090 Handschriften, seltene Bücher
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Mit dem Bürgerbuch von 1356 bewahrt das Stadtmuseum in der ehemaligen Tonofenfabrik in Lahr ein wertvolles Zeugnis der Stadt- und Sozialgeschichte. Das Buch verzeichnet in mittelhochdeutscher Sprache 376 Namen von Bewohnern der Stadt ab dem Jahr 1356 (Dis sint die Burgere in der stat zuo Lare). Dazu listet es in Nachträgen bis um 1410 noch einmal mehr als 230 Namen weiterer Neubürger und sogenannter „Ausbürger“ auf: Das sind Personen, die das Bürgerrecht besaßen, ohne im städtischen Rechtsbezirk ansässig zu sein. Sie lebten Mitte des 14. Jahrhunderts in der Region rund um Lahr, etwa in Offenburg, Friesenheim, Schopfheim, Ettenheim, Rheinau, Dinglingen, Hugsweier, Burgheim, Kippenheim, Schuttern, Sulz, Ichenheim, Kürzell, Schutterzell, Ottenheim, Allmannsweier, Nonnenweier, Meißenheim, Altenheim und Müllen. Den Stand der Erforschung von Herkunft, Inhalt und Zweck des Bürgerbuchs hat zuletzt der ehemalige Stadthistoriker Thorsten Mietzner zusammengefasst.
Pluralität und Fluidität
(2015)
Nicht nur Bücher, sondern auch Texte haben ihre Geschichte. Das gilt, wie man weiß, vor allem für die Vormoderne, wo Texte noch nicht – wie in der anbrechenden Moderne – durch den Buchdruck fixiert und beliebig multiplizierbar waren. Und es gilt, um das Thema noch stärker einzugrenzen, vor allem für handschriftlich überlieferte Texte, die sich in den meisten Fällen, das liegt in der Natur der Sache, durch mehr oder weniger große Divergenz oder Varianz auszeichnen. Man spricht dann metaphorisch, um das Flüssige des Vorgangs zu verdeutlichen, von „Überlieferung“, die man, wie das Rudolf Schieffer in
einer Arbeit über die „lauteren Quellen des geschichtlichen Lebens“ 1995 getan hat, mit einem „Gewässer“ vergleichen kann, das über zahlreiche „Seitenarme“ und „Staustufen“ verfügt, also nicht nur von der „Quelle“ her zu verfolgen ist. Von daher erklärt sich auch der Titel, den ich für diese Untersuchung gewählt habe: „Pluralität und Fluidität.“ Er soll das Lebendige, Bewegliche und Fluktuierende mittelalterlicher Textualität zum Ausdruck bringen. Die gewählten Begriffe stammen von dem Mediävisten Gerrit Jasper Schenk, der diese auf einer Tagung des Konstanzer Arbeitskreises im Herbst 2011 auf den Konzilschronisten Ulrich Richental und dessen historiografisches Werk angewandt hat.
Am 10. Januar 2011 beging die Erzdiözese Freiburg die formale Eröffnung des Erhebungsverfahrens für den Heiligsprechungsprozess des seligen Bernhard von Baden, Landespatron im badischen Teil des Erzbistums. Am 21. November 2012 fand es mit einem von Erzbischof Robert Zollitsch geleiteten Gottesdienst im Freiburger Münster seinen Abschluss auf diözesaner Ebene. Im Zuge unserer Arbeiten als Mitglieder der Historikerkommission stießen wir auf eine Quelle, die bislang von der Bernhardsforschung völlig unberücksichtigt blieb. Es handelt sich um einen fragmentarischen Nachruf auf den Seligen, der vom Augsburger Bürger Sebastian Ilsung († 1468 oder 1469) aufgeschrieben wurde. Er gehört zum Bestand der Bibliotheca Palatina unter der Signatur „Cod. Pal. germ. 677“ der Universitätsbibliothek Heidelberg und wird digitalisiert auf deren Internetseite unter der persistenten URL http:/ /digi.ub.uni-heidelberg.de/ diglit/cpg677/0005 verfügbar gemacht. Bei dem Codex handelt es sich um eine Handschrift, deren Erstellung der Augsburger Lohnschreiberin Clara Hätzlerin zugeordnet werden kann und die vermutlich von Sebastian Ilsung in Auftrag gegeben wurde oder sich in seinem Besitz befand. Eigenhändig fügte Ilsung zwei Texte an, nämlich die auf den Seiten 45v/46v befindlichen Exequien auf die Kaiserin Eleonore, sowie den hier erstmals edierten Nachruf auf Bernhard von Baden. Auf die Existenz des Textes verweisen in anderen Zusammenhängen und demzufolge ohne darauf einzugehen Franz Fuchs und Inta Knor.
Professor Felix Heinzer, der seit 2006 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg das Seminar für Lateinische Philologie des Mittelalters leitet, ist der Entdecker der Bohun-Handschrift im Archiv der Abtei Lichtenthal. Er arbeitete damals als Assistent in der Badischen Landesbibliothek mit am 1987 gedruckten Katalog „Die Handschriften von Lichtenthal“. Mit seinem Beitrag zufrieden, überließ ihm Dr. Gerhard Stamm den Anhang „Die heute noch im Kloster Lichtenthal befindlichen Handschriften des 12. bis 16. Jahrhunderts“. Dieser endet mit der Beschreibung von zwei Handschriften, die als Eigentum des Klosters im Archiv sind, während die anderen als zu betreuendes Säkularisationsgut in der historischen Bibliothek stehen.
