940 Geschichte Europas
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Am 22. Juni 1914 schreibt der 77jährige Albert Helbing, Exzellenz und wirklicher Geheimrat und seit 1903 Präsident des
Evangelischen Oberkirchenrats der badischen Landeskirche, an seinen Schwager Heinrich Spengler: Ob für mich auch noch einmal eine kurze Zeit der Ruhe hienieden anbrechen wird? Ich sehne mich oft unaussprechlich danach. Aber es scheint fast, als ob mir dieses Glück nicht sollte beschieden werden. Vom 8.-16. d.M. war ich wieder in Eisenach, fand bei meiner Rückkehr viel Arbeit und Sorgen und stehe nun vor der Generalsynode, die voraussichtlich kein sonderliches Vergnügen aber jedenfalls eine große Anstrengung sein wird. Das ist nun die achte, die ich erlebe, die dritte als Präsident und diese zum
größten Teil [mit] neuen erstmals gewählten Mitgliedern. Indes – Deus providebit. Schon drei Jahre zuvor zeigte der damals 74jährige Amtsmüdigkeit und wollte zurücktreten. Aber seine Tochter schreibt ihm: Deinen Rücktritt würde ich in erster
Linie für Dich bedauern. Die Tätigkeit würde Dir doch sehr fehlen. Doch darüber werden wir jedoch miteinander reden. Offenbar hast Du wieder Unannehmlichkeiten haben müssen. Und so bleibt der greise Kirchenpräsident weiter im Amt in der Blumenstraße in Karlsruhe, dem sogenannten Roten Haus. Im Jahr 1907 hatte er den unter seiner Regie erbauten Dienst- und Wohnsitz der badischen Kirchenleitung bezogen. Seit 1906 verwitwet lebte er dort in unermüdlicher Tätigkeit, stets aufs äußerste bedacht, alle Fäden in der Hand zu behalten und die Zügel nicht zu verlieren. Einer seiner Gegner auf der Linken, der Mannheimer Pfarrer Ernst Lehmann, hat seine Amtszeit nach seinem Tod und nach dem Ende des Ersten Weltkrieges mit dem ambivalenten Begriff der „Ära Helbing“ gekennzeichnet, die an ihm hängen geblieben ist.
Kriegsereignisse in Ludwigsburgs Partnerstadt Jevpatorija/Krim während des Zweiten Weltkriegs
(2003)
Im Oktober 1994 reiste ich für eine Woche im städtischen Auftrag in Ludwigsburgs
ukrainische Partnerstadt Jevpatorija auf der Krim, um Informationen und Quellen
über die deutsche Besetzung der Stadt im Zweiten Weltkrieg zusammenzutragen.
Zwar gab es in Ludwigsburg bereits einige Hinweise, wonach während der deutschen
Besatzungszeit Einwohner Jevpatorijas erschossen wurden, doch waren diese Angaben zu vage, um sich ein konkretes Bild über die damaligen Geschehnisse machen
zu können. Aussagekräftige Unterlagen fanden sich schließlich im Stadtarchiv Jevpatorija und im Staatsarchiv in Simferopol. Die ermittelten Informationen flossen,
nachdem sie übersetzt worden waren, in eine vom Stadtarchiv Ludwigsburg konzipierte und im Mai 1995 im Ludwigsburger Kulturzentrum gezeigte Ausstellung zum
Kriegsende 1945 ein, die auch aufJevpatorija Bezug nahm. Zudem leitete ich die von
der Krim mitgebrachten Dokumente, darunter eine »Anklageschrift« einer sowjetischen Untersuchungskommission, weiter an die Ludwigsburger »Zentrale Stelle der
Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Gewaltverbrechen«. Dies führte
dazu, dass ein Ermittlungsverfahren u. a. gegen ehemalige Angehörige der deutschen
Sicherheitspolizei und Wehrmacht wegen Tötungsverbrechen während der deutschen
BesetzungJevpatorijas in den Jahren 1941 bis 1944 eingeleitet wurde. Allerdings stellte man später das von der Staatsanwaltschaft München übernommene Verfahren
wegen Mangels an Beweisen wieder ein.
