920 Biografien, Genealogie, Insignien
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Otto Ehrlich (1909–1971) schloss sein Medizinstudium in Heidelberg im Dezember 1936 mit dem Staatsexamen ab. Bald darauf reichte er seine Dissertation ein und bestand die Doktorprüfung, doch der Erhalt des „Diploms“ war zu diesem Zeitpunkt keine Selbstverständlichkeit mehr. Ehrlich musste vielfältige Anstrengungen unternehmen und bürokratische Hürden überwinden, „um das Doktordiplom zu erhalten, da dies für mich für meine Auswanderung von lebenswichtiger Bedeutung ist“. Seine Bemühungen spiegeln sich in umfangreicher Korrespondenz und führten letztlich zum Ziel. Exemplarisch zeigen die von uns bearbeiteten Dokumente die sich verstärkenden Einschränkungen für jüdische Promovierende, die detaillierte bürokratische Regulierung und die verschiedenen Stellen, die mit dem Anliegen zu befassen waren – diese reichten von der Ebene der Universität mit Dekanat und Rektorat über das Badische Ministerium für Kultus und Unterricht in Karlsruhe bis zum Reichserziehungsministerium. Bürokratische Spielräume auf lokaler Ebene scheint es aufgrund
der direkten Kontrolle durch das Reichsministerium im Einzelfall kaum gegeben zu haben. Dennoch stellt sich die Frage nach der Umsetzung der Vorgaben an der Heidelberger Medizinischen Fakultät. Welchen Einfluss hatten die beteiligten Ministerien und die verschiedenen Ebenen der Universitätsverwaltung? Handelten sie streng nach Vorschrift? Versuchten sie, eigene Handlungsimpulse umzusetzen, entweder
um den Betroffenen zu helfen oder um die Aushändigung des Doktordiploms zu verhindern? Wir gehen den genannten Fragen an zwei Beispielen nach. Zunächst stellen wir kurz die Entwicklung der Gesetzeslage dar, um dann die „Fallgeschichten“ von Otto Ehrlich und Lore Hirsch einordnen zu können.
Im Juni 1940 geht bei dem „Herrn Obmann der Rechtswissenschaftlichen Fakultät Heidelberg“ das vom 11. Juni 1940 datierende Schreiben des Oberbürgermeisters Dr. Otto Gönnenwein in Schwenningen am Neckar ein, mit dem dieser um „Zulassung zur Habilitation an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät“ nachsucht. Dem Gesuch sind beigefügt ein ausführlicher Lebenslauf, ein vorläufiges Zeugnis der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen über die Erlangung der juristischen Doktorwürde, der wissenschaftliche Aufsatz „Das Normenprüfungsrecht der Verwaltungsbeamten und die Grenzen der Gehorsamspflicht“ sowie als Habilitationsschrift das Buch „Das Stapel- und Niederlagsrecht“.
Eine der drängenden Fragen, mit denen sich Karl Siegfried Bader unmittelbar nach
Kriegsende auseinandersetzte, war die einer Nachbildung und Nacherziehung, ja
überhaupt einer Wiedererziehung der im nationalsozialistischen Ungeist herangebildeten Juristen. Wie konnte hier eine "Abkehr vom juristischen Banausentum ",
wie eine Wiedergewinnung rechtlichen Denkens gelingen? Den angehenden Richtern, Staat - und Rechtsanwälten müsse klar gemacht werden, so Baders Folgerung,
" dass mit der formalen Handhabung juristischer Technik, mit dem gedächtnismäßigen Einprägen von Rechtssätzen und mit einer gewissen Fertigkeit in der rechtlichen Subsumption nichts getan ist. ( ... ) Es handelt sich nicht darum, dass der Jungjurist neben seinen Gesetzeskenntnissen auch Daten aus der deutschen Geschichte
kennt und eine halbwegs brauchbare Vorstellung von den politischen Verhältnissen
hat. Entscheidend ist vielmehr, dass der junge Jurist durch die juristischen Denkformen hindurch möglichst rasch und möglichst tief zu den Grundwahrheiten der
Humanität, der Caritas und der inneren, nicht nur der formalen Legalität durchdringt." Der gute Jurist sei eben mehr als ein Jurist mit gutem Fachwissen und
gewissen Fertigkeiten.
