940 Geschichte Europas
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Die wirtschaftliche Entwicklung ist im Mittelalter von der Zeit des
Städtewesens weg, d. h. vom 11. Jahrhundert an, in entscheidender Weise
von der Industrie beeinflußt worden.[...]
Das deutsche Wirtschaftsgebiets des Mittelalters seinerseits
entsprach in seiner industriellen Leistung durchaus der Gestaltung in
ganz Europa. Es hat ebenfalls wohl in allen seinen Landschaften Industrien
von mehr als landschaftlicher Bedeutung aufgewiesen, dagegen sehr wenig
Industriezweige von wirklich gemeineuropäischer Bedeutung und ebenso
wenige wirkliche Industriebezirke.[...]
Umreißen wir nun den Bereich der Bodenseeleinwand näher:
Er hat in der heutigen Schweiz etwa die Kantone St. Gallen, Appenzell und
Thurgau sowie die angrenzenden Teile von Schaffhausen und Zürich umfaßt.
Rapperswil, Winterthur und wohl auch Schaffhausen sind hier die
westlichsten Punkte des eigentlichen Leinwandgebiets.
Wie für die allgemeine Agrar- und Wirtschaftsgeschichte des Mittelalters,
so hat auch für die Erforschung der agrarischen Verhältnisse des
Elsaß seit langem die Frage nach der wirtschaftlichen Lage der Bauern
und ihrer sozialen Stellung im Vordergrund des Interesses gestanden. Es
ist die Belastung der bäuerlichen Bevölkerung durch Abgaben und Dienste
an die Herren, das Besitzrecht an Grund und Boden in seiner Bedeutung
für die wirtschaftliche Lage der Bauern, das die Untersuchungsrichtung bestimmte.
Und aus dieser Blickrichtung auf die Belastung der Bauernwirtschaft
erklärt sich die Einbeziehung aller anderen Abgaben und Leistungen
öffentlich-rechtlicher und herrschaftlicher Natur in die Untersuchung, die an
und für sich mit den grundherrschaftlichen Verhältnissen und der agrarischen
Produktionsordnung im engeren Sinn nichts zu tun hat. So sehr der
Agrarhistoriker die Rechts- und Verfassungsinstitutionen mit heranzuziehen
hat, so ist gerade auf dem Boden der elsässischen Agrargeschichte bei den so
unendlich komplizierten verfassungsgeschichtlichen Verhältnissen eine Vermengung
von wirtschaftlicher Produktionsordnung und ihren Institutionen
mit der Rechts- und Verfassungsordnung von ganz besonderem Übel.
Die wichtigste Grundlage für das Verständnis der Sonderstellung unseres
kleinen aber traditionsreichen Landes im fernen Westen Österreichs ist ohne
Zweifel die Besiedlungsgeschichte. Sie wirft Licht auf die Eigenheiten aller
Lebensgebiete, angefangen vom Volkscharakter über die geistige Kultur zur
Wirtschaft und sogar bis zur selbständigen politischen Entwicklung. Dem
mittelalterlichen Landesausbau kommt im Werdegang Vorarlbergs ganz besondere
Bedeutung zu, wobei gewiß die älteren, in Jahrtausenden herangereiften
Anlagen nicht vernachlässigt werden dürfen. Diesen Ausbau darzustellen
ist freilich angesichts der bei weitem noch nicht lückenlosen wissenschaftlichen
Bearbeitung nicht einfach, und es ist auch vom Verfasser im
Folgenden nicht mehr zu erwarten als ein kurzer, orientierender Überblick
auf die wichtigsten Phasen, Räume und Probleme der Besiedlung.
Von der kulturellen Leistung des Elsaß im Mittelalter zeugen heute noch
- jedermann verständlich und eindrücklich genug - eine Fülle von Baudenkmälern
im ganzen Lande. Von ihr berichten schriftliche Zeugnisse in
langer Reihe ebenso unmißverständlich. So ist man sich denn auch allgemein
bewußt, daß das Elsaß im Mittelalter ein reiches und blühendes Land, ein
Kerngebiet des deutschen kulturellen und künstlerischen Lebens war, vom
Frühmittelalter weg bis weit über die Reformationszeit hinaus. Weniger
bekannt und kaum gewürdigt ist die wirtschaftliche Leistung des Elsaß im
Mittelalter. Und doch ist es klar, daß die kulturelle Blüte nur in einem
wohlhabenden Lande möglich war und daß der Wohlstand nur durch entsprechende
wirtschaftliche Leistungen geschaffen werden konnte. Wo haben
wir diese zu suchen?
In großen Zügen ist der Gang der alemannischen Besiedlung der Nordostschweiz
aus der bereits bestehenden Literatur bekannt. Wenn daher versucht
werden soll, im Folgenden diesen Vorgang nochmals zu schildern, hat
dies verschiedene Gründe.
Zusammen mit der Verarbeitung der vorhandenen Literatur möchten wir
von der geographischen Seite her und unter Berücksichtigung der geographischen
Faktoren zur Lösung der zahlreichen Probleme beitragen, die sich in
einer alten Kulturlandschaft ergeben. Das Studium der Entwicklung der
Kulturfandschaft ist eine der vornehmsten Aufgaben der Geographie. Sie hat
sich dabei auf die Ergebnisse zahlreicher Spezialgebiete zu stützen, die sehr
oft unsicher sind und sich noch häufiger widersprechen. Gleichzeitig wird eine Übersicht über den heutigen Stand der Kenntnisse möglich sein. Andererseits
sind wir uns bewußt, daß auch unsere Darlegungen nicht vollständig sein
können und wohl auch in einzelnen Punkten Widerspruch finden werden.
