Reformation und Gegenreformation
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Eher randständig war der Gebrauch des Heidelberger Katechismus im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts in den meisten reformierten volkskirchlichen Gemeinden in Deutschland. Zur Konfirmation Palmarum 1981 mussten wir Konfirmanden einer kleinen ostfriesischen Gemeinde die Frage 1 gemeinsam vorlesen (!) – von den Inhalten vorangegangener katechetischer Erklärungen des Post-68er-Pfarrers ist mir nichts mehr erinnerlich geblieben. „Form und Maß“ hatte dieser kirchliche Unterricht jedenfalls nicht durch den „Heidelberger“ bekommen, wie es laut kurpfälzischer Kirchenordnung von 1563/64 ursprünglich Zweck gewesen war. Als ich im Wintersemester 1986 Theologie zu studieren begann, war die erste Dogmatik-Vorlesung eine zweisemestrige Auslegung des Heidelbergers durch Jürgen Fangmeier in Wuppertal – gewiss ein Privileg für einen angehenden reformierten Theologen. Kaum etwas anderes hat seit dem meinen reformierten Glaubensstil und meine Theologie geprägt wie der Heidelberger. Ob mein Wechsel ins Pfarramt der Heidelberger Universitätskirche drei Jahre vor dem Jubiläum des Heidelbergers hominum confusione oder providentiae Dei geschah, ist dagegen nicht so klar zu identifizieren. In mehrfacher Hinsicht schreibt hier also ein „Heidelberger“.
Jakob Ernst Leutwein, Pfarrer in Unterschüpf (1730-1763), überliefert in seiner spätestens 1755 abgeschlossenen „Schüpfer Kirchenhistorie“ das während einer Reise geführte Gespräch. Seinem Begleiter erzählte der Chronist, dass an der Spitze der
Geistlichkeit der 1632 erloschenen Herren von Rosenberg ein Superintendent gestanden hatte. Der Gesprächspartner kommentierte, es wäre aliquid inauditi, also völlig ausgeschlossen, dass adelige Herren einen Superintendenten hätten, ja es fehle ihnen dazu auch das Recht. In beiden Haltungen drückt sich unmissverständlich das Besondere dieser reichsritterschaftlichen Superintendentur aus – hier Leutweins Bewunderung für diese außergewöhnliche Einrichtung; dort der andere, die Existenz einer solchen Einrichtung bestreitend, damit ex negativo das Außergewöhnliche, ja Singuläre der Superintendentur in einer Adelsherrschaft betonend. Was hat es mit diesem Amt auf sich? Die Reformation bildete, wie allgemein bekannt, einen (nicht nur) religiösen Fundamentalprozess. Weit weniger ist im landläufigen Bewusstsein verankert, dass sich daran u.a. eine ganze Reihe rechtlicher Probleme anschloss.
Am 23. Dezember 1572 wurde Johannes Sylvanus vor dem Heidelberger Rathaus enthauptet. Begründet wurde seine Hinrichtung mit seiner Hinwendung zum Antitrinitarismus, die sich in einem – leider nicht überlieferten – antitrinitarischen Bekenntnismanuskript zeigte. Aufgrund vorheriger Vorkommnisse in Heidelberg und der Reformationsgeschichte der Kurpfalz ist es sinnvoll, die Hinrichtung des Sylvanus einer genaueren Betrachtung zu unterziehen. Hierbei ist einerseits die reichsrechtliche Stellung der Kurpfalz, die aufgrund ihres Bekenntnisses „das erste deutsche evangelisch-reformierte Territorium“ war, bedeutsam. Andererseits ist das Schicksal Sylvans für eine kirchenpolitische Frage der Reformationszeit bedeutsam, nämlich die Frage der Ordnung der Kirche und der Reinhaltung der Gemeinde, der sogenannten Kirchenzucht. Daher sollen in diesem Aufsatz die Vorgänge um die Hinrichtung des Sylvanus unter reichs- und religionspolitischen Gesichtspunkten betrachtet werden. Es wird aufgezeigt, dass die Motive für die Hinrichtung des Sylvanus nicht nur in
seiner Häresie des antitrinitarischen Bekenntnisses zu finden sind, sondern ein Cluster verschiedener Interessen diverser Personen beziehungsweise unterschiedlicher Personengruppen zu Grunde liegt. Der Fokus dieses Aufsatzes wird dabei auf die Vorgänge um die Kirchenzucht gerichtet. Die ebenfalls bedeutsame Entwicklung der Reformation in der Kurpfalz wird nur schlaglichtartig beleuchtet. Der Sprachgebrauch bei Beschreibungen von Lehrmeinungen, besonders bis zur Ausbildung offensichtlicher Glaubensgruppen, orientiert sich an der jeweiligen Belegliteratur, so dass der attributive Gebrauch der Begriffe nicht definitorisch gesichert ist.
Im Jahr 2001 hat der Verein für Kirchengeschichte in der Evangelischen Landeskirche in Baden einen Sammelband mit dem Titel Reformierte Spuren in Baden veröffentlicht. Dieser Band widmet sich vor allem dem Versuch Markgraf Ernst Friedrichs,
1599 ein reformiertes Bekenntnis in der lutherischen Markgrafschaft Baden-Durlach einzuführen. Zwei Beiträge gehen auf die Frage ein, ob es auch heute noch reformierte Spuren in der Evangelischen Landeskirche in Baden gibt. Johannes Calvin wird in
diesem Band nur selten erwähnt. Er scheint weder im 16. Jahrhundert noch im 20. Jahrhundert eine nennenswerte Rolle in Baden gespielt zu haben.
Das Staffortsche Buch ist eine im Jahre 1599 gedruckte Bekenntnisschrift des Markgrafen Ernst Friedrich von Baden–Durlach, mit der dieser seinen Übertritt zum Calvinismus rechtfertigte. Es entstand als Antwort auf das Erscheinen der Konkordienformel 1577, die durch ihre Lehrentwicklung und Festlegung auf die Confessio Augustana (CA) invariata den Reformierten den Schutz des Augsburger Religionsfriedens entzog. Ernst Friedrich konnte die Konkordienformel nicht als verbindliche Interpretation der CA anerkennen, denn damit hätte er den sicheren Boden des Augsburger Religionsfriedens verlassen. Stattdessen bestreitet er, dass die Konkordienformel sich in Übereinstimmung und Kontinuität mit der CA befinde. Das Staffortsche Buch bemüht sich dann auch, die eigene Interpretation der CA mithilfe der Bibel und der Kirchenväter zu belegen und die Abweichungen der Konkordienformel von der CA aufzuzeigen und zurückzuweisen.
Mannheim liegt im Zentrum der Kurpfalz, einst eines der ersten Territorien des Heiligen Römischen Reiches, das als einziges weltliches Fürstentum bereits 1802/03 von der politischen Landkarte verschwand. Der Name des Landes lebt wenigstens geographisch und politisch in der rheinischen Pfalz fort, auch wenn der politische Schwerpunkt einst rechtsrheinisch lag. Die Kurpfalz war seit den 1560er Jahren ein reformiert geprägtes Land, das im 18. Jahrhundert eine verspätete, dafür aber eine als
umso bedrückender empfundene Gegenreformation erfuhr, die auch im Reich heftige Reaktionen hervorrief.