Die Häß ist ein ausgesprochen schwatzhaftes, vorlautes Weib, die über alles zu meckern und zu kritisieren hat und vom Nationalsozialismus nicht das Geringste wissen will. Genau so steht es im Original des Ermittlungsberichts der Geheimen Staatspolizei vom 1. Juli 1942 an den Oberstaatsanwalt beim Sondergericht in Freiburg. Wenige Tage zuvor, am 16. Juni 1942, hatte die damals 49-jährige Gast- und Landwirtin Lina Häß aus Ottenheim in einer Gastwirtschaft im elsässischen Erstein bei der Ankündigung einer Sondermeldung des Oberkommandos der Wehrmacht mit einer abweisenden Handbewegung folgende Äußerung gemacht: Ach was, es ist ja doch nicht wahr, was gesagt wird. Johann Klumpp, ein Oberwächter der Festungsdienststelle Karlsruhe und vermutlich ein überzeugter Nationalsozialist, hatte den Ersteiner
Gendarmerieposten über den Vorfall unverzüglich fernmündlich informiert. Lina Häß wird festgenommen und am 26. August 1942 vor dem Sondergericht Freiburg wegen eines Vergehens nach dem „Gesetz gegen heimtückische Angriffe auf Staat und Partei und zum Schutz von Polizeiuniformen“ angeklagt. Nicht einmal drei Monate nach „der Tat“, am 10. September 1942, wird sie vom Sondergericht Freiburg zu einer Gefängnisstrafe von neun Monaten ohne Bewährung verurteilt.
Am 16. August 1942 erhielten Adolf und Pauline Besag aus der Freiburger Erbprinzenstr. 8 ein
Einschreiben aus Karlsruhe von der Bezirksstelle Baden-Pfalz der Reichsvereinigung der Juden
in Deutschland (RJD): Auf behördliche Weisung eröffnen wir Ihnen, dass Sie zur Teilnahme
an einem am Samstag, den 22. August 1942 von Karlsruhe abgehenden Abwanderungstransport
bestimmt sind. Wir bitten Sie, die nachstehenden Anweisungen genau durchzulesen
und zu befolgen und in Ruhe die Vorbereitungen für Ihre Abreise zu treffen. Sie werden nach
Möglichkeit im Laufe der nächsten Tage von einem unserer Mitarbeiter aufgesucht, der Ihnen
mit Rat und Tat zur Seite stehen wird. Anträge auf Befreiung von der Teilnahme am Abwanderungstransport
sind zwecklos. Wir bitten daher, hierwegen weder schriftlich noch mündlich an
uns heranzutreten. Auch die Einreichung ärztlicher Atteste muss unterbleiben. Dass Anträge
an Behörden ohne Einholung einer Auskunft bei uns unzulässig sind, ist unseren Mitgliedern
bekanntgegeben worden. Sie müssen sich in Ihrer Wohnung am 21. Augustabreise bereithalten [...].
Bootsflüchtlinge 1939
(2016)
Am 13. Mai 1939 stach das Transatlantik-Passagierschiff „St.
Louis“ der Hamburg-Amerika Line (Hapag) in Hamburg in See.
An Bord waren über 900 Juden. Unter den Passagieren war –
neben 21 noch jüngeren Kindern – auch die 4-jährige Sonja
Maier aus Malsch bei Ettlingen. Es sollte keine lustige Seefahrt
werden.
Sonja Maier war die Tochter von Ludwig Maier (geboren am
19. August 1901) aus Malsch bei Ettlingen und Freya Valfer
(geboren am 29. Mai 1910) aus der Poststraße 2 in Kippenheim.
Die Hochzeit der beiden fand am 15. Januar 1933 im Wohnort
der Braut statt – es sollte die letzte Eheschließung unter der
Chuppa in der Kippenheimer Synagoge sein.
Vortrag anlässlich des 150-jährigen Jubiläums
der Kolpingfamilie Ettlingen am 10.
