390 Bräuche, Etikette, Folklore
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Am 19. September 2016 hätte der 1891 in Ettenheim geborene Mundartdichter, Grafiker und Ehrenbürger Fritz Broßmer seinen 125. Geburtstag feiern können. Mit einem von ihm 1951 gestalteten Gautschbrief, einer kunstvoll von Hand geschriebenen Urkunde zum Abschluss der Ausbildung eines Schriftsetzer- oder Buchdruckerlehrlings, soll nicht nur an das grafische Können des Ettenheimers, sondern auch an den alten Druckerbrauch des Gautschens in Ettenheim erinnert werden. Schon in der 1872 gegründeten Druckerei von F. X. Leibold, dem Begründer der Ettenheimer Zeitung, wurde dieser Brauch in Ettenheim praktiziert. Davon zeugt ein Foto, das in der Foto- und Postkartenausstellung des Historischen Vereins im Jahre 1983 zu sehen war.
Feste zu feiern gehört zu den Urbedürfnissen der Menschen. Der Sinn der Feste liegt weniger in der Erholung vom Alltag als in der Erhebung der Feiernden über den Alltag. Familie, Verein, Gemeinde, Land, alle brauchen Feste, um ihre soziale Identität zu erhalten und zu kräftigen. Außerdem schaffen Feste Ausnahmesituationen, können von Zwängen befreien, als Ventile wirken, tatsächliche oder vermeintliche Mängel ausgleichen.
Münzen im Aberglauben
(2001)
Im Zusammenhang mit der seit Frühjahr 1997 durch die ehrenamtlich wirkende Bürgerinitiative „Brettener Heimat- und Denkmalpflege" begonnenen grundlegenden Sanierung des „Schweizer Hofs", einem imposanten, für die Brettener Stadt- und Hausgeschichte bedeutsamen Baudenkmal konnte am 26.8.1999 ein höchst bemerkenswerter Fund gemacht werden. Es handelt sich hierbei um eine aus neun Silberpfennigen in Kreuzform zusammengelötete, mit einer Trageöse versehenen Komposition von 47mm x 33 mm Seitenlänge im Gesamtgewicht von ca. 2,9 - 3,0 g, der, wie nachfolgend ausgeführt, nachweislich Geldamulettcharakter zukommt.
Jedes Jahr am Wochenende nach Maria Himmelfahrt feiert Waldshut mit seiner Chilbi eines der größten Heimatfeste am Hochrhein. Man hat dieses Traditionsfest von berufener Seite als den Mittelpunkt Waldshuter Lebensgefühls beschrieben, als Brauchereignis also, das mehr zum Ausdruck bringt, als es der immer gleiche Festablauf erscheinen läßt. Zwar beginnen sich seit wenigen Jahren Teile des traditionellen Chilbiprogramms neuen Ideen und Bevölkerungsgruppen zu öffnen, doch oder
gerade diese „Reform-Chilbi“ zeigt, daß die Bürger der einstigen Waldstadt mit diesem Fest emotional sehr eng verbunden sind und Veränderungen zugunsten einer noch attraktiveren Festgestaltung zulassen bzw. mittragen.
Jubiläen geben Anlass sich zu erinnern. Der Erinnerung und Vergewisserung dienen
Veranstaltungen wie Feiern oder Tagungen und Seminare, mehr noch aber Veröffentlichungen. Das war ebenfalls bei den zurückliegenden Unionsjubiläen der Fall, insbesondere bei dem 100-Jahre-Jubiläum der Union 1921, doch auch bei den anderen
genannten.
Im Allgemeinen handelt es sich um historische Rückblicke, wobei die Vorgeschichte meist mit einbezogen wird, leider so gut wie nie die konkrete Nachgeschichte. Oft werden Bezüge zur Reformation 1517 und zum Reichstag zu Worms 1521
hergestellt. – Im Folgenden wird eine bibliographische Übersicht geboten, keine
tiefergehende inhaltliche Analyse.
Mit der Veröffentlichung seiner 95 Thesen hatte Martin Luther 1517 einen bemerkenswerten Beitrag zur weiteren Entwicklung der Reformation geleistet. Dies war EKD-weit Anlass für die Proklamation einer von 2008 bis 2017 währenden Dekade mit Jahresthemen, die jeweils einem besonderen Aspekt der Reformation gewidmet waren. Sie gipfelte im Jubiläumsjahr 2017 mit seinen vielfältigen Angeboten auf Ebene der EKD und ihrer Gliedkirchen, vielfach im Zusammenwirken mit staatlichen und anderen öffentlichen Einrichtungen. Die Gestaltung des Reformationsgedenkens in Baden war mit über 8.000 eigenen Projekten und Veranstaltungen eingebunden in diesen Kontext. Dennoch hatte sie unverkennbar ein ganz eigenes Profil. So war sie zum Beispiel vergleichsweise sehr viel weniger „lutherlastig“ als es dem allgemeinen EKD-Trend entsprach. Das spiegelte sich unter anderem darin wider, dass in den offziellen landeskirchlichen Verlautbarungen vornehmlich von „Reformationsdekade“, „Reformationsjubiläum“ oder „Reformationsgedenken“ die Rede war und nicht von „Lutherdekade“ oder „Lutherjubiläum“. Weitere besondere Charakteristika waren die ausgeprägte Basisorientierung des badischen Reformationsgedenkens, sein Interesse an der Beschäftigung mit Kerninhalten des Evangeliums und seine vielfältigen ökumenischen Akzentuierungen.
Die badischen Hofprediger haben sich nicht in das Bewusstsein einer interessierten kirchengeschichtlichen Öffentlichkeit eingeprägt als Träger eines Amtes, dessen Funktion sich einem heutigen Betrachter nicht sofort erschließt. Dabei war das Amt des Hofpredigers eines der vornehmsten unter den Theologen der Markgrafschaft und des Großherzogtums Baden, das von einer Anzahl hoch bedeutender Persönlichkeiten ausgeübt wurde, die, wenn auch eher in einem anderen Zusammenhang, einen hohen Bekanntheitsgrad über die Residenz hinaus erlangt haben. Ich erinnere nur an den
Prälaten Karl Wilhelm Doll oder den Prälaten und Kirchenpräsidenten Albert Helbing. Die Beschäftigung mit den Hofpredigern erschien wohl lange Zeit nicht opportun zu sein. Doch der Boom der Residenzen- und Elitenforschung in den letzten Jahren hat selbstverständlich auch die Hofprediger wieder in den Blick der Forschung gerückt. In einer Projektbeschreibung der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel „Obrigkeitskritik und Fürstenberatung. Die Oberhofprediger in Braunschweig-Wolfenbüttel 1568–1714“ heißt es: „Protestantische Hofprediger der Frühen Neuzeit
agierten in einem Schnittfeld zwischen höfischer Seelsorge, gelehrten theologischen Diskursen, institutioneller Herrschaftsgestaltung, Politikberatung und persönlichem Glauben. Sie bildeten zweifellos eine besonders einflussreiche Gruppe im Spektrum frühneuzeitlicher Eliten, deren nähere Erforschung das Verständnis für die politische
Kultur, die Ausbildung der modernen Staatlichkeit und die Entwicklung von Kirche und Theologie zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert vertieft.“
Karlsruhe arbeitet an seinem „Image". Nach allem, was bisher zu erfahren war, darf man vermuten, daß die Stadt noch keine rechte Vorstellung davon hat, wie sie sich der Welt präsentieren soll. Bestimmte Dinge kommen zwar immer wieder zur Sprache wie etwa die „TechnologieRegion" oder Wissenschaft und Forschung. Aber damit lassen sich doch wohl nur ,,Insider" erreichen. Auch das wirklich vorbildliche Nahverkehrssystem ist nicht so recht zur Imagebildung geeignet. Eher wären da kulturelle Ereignisse zu nennen, etwa bestimmte Ausstellungen des Badischen Landesmuseums, des Zentrums für Kunst- und Medientechnologie (ZKM) oder der Städtischen Galerie, die große Besuchermassen anzuziehen vermögen. Das kann auch von einigen Festen gesagt werden. Ein ganz großes ist beispielsweise „Das Fest", eine zweitägige musikalische Freiluftveranstaltung.
