270 Geschichte des Christentums, Kirchengeschichte
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Im ersten Band des Jahrbuchs für badische Kirchen- und Religionsgeschichte hat Prälat Gerd Schmoll als Zeitzeuge berichtet, wie er Krieg und Nachkriegszeit und die Kirche in dieser Zeit erlebt hat. Wie schon oft stellte sich mir die Frage: Wie habe eigentlich ich dies alles erlebt, 1929 in Mannheim geboren und dort aufgewachsen, zuerst als Kind, dann als Mädchen, und noch später als Heranwachsende, als Frau? Wie vermag ich heute in der Rückschau dies zu sehen? Ich bin viereinhalb Jahre älter als Gerd Schmoll und habe fast immer in Mannheim gelebt und auch gearbeitet, wobei allerdings die nicht einmal zwei Jahre, die ich aus Kriegsgründen in St. Blasien verbringen musste, von nachhaltiger Bedeutung für mich waren. Viereinhalb Jahre Altersunterschied kommen für die Zeit des „Dritten Reiches“ und der Nachkriegszeit geradezu einem Generationen-Unterschied gleich. So will ich es wagen, will einiges von meinem Erleben oder Erspüren versuchen zu benennen.
Im Jahr 2001 hat der Verein für Kirchengeschichte in der Evangelischen Landeskirche in Baden einen Sammelband mit dem Titel Reformierte Spuren in Baden veröffentlicht. Dieser Band widmet sich vor allem dem Versuch Markgraf Ernst Friedrichs,
1599 ein reformiertes Bekenntnis in der lutherischen Markgrafschaft Baden-Durlach einzuführen. Zwei Beiträge gehen auf die Frage ein, ob es auch heute noch reformierte Spuren in der Evangelischen Landeskirche in Baden gibt. Johannes Calvin wird in
diesem Band nur selten erwähnt. Er scheint weder im 16. Jahrhundert noch im 20. Jahrhundert eine nennenswerte Rolle in Baden gespielt zu haben.
Tritt ein Besucher – vom Marktplatz her kommend – durch das Westportal der Mosbacher Stiftskirche, so fällt sein Blick nicht auf einen lichtdurchfluteten gotischen Chor, sondern auf den spätmittelalterlichen Lettner. Er trägt die klangvolle Orgel,
deren vierteiliger Prospekt die dahinter befindliche Wand großenteils verdeckt. Im Jahr 1708 wurde diese Mauer inmitten der Kirche errichtet.
Am 4. April 1556 machte Kurfürst Ottheinrich, soeben mit dem Ableben seines Vorgängers und Onkels Kurfürst Friedrich II. in die pfälzische Kurwürde eingerückt, durch einen zu Alzey gezeichneten Erlass die Reformation lutherischer Prägung für
die Kurpfalz verbindlich. Wenig später, am 1. Juni desselben Jahres, schloss sich die Markgrafschaft Baden-Pforzheim, die spätere Markgrafschaft Baden-Durlach, durch einen entsprechenden Erlass von Markgraf Karl II. an. Damit war die reformatorische Entwicklung im deutschen Südwesten gewissermaßen vervollständigt und zu einem ersten vorläufigen Abschluss gebracht. Grundlage reformatorischer Maßnahmen in beiden Territorien war die von dem Stuttgarter Propst Johannes Brenz erarbeitete württembergische Kirchenordnung des Jahres 1553, die Herzog Christoph im Jahr
1555 mit einer Anzahl weiterer reformatorischer Gesetzestexte für den Gebrauch seines kurfürstlichen Nachbarn, des damals noch regierenden Kurfürsten Friedrich II. von der Pfalz, hatte zusammenstellen lassen, ein Corpus, das den Kern der späteren
Großen Württembergischen Kirchenordnung von 1559 bildet.
„Zehn Meere durchqueren“
(2009)
Das Zitat im Titel meines Vortrages stammt von Calvin aus einem Brief an den englischen Bischof Thomas Cranmer. Dieser hatte Calvin eine Art protestantisches Konzil vorgeschlagen, um alle unerledigten Kontroverspunkte innerhalb der protestantischen Denominationen zu schlichten. Calvin antwortete Cranmer im Jahr 1552 mit eben jenem Brief, den ich in Auszügen zu Beginn vorlesen möchte: Wäre es doch nur zu erreichen, daß an einem bestimmten Ort gelehrte, ernste
Männer aus den wichtigsten Kirchen zusammenträten, die einzelnen Artikel des Glaubens fleißig besprächen und den Nachkommen die sichere Schriftlehre über alles Gemeinsame hinterließen! Aber es gehört zu den Hauptübelständen unserer Zeit, daß die einzelnen Kirchen so auseinandergerissen sind, daß kaum die Zusammengehörigkeit als Menschen unter uns gilt, geschweige denn die heilige Gemeinschaft der Glieder Christi, die zwar alle mit dem Munde bekennen, aber nur wenige in der Tat aufrichtig pflegen [...]. So kommt es, daß der Leib der Kirche mit zerstreuten Gliedern verkümmert daliegt. Ich persönlich wollte mich’s nicht verdrießen lassen, wenn man mich braucht, zehn Meere, wenn’s sein muß, zu durchqueren. Wenn es sich auch nur darum handelte, England allein zu helfen, so wäre das für mich schon ein genügend ausreichender Grund. Jetzt aber, da es sich handelt um eine ernstliche und ehrlich nach der Heiligen Schrift abgefaßte Einheitsformel aller Gelehrten, in der die entlegensten Kirchen sich zusammenfinden sollen, hielte ich`s nicht für recht, irgendeiner Arbeit oder Mühe auszuweichen [...]. Die Schwierigkeit des Unternehmens, die du wohl auch empfindest, zwingt mich nun zu tun, was ich anfänglich nicht tun wollte, nämlich dich nicht allein zu mahnen, sondern geradezu zu beschwören, fortzufahren, bis Du etwas erreicht hast, wenn auch nicht alles nach Wunsch gerät. Leb wohl, hochberühmter und von Herzen verehrter Bischof! [...] Genf, Ende April 1552.
