168.2020
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In einer 1964 in der Historischen Zeitschrift veröffentlichten längeren Abhandlung sagte der damals in Saarbrücken lehrende Historiker Walter Lipgens, die deutsche Öffentlichkeit sei in der Julikrise 1870 und in den ersten Wochen des deutsch-französischen Krieges an einem Erwerb von Elsass und Lothringen ganz und gar nicht interessiert gewesen und habe erst durch eine von Bismarck inszenierte Pressekampagne dafür gewonnen werden müssen. Diese Behauptung löste lebhaften Widerspruch aus. Dabei wurde ein breites Beweismaterial dafür zusammengetragen, dass die Einstellung der Deutschen zum Elsass und zu dem Teil Lothringens, der eine deutschsprachige Bevölkerung hatte, seit langem sehr wohl emotional bestimmt war und dass die Forderung nach Rückgliederung dieser Landschaften nach Deutschland mithin eine selbstverständliche Reaktion bei jeder Zuspitzung des Verhältnisses zwischen Deutschland und Frankreich war, so 1840 und 1859. Dass die Friedensverträge mit Frankreich 1814 und 1815 die französische Ostgrenze nur geringfügig verändert hatten, wurde vielfach bedauert. Bismarck brauchte 1870 hinsichtlich des Elsass wahrlich nicht nachzuhelfen.
Was immer die Gelehrtenrepublik der Frühen Neuzeit gewesen sein mag: auch wenn ihre Selbstbeschreibung als supraterritorial, interkonfessionell, egalitär längst als idealisiert gilt, gibt es genügend Beispiele dafür, wie diese Normen
in der Praxis wirkten: vor allem durch Korrespondenz, oft tatsächlich weite Entfernungen, Territorien und Konfessionen überschreitend. Korrespondenz war Zeichen der Zugehörigkeit und zugleich Motor der Kommunikation. Mit der Weitergabe von Nachrichten und Fragen, mit der Information über Neuerscheinungen, Projekte und Nachlässe, mit der Vermittlung von Auktionskatalogen, Büchern und Abschriften sowie mit der kritischen Diskussion veröffentlichter Schriften und unveröffentlichter Thesen war sie (sekundiert, aber noch nicht abgelöst von gelehrten Journalen oder Akademien) das eigentliche Forum des gelehrten Austauschs. Mit ihren vielfältigen Formen und Abstufungen von Kontakt sorgte sie für dessen Moderation. Eine Sonderform, die indirekte Korrespondenz, soll im Folgenden behandelt werden.
Der nachfolgende Beitrag behandelt vornehmlich das südliche Oberrheingebiet: die breit gestreuten Judensiedlungen im Elsass und die weniger zahlreichen im gegenüberliegenden Tiefland von der Ortenau bis hinab nach Basel. Die weiter nördlich gelegene Kern- und Ursprungsregion jüdischer Präsenz in deutschen Landen rund um Speyer, Worms und Mainz wurde als solche bereits im Jahr 1995 von Franz-Josef Ziwes ebenso umfassend wie wegweisend untersucht. Wie sehr beide Seiten des südlichen Oberrheins zur Lebenswelt aschkenasischer Juden gehörten, exemplifizieren sehr gut die Migrationsspuren des jüdischen Arztes Meister Gutleben, der zwischen 1364 und 1406 jeweils eine Reihe von Jahren in Colmar, Basel, Freiburg im Breisgau und Straßburg lebte und praktizierte. Verwiesen sei hier aber auch auf eine jüdische Diebesbande, die – von Hornberg im Gutachtal aus operierend – um 1340 sowohl im Oberelsass als auch im Breisgau, in Villingen am Ostrand des Schwarzwalds, in der Ortenau und in Basel sowie in der Bodenseeregion ihr Unwesen getrieben haben soll.