Schloss Bruchsal
(2002)
In den ersten Kriegsjahren blieb die Stadt Bruchsal weitgehend von Fliegerangriffen verschont. Erst 1944/45 wurde der Luftkrieg für die Bruchsaler zu einer immer häufigeren Bedrohung. Beim vierten Bombardement des Jahres 1945, in der Nacht des 2. Februar, war erstmals auch die Bruchsaler Schlossanlage betroffen. Bei einem nur 30-minütigen Angriff wurde gegen 23 Uhr der Turm der Schlosskirche durch Brandbomben getroffen. Die Feuerwehr musste wegen der Gefahr durch herabstürzende Teile des brennenden Turmhelms auf Löschversuche verzichten und beschränkte sich auf die Sicherung der angrenzenden Gebäude. Nach dem Luftangriff blieb von dem wohl schönsten Kirchturm im südwestdeutschen Raum nur die ausgebrannte Hülle erhalten. An den Fassaden wiesen die Zeiger der stehen gebliebenen Turmuhr als Menetekel für den verlorenen Krieg auf fünf nach zwölf.
1926 empfahl die französische Kommission für die Grenzverteidigung ,,Commission de defense des frontieres" den Bau einer befestigten Verteidigungslinie gegen Deutschland. Vier Jahre später wurden die dafür nötigen Kredite in Höhe 2,9 Milliarden Franken von der französischen Kammer in Paris gewährt. Dies geschah auf Vorschlag des damaligen Kriegsministers Andre Maginot (1877-1932); so ging sein Name als „Ligne Maginot" in die Geschichte ein, obgleich der tatsächliche Urheber sein Amtsvorgänger Paul Painleve war. 1930 begannen die Arbeiten. 25.000 Zivil- und Militärpersonen wurden dafür eingesetzt. Bis zur (vorläufigen) Fertigstellung 1932 wurden allerdings weit mehr, nämlich 5 Milliarden Franken verbraucht. Die Bauarbeiten im Elsass entlang des Rheins, der ja eine natürliche Verteidigungslinie darstellt, beschränkte sich auf kleinere Bunker); in Schoenenbourg, gelegen zwischen Weißenburg und Hagenau, und in Hohwald inmitten der Vogesen wurden starke Befestigungen gebaut, besonders aber im nördlichen Elsass und Lothringen. Metz wurde Zentralort der Maginot-Linie und dadurch die größte befestigte Stadt der damaligen Welt!
200 Jahre Beresina
(2012)
In den Publikationen und Ausstellungen zum Jubiläum 900 Jahre Baden kommt die Erinnerung an die Schlacht an der Beresina vom November 1812, in der badische Truppen eine wichtige Rolle spielten, nur am Rande vor. Dabei steht die Entstehung Badens in engem Zusammenhang mit jenen Vorgängen: Die Teilnahme von badischen Rheinbund-Truppen in Napoleons Kriegen 1806 gegen Preußen und Russland, 1808 in Spanien, 1809 gegen Österreich und dann 1812 gegen Russland waren eine Folge, ja ein Preis für Karl Friedrichs Aufstieg zum Großherzog und die Konstruktion Badens in heutiger Größe. Dass Baden dann nach dem Untergang seines Protektors Napoleon nicht wieder zerschlagen wurde, verdankt es andererseits dem Einfluss des Siegers von 1812, Zar Alexander I. Die Historie jener Jahre, die Zusammenhänge, Gründe und Folgen, auch die engen Beziehungen des badischen Hofes zu Frankreich und nach St. Petersburg sind vielfach dargestellt worden, eingänglich z. B. von H. L. Zollner. Um und nach 1912, zum 100. Jahrestag, erschienen Gesamtbetrachtungen
und es wurden Erinnerungen und Tagebücher von Teilnehmern in ganz Deutschland herausgebracht. Inzwischen ist der „Zug ins Verderben“ von 1812 ferne Geschichte, überdeckt von neuen Kriegen gegen Russland, darunter Hitlers verblendetem „Unternehmen Barbarossa“, das allein für die 3 Millionen deutscher Soldaten so grausam und opferreich verlief wie Napoleons Angriff der Großen Armee von 650.000 Mann, und in einer noch umfassenderen Katastrophe endete.
Erst seit wenigen Jahren kommt dem Themenfeld der städtischen Außenpolitik im späten Mittelalter und darüber hinaus nun auch ihren Akteuren vermehrt Aufmerksamkeit zu. Von der älteren Forschung wurden den städtischen Gesandten des späten Mittelalters mangelnde diplomatische Fähigkeiten und Handlungsspielräume zugeschrieben. Neuere Arbeiten kommen diesbezüglich zu gänzlich anderen Ergebnissen. trotz dieser neuen Erkenntnisse und Arbeiten ist das Themengebiet bei weitem noch nicht erschlossen sondern bietet zahlreiche Möglichkeiten der Erforschung. Für die Stadt Straßburg lässt sich dies feststellen. Bisher kann hier insbesondere auf Untersuchungen zu Einzelaspekten oder bestimmten Ereignissen zurückgegriffen werden. Eine umfassende Studie, die sich auf das Gesandtschaftswesen Straßburgs konzentriert, liegt hingegen noch nicht vor.
