168.2020
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Seit dem 17. Jahrhundert zeigte sich an deutschen Universitäten und in ihrem Umfeld eine kontinuierliche und zunehmende Beschäftigung mit den historischen Gegenständen des deutschen Rechts und der deutschen Literatur. Dadurch entstand ein ständiges Wechselspiel zwischen Theorie, Methode, aber auch Praxis von Rechtswissenschaft und Literaturwissenschaft. Mit dem Straßburger Ordinarius der Rechte Johann Schilter (1632–1705) geht es um den fulminanten Anfang einer quellengestützten Forschung, die sich der Erschließung deutscher Sprach- und Rechtsaltertümer zuwandte.
Im Januar 1918 sah Friedrich von Duhn, Direktor des Archäologischen Instituts an der Universität Heidelberg, seine Chance, die institutseigene Sammlung um Gipsabgüsse des seinerzeit in der Forschung heftig diskutierten gewaltigste[n]
Siegesdenkmal[s] Roms gegen den Norden zu bereichern: des sog. Tropaeum Traiani von Adamklissi in der rumänischen Dobrudscha. Der nördliche Teil der Dobrudscha unterstand zu diesem Zeitpunkt dem deutschen Oberkommando unter Generalfeldmarschall August von Mackensen. In Anbetracht der militärischen Besetzung durch das Deutsche Reich und mit Hilfe des vor Ort stationierten Hauptmanns Harald Hofmann, selbst ausgebildeter Archäologe, würden sich die Abformungen mit militärischen Hilfskräften leicht bewerkstelligen lassen, so von Duhn. Die Zeit sei günstig, solange die Deutschen noch in Rumänien und der Dobrudscha militärisch die Herren seien; die herzustellenden Abgussformen könnten außerdem für einen gewinnbringenden Verkauf von Abgüssen an andere Museen und Universitätssammlungen genutzt werden. Es wäre doch eine schöne Sache für uns, würde dem badischen Staat Ehre machen und die Wissenschaft sehr fördern, schrieb er im Januar 1918 an das Ministerium des Kultus und Unterrichts in Karlsruhe.
Der nachfolgende Beitrag behandelt vornehmlich das südliche Oberrheingebiet: die breit gestreuten Judensiedlungen im Elsass und die weniger zahlreichen im gegenüberliegenden Tiefland von der Ortenau bis hinab nach Basel. Die weiter nördlich gelegene Kern- und Ursprungsregion jüdischer Präsenz in deutschen Landen rund um Speyer, Worms und Mainz wurde als solche bereits im Jahr 1995 von Franz-Josef Ziwes ebenso umfassend wie wegweisend untersucht. Wie sehr beide Seiten des südlichen Oberrheins zur Lebenswelt aschkenasischer Juden gehörten, exemplifizieren sehr gut die Migrationsspuren des jüdischen Arztes Meister Gutleben, der zwischen 1364 und 1406 jeweils eine Reihe von Jahren in Colmar, Basel, Freiburg im Breisgau und Straßburg lebte und praktizierte. Verwiesen sei hier aber auch auf eine jüdische Diebesbande, die – von Hornberg im Gutachtal aus operierend – um 1340 sowohl im Oberelsass als auch im Breisgau, in Villingen am Ostrand des Schwarzwalds, in der Ortenau und in Basel sowie in der Bodenseeregion ihr Unwesen getrieben haben soll.
Bis heute ist der Name Johann Schilters (1632–1705) für die Germanistik eng mit dem Werk des Thesaurus antiquitatum Teutonicarum und mit dem ersten großen Wörterbuch des Alt- und Mittelhochdeutschen, dem Glossarium ad scriptores linguae Francicae et Alemannicae veteris, verbunden. Dem Sammeln, Dokumentieren und Präsentieren des alten und ältesten deutschen Sprachgutes hat Schilter, von Hause aus Jurist und (Rechts-)Historiker, einen beträchtlichen Teil seines Arbeitslebens gewidmet. Erst posthum jedoch mit einem Abstand von zwei Jahrzehnten war sein Werk durch ein Bearbeiter- und Herausgeberkollegium zum Druck gebracht worden. Die Bestimmung des tatsächlichen Anteils Schilters an dem Gesamtwerk und insbesondere an dem Wörterbuch war daher später von einigen Unklarheiten geprägt. Auf der Basis des gedruckten Werkes selbst wie auch bislang unbeachteter Quellenbestände aus dem Nachlass Schilters konnten seine Rolle und seine Leistung nun genauer definiert werden.