Im Januar 1918 sah Friedrich von Duhn, Direktor des Archäologischen Instituts an der Universität Heidelberg, seine Chance, die institutseigene Sammlung um Gipsabgüsse des seinerzeit in der Forschung heftig diskutierten gewaltigste[n]
Siegesdenkmal[s] Roms gegen den Norden zu bereichern: des sog. Tropaeum Traiani von Adamklissi in der rumänischen Dobrudscha. Der nördliche Teil der Dobrudscha unterstand zu diesem Zeitpunkt dem deutschen Oberkommando unter Generalfeldmarschall August von Mackensen. In Anbetracht der militärischen Besetzung durch das Deutsche Reich und mit Hilfe des vor Ort stationierten Hauptmanns Harald Hofmann, selbst ausgebildeter Archäologe, würden sich die Abformungen mit militärischen Hilfskräften leicht bewerkstelligen lassen, so von Duhn. Die Zeit sei günstig, solange die Deutschen noch in Rumänien und der Dobrudscha militärisch die Herren seien; die herzustellenden Abgussformen könnten außerdem für einen gewinnbringenden Verkauf von Abgüssen an andere Museen und Universitätssammlungen genutzt werden. Es wäre doch eine schöne Sache für uns, würde dem badischen Staat Ehre machen und die Wissenschaft sehr fördern, schrieb er im Januar 1918 an das Ministerium des Kultus und Unterrichts in Karlsruhe.
Die Rheinbrücke in Breisach
(2020)
Am 22. Oktober 2020 jährt sich zum 80. Mal die Deportation von 6.504 Deutschen jüdischer Herkunft in das französische Internierungslager Gurs am Fuß der französischen Pyrenäen. Im kollektiven Gedächtnis Südwestdeutschlands ist das Lager Gurs dadurch zentral mit den Opfern der sogenannten „Oktoberdeportation“ verbunden. Die Vorbereitung der „Judenaktion in Baden und in der Pfalz“ erfolgte von langer Hand und lieferte eine Art Masterplan für künftige Vertreibungen der Juden aus Deutschland.
Das Interesse am Liberalismus als einem historischen, kulturellen und ideologischen Phänomen hat im letzten Jahrzehnt deutlich zugenommen. Der Liberalismus weckte zwar stets breite Aufmerksamkeit, doch der Schwerpunkt der historischen Forschung lag bislang auf der nationalen Politik und besonders auf konstitutionellen Themen. Seit einigen Jahren übt die Kulturgeschichte im Kontext der neuen historiographischen Schule eine neue Faszination aus. So erscheinen etwa Debatten über das Verhältnis zwischen Staat und Religion oder zwischen Mann und Frau in völlig neuem Licht, sobald man die Beziehung zwischen Liberalismus und Religion bzw. zwischen dem Liberalismus und dem Verhältnis der Geschlechter in ihrer vollen Komplexität begreift. Entsprechend sind auch neue Ideen über den Liberalismus als Massenbewegung gefragt.
In den vergangenen Jahren fiel einem als Besucher historischer und kunstgeschichtlicher Ausstellungen in Karlsruhe ein bestimmtes Ausstellungsstück besonders häufig ins Auge: die mehrere Meter lange und mit farbigen Wappenschilden geschmückte genealogische Rolle der Markgrafen von Baden. Das Erscheinungsbild der zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Auftrag gegebenen Genealogie hinterlässt nicht nur bei heutigen Museumsbesuchern einen bleibenden Eindruck. Sie tat dies sicher bereits bei den Zeitgenossen am Hof der badischen Markgrafen. Dass die Genealogie ihren Reiz nicht verloren hat, liegt in erster Linie an ihrer materiellen Präsenz: Vor dem Auge des Betrachters entrollt sich die ganze Pracht der Dynastie, von ihren um 1500 nachweisbaren urkundlichen Anfängen in staufischer Zeit bis zur Familie Markgraf Christophs I. von Baden. Gerade die jüngsten Generationen werden am Ende der Rolle durch eine heraldische Zurschaustellung der hochrangigen Ahnen besonders hervorgehoben. Autor dieses Prunkstücks dynastisch-familiärer Memoria und Propaganda war nicht irgendjemand, sondern einer der berühmten Herolde seiner Zeit – Georg Rüxner. Kaum ein anderer verstand es so gut wie der für die Habsburger, Wittelsbacher, Hohenzollern und zahlreiche andere Fürstenfamilien tätige Rüxner, die Kernaussage auf Pergament zu bannen: Mit der prächtigen Genealogie wollten sich die Markgrafen von Baden unter den führenden Fürsten des Reichs wissen. Ausweis dieser außergewöhnlichen Stellung waren die jüngsten Eheverbindungen mit den Habsburgern und Wittelsbachern, die den Markgrafen Familienbeziehungen zu den Herzögen von Burgund, Lothringen und Savoyen einbrachten. Die Genealogie setzte all diese Verbindungen plastisch ins Bild. Sie machte überdies visuell deutlich, dass es mit Markgraf Philipp in der badischen Dynastie nur einen legitimen Herrschaftsnachfolger geben konnte. Die Genealogie war somit vor allem auch ein innerfamiliäres Symbol fürstlicher Autorität und Herrschaft.
