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Im 19. Jahrhundert wanderten Millionen deutscher Staatsangehöriger nach Amerika aus. Die
staatliche Steuerbehörde der USA verzeichnete für die Jahre 1831–1900 eine Gesamtzahl von
mehr als 5 Millionen deutscher Einwanderer, die einen Anteil von 25–34 % der Gesamteinwanderung ausmachten.
Unter ihnen waren auch über 600 Auswanderer aus der ehemaligen Gemeinde Winzeln (heute Fluorn-Winzeln) im Landkreis Rottweil.
Durch Auswanderung, später
auch durch Abwanderung in die Industriestandorte Oberndorf und Schramberg, sank die Bevölkerungszahl von 1.396 Einwohnern im Jahr 1841 auf 756 im Jahr 1887. Die meisten Menschen
wanderten in den Zeitabschnitten zwischen 1852–1854, 1865–1869 und 1882–1883 aus.
„Wohnoase auf dem Lande“
– so oder in ähnlicher Weise lauten die Titel von Verkaufsanzeigen
auf Online-Immobilienportalen für Bauernhäuser in der Schweiz. Nicht nur hier ist eine verstärkte Zuwendung zu ruraler Architektur und ländlich-geprägten Wohnstilen zu erkennen: In diversen Wohn-Magazinen wird der Landhausstil beworben, einige widmen sich sogar ausschließlich
diesem Bereich.
Auch die Einrichtungshäuser haben das Marktpotential des „Ländlichen“ für
sich entdeckt und bieten Möbel im Vintage- oder Landhausstil an. Darüber hinaus lässt sich auch
in der sozial- und kulturwissenschaftlichen Forschung ein wachsendes Interesse am Ländlichen
feststellen und so avancierten das Land und die Ländlichkeit vom einst „totgesagten Patienten“3
zum Konjunkturprogramm. Unter dem Oberbegriff „Doing rural“ werden neben den komplexen
und weitreichenden Transformationsprozessen, die auf dem Land stattfinden, auch alltägliche
ländliche Lebenswelten und Aushandlungsprozesse betrachtet.
In Friedrich Dürrenmatts 1949 uraufgeführter Komödie „Romulus der Grosse“ verkündet Spurius Titus Mamma: „Die Germanen kommen!“, woraufhin Achilles antwortet: „Die kommen schon
seit fünfhundert Jahren, Spurius Titus Mamma“.
Diese durchaus lakonische Antwort auf die
Bedrohung Roms durch die Germanen ließe sich auch auf die Mitte des 19. Jahrhunderts verstärkt
einsetzende Wanderungsbewegung von Nord nach Süd über den Rhein übertragen, wenn man das
Wort „Germane“ durch „Deutsche“ ersetzt, denn ein signifikanter Teil der heutigen Einwohner
der Schweiz – vor allem des deutschsprachigen Landesteils – hat Vorfahren, die irgendwann im
19. und 20. Jahrhundert aus den Staaten des Deutschen Bundes, dann aus dem Deutschen Reich
und seit 1949 aus der Bundesrepublik Deutschland eingewandert sind. Dies geschah nicht immer
gleichförmig, sondern in Wellen, die sich nach dem Konjunkturverlauf richteten, von den Weltkriegen bestimmt wurden und abhängig waren von innenpolitischen Diskursen zur vermeintlichen
„Überfremdung“ des Landes.
Hingewiesen sei hier nur auf die aktuelle Zuwanderungsdebatte in
der Schweiz mit der Annahme der von der Schweizer Volkspartei lancierten sogenannten Masseneinwanderungsinitiative im Februar 2014, welche die Zuwanderung wieder durch Höchstzahlen und Kontingente steuern will. Auslöser war die starke Zunahme der Arbeitsmigration aus
den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union im Zuge des 2002 in Kraft getretenen und 2007
vollständig umgesetzten Abkommens über die Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und
der EU. Dies war übrigens nicht zum ersten Mal der Fall, begleiten politische und gesellschaftliche Diskussionen über Ausländer und Zuwanderungszahlen die Schweizer Geschichte doch spätestens seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen.