Die folgenden Beiträge gehen auf den Workshop „Johann Schilter (1632–1705) im Kontext seiner Zeit. Forschungsperspektiven interdisziplinär“ zurück, den Almut Mikeleitis-Winter (Leipzig) und Kai H. Schwahn (Hamburg) im März 2019 in Hamburg durchgeführt haben. Die Idee, Johann Schilter in den Mittelpunkt einer interdisziplinär angelegten Untersuchung zu stellen, gründet in dem intensiven Austausch der beiden Veranstalter im Rahmen ihrer Schilter-bezogenen Projekte. Ausschlaggebend war die Erkenntnis, wie sehr die Beschäftigung mit einem (zeittypisch) vielseitig interessierten Gelehrten wie Johann Schilter von unterschiedlichen Perspektiven und Herangehensweisen profitieren kann. Das gilt insbesondere angesichts der Bedeutung, die Schilter von Zeitgenossen in den Bereichen der Rechtsgeschichte, Sprachforschung, Lexikographie und Kirchengeschichte beigemessen wurde, die in der Forschung bislang aber kaum
Beachtung fand. Von dieser Hochschätzung zeugen zum einen Schilters umfangreiche Korrespondenzen, die er mit bedeutenden Gelehrten seiner Zeit über konfessionelle und territoriale Grenzen hinweg führte, zum anderen die intensive
Rezeption seiner Werke. Mit seinen Arbeiten gehört Schilter zu den Vertretern einer integrativ und überdisziplinär ausgerichteten gelehrten Beschäftigung mit dem Mittelalter, die zum Ende des 17. Jahrhunderts einsetzte.
Francis Rapp
(2020)
„Ohne Ihren kritischen Geist aufzugeben, bitte ich Sie meine Aussage mit Wohlwollen und ein bisschen Nachsicht entgegen zu nehmen.“ Gemäß seiner sprichwörtlichen Bescheidenheit beginnt Francis Rapp, Professor an der Universität Straßburg, Mitglied des „Institut“, Primus inter pares im Elsass, seinen Beitrag über die elsässische Geschichtsschreibung zwischen 1945 und 1970 (Revue d’Alsace 2007, S. 49). Dieses sich wiederholende Ritual kündigt aber keine vertrauliche Mitteilung, sondern ein äußerst seltenes Lippengeständnis an die eigene Geschichte an: „Ich gehörte zu denen, die sich an diesen (französischen) Farben erfreuten.“ Hinter dieser Aussage versteckt sich ein Schweigen, eine Zäsur in seinem Leben. Francis Rapp unterlässt es zu sagen, dass er 1926 in Straßburg geboren ist und dass sein Jahrgang, 1944 achtzehn Jahre alt, zur Hälfte in die Wehrmacht und zur anderen Hälfte in die SS eingezogen wurde. Und man wird nur über Umwege erfahren, dass er gehungert hat, um nicht fort zu müssen, dass er davon an bleibenden Schäden litt, die ihn daran hindern werden seinen Lebenstraum zu erfüllen, nämlich Offizier in der französischen Luftwaffe zu werden.
Uns hat glaublichen angelangt, so beginnt der Straßburger Bischof Albrecht am 15. April 1502 sein Schreiben an das elsässische Oberehnheim, welches er vor der erneuten Gefahr des ‚Bundschuhs‘ warnt, der noch zur zit nit herloschen
sei. Die Bewegung des Bundschuhs sei nach den Vorkommnissen 1493 in Schlettstadt nicht aufgelöst, sondern habe sich wieder vereint, werbe neue Mitglieder an und plane, sich zu erheben. Galt der Bundschuh – die übliche Fußbekleidung von Bauern und Handwerkern – in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts noch „als Symbol für Verteidigung, Rechtschaffenheit, Recht und Freiheit“, wurde er um die Jahrhundertwende „im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation zum Symbol für gewaltsamen Umsturz und Terror“. Bereits 1493 war es in Schlettstadt zu einem ‚Bundschuh‘, zu einer Verschwörung des einfachen Volkes gegen die Obrigkeit, gekommen. Gemein ist dem Schlettstadter und dem Untergrombacher Bundschuh sowie den späteren als Bundschuh klassifizierten Ereignissen die frühzeitige Aufdeckung durch Verrat, bevor die geschmiedeten Pläne in die Tat umgesetzt werden konnten. „Das Ereignis eines Bundschuhaufstands“, so Guy P. Marchal, „der offenkundig allen vor Augen getreten wäre und dessen Umfang, Verlauf, Erfolg oder Niederwerfung in vielfältigen Zeugnissen uns überliefert wurde, hat nicht stattgefunden“.