Januar 2008
Wie müssen sich Christen verhalten, wenn
die Gesellschaft in Rechtlosigkeit, Gewalt und
Terror versinkt, wenn Parteien sich des Staats
bemächtigen, die Familien entzweit und der
Glaube bedroht wird? Welche Lehren ziehen
wir aus dem Verhalten der Generation, die das
so genannte Dritte Reich erdulden musste?
Am Beispiel der badischen Stadt Ettlingen
– einer kleinen Insel des geführten Widerstands
im braunen Meer der 30er Jahre – sollen
einige Antworten auf diese Fragen gegeben
werden, die wohl ein ewiges Thema für uns
Deutsche bleiben werden.
Geführter Widerstand?
Das Judengrab von Steinach
(2017)
Wie kommt die Ruhestätte eines Juden auf einen christlichen Friedhof? Steinach war in seiner langen Geschichte nie Heimstätte von Angehörigen mosaischen Glaubens. Außerdem bestatteten die Juden ihre Toten traditionsgemäß auf Sammelfriedhöfen außerhalb christlicher Siedlungen. Nachforschungen im Archiv der Gemeinde bestätigten die Existenz eines Juden: Nikolaus Klein, 22 Jahre, geboren in Bukarest, gestorben in einem Transportzug am 5. März 1945. Handschriftlich hat
jemand nach Ende des Krieges die wenigen Angaben in die Lageskizze der Ehrengräber eingetragen. Vom Internationalen
Suchdienst in Bad Arolsen liegt eine Bestätigung vor. Damit konnte zweifelsfrei ausgeschlossen werden, dass Nikolaus Klein
nicht zu den Häftlingen der drei Haslacher Außenlager des KZs Natzwiller-Struthof im Elsass gehörte. Zeitzeugenberichte untermauerten das Ganze zusätzlich. Seinen Weg in die Vernichtung nachzuzeichnen, gestaltete sich indessen viel schwieriger.
Auf einer Tagung im März 2010 in Bad Herrenalb, bei der der „Fall“ des „nichtarischen“ Pfarrers Kurt Lehmann (er zählte nach den Gesetzen des NS-Staates als „Halbjude“) eine besondere Rolle spielte, kam es immer wieder zur Frage der Kontinuität im Verhalten der Badischen Landeskirche in ihrer Haltung zum NS-Staat bis 1945 und, damit in unmittelbarem Zusammenhang stehend, der anschließenden Auseinandersetzung der Landeskirche mit ihrem Verhalten (und ggf. einem etwaigen Versagen) gegenüber den Übergriffen des NS-Staates. Symptomatisch für das Verhältnis der Kirche zu einer etwaigen Schuld schien dabei ihre Handlungsweise gegenüber den „nichtarischen“ Pfarrern Ernst (Vater) und Kurt Lehmann (Sohn) zu sein.
Am Karfreitag 1945 verhaftete eine Volkssturmeinheit unweit von Bad Rippoldsau, das unterhalb des Kniebismassivs liegt,
zwei Flüchtlinge: zwei junge Menschen, welche die Not der Zeit in die Welt hinausgeworfen hatte, wo sie versuchten, ihr
Leben zu retten. Doch sie trafen auf den SS- und SD-Führer, SS-Totenkopfringträger, SS-Ehrendegenträger und „Inhaber des
SS-Julleuchters", den zeitweiligen NSDAP-Ortsgruppenleiter von Wolfach, Karl Hauger, der seines Zeichens - sozusagen
neben seinen unzähligen NS-Parteibeschäftigungen - auch noch Forstamtsleiter des Staatlichen Forstamtes II in Wolfach,
der damals für Bad Rippoldsau zuständigen Forstbehörde, war. Ein Mann, der seine Unterwürfigkeit zu Partei und Staat auch
durch die Tatsache zum Ausdruck brachte, dass er nicht etwa, wie damals noch weithin üblich, im Frack und Zylinder zum
Traualtar schritt: Der Forstmann heiratete 1934 auch nicht, wie eigentlich zu erwarten gewesen wäre, in Forstuniform, sondern
in der schwarzen Uniform der SS. Karl Hauger, im Volksmund von manchen noch heute der „kleine Hitler von Wolfach" genannt, war sich selbst nicht zu schade dafür, sich eigenmächtig zum Richter zu erheben und zum Hinrichter zu erniedrigen.