Die folgenden Beiträge von Gerd Mentgen, Matthias Untermann und Valerie Schönenberg sind die Schriftfassung der Vortragsreihe „Jüdisches Leben in Offenburg und in den Städten am Oberrhein“, die am 28. Juni 2019 auf der Jahrestagung
der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg in Offenburg gehalten wurde. Die Kommission hatte seinerzeit Stefan Weinfurter und mich mit der Planung und Durchführung dieser Sektion beauftragt. Stefan Weinfurter konnte die Offenburger Vortragsreihe nicht mehr erleben. Dem ehrenden, dankbaren und freundschaftlichen Andenken an den großen
Historiker Stefan Weinfurter sei diese kleine Beitragsreihe gewidmet!
Seit dem 17. Jahrhundert zeigte sich an deutschen Universitäten und in ihrem Umfeld eine kontinuierliche und zunehmende Beschäftigung mit den historischen Gegenständen des deutschen Rechts und der deutschen Literatur. Dadurch entstand ein ständiges Wechselspiel zwischen Theorie, Methode, aber auch Praxis von Rechtswissenschaft und Literaturwissenschaft. Mit dem Straßburger Ordinarius der Rechte Johann Schilter (1632–1705) geht es um den fulminanten Anfang einer quellengestützten Forschung, die sich der Erschließung deutscher Sprach- und Rechtsaltertümer zuwandte.
Für die „SchUM-Stätten“, die hochmittelalterlichen Kult- und Gemeindebauten der ehemaligen jüdischen Gemeinden in Worms und Speyer sowie ihre hochbedeutenden Friedhöfe in Mainz und Worms, wurde im Januar 2020 der Antrag zur Aufnahme in die UNESCO-Welterbeliste eingereicht. Die mehrteiligen Gemeindezentren, d. h. der Judenhof in Speyer und der Synagogenbezirk in Worms mit ihren Bauten, haben ebenso wie die beiden Friedhöfe mit ihren Grabsteinen und Funktionsbauten nicht nur aus Sicht der Antragsteller einen „außergewöhnlichen universellen Wert“, wie ihn die UNESCO für Welterbestätten voraussetzt. Nicht in den Antrag aufgenommen sind der ehemalige Synagogenbezirk in Mainz, der lokalisierbar, aber modern überbaut ist, sowie der ehemalige Friedhof in Speyer, der nach Einrichtung des neuen Hauptfriedhofs 1888 parzelliert und überbaut wurde.
In der Reichenau-Festschrift von 1925 hat Joseph Sauer in seinem Beitrag „Die Monumentalmalerei der Reichenau“ die gemalten Architekturkulissen in Reichenau-Oberzell ausführlich berücksichtigt. Sie erfüllen „eine künstlerische Funktion. Nicht nur daß sie die weit auseinandergezogenen Kompositionen zusammenhalten und gliedern [...], im Einzelfall haben sie auch noch die künstlerischen Absichten besonders zu steigern“. Die verschiedenen Typen von Türmen sind so beschrieben: Sie „stehen hinter oder auch vor den Stadtmauern; bei einem völlig sichtbaren Stadtbild gewöhnlich in der Zweizahl [...]; der
Zweizahl entsprechend wechseln Rund- und quadratischer Turm miteinander ab [...]. Die quadratischen, durchweg über Eck gezeigten Türme sind [...] in den einzelnen Stockwerken reich gegliedert [...], die einzelnen Stockwerke durch kräftige Gurtgesimse geschieden [...]. Wenn man einen solchen freistehenden, nach oben sich verjüngenden quadratischen Turm im Bild des Seesturms noch als Leuchtturm erkennen kann, so leuchtet die Zweckbestimmung eines ganz gleichen Turmes neben dem sitzenden Hohenpriester im Bilde des Aussätzigen nicht ohne weiteres ein. Hart am Bildrand scheint er lediglich die Funktion zu haben, die Kompositionslücke hier zu schließen. Die realistische Darstellung ist also einer rein künstlerischen Erwägung geopfert: die Realität dem Ornament gewichen“.