Auch das zweihundertjährige Jubiläum der Erhebung Mannheims zur Stadt im Jahr 1807 fiel in eine schwierige Zeit. Die fortwährenden Kriege Napoleons gingen einher mit einer Phase des politischen und auch wirtschaftlichen Umbruchs in Europa, in deren Verlauf die alte Welt des Ancien Regime zu Grabe getragen wurde. Diese Entwicklung machte auch nicht vor der ehemaligen kurpfälzischen Residenzstadt Mannheim halt, die zu einer abgelegenen badischen Provinzstadt degradiert wurde.
Außer Spesen nichts gewesen?
(2003)
In wenigen Jahren wird Mannheim wieder einmal sein Stadtjubiläum begehen: 400 Jahre Verleihung der Stadtprivilegien sind ein Grund zur Rückschau, zur Freude, zum Feiern - und zugleich ein Ansporn, bis dahin etwas Besonderes auf die Beine zu stellen. Da kann es hilfreich sein, einen Blick auf frühere Aktivitäten zu werfen und besonders das erste Jubiläum, die Hundertjahrfeier von 1707, einmal näher zu betrachten. Dass am 24. Januar 1707 überhaupt ein großes Fest gegeben wurde, könnten wir zunächst einmal als Beleg für den ungebrochenen Lebenswillen und die Lebensfreude der kurpfälzischen Bewohner werten. Schließlich befand sich ihre Stadt nach der radikalen Zerstörung in den Jahren 168/89 noch mitten im Wiederaufbau, begonnen nach Ende des Pfälzischen Erbfolgekriegs mit dem Friedensvertrag von Rijswijk im Herbst 1697.
Das Fundament bildeten in Mannheim die von Kurfürst Johann Wilhelm gewährten Stadtprivilegien vom 31. Oktober 1698, die eine relativ autonome Stadtverfassung schufen.Der Wiederaufbau ging allmählich und gewiss von mancherlei Rückschlägen und Kriegswirren begleitet voran. Letztere machten auch vor dem Stadtjubiläum 1707 nicht Halt, als die Franzosen unter Marschall Villars vorübergehend Mannheim besetzten. Von größeren Schäden dieser Besetzung ist jedoch nichts bekannt.
Im 18. und 19. Jahrhundert waren Ehrentänze bei Hochzeiten nicht wegzudenken. Diese Tänze waren immer mit der Zahl 3 verbunden. Ein Ehrentanz war entweder ein Tanz, der 3 Touren hatte oder er bestand aus 3 unterschiedlichen Tänzen. Zu Beginn einer Hochzeit standen die Ehrentänze zuerst dem Brautpaar und anschließend der näheren Verwandtschaft zu. Interessanterweise wurde zuerst mit den beiden Brautführern, der Ehrenjungfrau und der Gelbfrau, die Patin der Braut, getanzt. Darauf folgten die Ehrentänze der „Hochzeitsgesellen" und der Brautjungfern. Ehrentänze für Paare aus der Hochzeitsgesellschaft wurden meist von den Musikern ausgerufen, z. B. „Ehrentanz für Herrn XYZ". Diese durften nicht abgelehnt werden. Weitere Ehrentänze waren auch solche, die Tänzer besonders für sich und ihre Tänzerinnen gegen Bezahlung ausrufen ließen. Im Erfassungsbogen zur badischen Volkskunde von 1894/95 aus Rickenbach wird noch ermerkt, daß vor dem zweitletzten Tanz der Braut der Kranz vom Kopfe gelöst wurde, was für gewöhnlich eine Rührszene veranlaßte. Doch bald spielte die Musik einen Tanz und die Umstehenden sangen: „s' Kränzle ab, s' Hübele (Haube) uf, jetzt sind die
schönen Tage us! "
Der Pforzheimer Hauptfriedhof gehört zweifellos zu den schönsten Parkfriedhöfen Südwestdeutschlands. Doch ist das nicht der einzige Grund, warum ihm gerade in den letzten Jahren große Aufmerksamkeit zuteil wurde. Hinzu kam, daß man 2002 das 125-jährige Bestehen der Friedhofsanlage feiern konnte, deren erster Teilbereich 1877 „Auf der Schanz", einem Bergplateau oberhalb der Pforzheimer Nordstadt, seiner Bestimmung übergeben worden war. Dieses Jubiläum lenkte das öffentliche Interesse zwar hauptsächlich auf den Hauptfriedhof selbst, machte darüber hinaus aber auch neugierig auf alle weiteren
Begräbnisplätze Pforzheims, die es vor 1877 in oder bei der Stadt gegeben hatte. Von ihnen handelt der nachstehende Überblick.
Die Kanone von Ebersweier
(2020)
Seit frühester Zeit verwendet der Mensch Hilfsmittel, um Lärm zu erzeugen. Damit wollte er die rasche Verbreitung einer Warnung bezwecken, böse Geister vertreiben, seine Freude ausdrücken oder jemandem Respekt zollen. Dazu bediente er sich auch der Böller. Das Böllerschießen hat in der Ortenau Tradition. Dazu sei das Hornberger Schießen, 1700, erwähnt. Den Böller bezeichnet man als ein Gerät, in dem eine verdämmte Pulverladung eingebracht und anschließend gezündet wird, so dass ein lauter Knall weithin zu hören ist. In Ebersweier wurden Standböller verwendet, die bevorzugt vom Veteranenverein benutzt wurden. Allgemein wurde bei honorigen Hochzeiten, Taufen und Geburtstagen geschossen (z. B. an des Kaisers Geburtstag, Jubiläum des Großherzogs, Vermählung des Thronnachfolgers usw.). Vereinzelt wurden auch beim Kirchweihfest und der Fahnenweihe sowie bei Beerdigungen amtlicher Würdenträger diese Ehrenbezeugungen vorgenommen sowie auch bei Beerdigungen von Mitgliedern des Veteranenvereins mit dreifachem Salut.
In der schwäbisch-alemannischen Fasnet ist man seit Jahrzehnten bestrebt, seine
Wurzeln zu finden. Wurden diese Wurzeln seit den 1930er Jahren durch die nationalsozialistische Ideologie in vorchristlicher Zeit definiert, in denen die angeblich germanischen Riten der Winteraustreibung eine zentrale Rolle spielten, so hat erst Dietz-Rüdiger
Moser1 1986 den christlichen Ursprung der Fastnacht au f wissenschaftlicher Grundlage
nachgewiesen. Bei dieser christlichen Auslegung der Fastnacht spielt der Dualismus der
lasterhaften Welt einerseits mit der tugendhaften christlichen Lebensweise in der vorösterlichen Fastenzeit andererseits eine zentrale Rolle. Nachdem Werner Mezger 1991
seine Studien zum Fortleben des mittelalterlichen Fastnachtsbrauchs in der europäischen
Festkultur vorgelegt hat, wird versucht, die überlieferten Figuren in der schwäbisch-alemannischen Fasnet au f das Mittelalter zurückzuführen. Das 18. und das 19. Jahrhundert werden dagegen kaum zur Kenntnis genommen, da man glaubt, die schwäbisch-alemannische Fasnet habe mit dem »Carneval« nichts gemein. Doch gerade im barocken
Karneval des 17. und 18. Jahrhunderts, wie er an den Fürstenhöfen, Adelsresidenzen,
beim städtischen Patriziat und an den Kloster- und Jesuitenschulen zusammen mit den
Zunftbürgern der Städte im Sinne einer Maskerade mit gezielten Anspielungen auf Sitten und
moderne Torheiten3 praktiziert wurde, liegen die gemeinsamen Wurzeln des so genannten
rheinischen Karnevals wie auch der schwäbisch-alemannischen Fasnet.