1. ABSCHIED FÜR IMMER?
„Die Fenster und Läden wurden geschlossen,
die Leitungen abgestellt. Der Polizist,
der manchmal oben bei mir zum Rechten
sah, bemerkte, dass ich noch Butter, Brot,
Käsekuchen, Äpfel einpacken sollte. So als Proviant
für ein paar Tage – als ob es mir ums
Schlucken gewesen wäre.
Die Türen wurden geschlossen, mit Papierstreifen
versiegelt. Ohne zu fragen, lud ich
unser Gepäck auf das Wägele, das das Mädchen
ziehen half. Ihre eigenen Sachen stellte sie im
Nachbarhaus ab. Wir standen schon vor der
hinteren Haustüre (für Lieferanten und Menschen
2. Klasse), die Polizei hinter uns, als
Pfarrer W. bestürzt durch den Garten kam,
nach wenigen Worten verstand, uns die Hand
drückte, ein Wort mit auf den dunklen Weg
gab, der alten Vierundachtzigjährigen und uns
Jüngeren. Dann gingen wir zum Auto. Ich
noch einmal an unserem Haus vorbei. Frau
Amtsrichter Kehrle begegnete uns. Hinter
einem Vorhang bewegte sich eine Gestalt. Wir
gingen stumm und tränenlos. Marie und ich
mit dem Wägele voraus.“
Die Erinnerung an den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 ist bei uns – anders als in Frankreich – angesichts der Schrecken der Weltkriege des 20. Jahrhunderts gänzlich verblasst. Dabei hatte der zunehmend grausamer geführte »Bruderkrieg« gravierende Folgen für beide Länder und auch die Menschen am Oberrhein: Für Deutschland brachte er die Reichseinigung und das Kaiserreich, das dann Elsass-Lothringen annektierte. Frankreich wurde nach der Abdankung Kaiser Napoléons III. endgültig zur Republik.
Als ich nach meiner Wahl zum Oberbürgermeister vor 19 Jahren auf dem Villinger Münsterplatz vor dem Rathaus auf die provisorisch aufgebaute Bühne trat, spielte die Villinger Stadtmusik das Badener Lied, und nicht wenige der anwesenden Zuschauer sangen mit der Hand am Herzen inbrünstig mit. Diese kurze Episode stand eigentlich im Kontrast zu einem wesentlichen Bestandteil meines späteren Arbeitszimmers, einem wertvollen Gemälde der jungen Maria Theresia, welches den Charakter des Raumes entscheidend prägt.
Rettungshafen Ostschweiz
(2007)
In St. Margrethen, dem Dorf in der nordöstlichen Ecke der Schweiz, stand einst
eine Brücke. Sie führte über den Alten Rhein und verband die Schweiz mit Österreich,
war Nadelöhr wie Eingangspforte. In den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs rettete die alte Brücke, die längst durch eine modernere ersetzt ist, Zehntausenden Menschen
das Leben, auf ihr spielten sich Vorgänge von weltpolitischer Bedeutung ab. Im Rahmen
der 2005 erschienenen Studie »Flüchtiges Glück« über die Flüchtlinge im Grenzkanton
St. Gallen zur Zeit des Nationalsozialismus konnten die außergewöhnlichen Vorgänge
zusammengefügt und in Beziehung gesetzt werden. Im Folgenden werden einzelne Aspekte in vertiefter Form behandelt. Im Gegensatz zu den Geschehnissen vor Ausbruch
des Zweiten Weltkriegs, als der St. Galler Polizeihauptmann Paul Grüninger, der Bregenzer Vizekonsul Ernest Prodolliet, die orthodoxe St. Galler Jüdin Recha Sternbuch und
unzählige weitere Helfer Tausenden von jüdischen Flüchtlingen das Leben retteten, sind
die Vorgänge der letzten Kriegsmonate an den Landesgrenzen um den Bodensee erst
in Teilen bekannt. Im Wesentlichen handelt es sich um mehrere KZ-Transporte, die ihr
Ende im Kanton St. Gallen hatten, um den Verhandlungspoker, der zur Rettung jüdischer KZ-Häftlinge führte, sowie um den Flüchtlingsstrom aus dem versinkenden Dritten Reich in den letzten 20 Kriegstagen.