Wissenschaftliches Bibliothekswesen
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Eine der prächtigsten und bekanntesten Handschriften der St. Galler Stiftsbibliothek ist das sogenannte Wolfcoz-Evangelistar (St. Gallen, Stiftsbibliothek 367), dessen künstlerischer „Wert den berühmtesten Werken der Schule ebenbürtig“ ist. Schlägt man den Codex auf, so beeindrucken die großen Initialen in Gold und Silber, die mit sicherer Hand und in gereifter Ornamentik umgesetzt werden. Auch die Schrift wird mit Edelmetallen verziert und fügt sich wegen ihres präzisen und breiten Duktus’ nahtlos in das prunkvolle Gesamtbild ein. Klar und raumgreifend erscheint dem Betrachter das Layout, was auf den Buchtyp und seine Funktion zurückzuführen ist. Das Evangelistar enthält Textabschnitte
– Perikopen – aus den Evangelien, die nach den Festen des Kirchenjahres geordnet sind und in der Messe verlesen werden. Die Handschrift steht also in der Öffentlichkeit, soll repräsentativ wirken und beim Vorlesen gut zu erkennen sein. In der Regel kam dem Diakon diese Aufgabe zu, „an Festtagen las vielfach der Bischof selbst“ die Perikope aus dem Evangelium vor. Der feste
Platz in der Liturgie sicherte diesem Buchtyp und so auch dem ‚Wolfcoz-Evangelistar‘ den „kostbarsten Ornat“.
Vom Bodensee an den Neckar
(2005)
Wer heute eines der zahlreichen in der
Säkularisation von 1802/03 aufgehobenen
Klöster unserer Heimat mit ihren z. T. wieder
prachtvollen Bibliothekssälen besucht, stellt
sich angesichts leerer oder nur lückenhaft
gefüllter Regale die Frage, wo die in Jahrhunderten
entstandenen und zusammengetragenen
wertvollen Handschriften und Buchbestände
geblieben sind. Sofern sie nicht als
Opfer sinnloser Zerstörung oder durch Unverstand
für immer verloren gingen, wurden sie
meistens in alle Winde zerstreut.
Die Anfänge der Reichenauer Buchmalerei im IX. Jahrhundert sind lange von St. Gallen aus definiert worden. Dort arbeitete – nach Adolf Merton – ab etwa 825 die ,Wolfcoz-Gruppe‘, die aufwendig ornamentierte Handschriften herstellte, im Lauf des Jahrhunderts ihre klassische Ausprägung fand und gegen Ende der Karolingerzeit einen exuberanten Spätstil hervorbrachte. Die Reichenau übernahm – nach dieser Auffassung – in der ersten Hälfte des X. Jahrhunderts mit dem Homiliar Karlsruhe Aug. XVI einen Teil dieser Ornamentik und fand mit dem Evangelistar Darmstadt 1948, dem „Gero-Codex“, vor 969 ihren eigenen Stil. Was den sanktgallischen Teil dieses grob skizzierten Gesamtbildes betrifft, so hat diesen Anton von Euw vor wenigen Jahren denkmalhaft beschrieben.
Mittelalterliche Handschriften aus der Bibliothek des Benediktinerklosters St. Georgen in Villingen
(2008)
Bildung und Kultur in Deutschland stehen neuerdings zum Verkauf. Im „Kulturgüterstreit“
(„Handschriftenstreit“) zwischen der Badischen
Landesbibliothek in Karlsruhe und der baden-württembergischen Landesregierung um eine eventuelle Veräußerung von Handschriften hat die
Politik wieder einmal jegliches Fingerspitzengefühl
vermissen lassen. Ein Verkauf der Handschriften
scheint als Folge des nationalen und internationalen Protestes zwar abgewendet, doch ist weiterhin
Misstrauen gegenüber solchen politischen Entscheidungen angebracht. Auch Handschriften des
ehemaligen Klosters St. Georgen im Schwarzwald
bzw. des frühneuzeitlichen Benediktinerklosters in
Villingen wären von einem Verkauf betroffen gewesen. Das Folgende will daher nachdrücklich aufmerksam machen auf die mittelalterlichen Codices
einer Klosterbibliothek, die vom 17. bis zu Beginn
des 19. Jahrhunderts in Villingen beheimatet war.
Kulturgüterkampf in Baden
(2010)
Am 1. Dezember 2008 wurde in der Universität Karlsruhe durch die Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg das Gutachten der Expertenkommission zum Thema »Das Eigentum an Kulturgütern aus badischem Hofbesitz« der Öffentlichkeit vorgestellt. Ein zahlreiches Publikum im großen Tulla-Hörsaal folgte den Ausführungen der Autoren, sechs an der Zahl, die sämtlich zugegen waren und sich der Diskussion stellten. Das Gutachten schafft Klarheit über die historischen und juristischen Aspekte einer heftigen Kontroverse, die seit September 2006 Gegenstand zahlreicher Veröffentlichungen
gewesen ist.
Fehlplaziert!
(2013)
„Schokolate“ im Handschriftenbestand? Unzweifelhaft war das für die Verfasserin dieses
Beitrags von höchstem persönlichem Interesse. Schon beim ersten Hinsehen erwies sich
allerdings ein zweiter Umstand als gravierend: Da wo sie ist, gehört die Handschrift unter
dem Aspekt der Regionalität überhaupt nicht hin.
Detlev Hellfaier hat sich wiederholt mit Literaturarchiven, literarischen Nachlässen
und Autographen als Landesbibliotheksaufgabe befasst und dabei die „Region“ als ausschlaggebendes Kriterium für den Erwerb von Handschriften beschrieben.