Kleider machen Leute
(2019)
Als der Maler Rudolf Gleichauf (1826–1896) vor nun 150 Jahren – genauer am 15. Dezember
1869 – für die Fertigstellung von fünf Aquarellen mit Kostümdarstellungen aus St. Georgen eine
letzte Abschlagszahlung des festgesetzten Honorars von 2.300 Gulden aus der badischen Staatskasse erhielt, endete ein Projekt besonderer Art.
Denn über neun Jahre hinweg hatte Gleichauf auf dem Gebiet des damaligen Großherzogtums Baden ‚Trachten‘
als spezifische Kleidungsformen des ländlichen Raums erforscht und dokumentiert. In mehreren Reisen durchstreifte er dazu in großherzoglichem Auftrag das Staatsgebiet und fertigte zwischen 1861 und 1869 insgesamt 39 Aquarelle sowie eine darauf bezogene
105-seitige handschriftliche Beschreibung des Aussehens und der Kosten von 13 unterschiedlichen Kostümen an, die „Beschreibung Badischer Landestrachten“. Entgegen der ursprünglichen
Planung wurden nur wenige Motive als Lithografie reproduziert und der zugehörige Text blieb
bis heute unveröffentlicht.
Aus Anlass seines eigenen 100-jährigen Jubiläums legt das Badische Landesmuseum Karlsruhe, in dessen Besitz sich Aquarelle und Autograf heute befinden, 2019 eine kommentierte Edition dieses Werkes vor, dessen Zugang im Jahr 1869 zugleich den Auftakt einer eigenständigen
volkskundlichen Sammlung bildete.
Schaufenster-Kumedi
(2022)
Die historische Villinger Fasnet steht für weit mehr als zwei Tage im Jahr Ausgelassenheit. Sie ist vielmehr eine Lebenseinstellung und in weiten Teilen Spiegel der Gesellschaft und aktuellen Stimmungslage in der Bevölkerung. Betrachtet
man die Karnevalshochburgen in Mainz und Köln, sind die stark politisch geprägten Umzugswägen Ausdruck des Gesamtdeutschen Gemütszustandes. Auch in Villingen schafft die Katzenmusik in jedem Jahr aufs Neue einen Einblick in
die Themen der Zeit. Aber auch die Mitglieder und Freunde der Historischen Narrozunft Villingen bringen durch ihr Auftreten und Handeln ihre Meinung und Haltung zum Ausdruck, wenngleich nicht ganz so subtil wie die karnevalistisch geprägten Vereine. Schon Ende 2020 zeichnete sich ab, dass das Coronavirus Auswirkungen auf die Fasnet im Land und somit auch in Villingen haben wird. Was 2020 mit einem Wimpernschlag Vorsprung noch gelang, fiel 2021 der Pandemie zum Opfer: Den Verantwortlichen der Zuggesellschaft VS blieb keine andere Wahl als die organisierte Straßenfasnet abzusagen. Die spannende Frage ist, wie die Menschen im Städtle damit umgegangen sind, und war das wirklich ein Einzelfall in der Geschichte der Stadt und der historischen Villinger Fasnet?
Im Kraichgauort Knittlingen hütet das Faust-Museum sorgsam, was man für die Hinterlassenschaften des historischen Dr. Faustus hält: Einen Giftschrank und ein Pergament mit dem alchemistischen „SATOR-AREPO“-Zeichen. Neben einer Melanchthon-Äußerung und der notariell beglaubigten Abschrift eines Knittlinger Kaufbriefs von 1542 stützen Schrank und Pergament die Annahme, der historische Dr. Faustus stamme aus dem Kraichgauort. Diese lokal geschichtliche Verwurzelung ist es nicht zuletzt, die Goethe-Kenner und Touristen in das Knittlinger Faust-Museum zieht. Eine genaue wissenschaftliche Untersuchung des Alters von Giftschrank und Tinte auf dem „SATORAREPO“-Pergament lehnte der frühere Leiter des Faust-Museums, Günther Mahal, jedoch ab. Inzwischen erkennt man in Knittlingen an, dass der Giftschrank aus Expertensicht ungefähr aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts stammt und nicht direkt auf den historischen Dr. Faustus zurückgeht. Soviel Wirklichkeitssinn ist anerkennenswert, besonders weil andere Ortschaften, darunter das im nördlichen Kraichgau gelegene Helmstadt-Bargen, aufgrund wider streitender Indizien auch schon einmal den Anspruch erhoben haben, Geburtsort des Fausts zu sein. Belegt ist seine Tätigkeit als wandernder Wunderheiler, Magier und Alchimist. Bei vielen Zeitgenossen hatte er einen schlechten Ruf, galt als Scharlatan, Herumtreiber und Betrüger. Mehrere Städte haben ihm die Einreise verwehrt oder ihn ausgewiesen. Nachdem er etwa 1540 im breisgauischen Staufen vermutlich bei einer Explosion ums Leben gekommen war, behaupteten manche, ihn habe der Teufel geholt.
Diese Studie bildet in gewisser Weise eine Ergänzung zu einem Aufsatz, der 2004 in den »Ludwigsburger Geschichtsblättern« erschienen ist. Ging es damals um die höfische Repräsentation in der Sommerresidenz des Königs Friedrich von Württemberg in Ludwigsburg, so soll nun die Kehrseite dieser schönen Medaille beleuchtet werden, nämlich die Organisation des Hofes in Stuttgart und Ludwigsburg im frühen 19. Jahrhundert. Im Archiv des Hauses Württemberg gibt es sehr viele Personalakten von Beamten und Angestellten am württembergischen Hof aus der Zeit des Königreichs. Diese Akten wurden anders geführt als heute, nämlich nicht für einzelne Personen, sondern nach den verschiedenen Berufsgruppen. Wenn also ein junger Mann als Hofknecht anfing und bis zum Kammerdiener aufstieg, wurde für ihn in jeder Rangstufe eine neue Personalakte angelegt. Dadurch sind die Informationen zu einer einzelnen Person sehr zerstreut in den Akten zu finden. In den letzten Jahren wurden die Personalakten vollständig aufgearbeitet und Informationen zu über 3000 Personen, die am württembergischen Hof während der Zeit des Königreichs beschäftigt waren, erhoben. Aus dieser Datenfülle lässt sich die Lebenswelt der Hofangestellten zum Teil rekonstruieren. Ein vollständiges Bild kann man aber daraus nicht gewinnen, weil gerade über die Alltagsverhältnisse keine schriftlichen Zeugnisse vorhanden sind. So gibt es keine Tagebücher, in denen ein Beamter oder Angestellter das Leben bei Hof oder seine Tätigkeit detailliert beschrieben hätte. Mit diesem Problem sieht man sich jedoch als Historiker häufig konfrontiert.
Nach dem Tod von Herzog Friedrich Eugen im Dezember 1797 bestieg dessen Sohn, Herzog Friedrich II. (1754-1816), den württembergischen Thron. Unter dem Einfluss Napoleons kam es in den folgenden Jahren in Europa und damit auch in Württemberg zu tiefgreifenden Veränderungen. Durch den territorialen Zugewinn entstand aus dem Herzogtum Württemberg ein deutscher Mittelstaat. Der Herzog avancierte 1803 zum Kurfürsten und 1806 zum König. König Friedrich I. wurde zum Schöpfer des modernen württembergischen Staates. Er hob gegen den Widerstand der Ehrbarkeit die altwürttembergische landständische Verfassung auf und baute die Verwaltung nach modernen Grundsätzen um. Im Sinne
des aufgeklärten Absolutismus hatte er stets das Wohl seines Landes im Auge, wollte über alles unterrichtet sein und alle Entscheidungen selbst treffen. Allerdings fielen diese nicht immer glücklich aus. Dies kennzeichnet auch die klassizistischen Umbauten im Ludwigsburger Schloss, die ohne ein einheitliches Konzept und meist in großer Eile vor sich gingen. Wegen seiner diktatorischen Art, die keine Kritik zuließ, seiner Ungeduld und seiner Rücksichtslosigkeit war König Friedrich I. von
seinen Untertanen mehr gefürchtet als geliebt.
