eine solche Malerei bediente den Geschmack des gehobenen Bürgertums, war aber auch am Hofe salonfähig. So ist es nicht erstaunlich, wenn etwa mit Ernst Fries ein Heidelberger Romantiker Hofmaler in Karlsruhe geworden ist. Das Kunstmäzenatentum des landgräflichen Hofes in Darmstadt hat für einzelne Künstler die fehlende Residenz am Neckar ersetzt.
Es ist erstaunlich, wie viele Ortschaften heute ein eigenes örtliches Museum besitzen. Dabei fällt auf, dass in politisch selbständigen Gemeinden deutlich häufiger ein Museum vorhanden ist (z.B. Dossenheim, Oftersheim, Neckarhausen) als in eingemeindeten Orten, die zu Stadtteilen geworden sind, obwohl auch diese die weitaus längste Zeit ihres Bestehens politisch eigenständig waren. So hatten in Heidelberg lange Zeit nur das 1927 eingemeindete Rohrbach (seit 1971, am jetzigen Standort seit 1996) und das 1920 eingemeindete Kirchheim (seit 1982) örtliche Museen (jeweils „Heimatmuseum“ genannt), seit 2000 auch Neuenheim (eingemeindet 1891) seine „Geschichtsräume“. Das 1903 eingemeindete und immer noch sehr selbstbewusste Handschuhsheim, das seine Eigenart im örtlichen Brauchtum und sogar in einem regelmäßigen Jahrbuch zum Ausdruck bringt, besitzt zwar das umfangreiche „Tiefburgarchiv“, aber kein Ortsmuseum. Das bis 1975 selbständige Ziegelhausen hat zwar ein „Heimatmuseum“, doch die Überlegungen zu einem ortstypischen „Wäschereimuseum“ haben bisher noch nicht zum Erfolg geführt. Und im 1920 eingemeindeten Wieblingen war bis vor fünf Jahren von einem Museum nicht einmal die Rede.
Am 12. April 2018 ist der Mittel- und Neulateiner Prof. Dr. Reinhard Düchting infolge eines tragischen Fahrradunfalls gestorben. In seinen letzten Lebensjahren war er der Spiritus Rector des Heidelberger Donnerstags-Clubs. Dieser Zusammenschluss von Buch-Menschen,
die sich jeweils am ersten Donnerstag eines Monats treffen, wurde 1977 durch den Bibliografen Heinz Sarkowski (1925–2006), zuletzt Hersteller beim Springer-Wissenschaftsverlag, ins Leben gerufen.
"Traum Finsterlins"
(2019)
Am 21. Mai 2018 haben wir seinen 80. Geburtstag im zwölften Stock der von ihm selbst im Jahr 2000 neben dem Hauptbahnhof erbauten Print Media Academy mit weitem Gipfelblick über Heidelberg, dem Schloss gegenüber, gefeiert. Knapp drei Wochen später sind wir anlässlich seines Todes wieder zusammen gekommen, wieder in unmittelbarer Nähe einiger Bauten, die er entworfen hat: Da ist das ehemalige Penta- (heute Marriott-)Hotel, das IBM-Forschungszentrum und der Wohnblock an der Yorkstraße mit den für Molli Stichs so typischen Erkern. Hier im alten Kohlenhafen, zwischen Hotelkette und IBM-Zentrum, wollte er um 2005 auf einem Roland Ernst gehörenden Grundstück das neue Konferenz-Zentrum in Ei-Form auf Stelzen über dem Neckar errichten, den Fluss als Transportband in die Altstadt nutzend – ein ebenso brillanter wie kostengünstiger Plan, der aber von der Stadtverwaltung nicht aufgegriffen wurde.
Das Gasthaus „Zum Roten Ochsen“ in der Hauptstraße 217 ist in diesem Jahr seit über 180 Jahren im Besitz der Familie Spengel und wird somit von ihr mittlerweile in der sechsten Generation betrieben. Seit dem späten 19. Jahrhundert zählt das traditionelle Studentenlokal zu den prominenten Lokalitäten der Heidelberger Altstadt. Hier verkehrten zumeist Korporationsstudenten, wie die Mitglieder der „Frankonia“ (gegründet 1856), der „Rupertia“ (1873), der „Hasso-Rhenania“ (1818/1820), der „Hamburger Gesellschaft“ (1868) und der „Freien Schweizer Vereinigung“ (1874).
