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Heiligenleben und Alltag
(2010)
Dis ist von dem heiligen leben der seligen frowen, genant die Rickeldegen, und waz grozer wunder unser lieber her mit ir gewurcket het. Und mit irme eigen namen wz su Gerdrut genant. So beginnt die Schrift, die im Mittelpunkt der Untersuchung stehen soll. Sie nimmt ganz selbstverständlich das seit dem Frühmittelalter geläufige literarische Muster auf, mit dem ein Heiligsprechungsprozess in Gang gesetzt wurde: Vita et Miracula bildeten die Grundlage für den Prozess, an dessen Ende die Aufnahme in das Verzeichnis der Heiligen stand. Diesem Programm will ich einen zweiten Aspekt hinzufügen, der sozusagen quer dazu steht: Offenburger Alltagsleben. Dabei interessieren nicht so sehr die großen Wunder, sondern die kleinen Alltagsgeschichten, in denen sich das Leben einer Frau widerspiegelt mit all seinen Zwängen und Möglichkeiten. Zugegebenermaßen verengt dieser Blick das überlieferte Bild der Offenburger Heiligen in ungebührlicher
Weise. Denn in erster Linie widmet sich die Schrift dem spirituellen Leben einer Frau, ihrer Askese und ihrem Ringen um eine neue Lebensform. Meine Engführung soll Einblicke bieten in das Tagesgeschehen einer kleinen Stadt des 14. Jahrhunderts, in der Gertrud fast 30 Jahre lang gelebt hat.
Wer auch immer nach Gengenbach kommt, – um den Ritter, der mitten auf dem Marktplatz des Städtchens steht, kommt keiner herum, ihn kann keiner übersehen. Seit 1582 behauptet er hier das Feld. Diese Zahl ist auf seinem Sockel eingemeißelt. Längst schon haben die Gengenbacher ihn zu ihrer Symbolfigur erhoben. Zuletzt feierten sie 1982 seinen 400. Geburtstag mit einem prächtigen Ausstellungsspektakulum. Etwa fünfzig bildende Künstler huldigten ihm zu diesem Anlaß in phantasievoller Weise, witzig, verspielt, kritisch, nachdenklich.
Am 10. März 1415 feierten die Bürger Offenburgs die Weihe ihrer neu erbauten Stadtkirche. Das einzige historische Zeugnis zu diesem Fest hielt erst 200 Jahre später der Pfarrherr von Heilig Kreuz fest in seinem Bericht des Kirchherrn Lazarus Rapp über die Pfarrei zu Offenburg vom 26. September 1616. Die Kirche samt Chor sei von Fr. Marco ordinis Minorum episcopo Chrysopolitano (von dem Minoritenbruder und Bischof von Chrysopolis) consecriert worden dominica laetare anno 1415. Auf diese spärliche Nachricht stützt sich das Gedenken. Im Frühjahr 2015 erinnerte ein großes Jubiläumsprogramm an diesen Tag: ,,600 Jahre Heilig-Kreuz-Kirche in Offenburg". Es ist das dritte Mal schon, dass die Pfarrei selbst auf das Ereignis zurückblickt. Vor hundert Jahren widmete der damalige Stadtpfarrer und Dekan August Lipp dem Jubiläum eine Gedenkschrift. Sie erschien freilich erst gegen Ende des Jahres 1915, weil die Feier „mit Rücksicht auf die ernste Kriegszeit" zusammengelegt wurde mit dem Titularfest Kreuzerhöhung am 14. September. Von der Kirchweihe im März 1415 ist in ihr auch kaum die Rede. Stattdessen von der Zerstörung der Kirche durch „die Mordbrenner" von 1689, die Offenburg und dessen altehrwürdige Pfarrkirche in Schutt und Asche legten.
,,Die heutige deutsche Reichsregierung könnte sich an dem Senat von Harmersbach, dessen Oberhaupt ein Metzger und dessen Mitglieder Bauern waren, ein Muster nehmen." So lautete der Kommentar zu einer von Reichsvogt und Altern Rat erlassenen„ zeitgemäßen Bekanntmachung, die der Pfarrer auch von der Kanzel verlesen soll". Man ahnt schon, aus wessen Feder der Kommentar stammt: Heinrich Hansjakob schrieb ihn in seiner 1891 erschienenen Erzählung „Der letzte Reichsvogt". Er schildert darin die Geschichte des Hansjörg Bruder, der, von Beruf Metzger, 1771 Wirt der „Stube" in Oberharmersbach wurde. Hansjakob nennt sie „das politische Zentrum", ,,das Kasino der Reichsbauernschaft vom Harmersbachtal". Hier konnte der Mann hinterm Schanktisch offensichtlich erfolgreich mitmischen, sodass er 1776 vom Zwölferrat als Kandidat für das Amt des Reichsvogtes aufgestellt wurde, allerdings unter der Bedingung, dass er im Falle seiner Wahl abe der stuben sein sollte. Ein Teil der Gemeinde hatte sich für einen Gegenkandidaten stark gemacht. Die Entscheidung musste der Abt von Gengenbach treffen. Er sprach sich für den Hansjörg Bruder aus. Der neu ernannte Reichsvogt erwirkte beim Rat sogar einen weiteren Fünfjahresvertrag als Stubenwirt. Unter seinem Dach tagte, wie gewohnt, das Vogtsgericht, während der Abt an seinem üblichen Gerichtstag den offenen Platz vor der Kirche bevorzugte.