Die Versorgung des Hofes
(2008)
Zur Versorgung des Hofes, egal ob im 18. Jahrhundert oder zur Zeit König Friedrichs um 1810, war eine ausgeklügelte »Maschinerie« nötig. Allein der Küchenbau hat gewaltige Ausmaße. Das Gebäude liegt abseits hinter der Ordenskapelle, was mehrere Vorteile bot: Die Herrschaft wurde nicht von Rauch und Essensgerüchen belästigt, auch blieb die Arbeit des Küchenpersonals vor den herrschaftlichen Augen verborgen, und die Anlieferung der Waren konnte reibungslos erfolgen. Küchen wurden vor allem wegen der Brandgefahr abseits in den Erdgeschossräumen oder in Nebengebäuden untergebracht. So befand sich die Konditorei im Erdgeschoss des Festinbaus und im Erdgeschoss des Theaterbaus gab es die Kaffeekammer, in der täglich Kaffee frisch geröstet und gemahlen wurde. Eine stattliche Zahl an Bediensteten sorgte dafür, dass der Hof versorgt wurde. Allein für die Zubereitung der Mahlzeiten und Getränke waren unter König Friedrich 36 Personen angestellt. Das Küchenpersonal wohnte im oberen Stock des Hofküchengebäudes.
Einzüge – Auszüge – Umzüge
(2009)
Als ich das Thema wählte, schien es eher ein marginales zu sein. Da war der 20. Januar 2009 noch weit – da hatten noch nicht Millionen Menschen auf der ganzen Welt mit wachsender Begeisterung der Parade zur Amtseinführung Barack Obamas zugesehen. Ich wurde zu diesem Thema angeregt durch das für 2009 ausgerufene Ludwigsburger Jubeljahr. Es soll (unter vielem anderen) einen gigantischen Umzug bringen. Die Vorbereitungen werden fleißig und ambitioniert betrieben, und es wurden beachtliche Geldsummen bereitgestellt, um den Zug, wie es der Stadtverwaltung vorschwebt, möglichst lang, attraktiv und vor allem telegen zu gestalten. Schon beim Schlossjubiläum 2004 wollte man anknüpfen an das große Jubiläum von 1954. Darüber gibt es im Stadtarchiv und im Städtischen Museum einschlägiges Material: Broschüren, Fotos, Zeitungsartikel und sogar Original-Aquarelle von den Entwürfen für die Festwagen. Die ausgewählten Themen haben sich von 1954 bis 2004 kaum geändert, die Ambitionen auch nicht. Es scheint sich hier um interessante Konstanten zu handeln, und so kam ich auf den Gedanken, der »Festzugs-Tradition« in Ludwigsburg ein wenig genauer nachzugehen.
Weit über die Grenzen Baden-Württembergs hinaus ist der Markgröninger Schäferlauf als traditionsreiches Heimatfest bekannt. Er »gehört« zu Markgröningen wie das
Marzipan zu Lübeck oder die »Berliner Luft« zur Bundeshauptstadt. Jahr für Jahr
zieht das Fest rund 100 000 Besucher an, und für viele Bewohner des Landkreises ist
zumindest ein Besuchstag am Wochenende ein absolutes Muss, da jeder seine ganz
persönlichen Erinnerungen mit dem historischen Fest verbindet. Der Schäferlauf
weist im Vergleich zu den anderen historischen Festen im Landkreis, etwa dem Bietigheimer oder Ludwigsburger Pferdemarkt, mehrere Besonderheiten auf. Dazu zählen der barfüßige Wettlauf als Relikt des Zunfttreffens, die mittelalterlichen Wettspiele auf dem Stoppelfeld zur Volksbelustigung, das Festspiel »Der treue Bartel« sowie
die Existenz spezieller Gruppen und Vereine, die wesentliche Elemente des Festes gestalten. Das Heimatfest lebt und zum Leben gehört der Wandel. Deshalb reicht der
zeitliche Rahmen des Beitrags bei einzelnen Themen bis in die Gegenwart hinein.
Wochen vorher schon bereitet sich die Stadt auf das Fest vor, das alljährlich um den
24. August herum, dem Bartholomäustag, stattfindet. Bunte Fähnchengirlanden empfangen die Besucher. Die Hausfrauen blasen zum Generalputz und bringen die Kochplatten
und Backöfen in der Vorfreude auf zu bewirtende Gäste zum Glühen. »Echte« Markgröninger haben nun Stress: Sie müssen zur Schäfertanz- oder Musikvereinsprobe, den Text
fürs Festspiel lernen, Stände für die Bewirtung aufbauen, Festwagen schmücken, Schäferkleidchen nähen oder fürs Wassertragen üben. Die Stadt befindet sich Ende August in
einem sympathischen Ausnahmezustand: Markgröningens fünfte Jahreszeit bricht an.
Wenn ungeachtet dieser Bedeutung des Festes über dessen Ursprung und die damit
verbundene Entstehung einer landesweiten württembergischen Schäferzunft bislang
wenig publiziert wurde, so liegt das an der schwierigen Quellenlage. Im Bereich der
Volkskunde gibt es, insbesondere was die unteren sozialen Schichten anlangt, kaum
schriftliche Aufzeichnungen. Sind dennoch welche aufzufinden, was hier Gott sei
Dank der Fall ist, entstanden sie meist anlässlich von Streitigkeiten, weil »altes Herkommen« von der Obrigkeit nicht mehr geduldet wurde.
Trotz einer sehr kurzen Regierungszeit verdient Herzog Ludwig Eugen von Württemberg auch in Ludwigsburg Interesse. Nicht die zwei Sommer, die er in der Residenz
Ludwigsburg verbrachte, sind dafür ausschlaggebend, auch nicht die Tatsache, dass
er in Ludwigsburg verstarb und in der katholischen Gruft beigesetzt wurde. Im
Schloss hängt ein Gemälde, das ihn zu Pferd zeigt: Es ist das größte Ölbild eines
württembergischen Herrschers in den weitläufigen Räumen des Schlosses. Obwohl
die Wirkung dieses Bildes beeinträchtigt ist, weil es in einem Gang hängt und dadurch
die beabsichtigte Fernwirkung verloren hat, stellt es den Herzog in die Reihe der
württembergischen Landesherren. Ein weiteres Gemälde findet sich in der Reihe der
regierenden Herzöge in der Ahnengalerie.
Im 1984 erschienenen Buch »900 Jahre Haus Württemberg« ist Herzog Ludwig
Eugen – im Gegensatz zu seinem Bruder und Nachfolger Herzog Friedrich Eugen, der
ebenfalls nur zwei Jahre lang regierte – nicht vertreten. Dabei fällt die Regierungszeit
Ludwig Eugens in eine Phase starker Umbrüche sowohl im Herzogtum Württemberg
als auch in ganz Europa. Der Herzog sah sich mit politischen Fragen konfrontiert, die
sich als Folge der Französischen Revolution, aber auch durch eine schwere Krisensituation stellten. Es begann sich ein neues Verständnis von Staatsgewalt und Obrigkeit zu
entwickeln. Obwohl sich die eigentlichen Auseinandersetzungen erst nach 1797 in der
Regierungszeit des Herzogs Friedrich II. (seit 1803 Kurfürst, seit 1806 König) abspielten,
nahmen sie doch schon in der kurzen Zeit des Herzogs Ludwig Eugen ihren Anfang.
