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Hunger, Krieg und Pestilenz
(2012)
Einst hielten die Pfälzer Kurfürsten zu Heidelberg einen Löwen. Doch dann kam der
Winter des Jahres 1607 mit derart grimmiger Kälte, dass der Bodensee vollkommen
mit Eis bedeckt war. Und das stolze Wappentier im Heidelberger Schlossgraben ist
damals jämmerlich erfroren – obgleich es doch »einen schönen Pelz« gehabt hatte.
In eben jenem Jahr 1607 zog auch eine Pestwelle über Württemberg hinweg und
schlug dabei in ungewöhnlicher Heftigkeit zu. Allein in Stuttgart, wo sie volle fünf
Jahre grassiert, tötet sie 2261 Menschen. Das Schlimme an der Geschichte aber ist,
dass solche Katastrophen sich um diese Zeit häufen, und fast immer gehen ihnen
Hungerjahre voraus, verursacht durch Missernten und Teuerung. Diese wiederum
haben ihre Ursache in verregneten, kühlen Sommern.
Freilich, viele Angaben scheinen seltsam widersprüchlich zu sein. Denn immer
wieder folgen auch Jahre mit günstiger Witterung und reichen Erträgen. Während
die 1570er-Jahre mit Ausfällen bei Getreide und Wein beginnen, folgen in den 1580er-Jahren mehrere gute Ernten. 1584 soll es Wein in solchem Überfluss gegeben haben,
dass die Waiblinger Maurer den Mörtel damit anrührten. 1590 indes erfroren in
Neckarrems um Georgi die Reben, während der nachfolgende heiße Sommer fast die
Rems austrocknete. Allzu gern heben solche Nachrichten auf Witterungsanomalien
ab, da diese in der Regel zu existenziellen Krisen führten. Schließlich war die Agrargesellschaft der Vormoderne den Launen der Natur auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Man schätzt das damalige Verhältnis von Aussaat und Ertrag auf eins zu
fünf, so dass es dem Landbewohner kaum möglich war, Vorräte für Mangelernten zu
sammeln.
Der Abt als Dorfchronist
(2012)
Philipp Jakob Steyrer, von 1749 bis 1795 Abt des Benediktinerklosters St. Peter auf dem
Schwarzwald, hat während seiner langen Regierungszeit gewissenhaft ein Tagebuch geführt,
von dem allerdings nur die Jahrgänge bis 1772 erhalten sind. Auf den überlieferten knapp
4.000 Seiten hält der Abt in flüssigem Latein alltägliche und besondere Vorkommnisse aus dem
Stift St. Peter fest, aber auch bedeutende politische, militärische, kulturelle und andere Ereignisse
aus Freiburg, aus dem Breisgau, aus der Habsburger Monarchie und aus dem übrigen
Weltgeschehen. Sein Tagebuch ist damit eine wichtige zeit- und geistesgeschichtliche Quelle
für die Abtei St. Peter und ihre historische Epoche.
Im Jahr 2011 feierte die heute zu Offenburg gehörige Gemeinde Bohlsbach das Jubiläum der Ersterwähnung des Ortes
vor 1050 Jahren mit einer Rückschau aus der Gegenwart in die Vergangenheit. Der konkrete Anlass bezog sich auf eine auf
das Jahr 961 datierte Urkunde, doch wie bei jedem Jubiläum war der eigentliche Grund dieser Feier vielmehr das, was im
Lauf der Zeit aus dem Ort geworden ist, seine Entwicklung und das Ergebnis dieser Entwicklung, wie es sich in der Gegenwart widerspiegelt. Dennoch ist die Ersterwähnung eines Ortes immer ein besonderer Punkt in dessen Geschichte. Sie liefert eine Jahreszahl, die sozusagen als Startpunkt angesehen werden kann, von dem eine historische Entwicklung ausgeht, die idealerweise bis in die heutige Zeit anhält. Es handelt sich bei solchen Ersterwähnungen in der Regel nicht um die Mitteilung von unmittelbaren Gründungsvorgängen, etwa dass ein Kloster gegründet oder eine Kirche dort neu errichtet wird, wo zuvor keine bestanden hatte, sondern sie teilen mit, dass sich zu diesem Zeitpunkt „etwas" an diesem Ort befunden hat, zum Beispiel eine Hofstelle oder irgendein Bauwerk. Dieses „etwas" hatte zu diesem Zeitpunkt in der Regel selbst bereits eine Geschichte hinter sich, bestand vielleicht schon seit Jahrzehnten oder noch länger. Mit einer Ersterwähnung in einer Schriftquelle tritt ein Ort also nicht erst in seine materielle Existenz ein, er wird auf diese Weise nur zum ersten Mal für die Geschichtswissenschaft greifbar.