„Geschichte vollzieht sich in Raum und Zeit“ – das bekannte Diktum von Johann Gustav Droysen, das er an mehreren Stellen seiner „Historik“ (1857/58) in verschiedenen Wendungen gebraucht hat – hat im letzten Jahrzehnt die Historiker ganz verschiedener Fachrichtungen beschäftigt. Karl Schlögel hat 2003 in seinem Essay unter dem Titel „Im Raume lesen wir die Zeit“ ein geistreiches Plädoyer für die „Räumlichkeit der menschlichen Geschichte“ gehalten. Dieser Feststellung wird kaum ein Historiker widersprechen, schon gar keiner, der sich dem interdisziplinären Anspruch einer geschichtlichen Landeskunde verpflichtet weiß, die die Raumbezogenheit als konstitutives Element ihrer Arbeit versteht.
Als Bern von der Reichenau am 7. Juni 1048 – 40 Jahre nach Beginn seines Abbatiats – verstarb, hinterließ er ein beeindruckendes literarisches Erbe. Zu diesem zählen neben einem wirkmächtigen Tonar, einer kulturhistorisch bedeutsamen Briefsammlung und einer vielgelesenen Biographie des heiligen Ulrich von Augsburg auch mindestens 16 sprachlich wie inhaltlich äußerst reizvolle Predigten. Diese befassen sich zum größten Teil mit der Mutter Gottes – das Reichenauer Münster hat Marienpatrozinium –, den Feiertagen im Kreis des Kirchenjahres und dem Evangelisten Markus, dessen Reliquien im Jahr 830 auf die Reichenau kamen. Zwei Predigten – der sermo de S. Matthia apostolo und der sermo de dedicatione ecclesiae – lassen sich keiner der drei Gruppen zuordnen. Handschriftlich überliefert sind nur elf dieser Predigten; von den übrigen
sermones – darunter der sermo (III) de S. Marco – sind lediglich einzelne Exzerpte im elften Band der von den Magdeburger Zenturiatoren um Matthias Flacius Illyricus verfassten Historia ecclesiastica erhalten.
Ein Suchbefehl im Internet brachte es rasch zu Tage: 17.200 Einträge (14. Mai 2019) beschäftigten sich mit dem Begriff „Freiheitsstadt“. Es gab einige wenige Werbungen für zu beziehende anarchistische Postkarten. Ein paar private Einträge
benannten Kapstadt und Amsterdam als Freiheitsstädte. Doch nur eine Kommune schmückte und schmückt sich mit diesem Begriff höchst offiziell: Offenburg. Um Offenburg drehen sich daher auch die meisten einschlägigen Internetbeiträge. Auf der Homepage der Stadt ist zu lesen: „Offenburg versteht sich heute als ‚Freiheitsstadt‘ […] Mit der heutigen Kultur- und Erinnerungsstätte Salmen befindet sich in Offenburg eine Wiege der Demokratie in Deutschland. Es ist das Offenburger Freiheitsdenkmal! Am 12. September 1847 versammelten sich im Gasthaus Salmen um Friedrich Hecker und Gustav Struve
die ‚entschiedenen Freunde der Verfassung‘. Diese verabschiedeten mit den Forderungen des Volkes das erste politische Programm in Deutschland, das die unveräußerlichen Menschenrechte einforderte“. Und weiter ist zu erfahren: „Die
Erinnerung an die revolutionäre Zeit hat sich im kollektiven Gedächtnis Offenburgs bis heute erhalten. Zum 150. Gedenken an die Ereignisse feierte die Offenburger Bevölkerung im Jahr 1997 über drei Tage hinweg das Offenburger Freiheitsfest. Mit dem jährlich am 12. September stattfindenden Salmengespräch und dem Freiheitsfest wird an die Verabschiedung der 13 Forderungen des Volkes durch die ‚entschiedenen Freunde der Verfassung‘ erinnert.“
1933, dem Jahr der Machtergreifung Hitlers, veröffentlichte Eberhard von Künßberg, Leiter des renommierten „Deutschen Rechtswörterbuchs“ und Honorarprofessor an der Ruperto Carola, in den ‚Heidelberger Jahrbüchern‘ eine Studie über „Rechtsverse“. Gewidmet ist diese Darstellung der Rechtssprache als Formkunst seiner Frau Katharina von Künßberg, welche er am 14. Oktober 1910 geheiratet hatte. Sie selbst, eine geborene Katharina Samson, entstammte einer jüdischen Kaufmannsfamilie. Keine zehn Jahre später, nach dem Tode ihres Mannes, erhielt sie 1942 von der Heidelberger Gestapo die Aufforderung, „sich für einen Transport nach Osten vorzubereiten“. Das frühzeitige Ende ihrer „Lebensreise“ mit der letzten Station in einem der nationalsozialistischen Vernichtungslager schien bevorzustehen. Es kam jedoch anders.