Nur eineinhalb Jahre lang, vom 20. Oktober 1793 bis zum 20. Mai 1795, regierte
Herzog Ludwig Eugen das Herzogtum Württemberg, ein mittelgroßes Territorium
im deutschen Südwesten. Nicht nur diese kurze Regierungszeit hat das Andenken
dieses Herzogs rasch verblassen lassen, sondern auch andere Umstände in seinem
Leben. Er war katholisch und Landesherr in einem rein protestantischen Land. Er
war unstandesgemäß verheiratet und hatte keine Söhne. In seiner Regierungszeit brachen dramatische Konflikte auf, aufgrund derer er mit den mächtigen württembergischen Landständen in heftige Auseinandersetzungen geriet, obwohl er eigentlich als
notorisch gutmütig galt. Deshalb dürfte die Trauer in Württemberg eher verhalten
gewesen sein, als er im Mai 1795 unvermutet einen Schlaganfall erlitt und innerhalb
weniger Minuten verstarb.
Wolfacher Fasnetlieder
(2003)
Was wäre die Wolfacher Fasnet ohne Musik? Sei es bei den Umzügen, Fasnetspielen oder Bällen, beim Schnurren oder Narrentreiben - immer spielt die Musik eine gewichtige Rolle und erfüllt dabei die unterschiedlichsten Funktionen. Manche Fasnetlieder sind uralt, neue entstehen, verdrängen andere, werden wieder vergessen oder sind Ausgangspunkt neuer Bräuche.
Familiengeheimnisse
(2021)
Fastnacht ist kein Brauchtum, sondern eine
Lebenseinstellung: So würde wohl mancher
überzeugte Fastnachter beschreiben, was ihm die
„fünfte Jahreszeit“ bedeutet. Tatsächlich besitzt
die Fastnacht im schwäbisch-alemannischen
Raum eine weit über die Brauchtumspflege
hinausgehende soziale und teils auch politische
Bedeutung, die ihr einen herausragenden Stellenwert im regionalen Selbstverständnis verleiht.
Dies ist bekannt und wird teilweise augenzwinkernd, teilweise mit Unverständnis zur Kenntnis
genommen. Was jedoch vielen Menschen nicht
bewusst ist, ist die Tatsache, dass nicht wenige
Objekte der Alltagskultur auch eine fastnächtlichen Bedeutungsebene aufweisen.
Das Aufkommen der verschiedenen Trachten gehe in der Regel auf das Ende des 18. Jahrhunderts zurück. Hauptsächlich wurde die Tracht in ländlichen Gegenden getragen. Sie unterscheidet sich nach Landschaften, Konfessionen und dem Familienstand
der Trägerin sowie auch in Werktags- und Sonntagstracht. Ebenfalls spiegele sich die Zugehörigkeit zur jeweiligen Herrschaft im Aussehen der Tracht wider. Die Tracht wird als Traditionsgut angesehen. Die Tracht der Altvillingerin stammt aus der Zeit, als Villingen dem Hause Habsburg unterstand und über Jahrhunderte zu den vorderösterreichischen Landen gehörte (1326-1803). Dies ist im Besonderen an den Radhauben zu erkennen, die ebenfalls in den Städten Radolfzell, Überlingen,
Markdorf, Meersburg, Bad Buchau, Konstanz, Saulgau und andere mehr, heute noch getragen werden. In früheren Zeiten war das Tragen der Tracht an Sonn- und Feiertagen, Festtagen und
bei besonderen Anlässen und Empfängen von Persönlichkeiten üblich.
Zahlreiche kulturkritische Veröffentlichungen befassen sich mit dem gestörten Verhältnis der Moderne zum Tod. Norbert Elias beschreibt aus zivilisationsgeschichtlicher Perspektive die Vereinsamung der Sterbenden. Schon mit fortschreitendem Alter und mit Beginn des körperlichen Verfalls sehen sich die Menschen heute an den Rand gedrängt. Der neuzeitliche Mensch, so Horst Eberhard Richter, glaubt durch Naturwissenschaft, Technik und Medizin die Natur zu beherrschen. Für die
mit der Aufklärung und der rationalen Welterklärung entstandene Allmachtsphantasie, die Richter als „Gotteskomplex" bezeichnet, ist die Vorstellung von der eigenen Endlichkeit schlechthin unerträglich. Preis dafür ist, was der Philosoph Pascal als schrecklichen Fluch der Moderne vorausgesehen hat: das einsame Sterben. Der Mensch, der mit Hilfe der Apparatemedizin am Leben gehalten wird, stirbt fern seines eigenen Lebenskreises auf der Intensivstation einer Klinik. Der Prozess der Säkularisierung hat den Tod als Übergang und Tor zu einer besseren Welt zu einem Sturz ins Nichts verwandelt. Der Tod ist nicht mehr der Abschluss und die Vollendung des Lebens, sondern bildet ein katastrophales, sinnloses Ereignis.
Andererseits schwinden die sozial tragenden Bindungen, die den Umgang mit Sterben und Tod erleichterten. Die Sterbenden bleiben oft allein, die Beisetzungen finden „im engsten Familienkreis" statt.
Am 22. Februar, am Fest Petri Stuhlfeier, begeht man heute noch im Kinzigtal den Peterlistag. Dies ist ein Kinderfest, an dem die Schüler ab einer bestimmten Zeit (11.00 oder 12.00 Uhr) in einer Gemeinde den ganzen Tag schulfrei bekommen, um auf ihren Heischegang zu gehen. Es ist zeitlich nicht genau festzulegen, ab wann dieser Brauch beginnt, aber er hängt, nach mündlicher Überlieferung, mit der großen Schlangenplage zusammen. Nach dem 30-jährigen Krieg und den jeweiligen Pestjahren wurde das Land derart entvölkert, dass das Ungeziefer, besonders aber Kröten und Schlangen, in den leer stehenden Häusern Zuflucht suchten. Die Leute wurden in der folgenden Zeit der Plage kaum Herr und versprachen den Kindern jedes Jahr eine Gabe oder ein Almosen zu geben, wenn sie Jagd auf diese ungebetenen Gäste machten und sie vertreiben würden. Wie die Alten auch erzählten, sollten sie dreimal lärmend und schreiend um das Haus und Gehöft herumrennen und dabei mit einer Schelle oder Glocke das Ungeziefer aufscheuchen und verjagen. ,,Sie hän gmaint, wenn
sie recht schelle un rätsche mit denne Glocke, gän die Dierli furt. Wäge dem hämmir au noch die Glocke! ", erzählte 1949 eine Bäuerin aus Unterentersbach. Dazu sollten sie einen Bannspruch und einen Segensspruch aufsagen, der die Wirkung verstärken sollte. Erst dann bekamen sie ihre Gaben. Dieser Brauch wird heute im gesamten Harmersbachtal noch ausgeübt:
in Oberharmersbach, Unterharmersbach, Zell a. H., Oberentersbach, Unterentersbach und Biberach.
Aus heutiger Sicht erscheinen uns „Schutzbriefe" völlig unverständlich, ja abergläubisch. In der Glaubenswelt unserer Vorfahren hatten die „Schutzbriefe" jedoch neben einer Vielzahl von kirchlichen Schutzmitteln durchaus Sinn. Sie waren Mittel zur Daseinsbewältigung, der Versuch, Kräfte und Mächte zum eigenen Vorteil zu nutzen, aber auch dem Bösen und den Bedrohungen der menschlichen Existenz wirksam zu begegnen.Die dem „Schutzbrief' zugrundeliegenden Anschauungen gehen kulturhistorisch teilweise auf vorchristliches und mittelalterliches Gedankengut zurück. Gefährliche Dämonen, Geister und Hexen bedrohen und beeinflussen das menschliche Dasein, so die Auffassung unserer Vorfahren.
