Jüdische Religion
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Im Gebiet des heutigen Bundeslandes Baden-Württemberg lassen sich jüdische Ansiedlungen schon im 13. Jahrhundert nachweisen. In den folgenden Jahrhunderten kam es aber immer wieder zu Verfolgungen und Vertreibungen, oft ausgelöst durch völlig unhaltbare Beschuldigungen, die Juden seien Hostienschänder, Ritualmörder und Brunnenvergifter. Zunehmend wurden sie in ihren Rechten beschränkt und aus dem Wirtschaftsleben verdrängt. Die christlichen Handwerker schlossen sich in Zünften zusammen und verweigerten Juden die Aufnahme, die Zunftzugehörigkeit war aber Voraussetzung für die Ausübung eines Handwerks. Landbesitz und der Besuch einer Universität waren Angehörigen der israelitischen Religionsgemeinschaft verboten. Zum Lebensunterhalt blieben nur Geldverleih und Handel. Im 15. und 16. Jahrhundert wurden die Juden dann aus Städten und Herrschaften ausgewiesen. Im Herzogtum Württemberg war diese »Ausschließung« in der Regimentsordnung von 1498 festgelegt worden und blieb mehr als dreihundert Jahre gültig. Ausnahmen bildeten jüdische Geldgeber, die als Hoffaktoren im Dienste des Herzogs standen. Sie durften wie der bekannte Joseph Süß Oppenheimer in den Residenzstädten Stuttgart und Ludwigsburg wohnen.
Die bis in frühe 15. Jahrhundert zurückreichende Ansässigkeit von Juden in Sulzburg muss
bald nach dem Tod des 1577 verstorbenen Markgrafen Karl II. von Baden-Durlach geendet haben, nachdem der Vormundschaftsrat einer drei minderjährigen Söhne beschlossen hatte, alle
Juden nach Ablauf ihrer Schutzfrist des Landes zu verweisen. Erst unter der Regierung des
Markgrafen Karl Wilhelm entstand in Sulzburg dank der von Joseph Günzburger, dem einflussreichen Vorsteher der Breisacher Juden, erwirkten Aufnahme mehrerer jüdischer Familien
im badischen Oberland und in der Markgrafschaft Hochberg abermals eine jüdische Gemeinde
die schon 1739 nicht weniger als dreizehn Haushaltungen zählte und bis zur Deportation der
badischen Juden im Oktober 1940 Bestand hatte.
Am 23. April 1920 verstarb der Stoffhändler Jakob Gross aus der jüdischen Gemeinde Altdorf im Alter von 79 Jahren. Über seine Bestattung berichtete viele Jahre später ein christlicher Zeitzeuge in seinen Erinnerungen: ,,Bei der Beerdigung oder der ,Lafaiä' saß ich mit noch ein paar Kindern auf der Treppe des Nachbarhauses [...] und schaute zu. Zur Beerdigung kamen die Verwandten, Bekannten, Geschäftspartner und Nachbarn des Verstorbenen. In besonderer Erinnerung sind mir die Zylinder der jüdischen Trauergäste. [...] Nachdem die Trauergemeinde vollzählig war, wurde der Sarg auf eine mir unvergessliche Weise die steile Treppe herunter transportiert. Draußen hörten wir regelmäßige dumpfe Schläge. Der Sarg
wurde nämlich nur auf einer Seite gezogen. Auf der anderen Seite polterte der Sarg mit dem Verstorbenen Stufe für Stufe die Treppe herunter. Auch dies entsprach, wie ich später gehört habe, einem jüdischen Ritus. Es sollte verhindert werden, einen Scheintoten lebendig zu begraben. [...] Dieses unheimliche dumpfe Poltern hat mich damals als kleiner Bub verängstigt, weshalb ich es bis heute nicht vergessen habe. [...] Jedenfalls erschienen nach dem Poltern die Leichenträger mit dem einfachen Sarg - es war eine einfache ungestrichene Holzkiste ohne Griffe - in der Haustür und trugen ihn auf die Straße. Dort wurde der Sarg auf zwei bereitstehende ,Böckle' gestellt. Dann trat der Ruster Rabbiner an den Sarg und sprach ein paar wenige Worte. Der von zwei Pferden gezogene und aus Rust stammende Totenwagen fuhr vor. Gelenkt wurde er von Christian Hunn, dem auch die beiden Pferde gehörten. Nachdem man den Sarg aufgeladen hatte, startete der Leichenzug Richtung Schmieheim. Ein Großteil der christlichen Gemeinde und auch der Juden trat zur Seite und machte dem Leichenzug Platz. Ein kleinerer Teil der Christen, direkte Nachbarn oder nähere Bekannte, begleiteten den Zug bis zum Ortsausgang, dem Umrank. Ein Teil der Juden fuhr in Pferdekutschen und ein kleinerer Teil ging zu Fuß bis zum Judenfriedhof in Schmieheim. Vor der eigentlichen Bestattung, so hat man mir erzählt, wurden die Verstorbenen in dem Häuschen am Friedhofseingang noch einmal symbolisch gewaschen."
Die Auslöschung der jüdischen Gemeinden in der Ortenau durch den Nationalsozialismus bedeutete auch das Ende eines lebendigen jüdischen Brauchtums. Die überwiegend religiösen, aber auch die weltlichen, alltäglichen Bräuche hatten den Juden geholfen, ihre kulturelle Identität in einer nichtjüdischen Umwelt zu bewahren. Oder, wie es Maria Schwab in ihren
Erinnerungen an das jüdische Leben in Altdorf in der Ortenau gesagt hat: „Vor Jahrtausenden nahmen die Juden ihre Feste und das Brauchtum, das sich um sie rankte, sogar ins Exil mit. Durch die Feier der jüdischen Feste in der Diaspora wurden die starken geistigen Bindungen geschaffen, die das jüdische Volk selbst in den schwierigsten Zeiten der Not an den Glauben und an das Land der Väter knüpften. Auch im Leben der Juden unserer Heimat spielten die alten Überlieferungen eine zentrale Rolle." Dabei war immer zu unterscheiden gewesen zwischen strenger Ausübung vorgeschriebener liturgischer Rituale und dem eher liberalen Umgang mit der Tradition. Alle denkbaren Varianten der Brauchtumspflege gab es in den Landgemeinden und in den Städten. In vielen Untersuchungen zur Geschichte der Ortenauer Juden werden stets, wenn auch in variierender Ausführlichkeit, solche lokalen Bräuche beschrieben. Überlebende Zeitzeugen oder die christlichen Nachbarn von einst erinnerten sich an das frühere Leben. Als Beispiel für eine solche Publikation steht die Arbeit
von Elfie Labsch-Benz über die jüdische Gemeinde Nonnenweier, die bereits im Untertitel ankündigte, ,,Leben und Brauchtum in einer badischen Landgemeinde zu Beginn des 20. Jahrhunderts" zu dokumentieren. Alltag und Festtage sowie besondere Ereignisse im Lebenszyklus von der Geburt bis zum Tod sind in dieser Veröffentlichung im Blick auf das in Nonnenweier damit verbundene Brauchtum geschildert. Auch Rosalie Hauser hat in ihren Erinnerungen an das Alltagsleben des 19. Jahrhunderts in Rust viele Bräuche festgehalten.