Weibliche Wohngemeinschaften im spätmittelalterlichen Offenburg und ihr langer Weg in den Alltag
(2018)
Mit dem Begriff „Wohngemeinschaften“ verbindet sich üblicherweise die moderne Vorstellung einer Studenten-WG oder
einer Senioren-WG: Die Jüngeren teilen sich eine Wohnung, die Älteren ein Haus, mit Einzelzimmern und Gemeinschaftsräumen. Dieser Beitrag will die Aufmerksamkeit auf eine ganz andere Gruppe lenken – eine Gruppe, die nicht durch das Alter definiert ist, sondern durch das Geschlecht. Es sind alleinstehende Frauen in Offenburg, die diese neue Lebensform des gemeinschaftlichen Wohnens schon vor über 700 Jahren gesucht und gestaltet haben. Sie nannten sich „Beginen“. Mindestens zehn ihrer Hausgemeinschaften sind uns aus dem 14. und 15. Jahrhundert bekannt. Leider ist die Quellenlage zu ihrer Geschichte sehr spärlich. Von keinem einzigen Haus kennen wir den genauen Gründungsvorgang. Und nur wenige Urkunden gewähren uns einen konkreten Einblick in das Leben dieser neuartigen Wohngemeinschaften. Sie bilden die Grundlage der folgenden Untersuchung.
Wie kann man nur eine Heilige vergessen? - War Gertrud überhaupt eine Heilige? Im amtlichen Verzeichnis aller von der Kirche anerkannten Heiligen, dem Martyrologium Romanum, ist ihr
Name nicht enthalten.[1] Es wurde 1583 von Papst Gregor XIII.
veröffentlicht, im Rahmen von Ordnungsmaßnahmen, die er
während seines dreizehnjährigen Pontifikats auf verschiedenen
Feldern des kirchlichen Lebens ergriffen hat.
Ein Vergleich in Sachen „Bildung" über 500 Jahre hinweg ist riskant. Zumal niemand so recht weiß, was das eigentlich ist:
Bildung. Aber der Wunsch, sie zu besitzen, ist weit verbreitet, wenn nicht gar selbstverständlich. Die Stadt Offenburg weist in
ihrer Internet-Präsentation den Schulen und Bildungseinrichtungen einen hohen Stellenwert zu: ,,Offenburg hat als Herz
und Zentrum der Ortenau auch eine zentrale Funktion im Bildungsbereich." In einer Übersicht listet sie sieben Grundschulen, sieben Grund- und Werkrealschulen und vier Realschulen auf, dazu vier Gymnasien, sechs berufliche Schulen, sieben Sonderschulen, eine Kunstschule, eine Musikschule und eine Hochschule für Technik, Wirtschaft und Medien. Die Liste ist beeindruckend, deckt sie doch das gesamte deutsche Schulsystem in seiner Vielfalt ab: Eine grundlegende gesellschaftliche Offerte im Bereich von Erziehung und Unterricht!
Adlige, Begine, Bettlerin
(2013)
Die Verehrung der Heiligen verweist den gläubigen Menschen auf Alternativen zum alltäglichen Leben und macht deren Lebensform als Weg zum Heil konkret, also wahrnehmbar. Ein solches Leitbild verkörperte Elisabeth von Thüringen seit ihrem frühen Tod 1231. Schon wenige Monate, nachdem die junge Landgräfin in der Nacht vom 16. zum 17. November 1231 gestorben war, bemühte sich ihr Beichtvater Konrad von Marburg darum, die singuläre Stellung seiner ihm anvertrauten Beichttochter durch ein offizielles Heiligsprechungsverfahren zum Ausdruck zu bringen. Er entwarf einen kurzen Lebensabriss Elisabeths und schickte ihn an die Kurie, zusammen mit Aufzeichnungen von Wunderberichten, die nach Zeugenverhören notiert wurden. Dieses Beweismaterial wurde in mehreren Schritten noch ergänzt, zumal man an der Kurie einem vorbildhaften Lebenswandel mehr Aufmerksamkeit schenkte als Wundern. Deshalb erhielten die Aussagen von vier Dienerinnen Elisabeths, die sie zum Teil seit ihrer Kindheit begleitet hatten, einen besonderen Stellenwert. „Unter Eid“ berichteten sie ausführlich über Begebenheiten aus dem Leben ihrer Herrin. Alle späteren Lebensbeschreibungen Elisabeths beziehen sich auf diese Befragung der Dienerinnen im Rahmen des Kanonisationsverfahrens.