Über dem Dachfirst, durch Kamin, Fenster, Tür und Tor konnten sich die unheilvollen Mächte Einlass verschaffen. Deshalb war es wichtig, die Wohnräume und Viehställe zu schützen und den ungebetenen Gästen mit einem Abwehr- und Gegenzauber zu begegnen. Die „Schutzbriefe", die an einem verborgenen Ort im Haus aufbewahrt oder direkt am Körper getragen wurden, sollten jedoch nicht nur Haus und Hof schützen, sondern den Menschen - unter Anrufung der drei göttlichen Personen - auch vor ganz allgemeiner Lebensgefahr wie Pest, Krieg, Unwetter und Feuer bewahren.
1964, unmittelbar nach meinem Pädagogikstudium, bin ich mit meiner jungen Familie von Freiburg ins Schuttertal gezogen. Ziel meiner beruflichen Wünsche war es, in einer bäuerlich strukturierten Gemeinde im Schwarzwald Dorfschullehrer zu werden und mich in meiner Freizeit, sofern möglich, forschend mit den Menschen, der Landschaft und der Kulturgeschichte der Region zu beschäftigen. Das Schicksal, die Vorsehung, was auch immer zutreffend, meinte es gut mit mir. In Schuttertal fand ich nicht nur eine schöne Neubauwohnung in sonniger Lage, sondern die örtliche Volksschule, die gerade zwei Jahre zuvor ein neues Schulgebäude mit einer Turn- und Festhalle bezogen hatte, suchte eine Lehrkraft. Es herrschte damals Lehrermangel auf dem Land.
Kaum sind die Weihnachtstage vorbei und die Sternsinger durch die Ortschaften gezogen, erwacht die Fastnacht in der Gemeinde. Das Treiben der Narren ist nicht mehr aufzuhalten. Das Häs, die Masken und die Hemdglunkerutensilien werden aus der Kleiderkiste hervorgeholt. In allen fünf Ortschaften der Gemeinde gibt es Narrenzünfte. In Friesenheim treiben die Rebhexen der Fasentzunft ihr Unwesen. Die Lohbachhexen der Narrenzunft Stänglihocker, die Krutthexen der Narrenzunft
Schuttern und die Feuerhexen in Heiligenzell machen sich bereit, um den Winter auszutreiben. Mit von der Partie sind auch die Krabben (Krähen) der Narrenzunft Krabbenschenkel aus Oberweier. In Friesenheim wird am schmutzigen Donnerstag der Narrenbaum vor dem Rathaus aufgestellt, die Fastnachtshexe aus Stroh ziert den Narrenbaum. Am Fastnachtsdienstag, wenn die Fastnacht endet und beerdigt wird, wird die Strohhexe auf dem Rathausplatz verbrannt. Schaurig geht es zu, wenn die Rebhexen am Brauchtumsabend ihren Hexentanz aufführen. Im Hexenkessel brodelt das bengalische Feuer, der Winter, eine Fastnachtsfigur mit schauriger Maske, hat keine Chance, er muss weichen und wird vertrieben.
Die Auslöschung der jüdischen Gemeinden in der Ortenau durch den Nationalsozialismus bedeutete auch das Ende eines lebendigen jüdischen Brauchtums. Die überwiegend religiösen, aber auch die weltlichen, alltäglichen Bräuche hatten den Juden geholfen, ihre kulturelle Identität in einer nichtjüdischen Umwelt zu bewahren. Oder, wie es Maria Schwab in ihren
Erinnerungen an das jüdische Leben in Altdorf in der Ortenau gesagt hat: „Vor Jahrtausenden nahmen die Juden ihre Feste und das Brauchtum, das sich um sie rankte, sogar ins Exil mit. Durch die Feier der jüdischen Feste in der Diaspora wurden die starken geistigen Bindungen geschaffen, die das jüdische Volk selbst in den schwierigsten Zeiten der Not an den Glauben und an das Land der Väter knüpften. Auch im Leben der Juden unserer Heimat spielten die alten Überlieferungen eine zentrale Rolle." Dabei war immer zu unterscheiden gewesen zwischen strenger Ausübung vorgeschriebener liturgischer Rituale und dem eher liberalen Umgang mit der Tradition. Alle denkbaren Varianten der Brauchtumspflege gab es in den Landgemeinden und in den Städten. In vielen Untersuchungen zur Geschichte der Ortenauer Juden werden stets, wenn auch in variierender Ausführlichkeit, solche lokalen Bräuche beschrieben. Überlebende Zeitzeugen oder die christlichen Nachbarn von einst erinnerten sich an das frühere Leben. Als Beispiel für eine solche Publikation steht die Arbeit
von Elfie Labsch-Benz über die jüdische Gemeinde Nonnenweier, die bereits im Untertitel ankündigte, ,,Leben und Brauchtum in einer badischen Landgemeinde zu Beginn des 20. Jahrhunderts" zu dokumentieren. Alltag und Festtage sowie besondere Ereignisse im Lebenszyklus von der Geburt bis zum Tod sind in dieser Veröffentlichung im Blick auf das in Nonnenweier damit verbundene Brauchtum geschildert. Auch Rosalie Hauser hat in ihren Erinnerungen an das Alltagsleben des 19. Jahrhunderts in Rust viele Bräuche festgehalten.
Die Osterbräuche - ich verstehe diese zeitlich vom Karsamstagabend bis Ostermontag - sind m. E. geprägt und überlagert von Aussagen des christlichen Glaubens - vor allem des Neuen Testaments-, aus dem Aberglauben, der sich Wirkungen durch angewendete Medien verspricht, und dem Volksglauben, der sich müht, die Aussagen des Glaubens verstehbar und
erlebbar zu machen. Gerade Ostern war ein Fest im doppelten Sinne - ein Fest des Frühlings in der Natur und ein Fest der Auferstehung Christi, d. h. ein christliches Fest. Beide Pole dieses Festes spiegeln sich im Beschluss des Konzils von Nicaea aus dem Jahre 325 n. Chr., das als Ostertermin den ersten Sonntag nach der Frühlings-Tag- und Nachtgleiche bestimmte.
Wenn wir Fest sagen, so sollten wir uns bewusst machen, dass das Osterfest ursprünglich nur eine Nacht von Karsamstag bis Ostersonntag umfasste. Seit dem 4. Jahrhundert war die Festlichkeit ein „triduum paschale" und dauerte vom Gründonnerstag bis Ostersonntag. Im Mittelalter schließlich wurde das Osterfest zur Osterwoche ausgeweitet, 1650 verkürzt bis Dienstag und im 18. Jahrhundert endlich nur noch auf den Montag und Sonntag zurückgedreht. In dieser Abhandlung möchte ich mich auf den Osterbrauch vom Karsamstag bis Ostermontag beschränken. Eigenes Erleben im südwestdeutschen Raum und heutige Übung mögen dabei auch eine Rolle gespielt haben.
Das Dreikönigsingen in Haslach im Kinzigtal, sein überliefertes Liedgut und dessen Verbreitung
(2008)
Als „Sternsingen" bezeichnet man allgemein jenen Umgang, der zwischen dem 1. Januar und dem 6. Januar eines jeden Jahres von drei als Kaspar, Melchior und Balthasar verkleideten Burschen (in neuerer Zeit finden sich auch schon Mädchen darunter) durchgeführt wird. Dabei trägt diese Gruppe einen Stern mit sich. Der Sternsingerbrauch - so Prof. Dietz-Rüdiger Moser (München) in seinem Buch „Bräuche und Feste durch das ganze Jahr" (Verlag Herder/Freiburg) - kam erst in nachmittelalterlicher Zeit im Umkreis von Bischofszentren und Stiften auf, wo er zunächst von Kloster- und Chorschülern ausgeübt wurde. Allgemein aber soll sich das Sternsingen erst nach 1560, also nach dem Tridentinum verbreitet haben. Die Liedtexte für das Sternsingen kamen zwischen 1560/65 auf den Markt zunächst in Nürnberg, Regensburg und Straubing und zwar immer auf Flugschriften.