Seit dem
19. Jahrhundert werden Autographen und Nachlässe als Zeugnisse des geistigen und
kulturellen Profils einer Region in den Landesbibliotheken gesammelt. Die Pflege, Ergänzung, Erschließung und Präsentation solcher Bestände ist genuin Aufgabe einer modernen Regionalbibliothek – so ist es nicht nur in Strukturempfehlungen festgehalten, so ist
es gängige Praxis. Dabei bemühen sich die Landesbibliotheken partnerschaftlich um das
Bilden zusammenhängender Bestandskomplexe hinsichtlich personaler, institutioneller
und thematischer Überlieferung. Ein solchermaßen systematischer Bestandsaufbau und
eine regionale Schwerpunktbildung liegen ja ganz grundsätzlich auch im Interesse der
Forschung.
Historisches Erbe in der Region? Bei der „Schokolate“ haben wir es mit einer Versprengten zu tun. Darum war sogar die Urheberschaft der Handschrift zeitweilig nicht
mehr bekannt. In Karlsruhe befindet sie sich ganz außerhalb ihres Entstehungskontextes,
sie blieb unzulänglich erschlossen und von der Forschung bisher unbemerkt.
Mit großzügiger Unterstützung der Kulturstiftung der Länder und des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg konnte
die Badische Landesbibliothek Ende letzten Jahres eine besondere Kostbarkeit
mittelalterlicher Überlieferung erwerben: das 1540 entstandene Gebetbuch der
Benediktinerin Katharina Roeder von Rodeck.
Die von der Burg Rodeck im Ortenaukreis stammende Katharina Roeder hat
das Gebetbuch im nordbadischen Kloster Frauenalb eigenhändig und für den
eigenen Gebrauch niedergeschrieben und mit detailfreudigen Federzeichnungen ausgemalt. Insgesamt sechs ganzseitige farbige Federzeichnungen, zahlreiche prächtige Randbordüren sowie ein wohl nur kurze Zeit später eingebrachtes Pergamentblatt mit der Darstellung einer Mondsichelmadonna sind in der
Handschrift zu finden. Der Text selbst, dessen Anfertigung Katharina Roeder laut
Eintrag am Nikolaustag des Jahres 1540 beendete, ist bislang noch unerforscht.
Für die Regionalgeschichte Badens und die Frömmigkeitsgeschichte der Frühen
Neuzeit ist das Gebetbuch einer gebildeten Frau des 16. Jahrhunderts von außerordentlicher Relevanz.
Ein Haus- und Arzneibuch des 15. Jahrhunderts aus der Bibliothek des Sammlers Joseph von Laßberg
(2006)
Vor 200 Jahren, am 19. Januar 1805, konstituierte sich die „Gesellschaft der Freunde vaterländischer Geschichte und Naturgeschichte an den Quellen der Donau"', die heute noch als „Verein für Geschichte und Naturgeschichte der Baar" floriert.
Joseph Freiherr von LAßBERG, ( 1770- 1855) gehörte zu den Gründern der Gesellschaft. LAßBERG, der besonders als Handschriftensammler und früher Germanist bekannt wurde, war damals als Landesoberforstmeister bei der Fürstlich Fürstenbergischen Zentralverwaltung in Donaueschingen tätig. In der neu gegründeten Gesellschaft war er daher für das Gebiet der Naturgeschichte im Allgemeinen und die Forstwirtschaft im Besonderen zuständig. Joseph von LAßBERG, der – wie seine Bibliothek zeigte – ohnehin enzyklopädisch interessiert war, sammelte natürlich nicht nur literarische Handschriften im engeren Sinne, wie zum Beispiel seine berühmte 'Nibelungenlied'-Handschrift (C), sondern auch fachliterarische.
Drei Wiborada-Handschriften
(1976)
„Sie pflegte auch einigen sehr ehrwürdigen Vätern in diesem Kloster zur
Umhüllung der Bände der heiligen Bücher mit eigenen Händen schöne Tücher
zu weben "- auf so kunstvolle und persönliche Art trat die junge, vornehme
und fromme Wiberat um die Wende vom IX. zum X. Jahrhundert in Verbindung
mit dem Kloster St. Gallen, bei dem sie am 1. Mai 926 als Rekluse und
Martyrin des Ungarneinfalls gestorben ist. Bücher sind ihr teuer gewesen und
in Büchern lebte ihr Andenken fort und verbreitete sich weit über St. Gallen
hinaus in Schwabens Klosterlandschaft, während der Wiboradakult nur in bescheidenem
Maß an der Stelle gepflegt wurde, wo sie zuletzt inkludiert war,
und wo fast das ganze Mittelalter hindurch in ihrer Nachfolge Reklusen
lebten: auf dem Hügel der Magnus-Kirche unweit des Stifts, jetzt einem
Teil der Altstadt von St. Gallen.
Im Frühjahr 1993 wurde die Handschriftensammlung der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek
vom Land Baden-Württemberg für 48 Millionen DM erworben (!). Bei der Frage
nach dem künftigen Standort der Sammlung entschied sich die Landesregierung nach einer
längeren Konsultations- und Beratungsphase für eine Lösung, die der besonderen Struktur des
Bundeslandes mit seinen beiden Landesteilen und den für diese zuständigen Landesbibliotheken
in Karlsruhe und Stuttgart Rechnung tragen sollte. Mit Beschluß vom 14. März 1994
verfügte daher die Landesregierung eine Aufteilung der ca. 1225 Handschriften (ca. 1370 Bände
bzw. Faszikel) auf die Badische und die Württembergische Landesbibliothek.