Karl-Friedrich Krieger
(2020)
Am 26. Januar 2020 verstarb mit dem emeritierten Mannheimer Ordinarius für mittelalterliche Geschichte, Karl-Friedrich Krieger, eine der prägenden Gestalten der deutschen Spätmittelalterforschung, der sich auch bleibende Verdienste um
die Erforschung der südwestdeutschen Landesgeschichte erworben hat.
Am 18. März 1533 unterhielt man sich im Hause Luther über ein den Zeitgenossen offenbar allgemein bekanntes, wenngleich in mancherlei Hinsicht erkennbar rätselhaftes Phänomen. Folgt man der späteren Stilisierung des Tischgesprächs, war zunächst Philipp Melanchthon darauf zu sprechen gekommen: „Der Veitstanz ist nur eine teuflische Besessenheit.“ Martin Luther antwortete: „Das Gespinst nimmt immer mehr ab.“ Und Melanchthon stimmte ihm zu: „Der Satan verlegt sich schon auf eine neue Art von Täuschung“. Letzterer stammte bekanntlich aus Bretten, er konnte den sogenannten „Veitstanz“ daher aus seiner weiteren Heimat kennen. Im Sommer 1518, wenige Monate, nachdem Luther mit seiner Kritik an der kirchlichen Heilsvermittlung an die gelehrte Öffentlichkeit getreten war, hatten in Straßburg (und vereinzelt auch in Basel) Hunderte wochenlang auf den Straßen und Plätzen der Stadt getanzt. In Wittenberg wusste man davon nur vom Hörensagen. Immerhin aber sollte dies dazu genügen, dass gerade die Publizistik der Reformationszeit jenen merkwürdigen Begriff zu einem feststehenden Topos der deutschen Sprache hat werden lassen. Als vorgeblich historisches Beispiel für massenpsychologische Suggestionen aller Art, für die ekstatische Auflösung der gesellschaftlichen Ordnung,
kennt darum auch der heutige Sprachgebrauch noch den „Veitstanz“, der irgendwo ausbricht bzw. den irgendjemand aufführt. Das Gespräch unter den Reformatoren zeigt nun, dass dieser Sanct veits tantz zu ihrer Zeit durchaus Breitenwirkung hatte. Und offensichtlich blieb er lange ein diskussionswürdiges Problem.
Seit der Französischen Revolution kristallisieren sich in der „Rheinfrage“ die deutsch-französischen Beziehungen. Dem deutschen Standpunkt, den Rhein, der eine Verbindung zwischen deutschen Völkern darstelle, als deutschen Fluss zu
betrachten, steht die französische Vorstellung gegenüber, den Rhein als Grenze zwischen der deutschen und der französischen Welt zu sehen. Durch die Französische Revolution politisiert, sieht man meistens die Frage als einen Konflikt um die Kontrolle über den Rhein an. Deswegen gibt es viele Autoren, die diese Frage als eine Reihe von deutsch-französischen Krisen betrachten, angefangen 1840, als Nikolaus Becker Sie sollen ihn nicht haben, den freien deutschen Rhein schrieb. Musset antwortete ihm: Nous l’avons eu votre Rhin allemand. Der Rhein wurde so in den Rang eines strategischen Flusses, zum nationalen Mythos erhoben. Ob 1870/71 oder 1918/19 oder später 1940 und nochmals 1945 jubelten die
Nationalisten diesseits und jenseits des Flusses: der Rhein gehörte jetzt ihnen.