Dr. jur. Bertold Moch
(2019)
Wie an vielen Orten in Deutschland wurde auch in Nonnenweier die Geschichte jüdischen Lebens durch den Holocaust beendet. Denn auch der heutige Ortsteil der Gemeinde Schwanau war nach 1933 Tatort. Auch hier geschahen Verbrechenan den jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern, die das nationalsozialistische System zu ihren Feinden erklärt hatte, nebenan und für alle offensichtlich. Nach der „Machtübernahme“ durch die Nationalsozialisten wurden die Juden systematisch erfasst, schikaniert, schrittweise entrechtet, ausgegrenzt und ihrer Lebensgrundlage beraubt. Die Synagoge fiel in der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 einem Brandanschlag zum Opfer, und am 22. Oktober 1940 wurden alle noch in Nonnenweier lebenden Juden in das südfranzösische Internierungslager Gurs abtransportiert. Mit der Deportation der „rassisch minderwertigen Bevölkerung“ ist auch die Überlieferung ihrer Geschichte in Nonnenweier verloren gegangen, sodass jüdisches Leben in der Riedgemeinde heute nur noch sehr lückenhaft nachzuvollziehen ist. Denn nur wenige konnten vorher fliehen und sind so den Vernichtungslagern entkommen. Dem Wunsch der Nationalsozialisten entsprechend sollten die systematisch verfolgten, entrechteten, vertriebenen und dem planmäßig orgamsierten Völkermord zum Opfer gefallenen Menschen auch in Nonnenweier dem kollektiven Gedächtnis entrissen und die Erinnerung an sie nachhaltig ausgelöscht werden. Damit dies nicht geschieht, ist es unser aller Aufgabe, an das Leid, Unrecht und die Verbrechen an diesen Menschen zu erinnern und dafür zu sorgen, dass sie nicht vergessen werden. Dabei geht es jedoch nicht um Schuldzuweisungen. Das ist heute sicherlich auch nicht mehr möglich, da Schuld immer und grundsätzlich an den jeweils Handelnden gebunden ist. Aber auch wenn Schuld nicht vererbbar ist, so geht es um die Übernahme von Verantwortung. Dies ist sehr wohl Pflicht der Erben. Verantwortung setzt jedoch Bewusstsein voraus, was wiederum auf Wissen basiert. Deshalb ist es wichtig, das Wissen um das Geschehene weiterzugeben, damit die Spuren der Opfer sichtbar gemacht werden können, um sie so in das „kulturelle Gedächtnis“ zurückzuholen. In dieses „kulturelle Gedächtnis“ von Nonnenweier gehört auch Dr. jur. Bertold Moch, der bereits 1933 durch die nationalsozialistischen Antisemiten entrechtet und vertrieben wurde. Deshalb sollen die nachfolgenden Zeilen den überaus bewegten Lebensweg aufzeigen, den der in Nonnenweier geborene Rechtsanwalt allein nur deshalb auf sich nehmen musste, weil er Jude war. Sie sollen aber auch ein Erinnerungszeichen sein, dass so etwas niemals wieder geschehen darf.
Kriegsende in Lahr 1945
(2019)
Der Zweite Weltkrieg endete in Europa erst, nachdem das Deutsche Reich von den Alliierten militärisch besiegt und besetzt worden war. Zwar hatten die Westalliierten bereits seit Herbst 1944 versucht, durch eine Intensivierung des Luftkriegs die Moral der deutschen Zivilbevölkerung zu brechen, das NS-Regime zu destabilisieren und so ein schnelles Kriegsende herbeizuführen, doch kam es in den letzten Kriegsmonaten seitens der Zivilbevölkerung allenfalls zu lokal isolierten Widerstandshandlungen. Diese waren in der Regel nicht politisch motiviert, sondern spontane Aktionen Einzelner oder kleiner Gruppen mit dem Ziel, die (weitere) Zerstörung des persönlichen Lebensumfeldes durch letzte Rückzugsgefechte der Wehrmacht zu verhindern und die eigene (materielle) Existenz zu sichern. Die an einer möglichst langen Fortführung des Krieges interessierte nationalsozialistische Führungselite reagierte auf diese Auflösungserscheinungen innerhalb der ,Heimatfront' mit brutalen Mitteln. Der „Flaggenbefehl“ Himmlers von Anfang April 1945, wonach Angehörige der Polizei und Wehrmacht „[g]egen das Heraushängen weisser Tücher, das Öffnen bereits geschlossener Panzersperren, das Nichtantreten zum Volkssturm und ähnliche Erscheinungen[ ... ] mit härtesten Massnahmen durchzugreifen“ hatten, war hierfür symptomatisch. Für den Gau Baden sind zahlreiche Fälle belegt, in denen Angehörige der Wehrmacht, der SS, der Polizei und Parteifunktionäre Zivilisten erschossen, die sich nicht bereit gezeigt hatten, ihre Stadt, ihr Dorf oder ihr Haus zu verteidigen.