Ein historischer Schritt
(2009)
Als die Synode der Evangelischen Landeskirche in Baden am 3. Mai 1984 eine Erklärung zum Thema „Christen und Juden“ abgab, geschah dies nicht ohne intensive Vorarbeit vor allem durch den Studienkreis „Kirche und Israel“. Im öffentlichen
Bewusstsein tritt sie oft hinter der vier Jahre älteren Erklärung der Rheinischen Kirche zurück. Umso erfreulicher ist es, dass der 2007 verstorbene Baseler jüdische Gelehrte Prof. Ernst Ludwig Ehrlich bereits 1984 in einem Vortrag auf dem Münchener Katholikentag anerkennend darauf hinwies.
Am 10. Dezember 1520, genau nach Ablauf jener 60 Tage, die der Papst in seiner Bannandrohungsbulle Luther und seinen Anhängern als Widerrufsfrist nach Bekanntgabe der Bannandrohungsbulle gesetzt hatte, als im Westen des Reiches und den Niederlanden bereits die Scheiterhaufen loderten, auf denen die Schriften Luthers und seiner Anhänger zu Asche wurden, verbrannten Studenten der Universität Wittenberg vor dem direkt neben dem Augustinerkloster liegenden Elstertor mehrere Exemplare des kirchlich-kanonischen Rechtes, während Luther selbst die Bannandrohungsbulle ins Feuer warf. Wir können das, was damit geschah, in seiner revolutionären Bedeutung nur ermessen, wenn wir uns daran erinnern, dass nach eben diesem geistlich-päpstlichen Recht und seinen Ordnungen die westlich-katholische Kirche seit dem Hochmittelalter strukturiert wurde und die römisch-katholische Kirche bis zum Jahr 1917 und dem Erlass des Codex iuris canonici nach diesem Recht gelebt hat.
... nous n’avons autre refuge qu’a sa providence – wir haben keine andere Zuflucht als in Gottes Vorsehung. Mit diesem Satz fasste Calvin einmal in einer Predigt (über 1 Tim 3,3–5) seinen Glauben und seine Hoffnung, ja seine theologische Weisheit insgesamt zusammen. Schlaglichtartig wird dadurch Calvins Lebensschicksal und die Eigenart seiner Reformation im Vergleich zu anderen Gestaltwerdungen der Reformation deutlich. Dieser Satz spricht einem Menschen aus tiefstem Herzen, der seit seinem 25. Lebensjahr ein Flüchtling war, anfangs selbst um seines Glaubens willen verfolgt wurde und über Jahre hinweg fast täglich Nachrichten von den verfolgten Brüdern und Schwestern in der französischen Heimat erhält. Calvins Reformation nimmt Gestalt an im Kontext von Verfolgung und Exil. Das ist ein erster Hinweis auf die Eigenart der Reformation Calvins
im Rahmen der europäischen Reformationsgeschichte.
Was dem Leben dient
(2009)
Vor einigen Wochen erschien in der bekannten französischen Buchreihe „La Pléïade“ eine Auswahl der Werke Johannes Calvins. Martin Luther war schon lange in dieser Serie veröffentlicht worden, ebenfalls in einer Auswahl, aber die Tatsache an sich, dass jetzt auch Calvin in Dünndruck und Ledereinband vorliegt, darf als positives Zeichen gelten. Man sollte jedoch nicht verschweigen, dass im französischen Sprachgebiet das Interesse an Calvin überwiegend zu tun hat mit seiner Bedeutung für die französische Sprache. Calvin war der erste, der in der noch jungen französischen Sprache schrieb, in einem abstrakten, ja sogar wissenschaftlichen Stil. Wo sich andere nur des Lateinischen bedienten, griff er zum Französischen. Auf diese Weise erreichten seine theologischen Anliegen eine weitaus größere Leserschicht als die der hoch
Gebildeten. Er verschaffte sich damit die Möglichkeit, Theologie zu einer Sache der Gemeinde Christi zu machen. Hier liegt ohne Zweifel ein wichtiges und bleibendes Anliegen von großer Bedeutung für den Protestantismus vor: Theologie soll auch
immer Sache der Gemeinde sein. Wenn Theologie nur von akademischem Interesse ist, wird dies zu einem hohen Verlust an Relevanz führen. Dass Calvin seine Institutio selber ins Französische übersetzt hat, bedeutet, dass für ihn der Unterschied zwischen Akademie und weiterem Publikum nicht scharf gesetzt werden kann. Aber was bedeutet das für die heutige Situation des weltweiten Protestantismus?
Der etwas umständliche Vortragstitel verbindet eine Person, eine Stadt und ein religiös-historisches Phänomen miteinander. Das ist durchaus beabsichtigt, und ich hoffe, zeigen zu können, dass alle drei Faktoren in der Tat zusammengehören. Balthasar Hubmaier muss nach allem, was wir wissen, eine charismatische Persönlichkeit gewesen sein – ein authentisches Porträt von ihm ist nicht bekannt; das häufig wiedergegebene Bildnis ist ein Phantasieprodukt aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts. Dreimal hat Hubmaier in kurzer Zeit begeisterte und überzeugte Anhänger hinter sich geschart: in Regensburg, in Waldshut und in Nikolsburg (heute Mikulov in Tschechien). Er war der weitaus bedeutendste Theologe unter den Täuferführern der ersten Generation.