Uns hat glaublichen angelangt, so beginnt der Straßburger Bischof Albrecht am 15. April 1502 sein Schreiben an das elsässische Oberehnheim, welches er vor der erneuten Gefahr des ‚Bundschuhs‘ warnt, der noch zur zit nit herloschen
sei. Die Bewegung des Bundschuhs sei nach den Vorkommnissen 1493 in Schlettstadt nicht aufgelöst, sondern habe sich wieder vereint, werbe neue Mitglieder an und plane, sich zu erheben. Galt der Bundschuh – die übliche Fußbekleidung von Bauern und Handwerkern – in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts noch „als Symbol für Verteidigung, Rechtschaffenheit, Recht und Freiheit“, wurde er um die Jahrhundertwende „im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation zum Symbol für gewaltsamen Umsturz und Terror“. Bereits 1493 war es in Schlettstadt zu einem ‚Bundschuh‘, zu einer Verschwörung des einfachen Volkes gegen die Obrigkeit, gekommen. Gemein ist dem Schlettstadter und dem Untergrombacher Bundschuh sowie den späteren als Bundschuh klassifizierten Ereignissen die frühzeitige Aufdeckung durch Verrat, bevor die geschmiedeten Pläne in die Tat umgesetzt werden konnten. „Das Ereignis eines Bundschuhaufstands“, so Guy P. Marchal, „der offenkundig allen vor Augen getreten wäre und dessen Umfang, Verlauf, Erfolg oder Niederwerfung in vielfältigen Zeugnissen uns überliefert wurde, hat nicht stattgefunden“.
Die Geschichte der Korrektion des Oberrheins zwischen 1817 und 1876, mit der der Flusslauf zwischen Basel und Worms um über 80 Kilometer begradigt wurde, und die Persönlichkeit ihres Protagonisten, des Ingenieurs Johann Gottfried Tulla
(1770–1828), sind seit nunmehr 150 Jahren Gegenstand immer neuer wissenschaftlicher und populärer Veröffentlichungen. Die Historisierung und Popularisierung von Projekt und Person setzte um 1870 und damit kurz vor der Vollendung der Korrektur im Jahr 1876 mit ersten umfangreicheren Dokumentationen und der Errichtung des „Tulla-Turms“ bei Breisach ein. Beschäftigten sich zunächst vorrangig die Nachfolger des Leiters der badischen Wasser- und Straßenbaudirektion mit voluminösen Denkschriften aus Ingenieurssicht mit dem Projekt, so leuchteten im 20. Jahrhundert unter anderem Franz Schnabel, Arthur Valdenaire, Hans Georg Zier und viele andere zahlreiche technik-, landes- und biographiegeschichtliche Facetten aus. Nachdem der Autor dieses Beitrages vor nunmehr gut zwei Jahrzehnten an dieser Stelle die Neubewertung einiger Sachverhalte aus vorrangig umweltgeschichtlicher Sicht vorgeschlagen hatte, haben sich seither im Zuge des Aufschwungs der umwelthistorischen Forschung auch profilierte US-amerikanische Forscher wie David Blackbourn und Marc Cioc dem Thema aus diesem Blickwinkel zugewandt. In ihren Forschungen traten unter anderem verstärkt einzelne Umweltprobleme wie der langfristige Rückgang der Biodiversität sowie Fragen der Wasserverschmutzung in den Blick,
wobei die Person Tullas teilweise noch stärker als in der älteren Forschung stilisiert wurde, so z.B. als „The man who tamed the wild Rhine“ (Blackbourn), bis hin zu der Feststellung: „Tulla was for the Rhine what Napoleon was for Europe“ (Cioc).
