943 Geschichte Deutschlands
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Die innen- und außenpolitische Situation von 1945 und den Jahren danach kann man nicht verstehen ohne den Blick auf die elementaren Voraussetzungen, die der Krieg und die deutsche Niederlage für den Neubeginn geschaffen hatten. Ihre Kennzeichen waren eine völlige wirtschaftliche und finanzielle Zerrüttung, die Vernichtung großer Teile des Volksvermögens, der Arbeitsstätten und Wohnungen, die Vertreibung großer Teile der Bevölkerung und dazu die vollständige Besetzung des deutschen Staatsgebiets durch fremde Heere, Amerikaner, Engländer, Franzosen, Sowjetsoldaten, zunächst deshalb auch das Ende jeder eigenständigen deutschen Staats- und Verwaltungstätigkeit.
Der 15. Juli 1942 war ein Mittwoch. Reinhold Birmele, achtundzwanzigjähriger Gehilfe in der Gärtnerei Rappenecker, bearbeitete ein Grundstück in der Freiburger Beethovenstraße. Wegen epileptischer Anfälle in der Vergangenheit hatte er nicht als Soldat in den Krieg ziehen müssen. Nebenan, Nr. 9, lag der Garten, der zur Villa des ehemaligen Bankdirektors Hein gehörte. Birmele hatte schon oft dort gearbeitet. Nur flüchtig war er hingegen bisher der achtundfünfzigjährigen Hausgehilfin der Familie Hein, Maria Weber [Name geändert, H. H.], begegnet, die gerade in den Garten trat; er wußte nicht einmal ihren Namen. Sie kamen ins Gespräch. Dabei stellte sich heraus, daß Frau Weber in St. Peter beheimatet war und Reinhold Birmele ihre dort verheiratete Schwester kannte. Sie habe jetzt Ferien und wolle ihre Schwester wieder einmal besuchen, meinte Birmele die Hausgehilfin zu verstehen. Ihm kam die Idee, sie zu fragen, ob sie nicht gemeinsam dorthin wandern wollten. Er war ein großer Naturfreund und jeden Sonntag draußen in den Bergen. Birmele wollte dann, nach dem Besuch der Bekannten in St. Peter, über den Kandel zurück nach Kollnau laufen, wo er wohnte. Eine richtige Verabredung war es wohl nicht, aber Birmele dachte, Maria Weber habe seinem Plan zugestimmt.
Ein Akt der Verzweiflung
(2000)
Die von langer Hand und unter strikter Geheimhaltung vorbereitete Deportation von 350 jüdischen Männern, Frauen und Kindern aus Freiburg nach Gurs schlug sich im Tagebuch der Polizeidirektion, das für den 22. Oktober 1940 auch den Besuch der Sicherheitsdienste (SD) von Mülhausen und Freiburg vermerkt, in einer siebenzeiligen Notiz nieder: ,,Dienstag, 22. Oktober und Mittwoch, 23. Oktober 1940: An beiden Tagen wurden die jüdischen Familien abtransportiert. Hierbleiben durften nur diejenigen Juden, bei denen entweder der Mann oder die Frau arischer Abstammung sind. Weiter blieben auch die Mischlinge hier. Zwei Juden haben Selbstmord verübt; eine Jüdin hat sich die Pulsadern durchschnitten und starb in der Klinik, ein Jude hat sich erhängt. Der Abtransport ging in aller Ordnung vor sich."
Den freiwilligen Wechsel der Deutschen aus dem demokratischen Staat, der Weimarer Republik hieß (1919-1933), in die nationalsozialistische Diktatur können wir heute nur noch verstehen, wenn wir in die Geschichte blicken. Daß ein sehr großer Teil der Menschen, die den christlichen Kirchen, der evangelischen wie der katholischen, angehörten, diesen Übergang begrüßt hat, wollen wir nicht gerne hören und mögen wir nicht glauben. Es ist aber so, und es läßt sich auch erklären. Während kirchentreue Katholiken bis 1933 durch die offiziellen Erklärungen ihrer Kirche auf Distanz zur NSDAP als Partei gehalten wurden, waren die Protestanten, die keine hierarchisch-autoritäre Kirche kennen, zunächst anfälliger. Als aber die NSDAP begann, unmittelbar in das kirchliche Leben einzugreifen und sich in Glaubensfragen einzumischen, entstanden in den protestantischen Kirchen unbeugsame Widerstandsgruppen, denen auch Menschen angehörten, die sich den NS-Ideen zunächst geöffnet hatten. Die Widerstandskraft der „Bekennenden Kirche" hat die NSDAP bis zu ihrem Ende nicht überwinden können.
Der Anlaßwar der schlimmste Überfall des Krieges. Am „schwärzesten Tag", dem 14. April 1917, erlebte die Stadt Freiburg einen Angriff durch britische und französische Flieger, bei dem elf Zivilisten und ein Soldat ums Leben kamen. Einige Tage
später bot die Bestattung der Opfer am Freiburger Hauptfriedhof die Gelegenheit, eine feierliche Kundgebung gegen die „ruchlose" Praxis des Feindes zu veranstalten, der den Krieg auf offene deutsche Städte übertragen hatte mit dem Ziel, Zivilisten zu terrorisieren und schuldlose Menschen aus der „friedlichen Arbeit in der Heimat" fortzureißen. Dementsprechend befanden sich unter den Teilnehmern auf dem Friedhof fast sämtliche Stadtprominente - leitenden Persönlichkeiten der Staats- und Stadtverwaltungen, des Militärs und der Universität, jeweils sieben geistliche Repräsentanten des Freiburger Katholizismus und Protestantismus sowie Vertreter der Holzgroßhandlung der Gebrüder Himmelsbach, deren Belegschaft allein neun Opfer
erbracht hatte.