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Im ersten Band des Jahrbuchs für badische Kirchen- und Religionsgeschichte hat Prälat Gerd Schmoll als Zeitzeuge berichtet, wie er Krieg und Nachkriegszeit und die Kirche in dieser Zeit erlebt hat. Wie schon oft stellte sich mir die Frage: Wie habe eigentlich ich dies alles erlebt, 1929 in Mannheim geboren und dort aufgewachsen, zuerst als Kind, dann als Mädchen, und noch später als Heranwachsende, als Frau? Wie vermag ich heute in der Rückschau dies zu sehen? Ich bin viereinhalb Jahre älter als Gerd Schmoll und habe fast immer in Mannheim gelebt und auch gearbeitet, wobei allerdings die nicht einmal zwei Jahre, die ich aus Kriegsgründen in St. Blasien verbringen musste, von nachhaltiger Bedeutung für mich waren. Viereinhalb Jahre Altersunterschied kommen für die Zeit des „Dritten Reiches“ und der Nachkriegszeit geradezu einem Generationen-Unterschied gleich. So will ich es wagen, will einiges von meinem Erleben oder Erspüren versuchen zu benennen.
Eine der drängenden Fragen, mit denen sich Karl Siegfried Bader unmittelbar nach
Kriegsende auseinandersetzte, war die einer Nachbildung und Nacherziehung, ja
überhaupt einer Wiedererziehung der im nationalsozialistischen Ungeist herangebildeten Juristen. Wie konnte hier eine "Abkehr vom juristischen Banausentum ",
wie eine Wiedergewinnung rechtlichen Denkens gelingen? Den angehenden Richtern, Staat - und Rechtsanwälten müsse klar gemacht werden, so Baders Folgerung,
" dass mit der formalen Handhabung juristischer Technik, mit dem gedächtnismäßigen Einprägen von Rechtssätzen und mit einer gewissen Fertigkeit in der rechtlichen Subsumption nichts getan ist. ( ... ) Es handelt sich nicht darum, dass der Jungjurist neben seinen Gesetzeskenntnissen auch Daten aus der deutschen Geschichte
kennt und eine halbwegs brauchbare Vorstellung von den politischen Verhältnissen
hat. Entscheidend ist vielmehr, dass der junge Jurist durch die juristischen Denkformen hindurch möglichst rasch und möglichst tief zu den Grundwahrheiten der
Humanität, der Caritas und der inneren, nicht nur der formalen Legalität durchdringt." Der gute Jurist sei eben mehr als ein Jurist mit gutem Fachwissen und
gewissen Fertigkeiten.
In der so facettenreichen Berufsbiografie Baders hat seine Tätigkeit als Rechtsanwalt einen
eher sekundären Stellenwert. Es ist jedenfalls nicht der Anwalt, mit dem Juristen, Landeshistoriker
und eine interessierte Öffentlichkeit seinen Namen assoziierten und noch immer assoziieren.
Karl Siegfried Bader, das war für viele Nachkriegsdeutsche der gestrenge Generalstaatsanwalt
im französisch besetzten Südbaden, der, wie selbst das Wochenmagazin „Der
Spiegel" anerkennend feststellte,[1] die Hauptverantwortlichen des beschönigend „Euthanasie"
genannten Behindertenmordes in Baden noch dann mit der Härte des Gesetzes konfrontierte,
als andernorts längst die „Gnade der späten Verurteilung" (Christian Meier) grassierte. Bader,
das war der Chefankläger in einem der spektakulärsten Strafprozesse nach 1945 gegen einen
der beiden Mörder des Weimarer Reichsfinanzministers Matthias Erzberger. Neben dem großen
Nürnberger Prozess, so Baders Wahrnehmung, hat kein anderes Gerichtsverfahren unserer
Nachkriegszeit mehr Aufsehen erregt und ... ein stärkeres Echo gefunden als das im Sommer
1946 eingeleitete Strafverfahren,[2] das bekanntlich mit einem Skandal endete: Dem Freispruch
des Täters, der Urteilskassation durch die Besatzungsmacht, dem Rücktritt des quasi Justizministers
Paul Zürcher aus Differenz nicht etwa in der Sache, aber in der Form - des für den
Wiederaufbau des Rechtsstaats für schädlich erachteten Eingriffs in die Justiz. Baders Plädoyer
in jenem ersten, in Offenburg verhandelten Verfahren hielt die Nachkriegspublizistik für so bedeutsam,
dass es Dolf Sternberger im vollem Wortlaut in seine Monatsschrift „Die Wandlung"
aufnahm.