Ein aufgebockter Leiterwagen, dessen Räder fehlen. Zwei gebrannte Lehmziegel aus einem Trümmerhaufen. Und ein Paar unscheinbare Lederstiefel, das bei genauer Betrachtung einen Mikrokosmos an Bedeutungen offenbart. Diese drei Museumsdinge, die sich ihrer Herkunft, Machart und
Materialität nach unterscheiden, verbindet manches. Sie befanden sich über Jahrzehnte in Familienbesitz, bevor sie als Schenkungen dem Donauschwäbischen Zentralmuseum in Ulm (DZM)
anvertraut wurden. Ihre Vorbesitzer*innen brachten sie aus ihrer alten Heimat im südöstlichen
Europa mit in ihre neue Heimat Deutschland. Sie haben heute kaum einen materiellen Wert, aber
es haften Erinnerungen, Gefühle und teils traumatische Erlebnisse an ihnen, die bei der Übergabe
an das Museum überliefert wurden. Und: Die Objekte und ihre einstigen Eigentümer*innen haben eine (erzwungene) Migration hinter sich.
Anhand dieser drei Objekte möchte ich in diesem Beitrag auf folgende Aspekte eingehen:
Welche Rolle spielen „Heimat“ und „Migration“ für die Ausstellungs- und Sammeltätigkeit des
Donauschwäbischen Zentralmuseums? Welchen Widerhall erzeugt der am DZM etablierte Umgang mit den kontroversen und gefühlsbeladenen Begriffen bei den Museumsbesucher*innen?
Und schließlich: Welche Chancen und Grenzen ergeben sich durch die Thematik des Hauses für
interkulturelle Vermittlungsformate? Zunächst aber ist zu klären, wen wir überhaupt meinen,
wenn wir von „den“ Donauschwaben sprechen.
1643 erschien in Merians Topographia Sueviae eine Beschreibung des württembergischen Kurorts Bad Boll: „Ein Fleck, bey einer kleinen Meil von Göppingen, vnd in selbigem Ambt gelegen,
so vmbs Jahr 1596 vnd folgende, in die 160. wol erbawte Häuser, mit Schifersteinen bedeckt:
sonderlich aber ein schöne, grosse, vnd weite Kirch, zween Prediger, ein Rath- vnd Badhauß,
Mühl, vnnd etliche Wirtshäuser, gehabt. […] Vnd von diesem Flecken hat das berümbte, vnd bey
einer guten viertel Stund davon, gegen Kirchheim vnder Teck / gelegnes Bad / den Nahmen / daß
man es ins gemein das Bollerbade nennen thut“. Das östlich von Göppingen gelegene Bad Boll war schon bald Anziehungspunkt für zahlreiche Besucher, nachdem dort 1595 Schwefel- und
Thermalquellen in fossilienreichem Gestein gefunden worden waren, deren Eignung als Mineralbrunnen der Herzog Friedrich I. (1557–1608) von Württemberg sofort erkannte und den Ort
zum Heilbad ausbauen ließ. Noch im gleichen Jahr wurde die Quelle gefasst und durch das von
dem Renaissancehofbaumeister Heinrich Schickhardt (1558–1635) errichtete Badehaus für den
Kurbetrieb nutzbar gemacht.
Berufswechsler
(2019)
Die mittelalterlichen Kloster- und Domschulen haben für den Nachwuchs an Lehrern und Sängern selbst gesorgt. Als das Schulwesen aus dem Bereich der Kirche heraustrat und städtische
Schulen gegründet wurden, musste das Lehrpersonal anderweitig rekrutiert werden. Wo und wie,
ist weitgehend unbekannt. Frühe Spuren führen zur mittelhochdeutschen Lyrik. Ihnen wird im
Folgenden nachgegangen.
Ungemütliche Nachbarn
(2019)
In den frühen Morgenstunden des 1. November 1986, um 3.43 Uhr, heulten in Muttenz, östlich
von Basel, die Sirenen.