Die heiligen drei König mit ihrigem Stern,
die kommen gegangen, ihr Frauen und Herrn. Der Stern gab ihnen den Schein. Ein neues Reich geht uns herein. [Mit diesem oder einem ähnlich lautenden Lied zogen und ziehen Sternsinger oder Dreikönigsänger, früher ausschließlich in katholischen Gegenden, in der Zeit zwischen Neujahr und Dreikönigstag von Haus zu Haus, um ,,milde Gaben" einzusammeln. Schon die Abwandlung des vorigen Sterndreherliedes in folgenden Text bemerkt etwas süffisant, aber sicher realistisch, warum sie im 16. und 17. Jahrhundert auch „aktenkundig" geworden sind: ,,Die heiligen Drei König mit ihrigem Stern, die essen und trinken und zahlen nicht gern!" Bereits 1566 wurden die Verse gedruckt und Rüdesheimer Kinder haben den Text 1601 gesungen.
Seit den 1970er-Jahren sind in den Ortenau zahlreiche neue Fastnachtszünfte und Maskengruppen entstanden. Die neuen Gruppen suchten zu ihrer Legitimation gegenüber den schon bestehenden Zünften, die sich „historisch", bisweilen sogar „althistorisch" nennen, eigene Traditionen zu begründen. So wurden lokale Sagenfiguren, überlieferte historische Begebenheiten, Ortsneckereien und Originale genutzt, um eine eigentlich „neue Tradition" zu konstruieren. Die neuen Gruppen standen in Rivalität zu den älteren, etablierten Zünften, die sich schon 1926 in Villingen zur „Vereinigung badischer und württembergischer althistorischer Narrenzünfte" zusammengeschlossen hatten.
Totengedenken bei den Juden
(2010)
Der Mensch ist sterblich. Sobald alle Personen dahingegangen sind, die ihn einst gekannt haben, gerät er in Vergessenheit. War
er nicht prominent, so wäre es, wie wenn er nie gelebt hätte, würde seiner nicht auch nach seinem Ableben gedacht. Sein Andenken schmiedet bei seinen Nachkommen das Bewusstsein gemeinsamen Ursprungs, familiärer Verbundenheit und Verpflichtung gegenüber den Angehörigen.
„Kappel ist die Hex, und die Hex ist Kappel", so ein Zitat von Kappelrodecks Bürgermeister Stefan Hattenbach vor den Mitgliedern des Winzerkeller Hex vom Dasenstein. ,,Kappelrodeck, die Heimat der Hex vom Dasenstein", lautet einer der Kappler Werbeslogans, und schließlich: ,,Ludder Kappler Hexe", ist der bekannte Schlachtruf anlässlich der fünften Jahreszeit in der Fasnachts-Hochburg Kappelrodeck. Das sind nur einige Beispiele dafür, welchen regionaltypischen Stellenwert die Sagengestalt ,,Hexe" im Achertal einnimmt. Dabei hat die eine Hexe - Wein - mit der anderen, der fasnächtlichen Hexe, gar nichts zu tun. Die wechselvolle und interessante Geschichte im Erscheinungsbild der „Hex vom Dasenstein" steht im Folgenden im Mittelpunkt meiner Betrachtungen. Zunächst gilt es doch den Urheber des Namens „Hex vom Dasenstein" für den Kappler Wein zu würdigen. Es war der erste Vorsitzende der 1934 gegründeten Kappelrodecker Winzergenossenschaft, Hermann Jülg vom Freiamt, der nach der Genossenschaftsgründung die geniale Marketing-Idee hatte, aus der Sage der Hex vom Dasenstein heraus den hiesigen Weinen einen Namen zu geben. Er hat sich einem weiteren „Namenspfund" in der Gemeinde, dem „Schloss Rodeck", das als Namensgeber analog dem französischen „Chateau" ebenfalls im Gespräch war, nicht gebeugt und schuf mit der „Hex vom Dasenstein" etwas, was man heute als Name mit einem hohen „Alleinstellungsmerkmal" bezeichnet.
Der legendäre Name „Hex vom Dasenstein" war geboren und
dafür sind ihm die nachfolgenden Generationen ewig dankbar.
Das vielberichtete Auftreten des leibhaftigen Teufels 1533 in Schiltach, gefolgt von einem katastrophalen Stadtbrand und
der Hinrichtung einer „Hexe", beschäftigte die Menschen über das 16. Jahrhundert hinaus. Nicht nur, dass der „Teufel von
Schiltach" redensartlich wurde, den man zitierte, ,,so man von einer erschrockenlichen Tat sagen will". Auch verschiedenste
Autoren griffen den Fall auf: Verfasser von „Neuen Zeitungen" und Wunderzeichenbüchern, Chronisten, Theologen, nicht
zuletzt Dämonologen, die Befürworter der Hexenlehre, für die er ein gut verbürgtes Exempel des Wirkens des Bösen war. Im
19. Jahrhundert historisiert, wurde er zur Spukgeschichte aus alter Zeit, der sich Sagensammler, Literaten, Künstler, Schöpfer
von Fasnachtsmasken, schließlich auch Geschichts- und Hexenforscher annahmen.
Beschäftigt man sich mit der Geschichte der Gastwirtschaften im Schwarzwald, so begegnet
einem immer wieder der Begriff der „Großen Zehrung". Für alle Beteiligten war es selbstverständlich, um welche Art von Zehrungen es sich dabei handelte. Traten bestimmte Ereignisse
im Leben der Gemeindebewohner ein, so wurden diese im Regelfall mit ausgiebigem Essen
und Trinken in einem Gasthaus begleitet. Eine umfassende Definition dieser Großen Zehrungen ist in einem Pachtvertrag, den Antoni Pfefferle mit dem Gotteshaus St. Trudpert wegen der
gemeinen Stubenwirtschaft im unteren Münstertal am 29. März 1740 abschloss, enthalten.
Darin hieß es u.a.: ... soll er, stuben würth die recht- und gerechtigkeit dieser gemeinen stuben
in fleißiger obacht nehmen, und sorgen, damit nemblich alle hochzeiten, Kindts Täuffenen,
Tausch, sowohl holz als andere sachen betreffende Käuff und Verkäuff auch ... alle gemeinen
rechnungen, Monatsgelt ... freffelgerricht in Summa alle gemeinen anschläg, und Theilungen
auf der gemeinen stuben, und sonst in keinem anderen wirthshaus gehalten und tractiert werden. Zu den Anlässen für Große Zehrungen gehörten demnach: Hochzeiten, Kindstaufen,
Tauschvereinbarungen und bedeutende Käufe bzw. Verkäufe. Andere Akten ergänzen diese
Liste um weitere Anlässe: Eheabreden, Hofteilungen, Beerdigungen. Sie alle waren mit der
Abhaltung von Mahlzeiten verbunden, welche unter den Begriff der „Großen Zehrung" fallen.
Gemäß dem oben zitierten Pachtvertrag mussten in Untermünstertal alle diese Zehrungen in der
Stubenwirtschaft abgehalten werden. Andere Gasthäuser waren davon ausgeschlossen. Außerdem enthielt dieser Pachtvertrag die Bindung, dass alle mit der Gemeindeverwaltung zusammenhängenden Anlässe und Zehrungen in diesem Gasthaus abgehalten werden mussten.