Bitterkeit empfindet Johanna F., geb. Santo, wenn sie an die vielen rhetorisch ausgefeilten Reden denkt, die am 27. Januar 2005 von Politikern zum 60. Jahrestag der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz gehalten wurden. Keiner der Volksvertreter vergaß, an die Opfer von Nazi-Deutschland zu erinnern. Die KZ-Opfer nicht zu vergessen,
nie mehr Unrecht auf deutschem Boden zu dulden, war Inhalt aller Gedenkansprachen. Doch war die moralische Entrüstung, die Einforderung von Toleranz und Humanität im gesellschaftlichen Zusammenleben immer auch ein ernst zu nehmendes Anliegen der Redner? Entsprangen die lautstark vorgetragenen Anklagen stets auch einer edlen Gesinnung? Die Mutter von Johanna F., Elsa Santo, war vom 24. November 1944 bis zum 28. April 1945 als politisch Verfolgte im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück inhaftiert. Eine Wiedergutmachung hat sie als Opfer des Faschismus trotz ihrer Anträge und Eingaben an die zuständigen Behörden im Land Baden-Württemberg nie erfahren. Aktenunterdrückung und
Rechtsbeugung haben jegliche Wiedergutmachung verhindert. Dieter Wiefelspütz (MdB), Innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, fasst sein Unverständnis und seine Empörung über die Vorgehensweise der Behörden gegenüber Johanna F. in einem Schreiben vom 8. September 2000 in folgenden Worten zusammen: „Ihr Schicksal und das Ihrer Mutter haben mich tief berührt und Ihr Leidensweg durch die bundesdeutsche Gerichtsbarkeit erfüllt mich mit Zorn und gleichzeitig mit Ohnmacht." Nachfolgend eine Dokumentation zu dem Schicksal von Frau Elsa Santo und ihrer Tochter Johanna.
In der Öffentlichkeit wird vielfach die Ansicht vertreten, Juristen hätten sich nur ganz vereinzelt gegen das NS-Regime widersetzt. Dieser Eindruck ist nicht nur bezogen auf den aktiven Widerstand unzutreffend, sondern auch für den wesentlich breiteren Bereich der Widersetzlichkeit, der Opposition und Verweigerung im Alltag. Hier hat die zeitgeschichtliche Forschung die Kenntnis über die Einzelheiten widerständigen Verhaltens in letzter Zeit erheblich erweitert. Für den südwestdeutschen Bereich ist dies im wesentlichen der zur Universität Karlsruhe gehörenden Forschungsstelle Widerstand gegen den Nationalsozialismus im deutschen Südwesten zu verdanken. Sie hat sich im Rahmen des vom Wissenschaftsministerium Baden-Württemberg geförderten Projekts „Justizgeschichte Badens und Württembergs, 1919–1953“ bereits
wiederholt mit dem Wirken badischer Juristen während der NS-Diktatur befasst.
Das Judengrab von Steinach
(2017)
Wie kommt die Ruhestätte eines Juden auf einen christlichen Friedhof? Steinach war in seiner langen Geschichte nie Heimstätte von Angehörigen mosaischen Glaubens. Außerdem bestatteten die Juden ihre Toten traditionsgemäß auf Sammelfriedhöfen außerhalb christlicher Siedlungen. Nachforschungen im Archiv der Gemeinde bestätigten die Existenz eines Juden: Nikolaus Klein, 22 Jahre, geboren in Bukarest, gestorben in einem Transportzug am 5. März 1945. Handschriftlich hat
jemand nach Ende des Krieges die wenigen Angaben in die Lageskizze der Ehrengräber eingetragen. Vom Internationalen
Suchdienst in Bad Arolsen liegt eine Bestätigung vor. Damit konnte zweifelsfrei ausgeschlossen werden, dass Nikolaus Klein
nicht zu den Häftlingen der drei Haslacher Außenlager des KZs Natzwiller-Struthof im Elsass gehörte. Zeitzeugenberichte untermauerten das Ganze zusätzlich. Seinen Weg in die Vernichtung nachzuzeichnen, gestaltete sich indessen viel schwieriger.
