Heft 2
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Vom Bodensee an den Neckar
(2005)
Wer heute eines der zahlreichen in der
Säkularisation von 1802/03 aufgehobenen
Klöster unserer Heimat mit ihren z. T. wieder
prachtvollen Bibliothekssälen besucht, stellt
sich angesichts leerer oder nur lückenhaft
gefüllter Regale die Frage, wo die in Jahrhunderten
entstandenen und zusammengetragenen
wertvollen Handschriften und Buchbestände
geblieben sind. Sofern sie nicht als
Opfer sinnloser Zerstörung oder durch Unverstand
für immer verloren gingen, wurden sie
meistens in alle Winde zerstreut.
In das Nest der mittelalterlichen Stadt
Weinheim, im Barock sogar zeitweilige
Residenzstadt, wurde im 19. Jahrhundert das
Ei des industriellen Kuckucks gelegt, das
größer war als alle zuvor gelegten gewöhnlichen
Eier, aber es wurde dennoch nach
anfänglichem Widerstreben von den Weinheimern
so behandelt, als gehöre es zur
eigenen Brut. Die Umstände, wie das Ei des
industriellen Kuckucks nach Weinheim kam,
entsprachen völlig den Gewohnheiten der Zeit
und waren in ihr Gewand gekleidet.
Weinheim, die Wohlfühlstadt
(2005)
Der Dichterfürst kann nicht ganz falsch
liegen. „Hier ist es köstlich zu weilen“,
schwärmte kein Geringerer als der junge
Johann Wolfgang Goethe in den 40er Jahren
des 18. Jahrhunderts, als er auf der Heimreise
nach Frankfurt in Weinheim Station machte.
Und selbst die morbide Lebens- und Untergangsstimmung
im Juli 1945, wenige Wochen
nach dem Ende des zerstörerischen Zweiten
Weltkrieges, konnte Harry S. Truman, den
amerikanischen Präsidenten, nicht daran
hindern, in Weinheim für kurze Zeit die
Sorgen der Welt zu vergessen.
In Weinheim, so gab der Weinheimer
Schuhmacher Valentin Leonhard am 1. Mai
1855 in einem Verhör vor dem Heidelberger
Stadtdirektor Wilhelmi zu Protokoll, hätten
„die liberalen Sachen“ in den „dreißiger
Jahren“ begonnen. Diese „liberalen Sachen“
und die „liberale Parthei“, von der Leonhard
weiter sprach, werden uns noch zu beschäftigen
haben.