Wenn aber dadurch die Problematik des alemannischen Siedlungsvorganges
neu ins Blickfeld gerückt wird oder gar Nachbarwissenschaften angeregt
werden, die Verhältnisse genauer abzuklären, ist bereits viel gewonnen.
Im Jahre 1886 erschien zur fünften Säkularfeier der Schlacht bei Sempach
ein umfangreiches Werk, das im Auftrage der Luzerner Regierung der Staatsarchivar Theodor von Liebenau herausbrachte. Das umfangreiche Werk
schildert vorerst knapp auf 97 Seiten die Schlacht, die sich am 9. Juli 1386
ob Sempach abspielte. Was aber den Wert dieser Arbeit ausmacht, das sind
die über 200 edierten Chronikstellen und Annalen, die über die Schlacht und
vor allem über die Gefallenen Aufschluß geben. Darauf folgen 70 einschlägige
Stellen aus Jahrzeitbüchern, 20 Lieder und Gedichte zur Schlacht und noch
eine große Menge weiterer wichtiger Materialien. P. X. WEBER hat 1936 eine
Bibliographie der Literatur über die Sempacher Schlacht mit hunderten von
Titeln zusammengestellt. Mir ist keine Schlacht des Mittelalters bekannt, die
ein so umfangreiches und maßgebliches Material zu Tage gefördert hätte.
Der schweizerische Kanton Freiburg ist aus einer Stadt hervorgegangen, die
mit der Stadt Freiburg im Breisgau durch mancherlei geschichtliche Beziehungen
verbunden ist. Beide verdanken dem gleichen Fürstengeschlecht Entstehung
und Stadtrecht. Sie gehören zur gleichen Städtefamilie und tragen den
gleichen Namen. Beide sind Bischofsstädte, beide sind stolz auf ihre Hochschule,
hier auf eine altehrwürdige, dort auf eine junge. Früh jedoch sind beide Städte
in ihrer Entwicklung eigene Wege gegangen, so daß sie heute nicht mehr viel
Gemeinsames haben. Durch nichts unterscheidet sich Freiburg im Üchtland
mehr von Freiburg im Breisgau - wie übrigens von allen andern Städten
namens Freiburg (Freiburg in Lothringen, Freiburg an der Unstrut in Thüringen,
Freiburg an der Polsnitz in Schlesien und Freiburg nahe der Elbemündung)
- als durch die eigenartigen Sprachverhältnisse, die manchem fremd und
sonderbar erscheinen mögen. Ähnlich wie das Verhalten eines Menschen durch
sein Erbgut und seine Umwelt weitgehend begreiflich erscheint, werden diese
Eigentümlichkeiten erst aus der Geschichte dieses Staatswesens, eines Schweizer
Kantons, verständlich. Wir müssen deshalb zu den gemeinsamen Anfängen
hinabsteigen und diesem Bericht eine kurze geschichtliche Einführung vorausschicken.
Wer heutigentags von Besancon aus das malerische Tal des Doubs hinauffährt
und dann bei Voujeaucourt den Fluß verläßt, um in das flache
Mömpelgarder Hügelland einzubiegen, wird rasch gewahr, daß sich nicht nur
die natürliche Landschaft ändert. Auch die Kulturlandschaft zeigt fast unvermittelt
ein anderes Gesicht. Wenn eben in Burgund noch altertümliche Städtchen,
stille Dörfer, zerfallende Burgruinen den Weg säumten, so drängen sich
jetzt die größer gewordenen Siedlungen dicht an dicht. Kaum kann man zuweilen
unterscheiden, wo die eine endet, die andere beginnt. [...] Das Mömpelgarder Land ist im Lauf der letzten hundert Jahre einer der bedeutendsten
Industriebezirke Ostfrankreichs geworden. Inmitten all des
Neuen, vielfach rasch und unorganisch Gewachsenen, unter der Masse der von
auswärts zugezogenen Arbeiterbevölkerung, fällt es heute nicht leicht, die
geschichtliche Eigenart dieser Landschaft und ihrer eingesessenen Bewohner
aufzuspüren.
Als im 6. Jh. an Stelle der keltisch-romanisierten Bezeichnung von Argentorate
der Name Strateburgum auftaucht, ist dies gleichsam ein Symbol der Europäischen
Mission Straßburgs. Strateburgum, soviel wie die Burg an der Straße gelegen,
weist schon genügend auf das Schicksal und die Geschichte der Stadt hin.
Im Schnittbereiche der beiden großen Kulturkreise des Abendlandes, der im Mittelmeergebiet
entsprungenen römisch-keltischen und der im mittleren Europa
beheimateten germanischen Kultur, gelegen, wurde Straßburg zu einem Ort
materiellen und geistigen Austausches zwischen Westen und Osten. Deshalb
kannte es während seiner wechselvollen 2000-jährigen Geschichte wenig echte
Friedensperioden. Denn hier am Oberrhein führten die Wege der Vermittlung
und Verständigung vorbei, aber auch die Kampfstraßen der Heere.
Der Oberrhein im Mittelalter
(1995)
Das Thema eines Schwerpunktprogramms der philosophischen Fakultät der Universität
des Saarlandes lautete vor einigen Jahren: "Grenzregionen und Interferenzräume".
Das Forschungsziel war eine nähere Untersuchung des Problemkomplexes
'Grenzen und Grenzziehung' für den Raum Saarland-Lothringen-
Luxemburg. In Analogie zu dieser Problematik sollen hier für den oberrheinischen
Raum nun folgende Fragen erörtert werden: In welchem Maße war der
Oberhein zwischen Basel und Straßburg in mittelalterlicher Zeit eine natürliche,
eine politische, eine wirtschaftliche oder eine kulturelle Grenze?