Polizeiautos zirkulierten und forderten per Lautsprecher die Anwohner
auf, die Fenster geschlossen zu halten, das Haus nicht zu verlassen und weitere Informationen
über Radio abzuwarten. Eine widerwärtig nach faulen Eiern stinkende Rauchwolke zog, vom
Chemie-Areal der Firma Sandoz her kommend, langsam über die Region. In einer Lagerhalle
voller Chemikalien war kurz nach Mitternacht Feuer ausgebrochen. Der Brand drohte völlig außer Kontrolle zu geraten. Gewaltige Explosionen schleuderten die Behälter bis zu 25 Meter in
die Höhe, von wo sie ins Feuer zurückstürzten, in der Umgebung landeten oder bisweilen wie
Bomben die Dächer anderer Hallen durchschlugen. Hunderte von Feuerwehrleuten und ein Feuerlöschboot kämpften über Stunden gegen die Ausbreitung auf Nachbargebäude, wo zum Teil
hochgefährliche, mit Wasser nicht löschbare Substanzen lagerten. Löschwasser und Chemikalien
ergossen sich bald in den Rhein, das Auffangbecken war viel zu klein. Ab ein Uhr herrschte in
beiden Basel, Stadt und Land, Katastrophenalarm. Die Kantonschemiker befanden sich in alarmierender Ungewissheit über die Giftigkeit der Rauchschwaden; die Firma konnte nur ungefähre
Auskünfte geben über den Inhalt der Lagerhalle. Gegen vier Uhr morgens kursierten auch in Basel die Lautsprecherwagen. Viele Baslerinnen und Basler waren bereits durch Telefonanrufe von
Freunden oder Verwandten aus dem Schlaf gerissen worden. Dann brach das Telefonnetz wegen
Überlastung zusammen, Züge von und nach Basel und öffentlicher Verkehr stellten den Betrieb
ein. Am Morgen um sieben Uhr aber gab die Regierung Entwarnung – der Brand war gelöscht,
die Gefahr sei abgewendet, es stinke zwar, Gift sei aber nicht im Spiel. Zornige Eltern protestierten gegen die Zumutung, ihre Kinder nach dem Stress der vergangenen Stunden zur Schule zu
schicken, wozu sie sich amtlich aufgefordert sahen.
Kleider machen Leute
(2019)
Als der Maler Rudolf Gleichauf (1826–1896) vor nun 150 Jahren – genauer am 15. Dezember
1869 – für die Fertigstellung von fünf Aquarellen mit Kostümdarstellungen aus St. Georgen eine
letzte Abschlagszahlung des festgesetzten Honorars von 2.300 Gulden aus der badischen Staatskasse erhielt, endete ein Projekt besonderer Art.
Denn über neun Jahre hinweg hatte Gleichauf auf dem Gebiet des damaligen Großherzogtums Baden ‚Trachten‘
als spezifische Kleidungsformen des ländlichen Raums erforscht und dokumentiert. In mehreren Reisen durchstreifte er dazu in großherzoglichem Auftrag das Staatsgebiet und fertigte zwischen 1861 und 1869 insgesamt 39 Aquarelle sowie eine darauf bezogene
105-seitige handschriftliche Beschreibung des Aussehens und der Kosten von 13 unterschiedlichen Kostümen an, die „Beschreibung Badischer Landestrachten“. Entgegen der ursprünglichen
Planung wurden nur wenige Motive als Lithografie reproduziert und der zugehörige Text blieb
bis heute unveröffentlicht.
Aus Anlass seines eigenen 100-jährigen Jubiläums legt das Badische Landesmuseum Karlsruhe, in dessen Besitz sich Aquarelle und Autograf heute befinden, 2019 eine kommentierte Edition dieses Werkes vor, dessen Zugang im Jahr 1869 zugleich den Auftakt einer eigenständigen
volkskundlichen Sammlung bildete.
Alte Heimat - neue Heimat
(2019)
Die Tagung „Alte Heimat – Neue Heimat. Migrationen im alemannischen Raum“ vom 15. bis
zum 17. März 2017 war gemeinsam vom Alemannischen Institut, dem Institut für Volkskunde der
Deutschen des östlichen Europa Freiburg (IVDE) und der Stadt Lahr konzipiert und veranstaltet
worden.
Warum der Veranstaltungsort Lahr? Der Themenkomplex Migration – Integration –
neue Heimat spielt dort seit vielen Jahren eine zentrale Rolle – zunächst aufgrund der früheren
Stationierung kanadischer NATO-Soldaten, später jedoch vor allem im Zusammenhang mit der
Aufnahme und Ansiedlung von Russlanddeutschen aus der ehemaligen Sowjetunion. Oberbürgermeister Dr. Wolfgang G. Müller war 2017 für sein Engagement in dieser Hinsicht mit dem
World Mayor Prize ausgezeichnet worden.