090 Handschriften, seltene Bücher
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Bis jetzt zählte die Bibliothek des Priesterseminars in Straßburg 237 Wiegendrucke. Durch einen unglaublichen Zufall vermehrte sich die Zahl um ein Exemplar, das sich schon lange im Priesterseminar befand, aber nicht in der Bibliothek: Es diente, zusammen mit einem Andachtsbuch gleichen Umfangs, als Keil oder Unterlage einer Terrakotta, um sie ins Gleichgewicht zu bringen. Die zwei alten Bücher wurden entdeckt, als die infrage kommende Pieta umziehen musste.
Aus der Zeit des Augustus hat uns der römische Dichter Horaz ein amüsantes, leicht obszönes Hexengedicht überliefert, das ein mitternächtlich makabres Streiflicht auf das Hexenunwesen des ersten vorchristlichen Jahrhunderts wirft. In Rom hatte zwar schon das Zwölftafelgesetz aus dem Jahr 450 vor Christus die Todesstrafe verhängt für jeden, der Feldfrüchte durch Besprechen verhexte (,,qui fruges incantassit") oder Getreide vom Nachbaracker auf das eigene Feld herüberzauberte. Auf Grabsteinen klagten damals die Angehörigen, dass ihr Verstorbener „durch Zaubersprüche gebannt" sein Leben lassen musste. Auch 400 Jahre später berichtet der Historiker Sallust vom Wirken des Schadenzaubers seiner Zeit, der große Redner und Politiker Cicero entwirft sogar Staatsgesetze gegen nächtliche Geheimopfer von Frauen. Horaz wandte sich in seinen Dichtungen mehrfach leidenschaftlich diesen dunklen Sphären zu, besonders in dem hier vorgestellten derben Spottgedicht auf ein nächtliches Hexentreiben in Rom. Es ist enthalten in der prächtigen Horazausgabe der Satiren, Epoden, Oden und Briefe in der Historischen Bibliothek der Stadt Offenburg. Sie wurde 1503 in Paris von Dionysius Roce in folio gedruckt und von Jodocus Badius, einem humanistischen Gelehrten dieser Zeit, ausführlich kommentiert. Registriert unter der Nummer F-351-1/2= rarum zählt diese seltene Buchausgabe mit der angehängten Inkunabel „Historia Alexandri Magni" von Georg Husner, Straßburg 1494, zu den Raritäten der Bibliothek, die uns von dem Konvent der Offenburger Franziskaner hinterlassen wurden.
Im Urkundenbestand des Stadtarchivs Freiburg befindet sich ein undatiertes broschiertes Doppelheft, das zeitlich wohl um das Jahr 1522 einzuordnen ist. Es handelt sich dabei um die Niederschrift aus der Hand eines Freiburger Ratsschreibers von Rechtfertigungsaussagen eines nicht
genannten evangelisch Gesinnten, der Anschuldigungen eines Münstergeistlichen zurückweisen
will, er habe sich mehrmals öffentlich gegen dessen katholische Predigten geäußert. Die Beschaffenheit und das Äußere des Hefts geben indes mancherlei Rätsel auf. Seine Blätter sind beidseitig
in Spalten (mit Ausnahme von Blatt 1) beschrieben, wie wir es etwa auch aus den Freiburger
Ratsprotokollen kennen, freilich mit Streichungen, Einschüben und eingenähten Viertel- oder
Halbblättern. Daraus ist zu schließen, dass es sich um schriftliche Eingaben des Angeklagten
bei einem Verhör handelt, das sich über mehrere Termine bzw. Tage erstreckte; diese hat der
Schreiber sodann im Protokoll wörtlich übernommen. Diese Vermutung wird dadurch erhärtet,
dass die Antworten des Angeklagten recht detailliert ausfallen, mit zumeist getreu zitierten Belegstellen aus beiden Testamenten der heiligen Schrift sowie dem „Decretum Gratiani", sowohl
auf Deutsch als auch auf Latein, die mündlich kaum so hätten vorgetragen werden können. Es
verwundert dennoch, dass der Schreiber einer katholisch gebliebenen Stadt dieses evangelische
,Beweismaterial' in solcher Ausführlichkeit zu Papier gebracht hat, es sei denn, die Obrigkeit
wollte sehr genaue Auskünfte über das Ausmaß der evangelischen Gesinnung in der Stadt und
den Kenntnisgrad ihrer Anhänger gewinnen. 2 Noch befremdlicher ist die Tatsache, dass das Heft
die Antworten auf zwei Beschwerdepunkte enthält, eine dritte jedoch nach zunächst niedergeschriebener, dann gestrichener Inhaltsangabe weglässt. Darauf wird zurückzukommen sein.