Sehr geehrte Frau Lehmann, sehr geehrte Damen und Herren, ich freue mich sehr, dass die Evangelische Stadtkirchengemeinde Durlach gemeinsam mit der Evangelischen Erwachsenenbildung Karlsruhe und Durlach und dem Freundeskreis Pfinzgaumuseum/Historischer Verein Durlach des 70. Jahrestages der Reichspogromnacht mit einer außerordentlich eindrucksvollen Veranstaltungsreihe gedenkt. Im Rahmen dieser Veranstaltungsreihe bin ich gern heute zu Ihnen nach Durlach gekommen. Dies gibt mir die Gelegenheit, öffentlich und im Namen unserer Evangelischen Landeskirche in Baden zu jener schweren Schuld zu stehen, die unsere Kirche in den Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft auf sich geladen hat. Darum ist es mir ein besonderes und persönliches Anliegen, Ihnen, verehrte Frau Lehmann, die Grüße unserer
Kirchenleitung zu überbringen und sie in ihrem Namen um Vergebung zu bitten für das, was die badische Kirchenleitung Ihrem Vater an schwerem Unrecht zugefügt hat.
Auf einer Tagung im März 2010 in Bad Herrenalb, bei der der „Fall“ des „nichtarischen“ Pfarrers Kurt Lehmann (er zählte nach den Gesetzen des NS-Staates als „Halbjude“) eine besondere Rolle spielte, kam es immer wieder zur Frage der Kontinuität im Verhalten der Badischen Landeskirche in ihrer Haltung zum NS-Staat bis 1945 und, damit in unmittelbarem Zusammenhang stehend, der anschließenden Auseinandersetzung der Landeskirche mit ihrem Verhalten (und ggf. einem etwaigen Versagen) gegenüber den Übergriffen des NS-Staates. Symptomatisch für das Verhältnis der Kirche zu einer etwaigen Schuld schien dabei ihre Handlungsweise gegenüber den „nichtarischen“ Pfarrern Ernst (Vater) und Kurt Lehmann (Sohn) zu sein.
Oskar Wiegert
(2009)
In fast allen Veröffentlichungen zur Geschichte des Nationalsozialismus in Offenburg, zuletzt in Martin Ruchs Publikation über das Novemberpogrom in Offenburg, fällt der Name Oskar Wiegert als fanatischer und skrupelloser Nazitäter. Im Rahmen der Untersuchung der Entnazifizierung der Stadtverwaltung Offenburg fand der Autor weitere Archivdokumente, die bisher noch nicht ausgewertet wurden und interessante Aufschlüsse über seine Nachkriegsbiografie bringen. Zu Beginn der fünfziger Jahre lässt sich in der Bundesrepublik eine Abkehr von der im vorigen Beitrag beschriebenen Entnazifizierungspolitik feststellen. Schritt für Schritt setzte sich ein Nazi-Begriff durch, ,,der auf Rabauken und Sadisten passte, aber die partei-organisatorisch nicht recht greifbaren Unterstützer in herausragenden Positionen - Wirtschaftsmanager, Richter, Bürokraten, Professoren - ausfilterten." Dieses Milieu hatte sich nicht mit den kleinen Pöstchen abgegeben, wie Kassenverwalter, Zellenleiter, Blockwart etc. Einfach zu belangen waren die Raufbolde, Querulanten. Sie besaßen teilweise Hemmungen, den plebejischen NS-Verbänden mehr als nominell beizutreten und hatten ihren Einsatz auf viel effizientere Weise bewiesen, nur blieb davon im formalen Raster der Entnazifizierung nicht viel hängen. Letztendlich existierte in den fünfziger Jahren ein „gewisses Solidaritätsgefühl zwischen Nazis und Nicht-Nazis." In vielen Gemeinden gab es oftmals eher eine Sympathie für den verteufelten Nazi als für die Opfer des Nationalsozialismus. Die Mitarbeiter der Spruchkammern, die im Gegensatz zur Mehrheit der Bevölkerung sich dem System widersetzt hatten, waren bereits gegen eine Wand des Schweigens gestoßen. Sie waren der Bevölkerungsmehrheit oft fremd, suspekt und lästig.
Es war ein glücklicher Fund wider das Vergessen: ein Aktenfaszikel aus 147 Blättern, mit einer groben Schnur zusammengeheftet, die Seiten eng beschrieben mit Schreibmaschine und
einer sehr schönen und regelmäßigen, gleichwohl oft nicht
leicht lesbaren altdeutschen Schreibschrift. Über ein halbes
Jahrhundert lang hatte das Bündel im Schrank des katholischen Pfarrhauses in Schutterwald verborgen gelegen, und
nachdem ein neuer Pfarrer eingezogen war, bewahrte es nur
die glückliche Aufmerksamkeit eines Fußgängers vor der Vernichtung und dem endgültigen Vergessen auf einem Haufen
Sperrmüll am Straßenrand. Schließlich waren die Blätter über
einige merkwürdige Umwege auf mich gekommen.