Aufgeschreckt durch den Verkauf der Fürstlich Fürstenbergischen Bibliothek und die Vernichtung ihres Zusammenhangs auf mehreren Versteigerungen, haben sich viele, denen die mittelalterliche Kultur am Herzen liegt, auch für das Schicksal des Nibelungenlieds interessiert. An sich war man ja nicht besorgt, da das Land Baden-Württemberg, als es 1992 die
Handschriften der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek erwarb, sich ein Vorkaufsrecht hat einräumen lassen. Gesetzlich ist ohnehin ein Verkauf ins Ausland nicht möglich, denn die Handschrift gehört zum „geschützten Kulturgut“. Unruhig wurde man jedoch, als der Wissenschaftsminister, Klaus von Trotha, ankündigte, das Land wolle sein Vorkaufsrecht aufgeben, wenn das Land Bayern das Nibelungenlied erwerben wolle. Die bayerische Regierung winkte allerdings alsbald ab. Seither ist die Öffentlichkeit über den derzeitigen Stand nicht informiert. Es müssen ja nicht alle Verhandlungen auf dem Markt stattfinden. Freilich ist nach den bisherigen Erfahrungen einiges Mißtrauen hinsichtlich der Zukunft des kostbaren Kodex angebracht.
Seit Oktober 1999 wurden die Druckwerke der Fürstlich Fürstenbergischen Hofbibliothek in Donaueschingen in verschiedenen Auktionshäusern versteigert oder anderweitig auf dem Antiquariatsmarkt angeboten. Die Donaueschinger Bibliothek war seit 1855 auch Standort der umfangreichen Büchersammlung des Gelehrten Joseph Maria Christoph Freiherrn von Laßberg (1770-1855). Das Land Baden-Württemberg hat große Anstrengungen unternommen, die wichtigsten
Teile der Laßbergschen Bibliothek zu erwerben und für die Öffentlichkeit zu bewahren. Diese Bücher haben in der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe eine neue Heimat gefunden, wo sich bereits ein Teil seines Nachlasses, seiner Handschriften, vor allem die deutschsprachigen Schätze des Mittelalters und deren Abschriften, und auch viele seiner Inkunabeln befinden.
Angesichts neuer Herausforderungen und knapper werdender Mittel geraten die historischen Bestände als Träger des schriftlichen Kulturerbes zuweilen ein wenig aus dem Fokus. Doch gelingen hin und wieder trotz gestiegener Preise auch in diesem Bereich einzigartige Neuwerbungen. So ging es der Badischen Landesbibliothek Ende 2015: Sie konnte eine kostbare spätmittelalterliche Handschrift erwerben, deren Geschichte gleich mehrfach mit Baden und der BLB verbunden ist. Ermöglicht wurde dies durch die großzügige und unbürokratische Unterstützung der Kulturstiftung der Länder, der Stiftung
Kulturgut Baden-Württemberg und des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg.
Es ist eine „Heimkehr auf Zeit", wenn im Herbst 2003 eine kostbare Auswahl von Buchschätzen aus der ehemaligen Salemer Klosterbibliothek für einige Wochen an den Bodensee zurückkehrt, auch wenn sie nur eine Ahnung vom einstigen Reichtum an illuminierten Pergamenthandschriften, an Drucken und kostbar gebundenen literarischen und wissenschaftlichen Werken des im Jahre 1824 auf 50 000-60 000 Bände geschätzten Bestandes geben kann.
Vor genau zehn Jahren, am 31. Juli 2009, wurde das Nibelungenlied in das
UNESCO-Weltregister Memory of the World aufgenommen. Das Internationale
Programmkomitee traf in Bridgetown (Barbados) die Entscheidung, der Text sei
das berühmteste Heldenepos in mittelhochdeutscher Sprache und gehöre zum
kulturellen Erbe der Menschheit.
Das Register zeichnet mit der Anerkennung aber nicht ein literarisches Werk
aus, sondern dessen Überlieferungsträger. Es listet kulturell bedeutsame und historisch
wichtige Dokumente von außergewöhnlichem Wert in Archiven, Bibliotheken
und Museen und verpflichtet ihre Herkunftsländer, das ihnen anvertraute
Erbe vor Gedächtnisverlust und Zerstörung zu sichern. Zudem trägt es ihnen
auf, für die Verfügbarkeit der jeweiligen Dokumente zu sorgen und sie auf neuen
informationstechnischen Wegen weltweit zugänglich zu machen.
Mit dem Titel ausgezeichnet wurden die drei vollständigen Nibelungenlied-
Handschriften des 13. Jahrhunderts, die in der Bayerischen Staatsbibliothek in München, der Stiftsbibliothek St. Gallen und der Badischen Landesbibliothek
in Karlsruhe aufbewahrt werden. Die Handschrift C in der Badischen Landesbibliothek
ist die älteste und für die Überlieferungsgeschichte des Nibelungenlieds,
das um 1200 aufgeschrieben wurde, aber auf ältere mündliche Traditionen
zurückgeht, bedeutendste Handschrift. Die strophische Dichtung erzählt
die Geschichte des Drachentöters Siegfried bis zu seinem gewaltsamen Tod und
die Geschichte von Kriemhilds Rache bis zum vollständigen Untergang der Burgunden.
Bei der Suche nach Fragmenten deutscher Rechtstexte des Mittelalters konnten in der Vorarlberger Landesbibliothek in Bregenz Rückenfalze an einem Sammelband als Teile eines Registers zum Stadtrecht von Augsburg bestimmt werden. Wenn sie auch nur geringe Textspuren überliefern, so liegt ihr Wert darin, dass sie die Spur einer der wenigen Pergament-Handschriften dieses Textes überliefern, der meist in Papierhandschriften erhalten ist.