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Der letzte Palatin
(2007)
Die heute Hundertjährigen – und das sind nicht wenige – könnten sich daran erinnern, dass für sie als Elfjährige die Monarchie ihrer Kinderzeit plötzlich verschwunden war und sie als Republikaner in einer grauen Nachkriegszeit aufwuchsen. In ihrem Geburtsjahr 1907 feierte man aber noch, oder wieder einmal die wilhelminische Monarchie in ihrer ganzen
Prachtentfaltung, und die Beerdigung des letzten Palatins diente für ein grandioses pompes funèbres. Als Palatin, als Quasipfalzgraf, so hatte man Moltke (1891 †) und Bismarck (1898 †) als die Getreuen das alten Kaisers empfunden, und nun war auch der letzte „Führer des heroischen Zeitalters“ dahingegangen, so tönte es in den Zeitungen, jener Proklamationsszene im Versailler Schloss Januar 1871, deren Bild in jedem Schulbuch an die Gründung des Deutschen Reiches erinnerte.
Und das ewige Licht ...
(2007)
Der Vater von Wilhelm Hausenstein stirbt früh; der Trauergottesdienst findet in Karlsruhe, in St. Stephan, statt. Auf den Sohn, der im evangelischen Glauben der Mutter aufgewachsen ist, macht dieser Raum und macht die ganze heilige Handlung einen tiefen Eindruck. „Am meisten aber berührt ihn das rubinrot glühende Licht der Ampel in der Kirche.“
Um die Bedeutung von Orten, Städten, Landschaften für Hausensteins biographischliterarischen Haushalt richtig einschätzen zu können, ist es sinnvoll, von einem Beispiel der heutigen „Ortseinschätzung“ auszugehen. Exemplarisch bieten sich dazu Stellen an aus dem Roman von Richard Ford „Unabhängigkeitstag“ von 19951. Als Frank Bascombe, ein
geschiedener Immobilienmakler, das Strandhaus seiner Freundin Sally besuchte, hatte er das Gefühl, „schon einmal hier gewesen zu sein“. „Bloß dass nichts mir ein Zeichen gab, nichts mir zunickt. Das Meer bleibt verschlossen und das Land auch“. Und Frank Bascombe fährt in seinen Betrachtungen fort: „Ich weiß nicht genau, was mir die Kehle zuschnürt, die Vertrautheit des Ortes oder die halsstarrige Weigerung, sich erkennen zu geben“.
Im Lebenslauf des Schriftstellers Wilhelm Hausenstein (1882–1957) ergaben sich immer wieder Berührungspunkte zur Stadt Baden-Baden. Die ersten Besuche des jungen Schülers galten dem todkranken Vater, der in der Kurstadt vergebens Heilung erwartete. Nach dem Tode des Vaters nahm die Mutter in Karlsruhe Wohnung, von nun an fuhr sie mit ihrem Buben an vielen
Wochenenden nach Baden-Baden, um die dort lebenden Tanten Flora und Anna zu besuchen.
In dreifacher Weise hat Wilhelm Hausenstein in den Schriften wie „Badische Reise“ (1930), „Badisches Tagebuch“ (1941) und „Lux Perpetua“ (1947) „Badisches“ nicht nur zum Thema gemacht, sondern für seine Zeit exemplarisch beschrieben. An erster Stelle ist hier sein Loblied auf „Das Badische“ zu nennen, das als „Charta“ des Badischen gelten kann. An zweiter Stelle ist zu verweisen auf das „Schlüsselwort“ Liberalität, mit dem Hausenstein die badische Eigenart verschiedentlich zu charakterisieren versuchte. Und schließlich verdanken wir Hausenstein die einfühlsamsten, die Architektur der badischen Residenz würdigenden Texte.
Wilhelm Hausenstein und das Morgenland? Über diesen Titel, dieses Thema wird sich zunächst, und zu Recht, auch der wundern, der Hausenstein kennt – ihn, der doch ein durchaus abendländischer, ein westlicher Mensch war, der auch die Grenzen Westeuropas kaum je überschritt; eigentlich nur einmal, und erst spät, nämlich 1929, als er nach Jugoslawien reiste. Da erst ging ihm, wie er schrieb, „das Morgenland auf“.
Wilhelm Hausenstein
(2007)
„Baden – das ist nicht ein Staat. Baden – das ist eine zähe, vertrauliche und etwas verzwickte Familie.“ Und dieser Familie blieb er immer verbunden, auch in seiner zweiten Heimat München, auch als Diplomat in Paris. Der Schwarzwälder war ein Repräsentant deutscher Kultur, wie man ihn nach dem nicht nur staatlichen, sondern auch geistigen Zusammenbruch einer nationalistischen Diktatur Ende des II. Weltkriegs suchte. Seinen Lebensweg fünfzig Jahre nach seinem Tod zu verfolgen
heißt, sich der Markierungen zu erinnern, die er setzen konnte.
Carl Theodors Kinder
(2007)
In der Kapelle von Schloss Zwingenberg am Neckar befindet sich ein Epitaph mit lateinischer Inschrift, deren Übersetzung lautet: „Hier ruht die vortreffliche Mutter der Grafen von Heydeck, Josepha, die im dreiundzwanzigsten Lebensjahr, nachdem sie dem Erdkreis einen Grafen und drei Gräfinnen geboren hatte, am 27. Dezember 1771 zu den himmlischen Wonnen einging“. Bei der Verstorbenen handelt es sich um Josepha Seiffert, die als 16-jährige Schauspielerin und Ballett-Komparsin die Mätresse des 38-jährigen Kurfürsten von der Pfalz Carl Theodor wird. Wenige Jahre später stirbt die junge Frau, nachdem sie dem Fürsten zwischen Januar 1768 und Dezember 1771 drei Töchter und einen Sohn geboren hat. Schon
eh das erste Kind zur Welt kommt, erhebt Carl Theodor die aus kleinbürgerlichen Verhältnissen stammende Josepha
in den Adelsstand, 1769 macht er sie zur Gräfin von Heydeck.
Das Mannheimer Herschelbad
(2007)
Bernhard Herschel hatte der Stadt Mannheim 500 000 Goldmark für den Bau einer „Zentral- Bade- und Schwimmanstalt“ hinterlassen. Er starb im Jahr 1905. Otto Beck, damaliger Oberbürgermeister und Freund des Großkaufmanns, hatte den großzügigen Stifter dazu angeregt. Der Wunsch nach einer solchen Badeanstalt fiel in die Zeit einer wahren Bevölkerungsexplosion. Im Jahr 1895 zählte die Stadt Mannheim noch 91 000 Bürger und bereits im Jahr 1910 über 200 000
Einwohner. Mit der Friesenheimer Insel 1895 sowie Käfertal und Waldhof im Jahr 1897 hatte eine Welle der Eingemeindungen begonnen.
Der Junge mit der Ballonmütze deutet auf eine Stelle im Buch. Das kleinere Mädchen hält es aufgeschlagen vor sich. Er scheint ihr etwas zu zeigen oder vorzulesen. Aufmerksam und ernst betrachten sie ein Bild oder einen Text. Die Figuren lehnen an einer von Efeu umrankten Mauer. Eine Katze schaut neugierig nach hinten in den Schulhof. Das Kleid des Mädchens, die Kniebundhosen und der Lederranzen des Jungen verweisen auf eine vergangene Zeit, ebenso die Jahreszahl 1917.