Am 18. März 1533 unterhielt man sich im Hause Luther über ein den Zeitgenossen offenbar allgemein bekanntes, wenngleich in mancherlei Hinsicht erkennbar rätselhaftes Phänomen. Folgt man der späteren Stilisierung des Tischgesprächs, war zunächst Philipp Melanchthon darauf zu sprechen gekommen: „Der Veitstanz ist nur eine teuflische Besessenheit.“ Martin Luther antwortete: „Das Gespinst nimmt immer mehr ab.“ Und Melanchthon stimmte ihm zu: „Der Satan verlegt sich schon auf eine neue Art von Täuschung“. Letzterer stammte bekanntlich aus Bretten, er konnte den sogenannten „Veitstanz“ daher aus seiner weiteren Heimat kennen. Im Sommer 1518, wenige Monate, nachdem Luther mit seiner Kritik an der kirchlichen Heilsvermittlung an die gelehrte Öffentlichkeit getreten war, hatten in Straßburg (und vereinzelt auch in Basel) Hunderte wochenlang auf den Straßen und Plätzen der Stadt getanzt. In Wittenberg wusste man davon nur vom Hörensagen. Immerhin aber sollte dies dazu genügen, dass gerade die Publizistik der Reformationszeit jenen merkwürdigen Begriff zu einem feststehenden Topos der deutschen Sprache hat werden lassen. Als vorgeblich historisches Beispiel für massenpsychologische Suggestionen aller Art, für die ekstatische Auflösung der gesellschaftlichen Ordnung,
kennt darum auch der heutige Sprachgebrauch noch den „Veitstanz“, der irgendwo ausbricht bzw. den irgendjemand aufführt. Das Gespräch unter den Reformatoren zeigt nun, dass dieser Sanct veits tantz zu ihrer Zeit durchaus Breitenwirkung hatte. Und offensichtlich blieb er lange ein diskussionswürdiges Problem.
Die Stadt Neuenburg am Rhein, in dem äußersten Südwesten des heutigen Landkreises „Freiburg/Hochschwarzwald“ gelegen, besitzt keinen einzigen steinernen Überrest mehr, der von ihrer mittelalterlichen Geschichte Zeugnis ablegt. Ihre
strategisch günstige Lage an einem Übergang über den Oberrhein war einerseits Anlass für den Herzog Berthold IV. von Zähringen, dort ein novum castrum errichten zu lassen, das urkundlich erstmals 1185 greifbar wird, andererseits war die strategisch exponierte Lage der Grund für die völlige Zerstörung der Stadt nicht erst 1940 und 1945, vielmehr bereits während des Spanischen Erbfolgekrieges am Beginn des 18. Jahrhunderts und des Dreißigjährigen Krieges von 1618 bis 1648. Doch ging das Mittelalter, das traditionell mit dem Aufkommendes Buchdruckes um 1450, der Entdeckung Amerikas 1492 und der Glaubensspaltung 1517 abgegrenzt wird, für Neuenburg 1496 zu Ende, als ein Rheinhochwasser das lockere Hochufer unterspülte und weitere bis 1525 etwa ein Drittel der darauf errichteten Altstadt hinwegschwemmten. Rat-, Salz- und Schulhaus als wichtige Orte der Bürgergemeinde mitsamt der westlichen Stadtmauer und der dort gelegenen Häuser verschwanden völlig und die Stadtpfarrkirche, als geistlicher Mittelpunkt der Stadt auch Liebfrauenmünster genannt, nahm so schweren Schaden, dass 1527 die Kirche der Franziskaner zu der offiziellen Pfarrkirche umgewidmet werden musste. Nur noch der hochaufragende Turm des gotischen Liebfrauenmünsters erinnerte bis in das 17. Jahrhundert hinein an die große Katastrophe, die aber nicht die letzte bleiben sollte.
Karl-Friedrich Krieger
(2020)
Am 26. Januar 2020 verstarb mit dem emeritierten Mannheimer Ordinarius für mittelalterliche Geschichte, Karl-Friedrich Krieger, eine der prägenden Gestalten der deutschen Spätmittelalterforschung, der sich auch bleibende Verdienste um
die Erforschung der südwestdeutschen Landesgeschichte erworben hat.