230 Christentum, Christliche Theologie
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Bereits im September 1945, nur rund vier Monate nach Kriegsende, erschien das Gesetzes- und Verordnungsblatt (GVBL.) der Badischen Landeskirche wieder – die erste Ausgabe vom 13. September 1945 umfasste lediglich drei Seiten: einziger Inhalt war der erste Brief des badischen Landesbischofs Julius Kühlewein an alle evangelischen Gemeinden, den er schon am 26. Juni 1945 verfasst hatte. Die letzte Ausgabe des Gesetzes und Verordnungsblattes vor dem Kriegsende war am 11. November 1944 in Karlsruhe veröffentlicht worden. Nach den schweren Bombenangriffen auf Karlsruhe am 27. September und am 4. Dezember 1944, bei denen auch das Dienstgebäude des Oberkirchenrates in der Blumenstraße schwer beschädigt worden war, konnte das Gesetzesblatt nicht mehr hergestellt werden. Das Gesetzes- und Verordnungsblatt gehörte zu den ersten Publikationen, die die US-Amerikaner in ihrer Besatzungszone genehmigten. Auf der letzten Seite trug das GVBl. in den ersten Nachkriegsjahren den Lizenzvermerk der US-Besatzungsbehörde Mit Genehmigung der Publications Control 7.8.45 beziehungsweise später Mit Genehmigung der Publications Control Nr. 4785. Die ersten Ausgaben des Gesetzes- und Verordnungsblattes der Evangelischen Landeskirche in Baden sind ein beeindruckendes atmosphärisches Zeugnis über die Sorgen und Nöte jener ersten Nachkriegsjahre.
Zeugnisse aus schwerer Zeit
(2021)
Vielerorts wurde im Jahre 2020 an die letzte
Phase des Zweiten Weltkrieges (1939 – 1945) und
an die erste Nachkriegszeit erinnert. Gern bin ich
der Einladung von Herrn Prof. Edgar Tritschler
nachgekommen, wenig bekannte Dokumente aus
dem Dekanat Villingen den Lesern dieses Jahrbuchs vorzustellen. Am 17. Mai 1945, bald nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht (8.5.1945),
forderte Conrad Gröber (1872 – 1948, Erzbischof
von Freiburg 1932 – 1947) die Pfarrer der Erzdiözese Freiburg auf, Ereignisse in der Pfarrei vor,
während und nach der Besetzung zu schildern;
weiter sei zu berichten über Schäden an kirchlichen Gebäuden, über die allgemeine Lage und das Verhalten ehemaliger Nationalsozialisten.
Die in die Pflicht Genommenen verfügten über
große Freiheit; sogar zum Tabuthema „Vergewaltigungen“ sollten sie sich äußern!
Am 17. Mai 1945, wenige Tage nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht (08.05.1945), forderte Erzbischof Gröber die Pfarrseelsorger der Erzdiözese auf, Ereignisse in der Pfarrei vor, während und nach der Besetzung sowie etwaige Schäden an kirchlichen Gebäuden zu schildern und über die allgemeine Lage zu berichten. Mit den Stichworten „Plünderungen, Vergewaltigungen, andere Schwierigkeiten“ war den in die Pflicht Genommenen große Freiheit eingeräumt; sogar zu einem Tabuthema durften, sollten sie sich äußern! Das Erzbischöfliche Ordinariat hat die Anordnung mehrfach wiederholt. Bis Ende 1947 sind mehr als tausend Berichte eingegangen, viele schon im Sommer 1945. Das ist bemerkenswert, weil der Briefverkehr nur langsam wieder in Gang kam – wegen kriegsbedingter Zerstörungen und Anordnungen der Besatzungsmächte (der Nordteil der Erzdiözese gehörte zur amerikanischen, der Südteil mit Hohenzollern zur französischen Besatzungszone). Man war erfinderisch bei der Übermittlung von Nachrichten.
Neuanfang nach 1945?
(2019)
In der deutschen Nachkriegsgeschichte spielte immer wieder die Frage eine Rolle: Wie konnte es dazu kommen, dass ehemalige überzeugte Nationalsozialisten nach dem Kriegsende 1945 in Politik und Regierung bald ihre Tätigkeit in herausgehobener Position fortsetzen konnten? Zwei der bekanntesten Beispiele waren Hans Globke und Hans Filbinger. Globke, Jurist und hoher Regierungsbeamter im Dritten Reich, war unter Bundeskanzler Adenauer ein einflussreicher Politiker; bei der Entnazifizierung 1947 aufgrund unwahrer persönlicher Angaben als „unbelastet“ eingestuft, wurden seine – auch judenfeindlichen ‒ Verstrickungen in das NS-Regime erst spät, zu spät, öffentlich bekannt. Filbinger, als NSDAP-Mitglied vielfach aktiver Marinerichter im Dritten Reich, einschließlich der Verhängung von politischen Todesurteilen, war nach 1945 dann CDU-Politiker und baden-württembergischer Ministerpräsident, der erst 1978 zurücktreten musste, als seine Vergangenheit bekannt geworden war („Filbinger-Affäre“). Zwei andere Beispiele: Das „Rosenberg-Projekt“ des Bundesjustizministeriums untersuchte personelle und sachliche Kontinuitäten nach der NS-Zeit. Daran schließt sich jetzt eine institutseigene Studie „Die Bundesanwaltschaft und die NS-Zeit“ an.
Im Landeskirchlichen Archiv Karlsruhe befindet sich ein bisher nicht beachteter, hochinteressanter Aktenbestand mit Berichten von Pfarrern über das Kriegsende im Frühjahr 1945: Kirchl. Zustände im Kirchenbezirk Durlach […] während der Besatzungszeit inkl. Berichte über die Kampfhandlungen der letzten Kriegstage und Besetzung durch alliierte Truppen. Offensichtlich auf Anweisung der französischen Militärverwaltung bat der Durlacher Dekan Schühle alle Pfarrer in seinem Zuständigkeitsbereich unmittelbar nach Kriegsende, Berichte über die Zeit vor und während der Besetzung durch französische Truppen anzufertigen. Eine Zusammenfassung dieser Berichte unter dem Titel Die kirchl. Zustände im Kirchenbezirk Durlach betr. verfasste Schühle am 10. Mai 1945 und übergab sie wohl einige Tage später einem Offizier der Besatzungsbehörde. Die Berichte sind aufgrund des extremen Papiermangels in dieser Zeit zumeist auf dünnem Durchschlagpapier sehr engzeilig geschrieben, oft wurde die Rückseite eines bereits anderweitig verwendeten Schreibens benutzt. Da die Kampfhandlungen hier in der Karwoche und über die Ostertage des Jahres 1945 stattfanden, empfanden die Zeitgenossen den Zusammenfall von Karfreitag und Ostern mit Kriegsende und Eroberung, aber auch Befreiung von der NS-Diktatur, als besonders intensiv.