Bacchanalien hinter Klostermauern? Zugegeben: Das klingt reißerisch, aber es gab sie wirklich
im 18. Jahrhundert, die fastnächtlichen Bacchanalien in den Klöstern (Abb. 1). Freilich waren
sie in der Regel nicht so skandalös, wie der heutige Gebrauch des Begriffs ,Bacchanal' vermuten
lässt, der - von den tumultuarisch wilden Bacchusfeiern zu Ehren des römischen Weingottes
übernommen - ein wüstes Trinkgelage bezeichnet. Aber sie brachen immerhin so sehr aus dem
mönchischen Alltag aus, dass Philipp Jakob Steyrer, von 1749 bis 1795 Abt in St. Peter, sich
in seinem Tagebuch von Jahr zu Jahr mehr über die Störung der Klosterordnung an Fastnacht
erregte und sich ein Konflikt zwischen ihm und seinen fastnachtsfreudigen Patres anbahnte.
Durch Abt Steyrers Diarium, das Tagebuch seines Nachfolgers Ignatius Speckle (reg. 1795-
1806) und die Tagebücher der St. Märgener Äbte Andreas Dilger (reg. 1713-1736), Petrus Glunk
(reg. 1736-1766) und Michael Fritz (reg. 1766-1781) lässt sich gut veranschaulichen, wie damals
in den Klöstern die als ,Bacchanalien' bezeichneten Fastnachtsfeiern begangen wurden. Dabei
kommen ernste und zum Teil auch kuriose Interna aus dem Klosterleben ans Licht, zudem spiegeln sich in den Veränderungen der Klosterfastnacht im 18. Jahrhundert die äußeren Geschicke
der Abtei St. Peter wider. Zugespitzt könnte man sagen: Auch an der Speisekarte der Bacchanalien lässt sich die Geschichte der Abtei von ihrer Blütezeit bis zur Säkularisation ablesen.
Ein Wetterläuten in Wiesloch
(2005)
Unwetter jeder Art stellten für die Menschen in früherer Zeit eine extreme existenzielle
Bedrohung dar. Hagelschauer konnten eine ganze Ernte vernichten und damit
den Menschen ihre Lebensgrundlage rauben. Durch Blitzschläge verursachte
Brände äscherten oft ganze Siedlungen ein. Kein Wunder also, dass die Menschen
nach Maßnahmen suchten, die sie vor den Folgen von Unwettern schützen sollten.
Diese Bräuche unterschieden sich oft je nach Region. Die am weitesten verbreitete
Schutzmaßnahme war das Wetterläuten. Nach altem Aberglauben waren Unwetter
Hexen- oder Teufelswerk. Dem wollte man die Macht geweihter Glocken entgegen
setzen. In schriftlichen Überlieferungen lässt sich das Wetterläuten etwa seit dem
14. und 15. Jahrhundert nachweisen. Auch für den Kraichgau gibt es ein interessantes
Dokument zu diesem Thema.
Die Feuerwaffen der mehreren hundert Württemberger Angreifer brachten einst mit dem
13. Januar des Jahres 1633 Bedrohung, Verwüstung und auch Tod über die Stadt Villingen. Am
ersten Tag waren es 293 Kugeln, die vom Hubenloch auf die Stadt abgeschossen wurden, tags darauf waren es 487, die Granaten nicht gerechnet,
und schließlich fielen 100 Kugeln und 32 Granaten in die Stadt, „ohne jedoch wunderbarerweise großen Schaden anzurichten. Zum großen Teil fielen die
Granaten in die Wasserbäche und in den Stadtgraben,
wo sie explodierten“, so die Überlieferung.
Grausam grinsen Rübengeister - ist erst aller Seelen Tag gekommen: Christen in Erwartung der Endzeit
(2004)
War die Ernte eingebracht und mussten nur noch die Runkelrüben aus dem Boden gezogen werden. nahte für die Jugend im Herbst mit seinen frühen Nächten eine Zeit. die ihr ein besonderes Vergnügen bescherte: Die Knaben vor allem, die schon zur Schule gingen, " beschafften" sich Rüben auf ihre Weise: "Es war Ehrensache. daß man sich dazu die Angesa (= Runkelrüben) nicht irgendwo erheischte, sondern klaute: Angesa klämma und in Sack iiaschtämma."
Diese Abhandlung soll nur einen groben Überblick vermitteln. In unzähligen Orten sind alte Fasnachtsgruppen vorhanden und viele neu entstanden. Es würde diesen Rahmen sprengen, auf alle einzugehen. In den vergangenen Jahren hat sich die Deutung der Fasnet und deren geschichtlichen Hintergrundes total verändert, die Wissenschaftler und Volkskundler haben unsere bisherigen und seit rund 100 Jahren herrschenden Meinungen in den Bereich der Fabel verwiesen. Worum ging es und
wie sah die bisherige Deutung aus: Man unterstellte im gesamten schwäbisch-alemannischen Raum, dass die Fasnacht nicht nur historische Wurzeln hat, sondern auch heidnische. Im wesentlichen war hier von der Beschwörung der Naturgeister und der Naturgewalten die Rede, wobei diese hauptsächlich in der Vertreibung des Winters bestand.
Zur ständischen Festkleidung, der sogenannten
„Tracht“ wie wir heute sagen, gehörte auch in der
ehemaligen Reichsstadt Villingen bei höheren
Ständen sowie bei Bürger- und Bauersfrauen die
entsprechende Kopfbedeckung.
Das Bedecken des weiblichen Kopfes gehörte
seit altersher zum Normverhalten des weiblichen
Geschlechtes, eingeführt von den Männern zur
optischen Verschließung der Frau. Schreibt doch
schon der Apostel Paulus im Brief an die Korinther
(11/5–7): „… jede Frau dagegen, die betet oder aus
Eingebung redet mit unverhülltem Haupt, entehrt
ihr Haupt …, denn wenn eine Frau sich nicht verhüllt, so lasse sie sich auch das Haar abschneiden …, denn der Mann ist das Abbild und
Abglanz Gottes, die Frau ist aber der Abglanz des
Mannes.“ Aus diesem Tuch, der den Kopf bedeckte, entwickelte sich im Laufe der Zeit der
mittelalterliche „Schlayer“, aus diesem wiederum
eine gebundene Form, die „Gebende“, wie sie uns
auf Bildwerken und Statuen (Uta v. Naumburg)
überliefert ist.
Eine Fasnet, die schon Jahrhunderte alt ist, der
Verein aber erst 125 Jahre besteht. Warum diese
Divergenz?
Es ist nachgewiesen, dass die Villinger Fasnet bis
ins Jahr 1494 zurückreicht. Damals hielt am 13.
Februar Franziskanerpater Johannes Pauli vor den
Nonnen des Bickenklosters eine Predigt, die niedergeschrieben ist und somit auch der Nachwelt
erhalten blieb. Darin taucht zum ersten Mal für
Villingen das Wort Fasnet auf und das gleich mehrfach! Diese Originalaufzeichnungen befinden sich
heute in der Berliner Staatsbibliothek.
Glaube und Aberglaube sind dem Menschen wesenhaft und was den Aberglauben betrifft, eine verborgene Erscheinung die man nicht zu Markte trägt. Aufklärerische Vernunft und moderne elektronische Kommunikation wie Fernsehen und Internet vermochten wenig zu ändern. So ergab eine repräsentative Forsa-Umfrage, dass eine Mehrheit von Frauen und Männern in Deutschland an übersinnliche Kräfte und Erscheinungen glaubt, zu denen auch Geisterkontakte gehören. Wir entfernen uns also nicht aus der Zeit, wenn wir die schicksalsträchtigen Legenden, Mythen und düstere Phantasien als realen Teil des Volksglaubens
zur Kenntnis nehmen. Auch heute noch gibt es Bevölkerungskreise die sich als Eingeweihte in vermeintliche Geheimlehren verstehen.