920 Biografien, Genealogie, Insignien
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Bei Recherchen zu meinem Buch über das Leben einer Sintiza im Zusammenhang mit der Geschichte der Sinti stieß ich im Bundesarchiv auf ein Foto von Karl Müller, dem bedeutenden Freiburger Fotografen (1901-1980). Im Zentrum steht rechts ein freundlich, fast verlegen lächelnder deutscher Soldat, der möglicherweise gerade etwas zu seinem Gegenüber auf der
linken Seite sagt. Die Frau, mit der er spricht, hält ihm ihre Hand mit einer auffordernden Geste hin. Ein Armband schmückt ihren rechten Arm. Ihre Haare sind von einem Kopftuch verdeckt, unter dem noch eine Haarlocke hervorschaut. Sie trägt ein großes, reich verziertes Schultertuch. Hinter ihr steht eine Frau mit einem gleichartigen Kopftuch. Ihr Gesicht sieht man nicht, nur einen Ohrring und ein Hals- oder Schultertuch. Rechts im Bild schaut ein Kamerad mit Brille amüsiert zu. Etwas distanziert beobachten zwei junge Frauen die Szene. Sie wirken erwartungsvoll, wie der Soldat reagieren wird. Beide sind in einer Tracht gekleidet, die sich völlig von derjenigen der Frauen am linken Bildrand unterscheidet. Im Hintergrund steht ein Bub an einer Absperrung, auf die sich links dahinter ein großer Mann stützt. Die Absperrung zieht sich rings um einen Platz herum, Verzierungen hängen von oben herunter. Handelt es sich um einen Rummelplatz? Weiter hinten sind noch Häuser zu erblicken, teilweise mit einer Beschriftung angeschrieben, die aber nicht zu entziffern ist.
Ist Fotografie Kunst? Diese Diskussion ist wohl abgeschlossen. Niemand, der sich ernsthaft mit dieser Gattung beschäftigt, wird diese Frage verneinen können. Den Gegenargumenten ist inzwischen einfach die Luft ausgegangen. Fotografie und Malerei?Dies ist die sehr viel spannendere Diskussion. Schon Walter Benjamin machte darauf aufmerksam, daß man nicht nur die Frage untersuchen müsse: welchen Einfluss hat die Malerei auf die Fotografie, sondern auch: wie verändert die Fotografie die
Malerei? Es gibt inzwischen soviele Bücher, Abhandlungen, Ausstellungen zu diesem Thema. Sie kennen sicher vieles davon. Ich möchte nur einen Aspekt herausheben, der mir im Zusammenhang mit den Fotografien von Bernhard Strauss wichtig erscheint.
Sie waren die „Pioniere der Leica", der legendären Kleinbildkamera, und
hatten sich durch Zufall gefunden: Dr. Paul Wolff aus Mühlhausen im
Oberelsass und der Offenburger Alfred Tritschler. Ihr Archiv mit einem
Negativbestand von ca. 500 000 Aufnahmen hat die Wirren der Zeit überstanden und existiert heute noch in Offenburg, dem letzten Sitz der gemeinsamen Firma. Von 1927 bis 1960 datieren diese Schwarzweiß-Bilder:
Ein einmaliger, kostbarer Bestand an visueller Erinnerung befindet sich damit in der Ortenau. Längst haben die Namen der beiden Fotografen Geschichte gemacht. In keinem Handbuch über Schwarzweiß-Fotografie fehlen sie. Und bis heute kommen Anfragen nach Ausstellungen in Offenburg
an. Im Frühjahr 2001 beispielsweise zeigte die Leica-Gallery in New York
eine Retrospektive mit Aufnahmen von Paul Wolff „Fifty Years after his
death".
Unter denen, die 1933 oder später ihr deutsches Vaterland verließen, sich vor den neuen Herren in Sicherheit zu bringen
suchten, waren auch Photographen, meist jüdische Photographen, deren Namen man schon kannte oder noch kennen lernen sollte. Unter ihnen waren Alfred Eisenstaedt, der in die USA entwich; Gisèle Freund, die nach Paris ging; Andrei Friedmann, der dasselbe tat und sich dann Robert Capa nannte; Helmut Gernsheim, der in London unterkam; Kurt Hübschmann, dem unter dem Namen Hutton dasselbe gelang; Erich Salomon, der sich in Holland verbarg, bis er von den anderen Deutschen aufgespürt
und im KZ umgebracht wurde; und Felix H. Man.