Reformation und Gegenreformation
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Gleichgültig, wen man als den wichtigsten Träger der Reformation bewertet, ob Fürstenreformation oder – wie G. D. Dickens es sehen wollte – die Glaubensneuerung als „urban event“, als Magistratsreformation, nie ist bezweifelt worden, dass zwischen ihr und der Intensivierung und Ausweitung der öffentlichen Gewalt ein enger Zusammenhang – genauer – eine Wechselwirkung – bestand: Auf der einen Seite die Schaffung eines lutherischen Kirchenregiments unter Nutzung des politischen Potentials, auf der anderen die Stabilisierung der politischen Macht durch das Obrigkeitsverständnis der Reformatoren; im Ergebnis: Der frühneuzeitliche Obrigkeitsstaat auf dem Fundament eines konfessionell homogenen Untertanenverbandes. Geradezu paradigmatisch wird dies in der Vorrede zur Großen Kirchenordnung des Herzogtums
Württemberg von 1559 zum Ausdruck gebracht: Wie wir uns dann vor Gott schuldig erkennen [… ] wie auch des Gott, der Allmechtig, in seinem gestrengen Urteil von uns erfordern würdet, vor allen dingen unser undergebne Landtschafft mit der reinen Leer des heiligen Evangelii, so den rechten friden des Gewissens bringt unnd die hailsame waid z(o)m ewigen Hail unnd Leben ist, versorgen.
Am 10. Oktober 1661 (nach altem Kalender) starb Johann Balthas(ar) Fleiner, den der Historiograph des Schüpfergrundes Jakob Ernst Leutwein (1684–1763) in seiner 1761 beendeten Schüpfer Kirchengeschichte den zwölften Kaplan und siebten Pfarrer nannte. Auf den ersten Blick mag der Tod des Geistlichen in einem der „vielherrigen Dörfer“ Frankens keine besondere Aufmerksamkeit seitens der Geschichtsforschung beanspruchen, doch angesichts der herrschaftlichen Struktur ist diese Bewertung zu überprüfen. Der Schüpfergrund mit dem Hauptort Unterschüpf war Ganerbschaft und zugleich Beispiel für die „gestufte Aristokratie“ im alten Reich: Die Dienheim zu Angeltürn und die Ega sowie Stetten zu Kocherstetten waren der fränkischen Reichsritterschaft Ort Odenwald immatrikuliert, während die Hatzfeldt zwar gräfichen Standes waren, doch nicht dem fränkischen Reichsgrafenkollegium angehörten. Die konfessionelle Zugehörigkeit – Ega und Stetten zu Kocherstetten der Confessio Augustana, Dienheim zu Angeltürn und Hatzfeldt der Alten Kirche zugehörig – schuf darüber hinaus eine Situation, die Auseinandersetzungen um Macht und Status geradezu unausweichlich machte.
Im späten 16. Jahrhundert beobachteten kurpfälzische Visitatoren und Pfarrer mit höchstem Befremden die Durchsetzung der calvinistischen Landesreligion mit „Praktiken“, die sie nicht anders denn als paganen Ursprungs bewerteten und die sie längst ausgerottet geglaubt hatten. Dazu hat Bernard Vogler das Folgende bemerkt: „Diese Praktiken einer mündlichen Gesellschaft hinterlassen nur schriftliche Zeugnisse, wenn die Obrigkeit zufällige Vorkommen auch registriert [….]. Es ist wahrscheinlich aufgrund dieser Situation, daß die verurteilten Praktiken eine gewisse Wichtigkeit bewahren und daß die überlieferten Quellen nur einen kleinen Teil des Eisbergs erfassen. Deshalb steht die Arbeit des Historikers in diesem Bereich auf wackligen Füßen, denn das Problem bleibt offen, inwieweit unsere historischen Zeugnisse zentrale oder marginale Begebenheiten beschreiben“. Vogler spricht hier Erscheinungen an, die sowohl in der Erforschung des Untertanenwiderstands nach dem Bauernkrieg als auch in der Reformationsforschung nur wenig Beachtung gefunden haben. Zurecht hat er dies mit der Zufälligkeit und damit Seltenheit der Überlieferung solcher „Praktiken“ erklärt. Um es vorauszuschicken: Die vorliegende Studie thematisiert die Auflehnung von Untertanen des Dorfes Eberstadt (Stadt Buchen, Neckar-Odenwald-Kreis, Baden-Württemberg) im Jahre 1593 gegen den Ortsherrn Hans Rüdt von Bödigheim und
Collenberg. Anders jedoch als die ‚klassischen‘ Ursachen wie Konflikte um die Fronen – solche hatte die Herrschaft der Rüdt in den Siebzigerjahren erlebt – , die Erhebung der Schatzung u. ä. speiste sich hier die Widersetzlichkeit von Untertanen nicht zuletzt aus dem Verbot von Vorstellungen und Bräuchen, die sich in den Augen des Dorfherrn und seines Pfarrers als paganes und vermeintlich altkirchliches Erbe nicht mit dem Luthertum vereinbaren ließen und die eine frappierende Ähnlichkeit mit den von Vogler beschriebenen pfälzischen „Praktiken“ aufweisen.
Das Ius patronatus in Händen evangelischer Reichsritter, auf welches sie nach dem Augsburger Religionsfrieden ihre Kirchenherrschaft gründeten, ist eine altbekannte Erscheinung. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist aber die Tatsache, dass gelegentlich vom Ius episcopale oder den Iura episcopalia gesprochen wird. Damit stellt sich die Frage nach dem Inhalt dieses Begriffs. Wird er als Synonym für Patronat gebraucht? Drückt sich darin der Stolz auf die erlangte Kirchenhoheit aus? Oder ist er tatsächlich als Rechtsterminus zu verstehen? Am Beispiel eines Mikrokosmos, der Ganerbschaft Schüpf, wird eine Antwort auf diese Fragen versucht.